Winter is coming – wie wappnet sich der Handel?

Inflation und Energiekrise

Der Winter steht bevor, sind die Gestaltungsspielräume mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung tatsächlich größer geworden? ©pixabay

Autorin: Eva Westhoff
Der Sommer hat sich nicht nur meteorologisch verabschiedet – auch mit Blick auf das Konsumklima hat der Wind merklich aufgefrischt. Laut ifo Konjunkturprognose zum Herbst 2022 stehen der deutschen Konjunktur harte Monate bevor.

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Die hohen Inflationsraten lassen die realen Einkommen der privaten Haushalte sinken und die Ersparnisse dahinschmelzen, die Kaufkraft geht zurück. In den konsumnahen Bereichen habe sich das Geschäftsklima zuletzt bereits deutlich eingetrübt, so das ifo Institut. Das Bruttoinlandsprodukt werde in diesem Jahr noch um 1,6 Prozent zulegen, um dann im kommenden Jahr um 0,3 Prozent zu schrumpfen. Die Inflationsrate werde 2022 bei durchschnittlich 8,1 Prozent liegen und 2023 auf 9,3 Prozent steigen. Ihren Höhepunkt werde sie voraussichtlich im ersten Quartal 2023 mit etwa 11 Prozent erreichen.

Eine hohe Inflationsrate, die sich zuspitzende Energiekrise, dazu eine Verbraucherstimmung, die sich zusehends verschlechtert – auch im Oktober wies das HDE-Konsumbarometer nach August und September erneut ein Allzeittief aus –, all das stellt den Handel in Deutschland vor Probleme und schürt Existenzängste. Gerade auch im Modehandel, der während der Corona-Pandemie bereits schwer gelitten hat und immer noch mit den Auswirkungen kämpft, seien es das ausgefallene Geschäft oder die anhaltenden Unsicherheiten bei den Lieferketten.

Dr. Daniel Terberger hat bereits im Juli auf der 67. KATAG-Cheftagung in Bielefeld die Frage gestellt, ob wir angesichts der multiplen Krisen in den „perfekten Sturm“ segeln. Nein, so beantwortete der KATAG-Chef seine Frage letztlich selbst, wies er doch auf die Gestaltungsspielräume hin, die der Mittelstand nutzen könne – und solle.

FASHION TODAY möchte diese Gestaltungsspielräume aufspüren. Sind sie mit dem im September von der Bundesregierung vorgestellten dritten Entlastungspaket mit einem Volumen von 65 Milliarden Euro größer geworden? Wir haben KATAG-Chef Dr. Terberger um eine erneute Einschätzung der Lage gebeten und auch bei unitex-Geschäftsführer Gerhard Albrecht sowie bei Franz-Josef Hasebrink, CEO der EK/servicegroup, nachgefragt. (Wie) Kann sich der Modehandel für den Winter wappnen?

Dr. Daniel Terberger und Gerhard Albrecht hat FASHION TODAY noch vor dem Beschluss der Bundesregierung befragt, weitere Hilfen in Höhe von 200 Milliarden Euro an den Start zu bringen, Franz-Josef Hasebrink hat sich zu einem Zeitpunkt geäußert, als der Beschluss bereits bekannt war.

Dr. Daniel Terberger, Vorstandsvorsitzender der KATAG AG

„Eine Justierung ist vonnöten, es braucht eine binnen- beziehungsweise konsumorientierte Wirtschaftspolitik“, sagt Dr. Daniel Terberger, Vorstandsvorsitzender der KATAG AG ©BrauerPhotos/Neugebauer

„Gestaltungsspielräume gibt es für Unternehmer immer. Im traditionellen Mittelstand ergeben sie sich insbesondere aus lange bestehenden Lieferantenbeziehungen, die Flexibilität ermöglichen. Wenn ich weiß, dass mein Lieferant bereit ist, gewisse Reserven vorzuhalten, und im Zweifel auch dazu, kurzfristig zu stornieren, dann verbaue ich mir keine Wachstumschancen, indem ich angesichts von Inflation und Energiekrise oder Pandemie vielleicht zu vorsichtig einkaufe. Welche Möglichkeiten haben wir? Darüber sollte man offen miteinander sprechen, denn das Ergebnis ist ein Win-win. Beide Seiten ermöglichen sich auf diese Weise Wachstum, das auf Vertrauen basiert.

Das dritte Entlastungspaket ist aus Sicht des Handels ein Schritt in die richtige Richtung. Warum? Weil es hilft, Kaufkraft zu erhalten und damit mittelständische Strukturen und den Handel in Deutschland zu stabilisieren. Klar ist aber auch, dass jeder Staatseingriff, jede Abweichung von der Marktwirtschaft langfristig problematisch ist, da damit Fehlanreize verbunden sind. Doch kurzfristig hilft das dritte Entlastungspaket natürlich, auch wenn ich es nicht als superpräzise und passgenau betrachten würde.

Im Moment ist alles wichtig, was zur Stabilisierung der Kaufkraft beiträgt. Denn das deutsche Geschäftsmodell, das von der maximalen Vernetzung der Weltwirtschaft ausging, darauf basierte und davon profitierte, ist massiv infrage gestellt. Aktuell durch die bekannten Entwicklungen, aber mindestens ebenso strategisch. Der drohende Zerfall der globalen Wirtschaft in ideologische, machtpolitische Blöcke und eine Situation, in der es dann nicht mehr um Offshoring, Onshoring geht, sondern nur noch um Friendshoring – aus Sicht des Exporteurs wie des Importeurs –, sind hochgefährlich für die deutsche Wirtschaft, die in jedem Winkel der Erde produziert und überallhin geliefert hat.

Hinzu kommen die bekannten Soziallasten und die Kostenposition, die sich angesichts der Preisbelastung noch einmal verschlechtert hat. Sollten wir also tatsächlich nur noch mit Nationen Geschäfte machen, die unser Weltbild teilen, und die anderen Märkte aussortieren, wäre das sehr problematisch. Wenn wir uns dennoch für diesen Weg entscheiden – und ich denke, ein Stück weit kommen wir nicht umhin –, dann müssen wir stark auf unsere Binnenwirtschaft setzen. Und dann wird der Handel zum Motor allen Wohlstands.

Eine Justierung ist vonnöten, Deutschland kann sich nicht länger auf seinem Titel des Exportweltmeisters ausruhen. Vielmehr braucht es eine binnen- beziehungsweise konsumorientierte Wirtschaftspolitik – und das bedeutet auch, indirekten Konsumentzug durch zu hohe, ideologisch bedingte Energiepreise zu vermeiden. Ob kurzfristig eine Subvention für den Verbraucher dazugehört oder ein Markteingriff in die Gaspreise? Vielleicht.

Schlauer sind in meinen Augen eine intelligente Weiterentwicklung des Merit-Order-Prinzips und die maximale Bereitstellung von bezahlbarer Energie, ohne ideologische Barriere. Ob Kernkraft oder Kohle, für mein Gefühl macht es wenig Sinn, dass wir uns diesen Quellen verschließen und gleichzeitig über Zigtausende Kilometer Energie importieren, die zum Beispiel aus Fracking gewonnen wird. Man muss die benötigte Energie einfach bereitstellen, um die Wirtschaft in Gang zu halten – zur Sicherung unseres Wohlstands, der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Stabilität.“

Gerhard Albrecht, Geschäftsführer unitex GmbH

„Mitte Oktober wird es eine Veranstaltung mit dem Mittelstandsverbund und dessen Spezialisten zum Thema Brennpunkt Energie geben“, kündigt Gerhard Albrecht, Geschäftsführer unitex GmbH, an ©unitex GmbH

„Als mittelständischer Einzelhändler könnte man sich wie Tarzan fühlen. Man schwingt sich wie von einer Liane zur nächsten oder eben von einer Krise zur nächsten. Das Problem dabei ist, dass die Lianen immer dünner und kürzer werden und man eben nicht so genau weiß, ob es noch zum nächsten Ziel reicht …

Die zurückgelegte Strecke ist bekannt und die Herausforderungen waren groß. Bei ohnehin schon sehr schmalen Renditen – wenn überhaupt vorhanden – haben die Endverbraucherinnen und Endverbraucher in den meisten Fällen deutlich weniger frei verfügbares Konsumbudget. Dies geht sicherlich teilweise zulasten des Einkaufs für Mode und Bekleidung, das heißt, auf der Umsatzseite ist nicht viel Positives zu erwarten.

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Zusätzlich haben die Händler mit deutlichen Kostensteigerungen zu tun. Ein bunter Mix aus Personalkostenerhöhungen bis hin zu raketenhaften Anstiegen bei den Energiepreisen ergibt einen ganz besonders herausfordernden Gesamtrahmen.

Was bringt also das dritte Entlastungspaket? Zunächst einmal gibt es dieses (leider) noch nicht. An der Ausgestaltung wird noch gefeilt. Aber genau darauf kommt es natürlich an. Das zeigt zunächst, dass die Geschwindigkeit nicht diejenige ist, die wir benötigen. Wir hinken unseren europäischen Nachbarstaaten hinterher, geschweige denn, dass eine europäische Lösung in Sicht wäre. Inhaltlich gibt es zumindest bezüglich der ,Überschriften‘ einige positive Aspekte, wie zum Beispiel die Einführung der Strompreisbremse.

Ich vermisse eine Gaspreisbremse anstatt einer Gasumlage, ebenso wie ein mittelständisch orientiertes Gesamtkonzept, um für das Rückgrat unserer Wirtschaft Stabilität zu ermöglichen. Insgesamt kann ich zu viel Partei- oder Klientelpolitik erkennen und zu wenig Pragmatismus. In einer solchen Krise ist das jedoch unbedingt notwendig.

Welche Empfehlungen geben wir? Aufgrund der politisch verursachten Situation erscheinen wirtschaftliche Antworten und Handlungen möglicherweise nicht weitreichend genug, aber an erster Stelle ist die erste Aufgabe von uns allen, Energie einzusparen und parallel den Wechsel der Energieproduktion aktiv voranzutreiben. Was haben wir da eigentlich das letzte Jahrzehnt gemacht? Wir steigen aus der Kohle- und Atomenergie aus, stellen unsere Mobilität um und haben kaum etwas in erneuerbare Energien investiert. Das ist sicherlich kein guter Masterplan gewesen …

Was bieten wir an? Wir werden Anfang Oktober an mehreren Standorten in Deutschland einen persönlichen Austausch mit unseren Mitgliedern durchführen, um weitere Lösungsansätze zu erarbeiten. Weiterhin wird es Mitte Oktober eine Veranstaltung mit dem Mittelstandsverbund und dessen Spezialisten zum Thema Brennpunkt Energie geben. Es wird eine Veranstaltungsreihe mit Partnerfirmen aus diversen Bereichen geben, die aufzeigen, welche Möglichkeiten es praktisch zum Thema Energiesparen gibt.

Es geht um Know-how, um den schnellen und direkten Austausch. Diesen werden wir in dieser Thematik forcieren und uns weiterhin für die Belange unserer mittelständischen Partner einsetzen. Wir können die Lianen nicht länger und dicker machen, aber Tarzan hat es ja immer geschafft, weil er stets wachsam und fit war. Wir werden auch diese Herausforderungen in der Gemeinschaft bewältigen.“

Franz-Josef Hasebrink, CEO der EK Gruppe

„Über den klassischen Multichannel-Ansatz hinaus eröffnen neue Kombinationen aus individueller Beratung und E-Commerce wie das Curated Shopping weitere Kundenbindungsperspektiven“, so Franz-Josef Hasebrink, CEO der EK Gruppe ©EK/servicegroup

„Über die Herausforderungen des Modehandels in der Pandemiezeit ist alles gesagt: Lockdowns und anhaltende Störungen der Lieferketten haben der Branche existenzbedrohend zugesetzt. Tiefe Ausschläge auf der Umsatz- und Ertragsskala konnten durch zwischenzeitliche Erholungsphasen nicht annähernd ausgeglichen werden und haben sich spürbar auf die zur saisonalen Vororder benötigte Liquidität ausgewirkt.

Und wer gehofft hat, dass ein entspannter Umgang mit der Corona-Infektion wieder die nötige Frequenz in den Handel bringt, wurde durch die russische Invasion in der Ukraine eines Besseren belehrt. Die gegenwärtige Kaufunlust der Verbraucher ist allerdings nicht allein auf den Stopp der Gaslieferungen aus Russland zurückzuführen, sondern wird auch durch eine staatliche Energiepolitik befeuert, die die Energiepreise in schwindelerregende Höhen treibt.

An den daraus resultierenden Belastungen haben bisher weder das Entlastungspaket III noch das Energiekosten-Dämpfungsprogramm etwas geändert. Auch der Modehandel ist dabei bislang komplett durch das Raster gerutscht. Etwas Hoffnung macht jetzt das vom Wirtschaftsminister angekündigte milliardenschwere Hilfsprogramm für Unternehmen, von dem auch der Fachhandel profitieren könnte.

Und der hat es verdient, denn viele Unternehmen sind längst an die Grenzen der wirtschaftlichen Belastbarkeit gedrängt worden. Es geht im Übrigen bei allen Forderungen nicht um staatliche Subventionen, sondern um die Kompensation massiver Umsatz- und Ertragsrückgänge, die die Branche nicht selbst zu verantworten hat.

Ansonsten wird sich auch der Modehandel in dieser schwierigen Zeit auf sich selbst verlassen und mit seiner Begeisterung für frische Styles, neuste Trends und Farben, einem klaren Profil und – das ist nicht nur in Krisenzeiten das Entscheidende – der konsequenten Ausrichtung an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden punkten.

Hier werfen die Fachhändlerinnen und Fachhändler neben ihrer Unternehmerpersönlichkeit ihre Beratungs- und Servicekompetenz, ein den Abverkauf förderndes Präsentationsumfeld und die in Lockdown-Phasen gewachsene Digital-Kompetenz in die Waagschale. Eine Entwicklung, die es fortzusetzen gilt, denn über den klassischen Multichannel-Ansatz hinaus eröffnen neue Kombinationen aus individueller Beratung und E-Commerce wie das Curated Shopping weitere Kundenbindungsperspektiven.

Wer sein Fachgeschäft digital auf den modernsten Stand bringen will, kann die Digital Services der EK nutzen. Das Angebot reicht hier vom zielgruppengenauen Online Marketing inklusive Social Media über die Anbindung an digitale Marktplätze bis hin zur Anwendung des Business Intelligence Monitorings mit maßgeschneiderten Analysen zur Einkaufs- und Markenplanung. Darüber hinaus unterstützen wir den Modehandel mit attraktiven Handelsmarken, die Alleinstellung und Spanne sichern, oder mit der Besetzung von Megathemen wie ökologische und soziale Nachhaltigkeit, die auch die aktuellen Krisen überdauern werden.

Grundsätzlich wird sich der inhabergeführte Modehandel auch unter herausfordernden Rahmenbedingungen weiterentwickeln und die vorhandenen Gestaltungsspielräume nutzen.“