Autor: Markus OessDie türkische Bekleidungsindustrie will den Export Richtung Westen verstärkt ausbauen und hat deswegen verschiedene Initiativen gestartet. Ein wichtiger Baustein, um das Auslandsgeschäft anzukurbeln, ist die neue Istanbuler Messe IFCO. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht neben der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Aufbau eigener türkischer Marken.
Die türkische Textilindustrie hat ehrgeizige Wachstumsziele im Exportgeschäft, die mit einer neuen Messe-Plattform unterstützt werden sollen. „Als İHKİB haben wir unsere Zielsetzung nach der Pandemie erhöht. Wir wollen unsere Konfektionsexporte mittelfristig auf 40 Milliarden US-Dollar steigern. IFCO wird eines unserer wichtigsten Mittel für dieses Ziel sein“, sagt Mustafa Gültepe, Präsident der Turkish Exporters Assembly und des türkischen Textilverbandes İHKİB mit 20.352 Mitgliedsfirmen. Die Istanbul Fashion Connection Apparel and Fashion Fair (IFCO) ist eine neue Plattform, die explizit auch in Richtung Westen wirken soll, ohne aber die Geschäfte im Osten, unter anderem mit Russland, zu tangieren. Die Textilbranche hatte im vergangenen Jahr einen Rekordexportwert von 20,3 Milliarden US-Dollar erreicht. Die weltweiten Bekleidungsausfuhren im ersten Halbjahr dieses Jahres belaufen sich auf 12,4 Milliarden US-Dollar, ein Plus von 11,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allein in die EU wurden Waren im Wert von 7,7 Milliarden US-Dollar ausgeführt, 14,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Wichtigste Abnehmerländer sind Deutschland, UK, Frankreich, Italien und Spanien, aber auch die USA. Generell macht die EU gerne Geschäfte mit der Türkei. Das Land rangiert auf dem sechsten Platz der wichtigsten Handelspartner, sowohl was die Importe als auch die Exporte angeht.
Größter Exportmarkt der Türkei ist zwar die EU, aber auch da fangen inzwischen die Probleme an, denn der Ukraine-Krieg und seine Folgen belasten den Euro. Die lange währende Zurückhaltung der EZB, den Leitzins zu erhöhen, tat ihr Übriges, um die Gemeinschaftswährung insbesondere gegenüber dem US-Dollar zu schwächen. „Wir exportieren in Euro in die Europäische Union. Unsere Importe von Rohstoffen und Zwischenprodukten bezahlen wir jedoch hauptsächlich in Dollar“, sagt Gültepe. Der Währungseffekt führte in den letzten Monaten (Januar bis Juli) zu Verlusten von 800 Millionen Dollar allein bei Konfektionskleidung. Daneben ist die Aussicht auf eine Rezession auf den Weltmärkten, insbesondere in Europa, ein neues Risiko für die türkischen Exporte. Gültepe bleibt aber zuversichtlich, die Zielmarke 2022 von 250 Milliarden US-Dollar an allgemeinen Exporten und 23 Milliarden US-Dollar an Konfektionskleidung dennoch zu erreichen.
Gültepe wirbt für die Türkei als Nearshoring-Standort, der Wettbewerbsvorteile biete wie kurze Lieferzeiten, hohe Produktionsqualitäten, junge und gut ausgebildete Mitarbeiter, die Möglichkeit kleiner Mindestbestellmengen, eine vertikale Textil- und Bekleidungsindustrie, die ein „One-Stop Shopping“ ermöglichten. Neben der Produktion für Dritte streben die Türken vor allem an, eigene Marken auf den westlichen Märkten zu etablieren. „Wir können designtechnisch auf internationalem Niveau mithalten“, sagt auch Cem Altar. Der türkische Textilunternehmer ist Präsident des internationalen Textilverbandes IAF, der mehr als 80 Prozent der Textilbranche weltweit abdeckt. Aber noch ist man unter anderem marketingtechnisch noch nicht so weit, um im Konzert der Großen mitzuspielen. Wenigstens fünf neue Labels sollen in den kommenden Jahren den Durchbruch schaffen, lautet der Plan. Tatsächlich haben es nur vergleichsweise wenige türkische Marken wie mavi, LC WaIKIKI oder IPEKYOL überhaupt in die Regale geschafft. Und auch in der Preispositionierung ist Luft nach oben. Somit wird es noch etwas dauern, bis die türkische Textilindustrie bei dem Projekt erste Erfolge verbuchen kann. Das Vorhaben steht am Anfang.
Es wird investiert in dem Land, um die heimische Textilindustrie international wettbewerbsfähig zu machen. Wo Bedarf besteht, ist bekannt. So fließt zum Beispiel Geld in die Entwicklung nachhaltiger Produktion und einer zirkulären Bekleidungswirtschaft. Das IPA-II-Projekt soll mit dem Fördergeld der EU für Beitrittskandidaten die Digitalisierung der türkischen Textilindustrie voranbringen. Das Budget liegt bei 10 Millionen Euro und wird unterstützt und kofinanziert von İHKİB. Außerdem wird das IPA-III-Projekt zur Reduzierung der Karbonisierung in Kürze starten. Nilgün Özdemir, Vorstandsmitglied des İHKİB Sustainability Committees und Direktorin des Ekoteks Laboratoriums, hebt denn auch die Bedeutung nachhaltiger Produktion für türkische Unternehmen besonders hervor: „Unsere Firmen müssen die höchsten Standards für ihren Export erfüllen, die Zertifizierung ist für sie ein zentraler Aspekt.“
Einblicke
Auch an der Ausbildung eigener Designer arbeitet die İHKİB als Trägerin der İstanbul Moda Akademisi (İMA). Die Hochschule wurde 2007 von İTKİB/İHKİB mithilfe des IPA-I-Programmes gegründet. Die İMA hat inzwischen den Ruf einer anerkannten Schule, die jungen Modedesignern und Fachleuten der Branche eine innovative und moderne Ausbildung im Fashion-Bereich eröffnet. Rund 1.000 Absolventen erhalten hier jedes Jahr ihr Diplom, darunter Designer wie Şebnem Günay (SBNM), Selen Akyüz, Ezgi Karayel, Tayfun Kaba (Studio Tayfun Kaba), Gökhan Yavaş, Mehmet Emiroğlu (Guaj London), Esin Baris, Gülnur Güneş (GİGİİ’S ), Meltem Özbek, Ayşegül Köksal (MYBESTFRIENDS), Yasemin Öğün (MUSE FOR ALL). Auch Tuğçe Demiran, die für ANNAKIKI arbeitete und jetzt ihre eigene Marke in Mailand aufbaut, oder Neslihan Çömez, die für DICE KAYEK entwirft, haben hier studiert.
Designerausbildung in der İMA
Zurück zur IFCO. Deren zweite Ausgabe zählte nach eigenen Angaben 15.493 Besucher aus 107 Ländern. Mehr als 300 Unternehmen präsentierten sich auf einer Fläche von über 15.000 Quadratmetern in den Bereichen Womenswear, Menswear, Kidswear, Denim, Schuhe, Leder und Pelz, Lingerie und Sportswear. Die gut 300 Aussteller folgten der Marschrichtung, die eigenen Marken in den Vordergrund zu rücken. Allerdings erreichte der Umsatzanteil von türkischen Brands bei keinem Standbesuch von FT die Marke von 100 Prozent.
Auch Nuri Yüksel, Inhaber von Yüksel Tekstil, sagt, das Private-Label-Geschäft sei immer noch größer, aber er wolle seine eigene Marke gezielt ausbauen, die Margen seien höher. Das ist auch nötig angesichts der galoppierenden Inflation in der Türkei.
MARCOMEN ist ein Schuhproduzent mit zwei Fabriken. Täglich werden dort rund 3.500 Schuhe produziert, die unter anderem nach Rumänien, Polen, Griechenland, die Ukraine und auch Russland verkauft werden. Das Unternehmen hat auch einen Kunden in Deutschland. Die Exportquote liegt bei 40 Prozent. Hier macht das Private-Label-Geschäft noch 60 Prozent aus, aber der Verkauf unter der eigenen Marke soll zügig expandieren. Aksu Aydin ist Exportmanager. Er spricht von einer guten Messe und er habe den Vergleich, denn MARCOMEN sei auch auf internationalen Plattformen wie Gallery, CPM oder auch MICAM vertreten.
BELFOR ist in der Türkei eine bekannte Anzugmarke mit rund 3.000 Kunden. Verkauft werden auch Shirts oder Jacken. Der Großhandelspreis der Anzüge liegt zwischen 60 und 150 US-Dollar. Nicht nur Russen oder Asiaten seien gekommen, sondern auch Einkäufer aus den USA oder UK, berichtet Sales Manager Abdullah Uygur. Er ist der Sohn des Unternehmenschefs. Zumindest perspektivisch soll eine Messepräsenz auf der Pitti Uomo kommen.
LOOKER schließlich wurde 1996 gegründet. Unter anderem werden Polos, T-Shirts und Hoodies für eine junge Zielgruppe vermarktet. Die Produktion ist nur wenige Autominuten von Istanbul entfernt. Gesourct wird ausschließlich in der Türkei. Die Preise der Teile bewegen sich zwischen 8 und 20 US-Dollar. Das Unternehmen liefert unter anderem nach Frankreich und Deutschland. Bald wird LOOKER über zalando in Deutschland vertrieben werden. Aber auch Muhammet Enes Topdemir, der Gründer von LOOKER, lebt noch überwiegend von der Fremdfertigung.
Die türkische Bekleidungsindustrie will sich aufmachen mit eigenen Marken Richtung Westen. Das ist das erklärte Ziel. Noch, das wissen auch die Verantwortlichen, sind viele Schritte zu gehen. Allerdings ist auch klar, dass eben erste Schritte auch getan werden müssen, bevor man sich bewegt, und das ist passiert. Zum nächsten IFCO-Termin (8. bis 11. Februar 2023) erwarten die Veranstalter über 600 Firmen. Neu werden auch die Aussteller für den Sourcing-Bereich in einer separaten Halle teilnehmen, hierfür haben sich bereits den Angaben zufolge große Unternehmen beim Verband gemeldet. Auch die Lingerie und Braut-/Abendmode werden erneut in einer eigenen Halle gezeigt, die sich saisonal nur einmal jährlich in der Türkei präsentiert.
FT wurde von den Organisatoren auf die Messe eingeladen.