„Irgendwas war immer“

Russland

Kein Warentransport nach Russland oder Geldüberweisungen sind möglich. Und doch wird geordert. ©pixabay

Autorin: Elena Budinstein
Machen die deutschen Modeunternehmen noch Geschäfte mit Russland? Die Grenzen sind zu. Kein Warentransport nach Russland oder Geldüberweisungen sind möglich. Und doch wird geordert: in Düsseldorf und später in Moskau.

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Rund 40 wichtige Einkäufer aus Russland haben auf aufwendigem Wege nach Düsseldorf gefunden. Für einige dauerte die Reise über Moskau und die Türkei gleich mehrere Tage und kostete zehnmal so viel wie früher. Dennoch nahmen viele russische Einkäufer diesen stoppeligen Weg auf sich, um die jahrzehntelangen Beziehungen zu ihren deutschen Lieferanten zu pflegen, ihre Kunden vor Ort mit gewohnt qualitativ hochwertiger Ware aus Deutschland zu versorgen und einfach, um wirtschaftlich zu überleben. Was soll man sonst machen? Auch viele deutsche Handelsagenturen, die sich seit vielen Jahren die Märkte in Russland und den GUS-Staaten mit großem Engagement aufgebaut haben, „können nicht anders.“ Wofür man noch vor Kurzem gelobt wurde, wird man nun öffentlich verachtet.

Drei Alternativen

Seit Beginn des Krieges konnte man unter den deutschen Lieferanten drei Verhaltensstrategien beobachten. Eine klare Position zu beziehen und auf einen wesentlichen Exportanteil zu verzichten, war eine der Möglichkeiten. „Wir haben uns bei BRAX dafür entschieden, Russland nicht mehr zu beliefern, solange der Ukraine-Konflikt andauert. Als Familienunternehmen ist dies eine Frage der Haltung. Wir können nicht auf der einen Seite die Mitarbeiter in der Ukraine, die für uns ein wichtiges Produktionsland ist, unterstützen und auf der anderen Seite die Geschäfte in Russland weiterführen. Diese Entscheidung haben wir aufgrund der politischen Situation getroffen, sie hat nichts mit den in Russland lebenden Menschen zu tun. Darüber herrscht im Unternehmen große Einigkeit“, so Marc Freyberg, Geschäftsführer von BRAX.

Andere Unternehmen machten weiter und verließen sich auf die Expertise ihrer Handelsvertreter, die die Lage am besten einschätzen und schnell reagieren können. Natürlich riskieren sie das Image und die vollen Lager von unbezahlter Ware am Ende der Saison. Doch diese Firmen sind krisengestärkt, denn auf dem russischen Markt war bekannterweise immer etwas los: Schwankungen des Rubelkurses, Wirtschaftskrisen, neue Zollbestimmungen, Zertifikate et cetera. Nie war der Markt einfach zu bedienen, aber immer ging es irgendwie weiter. Dieses Vertrauen und die Loyalität zu den russischen Kunden könnten sich am Ende wieder auszahlen. Man erntet zurzeit keine Komplimente für diese Position, doch bleibt sie ehrlich und konsequent.

Der dritte Weg ist leider weniger ehrenhaft, doch unter den deutschen Produzenten ziemlich verbreitet. Man verkauft zwar nach Russland weiterhin, vertuscht dies aber nach außen hin. Auf den Umsatz mit Russland will man nicht verzichten, aber bitte „keine laute russische Sprache“ in den feinen Düsseldorfer Showrooms. Die russischen Kunden sollten ausgeladen und die Order möglichst online geschrieben werden. Ebenso wurde der Zusammenstoß zwischen russischen und ukrainischen Kunden in Düsseldorf gefürchtet. Denn trotz der schrecklichen Bilder aus der Ukraine kamen einige Einkäufer vor allem aus der Westukraine nach Düsseldorf. Die Order verlief entgegen den Befürchtungen friedlich und korrekt, keine Zwischenfälle.

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CPM unter erschwerten Bedingungen 

Die CPM hat für deutsche Marken kaum mehr Relevanz.  ©CPM

Was nun? Die CPM-Messe steht bevor. Auch wenn für die meisten namhaften deutschen Lieferanten die Messe an sich keine Relevanz mehr besitzt, bleibt der Zeitraum rund um die CPM ein wichtiger Ordertermin. Viele Showräume öffnen ihre Türen. Die meisten Geschäfte mit russischen Einzelhändlern werden dort gemacht. Die Messe, die wieder gemeinsam mit der Schuhmesse euro shoes stattfindet, begrüßt diesmal viele türkische, italienische und russische Lieferanten. Kaum ein deutsches Unternehmen ist gelistet und wenn, dann hinter einer russischen Firmierung versteckt.

Das Geschäft mit Russland war nie einfach, ist aber seit dem 24. Februar 2022 sehr aufwendig geworden. Jeder Tag ist anders und wegen der neuen Zahlungs(um)wege, der Logistik und der Exportpapiere kaum planbar. Fest steht aber, dass der Bedarf nach deutscher Mode weiterhin groß ist. Größer als je zuvor, denn viele Vertikalen und Luxusmarken mussten das Land verlassen. Die russischen Brands werden zwar staatlich gefördert und entwickeln sich schnell, aber die Retail-Flächen von ZARA, H&M und Co werden sie mit Ware auch in einem Jahr nicht füllen können.

Langer Atem?

Die Orderrunde in Düsseldorf hat gezeigt, dass „die russischen und ukrainischen Kunden es können“. Die vorsichtige Planung für Moskau wird sicherlich übertroffen. Dabei helfen der günstige Rubelkurs und leer stehende Handelsflächen. Die Frage ist, ob die deutschen Lieferanten den langen Atem haben, um eine weitere Russlandkrise durchzuhalten. Wer sich traut und trotz öffentlichen Drucks Geschäfte mit russischen Kunden macht, stellt sich auf viele weitere Unsicherheiten ein. Wie kommt die Ware momentan ins Land? Nun gibt es unterschiedliche Wege: durch Weißrussland, die Türkei oder Kasachstan. Die russische Regierung hat die Parallelimporte gesetzlich zugelassen, die Nachbarstaaten Russlands fürchten aber die westlichen Sanktionen und sind ebenfalls vorsichtig. Ende Juli berichtete die italienische Zeitschrift Corriere della Sera, dass die italienischen Exporte in die Türkei in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 1,4 Milliarden Euro erreichten. Das ist ein Rekordwert für die letzten zehn Jahre. Die Abwertung der türkischen Währung gegenüber dem Dollar und eine hohe Inflation (fast 80 Prozent im Juni dieses Jahres) können dieses Phänomen nicht erklären. Gleichzeitig verdoppelten sich die Exporte aus der Türkei nach Russland. Die einzige plausible Begründung dafür könnte die Mittlerfunktion der Türkei bei der Lieferung sanktionierter Waren nach Russland sein.

Zahlreiche russische Experten zeichnen kein positives Szenario für das Land. 80 Prozent der russischen Bevölkerung haben bereits im Frühjahr begonnen zu sparen. Sinkende Kaufkraft, offizielle Inflation von 16 Prozent (Rosstat, Juni 2022) und steigende Arbeitslosigkeit unterstützen diese Prognosen.

Global gesehen spielte der russische Modemarkt für die deutsche Modeindustrie auch vor dem Krieg und der Pandemie keine große Rolle. Für die einzelnen deutschen Unternehmen und deren Handelspartner bleibt der Handel mit Russland überlebenswichtig. Man macht einfach weiter – was soll man sonst auch tun?