Autor: Winfried RollmannDie Pitti Uomo im Juni war „hot“, im wahrsten Sinne des Wortes. Bei gefühlt 35 Grad versuchten sich die wenigsten Männer in tailored Grandezza. Das war auch durchaus symptomatisch für die lässige, hemdig-leichte Mode der 700 Kollektionen in Florenz. Mit einem optimistischen Neustart nach der Zwangspause hat die Pitti Uomo die Erwartungen der Messemacher und Aussteller deutlich übertroffen. Mit über 16.000 Besuchern und vielen Top-Einkäufern war Raffaello Napoleone mehr als happy. Wir haben uns für Sie dort umfassend informiert und fassen die Kernaussagen prägnant zusammen.
Natural Balance
Wir verlassen die Komfortzone der Jogg-Attitude, bleiben aber Befürworter des textilen Wellbeings. Das heißt Natürlichkeit in, wenn möglich, Organic Cotton, Leinen oder Hanf, das Ganze in lässigen, weiteren Schnitten. Gerade Hosen mit mehr Volumen und Hemden ersetzen konstruiertes Suiting. Eine subtile, sanfte Farbigkeit gruppiert sich um Off-White und Bindfaden-Töne. GRAN SASSO oder B SETTECENTO zelebrieren Mild Greens als neue Wellbeing Essentials. Im Sommer 2023 kommen Männer um Rosé-Nuancen nicht herum. Wenn sie so sanft interpretiert werden wie bei MYTHS oder in Terra-Rosé wie bei BRIGLIA, könnten sie eine Erfolgsstory werden. Eine große Bedeutung kommt den Hemden zu. Sie ersetzen Jackets immer mehr und selbst neapolitanische Schneider, wie Salvatore Piccolo, machen sie diesen Sommer zum Star. Bis vor Kurzem verpönt, ist das gerade Kurzarmhemd Typ Bowlingshirt ein Orderfavorit. Mit Leinen in tonigen Streifen ist es auch als Overshirt attraktiv. Breitere Casbah-Streifen in Jerseysakko (Barbati) und Hemd (deperlu) sind omnipräsent. Seersucker und aufgelegte Streifen bewegen Stoffoberflächen lässig. Dazu sind die ungefütterten Loafer in Mokassin-Bequemlichkeit von HENDERSON perfekt.
Wenn Konfektion in diesem Thema, dann richtig im Zweireiher von CARUSO oder Brioni.
Upcycling-Initiativen in den Westen von EGOIST oder frech in den Boxershorts aus abgelegten Hemden von CULO CAMICIA. Der Utility Spirit ist bei BERWICH oder MOS MOSH überzeugend übersetzt. MOS MOSH ist erst seit Kurzem in der Menswear unterwegs, trifft aber mit seiner skandinavischen Casual-Attitüde gut den Zeitgeist. YOUNG POETS SOCIETY setzt auf Avantgarde und Oversized.
Ethnic Craft
Fernweh hat Mode schon immer beflügelt. Die sonnenverbrannten Erden und die Gewürze des Südens skizzieren eine Reihe von warmen Farbtönen, tribale Handwerkskunst und Stencil-Motive inspirieren Muster. AT.P.CO dekliniert warme Terratöne tonig bis rot, DANIELE FIESOLI verbindet Ockertöne mit Motiven sonnengetrockneter Böden. In Leinenmischungen findet die warme Farbskala ihre attraktivste Übersetzung (SANTANIELLO). SUNHOUSE strickt Jackets in einer exklusiven Kettstricktechnik.
Offene poröse Strick- und Häkel-Bilder geben Polos Ethno-Touch. Die vintagegefärbten Sneaker von MUNICH passen perfekt ins Bild. Kurzarm- und Bowlingshirts zeigen erdfarbene Stencilprints (altea). Sie eignen sich auch hervorragend für Shorts und weite Sommerhosen (MYTHS). Verspielte Hemdenprints in weiten Kurzarmformen (OSVALDO TRUCCHI) werden mit Flechtarmbändern und gehäkelten grafischen Taschen (GUANABANA handmade) accessoiriert.
Patch-Symphonien mit Ethno-Touch inszeniert Pierre-Louis Mascia wertig in Seide. Der Franzose versteht es seit Jahren, kostbare Textilmuster aus Archiven attraktiv in die Jetztzeit zu übersetzen.
On the Road Again sind wir mit den bunten Hikingsneakern von BRANDBLACK oder den nachhaltig gefertigten Vintagesneakern von SATORISAN aus Valencia. Die Jacke des „Tramp“ von RALF ECKROTH ist in 500 Stunden Handarbeit, allover bestückt mit Friendship-Flechtbändern, entwickelt worden.
Tropic Smart
Die Menswear des Sommers zeigt auch ihre smarte Seite. Es ist eine Latino-Eleganz, die in Schwarz und dunklen Shades seidig-edel wirkt. Es ist fast wohltuend, nach Saisons des Farbflashs diese wertige Tiefe zu spüren. Seide, Leder und Brillanz stehen für Anspruch.
TOMBOLINI mixt souverän leichteste Konfektion mit extraleichtem Veloursleder, CARUSO preppy Chinos mit seidigen Fieldjackets. Es darf schon ein bisschen Show-off sein wie im fancy zebrabedruckten Tuxedo von MAESTRAMI oder in den silky Black Shirts von WOOD WOOD. Die Black Loafer von A.S.98 dürfen dabei nicht fehlen.
Auch elegant macht das Kurzarmhemd von sich reden. In Tencel-Mischungen ergänzt es bei LIU·JOs Menswear Debut Suits. Bei SAND passt es in dunklen Dschungelprints tonig zur Konfektion. Ohne getönte Sonnenbrille, hier von den Australiern POOL, geht Mann in diesen Outfits nicht aus dem Haus. Wie stimmig das seidige Druckhemd zum edlen Suit passt, zeigt ETRO. XACUS präsentiert souveräne Bambus-Motive, sie sind perfekt zur tiefen Farbrange, wie sie CRUNA vorschlägt.
Ein tiefes Rotviolett ist ein exzellenter Akzent zu den Latino-Farben. Die Stricker ALPHA STUDIO und Jeordie’s hatten sie neu im Programm. Die französische Brand DE BONNE FACTURE dekliniert es in tiefen Pflaumen-Nuancen.
Happy Island
Der Titel der diesjährigen Messe ist „Pitti Island“, eine Aufforderung zu Hedonismus und Eskapismus von einer Welt, aus der Mann auch gern mal ’ne Auszeit nimmt. Zwischen Miami oder Tropical Island oszillieren die frischen Sommerkollektionen.
Pink und Miami-Pastelle haben Optimismus in ihrer DNA. MAISON LABICHE zitiert Miami Vice, PHIL PETTER zeigt sehr konsumige, kühle Pastelle und soulland verhilft Männern zum Pink Flamingo Suit. FILIPPO DI LAURENTIIS, ein Aufsteiger im Knit Business, strickt feine, trockene Baumwollen in lichten Shades. Das aquarellierte Karo von RUE DE TOKYO macht in Flieder eine gute Figur.
The Bright Side of Life erleben Männer in den boxy geschnittenen Suits von MAESTRAMI oder in den Colour Denims von Barmas. Statt purer Farbintensität wird Frische bei MAISON LABICHE und ID. EIGHT mit bleichen Farbnuancen gemischt, das ist ein neuer Ansatz in kreativen Farbharmonien.
Zum Strand gehören die Liegestuhlstreifen, wie sie XACUS oder Giangi in Leinen inszenieren, das Thema war in Hemden omnipräsent. Die vintagegefärbten Slipper von ALEXANDER HOTTO sind top dazu.
Auch BRUNELLO CUCINELLI, der nach Corona-Pause wieder mit dabei war, hat für seine Verhältnisse kräftige Farben gezeigt. So verliehen Zitrus und Orange seinen ruhigen Grundfarben etwas sommerlich Spritziges.
Hell ausgewaschene Denims waren bei INCOTEX, erstmals auf der Pitti, in ihren Signature Jeans ein Tribut an die 1990er. Der Bleached-Effekt kann heute über Laser sehr umwelt-freundlich abgetragen werden.
Funny Badeshorts sind ein starkes Thema für immer heißere Sommer. In praller Fantasie strahlen sie bei den Neapolitanern von PIETRA SALATA oder bei GIERREMILANO. Dazu passen die bunten Truckercaps von STETSON, die laut Vertriebsleiter fast bei jeder Order dabei sind.
Im Paradise Island war roberto collina unterwegs und hat traumhafte Knit-Fantasien für Happy Hippies in Szene gesetzt.
Happy College
Schon für diesen Winter ein starkes Thema, haben die Player in Florenz auch für den Sommer danach auf eine plakative College-Story gesetzt. Das Paradestück in den Kollektionen ist der Collegeblouson mit Kontrastärmeln und typischen Badges. LES DEUX aus Kopenhagen verkauft sie jetzt schon exzellent, bei KIRED sind sie in Cashmere auch etwas für die Luxusliga.
Raw Denim ist obligatorisch für College Nerds. Als Canadian Tuxedo bei LIU·JO oder in Luxury Denim bei HANDPICKED. Plakativ und jung hat MANUEL RITZ die American College Story inszeniert. Gestreifte Blazer, Pullunder und große Karos haben eins gemeinsam, sie sind bold und damit attraktive Visuals für die Gen Z. Als plakative Muster sind Schachbrett-Motive und plakative 1970s-Streifen bei Gallia gefragt. Die spanische Sneakerbrand HOFF hat einen cleanen Retro-Tennis-Sneaker dazu entworfen.
Statt der klassischen College-Farbcodes sind diesen Sommer wärmere Farben dran. IRISH CROWN mixt Rottöne mit Braun und BARACUTA setzt auf Harringtons in Orange. Sommerliche Ringel gehen die gleichen Farbwege in Knit-Polos bei altea oder IRISH CROWN. Der sonnengelbe Sneaker von BARACUTA ist der Perfect Match.
Dynamic Performance
Outerwear Function ist in Florenz traditionell ein starker Impuls. Das war auch diesmal so, selbst wenn Brands wie Blauer. oder PARAJUMPERS fehlten. Dafür kamen die Impulse von Brands mit hervorragendem Entwicklungspotenzial. Dazu gehört ECOALF, die sich als nachhaltiges Outdoor- und Schuh-Label schon einen Namen gemacht haben. Sie werden immer mehr zum Vollsortimenter und haben diese Saison noch eine Premium-Kollektion ins Rennen geschickt. Neben der Modeaussage machen ihre konsequenten und sichtbaren Nachhaltigkeitsinitiativen den Unterschied. Ein Thema, das noch deutlich mehr Relevanz bekommen wird.
Als Leader of the Pack in der italienischen Premium-Outerwear ist HERNO nach MONCLER sicher der wichtigste Partner auch für deutsche Premiumhäuser. HERNO treibt die Diversifizierung mit Strick, Jersey und Hosen voran und überzeugt in modernen Komplettlooks. Das Know-how und die Perfektion der Brand sind immer wieder beeindruckend. Sie zeigt sich insbesondere auch in der High-Function-Linie LAMINAR.
ALPHATAURI geht auch den Weg einer akribisch durchdachten Funktion für Urban Mover. Parkas, die zum Raincoat verstellbar sind, oder getapte Jacken, die sich über eine raffinierte Innentasche zu einem Travelbag verwandeln, haben echten Mehrwert. Die zu Red Bull gehörende Linie hat viel vor und legt mit internationalen Ladenöffnungen ein hohes Tempo vor. DUNO zeigt mit seinem italienischen Entwicklungsteam spannende Leichtgewichte oder neue Two-in-One-Lösungen. Electric Blue und Pink dynamisieren Softshell-Jacken bei MOMO und Tech Layers bei YOON. A.S.98 liefert die bold Sneaker dazu.
People of Shibuya wartet mit einer Tennis-inspirierten Kapsel in Weiß und Grün auf, BREKKA patcht beherzt Intensivfarbe in Streetwear-Manier mit Black und White.
Wie wir schon in Mailand auf dem Salone Mobile konstatiert haben, ist der Einfluss des Memphis um Ettore Sottsass nach wie vor groß im Design. Auch die Mode partizipiert an dem plakativen Stil. ANTONY MORATO tunt seine Contemporary Looks mit mutigen grafischen Drucken. HUSKY macht Farblautstärke zum Programm und SUN68 macht selbst Badeshorts in Bold Graphics unwiderstehlich. In einer visuellen Welt gilt es Signale zu setzen, um im Aufmerksamkeitswettbewerb nicht übersehen zu werden.
HERNO: „Wir werden immer mehr zum Komplettanbieter“
Während der Pitti hatten wir Gelegenheit, mit HERNO-Chef Claudio Marenzi zu sprechen.
FT: Was sind die Zukunftsprojekte von HERNO?
Claudio Marenzi: „Wir schauen immer nach vorn. Wir haben als Outdoor-Spezialist eine hohe Brand Awareness. Unsere Kunden vertrauen HERNO. Wir erweitern deshalb unser Angebotsspektrum sukzessiv. Mit Jersey, Strick, Hosen und Sneakern werden wir immer mehr zum Komplettanbieter.“
Wie halten Sie bei dieser Produktkomplexität den hohen Qualitätsstandard von HERNO?
„Wir entwickeln alle unsere Produkte zu 100 Prozent im eigenen Haus, das sind große Investitionen, aber damit garantieren wir die von uns gewohnte Perfektion.“
Wie beeinflussen die komplexen Rahmenbedingungen die Entwicklung in naher Zukunft?
„Ich glaube, wir stehen vor einem wichtigen Paradigmenwechsel. Bisher lag der Fokus verstärkt auf Distribution und Marketing, jetzt kommt den operativen Parametern eine besondere Bedeutung zu. Es geht darum, mit der richtigen Disposition, einer prozessoptimierten Produktion und qualifiziertem Personal ein gesundes Wachstum zu erreichen.“
Wie begegnen Sie dem Mangel an qualifizierten Fachkräften?
„Das ist ein großes Thema. Wir müssen es wieder schaffen, dass junge Menschen die Mode als eine Industrie sehen, in der sie arbeiten und Karriere machen möchten. Zu diesem Zweck haben wir in Novara mit GUCCI, VERSACE, Zegna und ZAMASPORT eine Schule gegründet, um junge Menschen auszubilden und von den Perspektiven unseres Metiers zu faszinieren.“