Autor: Markus Oess „Ich sehe mich als Modehandwerker, Visual Merchandiser, Coach und Visionär“, sagt Tom Bußmann über sich. Bußmann ist gelernter Textilkaufmann und seit 1990 in der Modebranche. 2018 dann hat er sich mit „textilmerchandiser“ selbstständig gemacht. In der FT-Serie „Auf der Fläche“ stellt er seine Wareninszenierungen vor, die er seither realisiert hat.
Diesmal geht es um den Anzug, die Kollektion ist bekanntlich zurück. Also weitermachen wie bisher? Das sagt Tom:
FT: Tom, die Kollektion ist zurück. Nur, was hat sich gegenüber Vor-Corona verändert?
Tom Bußmann: „Die Königsklasse der Schneiderkunst. Der Anzug ist transformiert und kommt aufgeweicht daher! ARMANI in der klaren Linie des italienischen Modehandwerks. STRELLSON, der Schweizer, im urbanen Design mit Mut zum Abenteuer. Brioni über Tragekomfort der Extraklasse. Der edle JOOP!-Gentleman-Style in perfekter Silhouette. Flexibilität bei der Made-to-Measure-Kollektion botschaftet BOSS. Und besondere Designmerkmale beim IDOL ANZUG melden sich elegant sowie abenteuerlustig zurück. Vor Corona kam der Anzug zuletzt ziemlich traditionell daher. Jetzt macht zum Beispiel Greige, der Mix aus Beige und Grau, den dezenten Anfang mit einer ‚Summer-Wedding-Mykonos-Leichtigkeit‘ bis hin zum sich anbahnenden Farbenrausch in Schockfarben (etwa Fuchsia). Das ist alles andere als alltagstauglich, aber ein Party-Statement. Oversize-Silhouette, entspannt, reines Weiß, breite Revers bei Sakkos, Leinen, futuristisches Design, Neopren-Look und, und, und … Das neue Anzug-Design verlangt weniger eine Krawatte als Ergänzung, sondern ein Feinstrick-Polo und puristische Sneaker zur Vollendung. So strahlt der Anzug-Sommer einmalig und vorzugsweise einreihig. Zum Herbst wird das TOP-ADD-Feinstrickpolo um einen luftigen Polokragen ergänzt. Nein, der Anzug ist nicht nur zurück, er ist inspiriert und sophisticated in neuer Zeit angekommen und angenommen.“
Der Anzug inspiriert
Wie drückst du die Veränderungen auf der Fläche aus, welche Linienführung hast du bei der Inszenierung im Kopf?
„Ich denke an angesagte Rooftop-Partys, Bohemian Style, Mykonos Wedding Summer 2022 und zudem weltoffen. Das ist mein Gefühl, mein Ansatz und daraus entsteht Storytelling über genau diese Inspirationen. Der Look steht im Vordergrund und die Modebühne wird dezent mit Naturmaterialien, von marokkanischen Einflüssen sowie individuellen Fundstücken aus Urlaub, Boho, Vintage, Partyszene über Einrichtungsgegenstände und Deko-Materialien atmosphärisch, nachhaltig modelliert und geprägt. Im Übrigen kann die visualisierte Story nur über Klarheit und Fokussierung herausstechen. Das bedeutet, dass die Warenstars nicht wie gewohnt im vollumfänglichen Größen-Lot die Modebühnen ausfüllen. Nein, ihre Hauptrolle impliziert gleichzeitig weniger Wareneinsatz auf den Fokusflächen, um Sichtbarkeit zu erzeugen sowie Begehrlichkeiten zu wecken.
Eine organisierte Warenlagerpflege vorausgesetzt, hat die alte Kaufmannsregel ‚Jeder Artikel, jedes Teil sollte sich zu jeder Zeit auf der Fläche befinden‘ ausgedient. Modeprofis wissen, Mehrwert bedeutet auch Mehraufwand. Eine Modegeschichte erzählt sich nicht über Volumina beziehungsweise Masse, sondern begeistert mit Inhalt und überzeugt den Mode-Fan durch Qualität! Das Storytelling ist die Linienführung. Der Konsument folgt in der Betrachtung, den Erzählungen, Outfits, Stilrichtungen, Modethemen und dem Erlebnis. Präsentationen gebündelter Bedarfs- und Kompetenzdarstellung von einzelnen Waren- und Artikelgruppen werden für ihn uninteressant. Gute Storys schließen Kompetenzdarstellungen keineswegs aus. Sie sind vielmehr der Schlüssel und dienen der Orientierung des vom Lebens- und Modegefühl getragenen urbanen Kunden. Über ,Raumhoheit‘ verleihe ich den jeweiligen Keylooks, Hauptdarstellern, Themen und Storys ihre jeweilige ‚atmosphärische Modebühne‘, denn der erste Eindruck entscheidet!“
Darf man Luxus auf der Fläche zeigen, sollte man es vielleicht sogar?
„Unbedingt! Designer- oder Luxus-Modemarken schmieden den Look und geben den Takt weiterhin vor. Luxus vereint Begehrlichkeit und Orientierung. Es findet derzeit sogar ein regelrechter Hype rund um Luxus- und High-End-Luxury-Brands statt. Influencer thematisieren Luxus, die Markenaffinität hat tendenziell in der Pandemie wieder zugenommen. Diverse Mode-Luxusmarken und -konzerne sprechen derzeit von einem Rekordniveau in der Entwicklung. Was steckt dahinter? Sich mal etwas Besonderes gönnen zum Beispiel. Ich vertrete die These, Schubladendenken, die Idee eines standesgemäßen Konsums, hat keine Gültigkeit mehr! Alle wünschen sich eine Teilhabe an Luxus und das ist gut so. Außerdem kombinieren mittlerweile viele echte Fashion Victims konsumige mit exklusiven Produkten. Luxury Brands setzen sich zudem heute vermehrt mit den Themen wie Athleisure, Bequemlichkeit, Lässigkeit generationsübergreifend auseinander. Früher war Luxus fast ausschließlich zeitlos, das hat sich spürbar verändert. Luxus steht auch für Erfolg und Geldanlage. Luxus ist eine Orientierung, möglicherweise auch ein definiertes Ziel, Belohnung, Bereicherung, Wertanlage, Anspruch.“
Es gab mal den Werbespruch für den BALDESSARINI-Duft „… Separates the Men from the Boys“. Wie würdest du das auf der Fläche zeigen?
„Oh, schwere Kost! Absolut gegen meine Überzeugung. Gar nicht würde ich eine Klassifizierung oder Trennung über Präsentationen zwischen Mann und Junge vornehmen.
Jede Zeit hat ihren Geist. Damals war vieles möglich und anders, aber heute sind wir um viele Errungenschaften reicher und weltoffener geworden. Zielgruppen in der Mode sind verschmolzen, die Stilrichtung und die Stimmung entscheiden.“
Weniger ist mehr, heißt es. Wenn du auf die Messen gehst, was gefällt dir an den Messeständen gut?
„Genau das. Less is more. Die ganz eigenen Storys, die Inspiration, Klarheit, Sichtbarkeit, die Übersicht, die Anordnung von Waren, die Nähe und Präsenz zu den Machern und Botschaftern, die Haptiken sowie der Geruch von Textilien und Fashion. Besonders gefällt mir eine magisch anziehende und ausdrucksstark angeordnete Gruppierung und Inszenierung von Mannequins/Modefiguren in augenscheinlich herausragenden Outfits und Modeboschaften. Die Marke Herrlicher zum Beispiel vermag benannte Attribute jede Saison aufs Neue ganz hervorragend zu realisieren.“
Wenn du einen Tipp geben musst, welchen Händler sollte jeder mal besucht haben, um sich auf der Fläche Inspiration zu holen?
„London ist immer eine Reise wert. Ich betanke meinen Geist über Inspiration, Kreativität und Innovationen gerne bei HARVEY NICHOLS, Harrods oder SELFRIDGES.“
Storys und Inspiration
Steckbrief „textilmerchandiser“
Name: Thomas Bußmann, Rufname: Tom
Alter: 50 Jahre (26.05.1971)
Karriere:
– gelernter Textilkaufmann (Kaufmann im EH), seit 1990 in der Modebranche
– Area Manager bei MANGO, Retail Area Manager bei JACK&JONES und Bereichsleiter bei Donna
– selbstständiger Visual Merchandiser seit 2018
Dienstleistungen:
– externes Visual Merchandising
– VM Support & VM Coaching für Modehäuser, Mitarbeiter im Textileinzelhandel und für die Markenindustrie
Arbeitsorte: deutschlandweit, Österreich, Niederlande und Schweiz