Unser Autor schlüpft jeden Monat in eine neue Haut und probiert modische Trends im Selbstversuch. Diesmal: ein Retro-Jacket aus zweiter, dritter oder vierter Hand.
Ich wollte schon immer mal …
… wieder in einen Secondhand-Laden gehen. Denn das letzte Mal ist einige „Tage“ her. Um genau zu sein, war es irgendwann in den 1990er-Jahren während meiner Sturm-und-Drang-Phase. Damals kamen Tocotronic mit ihrem Album „Digital ist besser“ um die Ecke und alle Fans stürmten in die Secondhand-Läden, um sich mit Vintage-Trainingsjacken und lustig bedruckten T-Shirts einzukleiden. Aus heutiger Sicht weiß ich gar nicht mehr so genau, ob das damals ein Akt der Rebellion war – oder schlichtweg eine modische Strömung. Auf jeden Fall hat es mich danach nur noch selten in die Läden mit dem markanten Muffgeruch verschlagen.
Don Johnson lässt grüßen
Heute, 27 Jahre später, ist „digital“ längst nicht nur besser, sondern allgegenwärtig. Und so schmeiße ich die Google-Maps-App an und verschaffe mir einen Überblick, wo der nächstgelegene Secondhand-Laden liegt. Fünf Minuten später betrete ich eine von mehreren Kölner Humana-Filialen und bin erstaunt: Es riecht gar nicht mehr muffig. Und die Kundschaft ist erfrischend divers. Auf meiner Einkaufsliste steht ein Jacket für die vielen festlichen Einladungen, die in diesem Post-Corona-Sommer (kann man das so sagen?) anstehen. An einem vollbehangenen Drehständer mit dem Schild „Ab 3 Euro“ werde ich schnell fündig. Ein blaues Jacket der Größe 52, das mir wie angegossen passt und wirklich nur 3 Euro kostet. Es ist zugleich elegant und (wen wunderts?) völlig schräg und aus der Zeit gefallen. Als ich mich im Spiegel betrachte, muss ich an Don Johnson zu Zeiten von „Miami Vice“ denken – nicht der schlechteste Style für den anstehenden 50. Geburtstag meiner Schwester.
Kombiniere, kombiniere
Der blaue Doppelreiher mit langem Revers ist aus einer Kunstfaser in Wildseidenoptik gefertigt. Der Schnitt ist leger, die Schultern üppig gepolstert. Der Sitz ist, wie gesagt, perfekt. Nur wegen des synthetischen Materials mache ich mir etwas Sorgen und frage mich: Ist das Jacket geeignet für die Tanzfläche? Oder werde ich nach „YMCA“, „Take on me“ und „Murder on the Dancefloor“ schwitzen wie ein angezählter Boxer nach der dritten Runde? Egal! Notfalls krempel ich die Ärmel hoch wie Sonny Crockett – oder werfe das Kunstfasermonster einfach in die Ecke des Rings und bringe die Tanzparty im weißen T-Shirt zu einem würdigen Ende. Womit wir schon beim Thema sind: Ganz egal, wie ausgefallen ein Jacket auch sein mag – die Kombination mit einem weißen T-Shirt und einer Denimjeans funktioniert immer! Diese Regel gilt sowohl fürs Büro als auch für den 50. Geburtstag der Schwester. Und wenn man das schicke 3-Euro-Stück aus dem Humana nach durchtanzter Nacht im Taxi vergessen sollte – auch kein Problem. Selbst in Zeiten von Fast Fashion finden sich immer Abnehmer für besondere Teile, die über Umwege im Secondhand-Laden landen. Und das ist gut so. Das Motto lautet schließlich: weniger Konsum aus erster Hand, mehr Individualität aus zweiter, dritter oder vierter Hand. Mit 3 Euro sind Sie dabei!