Mega Deal
Autorin: Yvonne Heinen-Foudeh
Im März 2021 haben die Entwickler der Foto-App Snapchat wie berichtet den Berliner Software-Entwickler Fit Analytics übernommen. Gemeinsam verfügt man über die Werkzeuge virtuelle Anproben wahrzumachen – vor der Kaufentscheidung. Das deutsche Start-up arbeitet mit Verbraucherbefragungen zu Körpermaßen, Schnitt und Stoffen, um die bestmögliche Passform und Tragekomfort für den einzelnen Konsumenten zu berechnen. Snap Inc. setzt stark auf AR, Augmented Reality, bei der digitale Objekte auf dem Bildschirm in die reale Umgebung integriert werden.
Und jetzt das: Mitte April hat der Facebook-Konzern Meta Platform Inc. alle Anteile an dem Münchner Startup Presize GmbH übernommen. Die Gründer, allesamt Informatiker, haben das Thema auf die nächste Stufe gehoben. Ihre Body-Scanning-Software für Smartphones misst die Körpermaße und kommt mit Hilfe intelligenter Algorithmen der richtigen Kleidergröße am nächsten – oder einem vollständig individuellen Modellschnitt.
Beide US-Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley vollziehen mit diesen Akquisitionen zweifellos einen weiteren Schritt in Richtung E-Commerce. Und doch steckt weit mehr dahinter: Die Größenbestimmung ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen im online Geschäft mit Mode und für alle Arten von On-Demand-Geschäftsmodellen. Für die sehr heterogenen europäischen Märkte weisen Studien eindeutig darauf hin, dass bei Mode, Sportbekleidung, ja bei allen Arten von Kleidungsstücken, die nicht zufriedenstellend passen, zwischen 35 und 55 Prozent der Rücksendungen beim Online-Einkauf zu verzeichnen sind, und das für alle Altersgruppen. Ähnliche Zahlen wurden für die Beweggründe von Verbrauchern – insbesondere, aber nicht nur weiblichen – erhoben, die den stationären Handel verlassen, ohne ein Kleidungsstück oder ein Outfit zu kaufen.
Unmittelbar damit verbunden: das Problem der Massenproduktion bei Bekleidung auf Basis vager, vergangenheitsbezogener Schätzungen hinsichtlich Mengen und Größenverteilung. Resultat: Nachweislich nicht mehr als 60 Prozent der globalen Bekleidungsherstellung jemals getragen. Damit bieten Technologien zur Größenbestimmung und Passform-Annäherung einen Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit bei Textilien und Kleidung, denn sie ermöglichen die Vermeidung von Ressourcen-, Energie- und Wasserverschwendung sowie absolut überflüssiger Emissionen, wenn die Überproduktion am Ende verbrannt wird, was teilweise durchaus üblich ist. – Was für eine Chance für Facebook, seine Verantwortung wahrzunehmen.
Kometenhafte Karriere
Der 28-jährige Presize CEO Leon Szeli und seine beiden Mitgründer, ehemalige Kommilitonen an der TU München, Awais Shafique (zuletzt Presize CPO) und Tomislav Tomov (CTO), setzten für ihre Startup-Initiative bereits 2019 vom ersten Tag an auf Methoden der künstlichen Intelligenz (KI). Im Herbst 2020 investierte der deutsche Multi-Investor Carsten Maschmeyer 650.000 Euro in das Startup und erhielt dafür 15 Prozent der Anteile. Erfreulicher Nebeneffekt des lokalen Marketings: Der Pitch für den Deal wurde in der TV-Show “Höhle der Löwen” (Pendant zum US-Format “Dragon’s Den”) öffentlich gemacht. Mit seiner proprietären Technologie und seinem Geschäftsmodell hatte Presize bereits 2019 den US-Accelerator und Investor Plug and Play überzeugt. Der ehemalige Förderer von Google oder Dropbox beteiligte sich ebenfalls mit einem sechsstelligen Betrag. Insgesamt wurden 3 Millionen Euro an Kapital von Investoren eingesammelt.
Und jetzt das: Mitte April übernimmt der Internet-Konzern, der vormals Facebook hieß, Presize zu 100%. Die Kundenliste der Modeunternehmen, die Presize.ai für E-Commerce nutzen, zeigte sich schon vor der Übernahme stattlich und mit kontinuierlichem Wachstum. www.presize.ai. Über die weiteren Planung des Gründer-Teams, ihre zukünftigen Rollen im Rahmen der neuen Meta-Konfiguration und den Einsatz der mittlerweile rund 40 Mitarbeitern der Münchner GmbH hüllt sich in diesem frühen Stadium der Mantel des Schweigens. Ebenso wie über die Kaufsumme nichts zu erfahren war.