Autor: Markus Oess„Ich sehe mich als Modehandwerker, Visual Merchandiser, Coach und Visionär“, sagt Tom Bußmann über sich. Bußmann, gelernter Textilkaufmann und seit 1990 in der Modebranche, ist Familienmensch und interessiert sich für Reisen, Fitness, Politik und Weltgeschehen, Literatur sowie Start-ups. 2018 dann hat er sich mit „textilmerchandiser“ selbstständig gemacht. Der Name ist Programm. Thomas ist eine Menge herumgekommen, hat Eindrücke, Ideen aufgenommen, die er jetzt in seinem Job gut gebrauchen kann. In der neuen FT-Serie „Auf der Fläche“ stellt er seine „Wareninszenierungen vor, die er seither realisiert hat – als Inspiration und ein wenig Werbung kann auch nicht schaden.
Diesmal geht es um Urban Lifestyle, Mode im urbanen Raum. Die Fotos zu aktuellen Flächeninszenierungen stammen aus sechs verschiedenen Modehäusern und Fashion Stores. Das sagt Tom:
FT: Stadtluft macht frei, hieß es im Mittelalter, was macht die Stadtluft heute?
Tom Bußmann: „Stadtluft macht auch heute frei! Der ,städtische Lebensstil‘ ist omnipräsent! Die Jugend favorisiert die Stadt als Lebensmittelpunkt beziehungsweise Hotspot, als Ziel und selbst gewählte sowie selbstverständliche Umgebung und auch als Lebensweise. Sie ist so selbstverständlich, wie auch die Metropolen ihre Kulturen und Ideen miteinander verschmelzen.“
Wie lässt sich ein großes Thema wie Urban Lifestyle konkret auf die Fläche bringen, welche Faktoren spielen für die Konzeptidee eine Rolle?
„Für die Modeszene bedeutet der Einzug vom stilprägenden ,Urban Lifestyle‘ die Verabschiedung von Trends, bisherigen Stilwelten und Konzepten. Es gibt keine gängigen Muster: Hauptsache, kein Mainstream! Urban Lifestyle lässt sich turboschnell auf den Modeflächen installieren. Wie? Die Konzeptidee lautet, unterschiedlichste Marken, Stilwelten beziehungsweise -ausrichtungen wie Konfektion (Anlass), Casual, Basics (NOS), Athleisure, Steetwear und auch Funktionsbekleidung über den Look, das Outfit zusammenzuführen. Das ist das Konzept, das Rezept 2030.
Ich spreche vom sogenannten ,Cross Dress‘. Aus den vorhandenen Sortimenten (von der Stange/bislang nach Stilrichtung sortiert) entsteht dann durch einen provozierenden Mix der Marken, Typen, Linien, Preislagen ein Kontrastprogramm zur althergebrachten Steifheit und Unbeweglichheit. Statt eines ‚Graue-Maus-Daseins‘ entwickelt sich über die visualisierte, bewusst provozierte Flächenrealisierung das Lebens- sowie Modegefühl ‚Urban Lifestyle‘ auf den Bühnen und Laufstegen der Brands. Sportlich-elegant und somit extravagant mutet das neue freie Lebensgefühl im Streetwear/Athleisure-Look angelehnt an den 1980er-Getto-Look an. Mehr Mut zu Neuem statt Sicherheit der alten Warenpräsentation schafft im Grunde die ‚neue Freiheit‘.“
Mehr Mut
Wie sieht es dann bei der konkreten Umsetzung aus?
„Eleganz ist Trumpf. Eine einseitige Konfektionslastigkeit und Sortierungen über reine Warengruppen wird es bei der Visualisierung in Moderäumen in naher Zukunft nicht mehr geben. Die Botschaft ‚Urban Lifestyle‘ drückt sich eindeutig über die Vereinigung von Lässigkeit, Eleganz und Sportlichkeit aus. Diese ‚neue Freiheit‘ bedeutet aber nicht, dass Marken über die Warenpräsentation wild gemischt werden. Marken werden zu 70 bis 80 Prozent weiterhin fokussiert abgebildet und Nachbar-Marken einer Zielgruppe als gewohntem Leitfaden zugeordnet. Spannend und neu dabei ist vielmehr das Verlassen der bisherigen Stilrichtung hin zum Mix über Produkte, Programme, Qualitäten, Trends, Formen, Schnitte und Color Clashing innerhalb einer Marke.
Zum Beispiel wird in der Männermode oder beim Herrenausstatter die über Generationen getragene Konfektionsabteilung/Anlass-Abteilung über das neue Mode- und Lebensgefühl umgewandelt in die Smart Casual Menswear. Die leichte Bomberjacke, Jeansjacke oder Weste wird mit einer Chino oder Cargo Pant abgemischt. Dazu ein eher spezielles und individuelles Shirt/Sleeve und ein Sneaker/Schuh, ergänzt um persönlichkeitsbezogene Accessoires (Bodybag und Co). So entsteht der persönliche Ausdruck über den Look 2030 des dynamischen und freiheitsliebenden Mannes. Damit wird diese Geschichte visuell erzählt. Der klassische Anzug findet weiterhin seine Bühne, allerdings nicht über die bekannte Anzug-Abteilung, sondern über ein spezielles Storytelling oder die Nähe zu Casual und Athleisure. Gleiches gilt natürlich auch für die Womenswear. Die konkrete Umsetzung von Urban-Lifestyle-Flächen findet über Storytelling innerhalb der jeweiligen Marken und ihres Umfelds statt. Die persönliche/individuelle Geschichte bildet und inszeniert die Looks über Urban Lifestyle fast ausschließlich über sportlich-elegante Outfits mit starken Einflüssen aus der Athleisure Wear sowie ausdrucksstarken Accessoires.“
Der Fokus bleibt
Welche Konzepte hast du diesmal mitgebracht und kannst du uns kurz dazu etwas sagen?
„Mein Konzept beziehungsweise die Tools, die ich hierfür mitbringe, sind Sichtbarkeit und Storytelling. Brands dienen in der Warenpräsentation und Anordnung ausschließlich dem Image des Modeauftritts sowie der Orientierung des Kunden als Leitfaden. Das ist der Ansatz. Mein Fokus ist die Sichtbarkeit der Revolution von Urban Lifestyle auf den Flächen über besagtes Storytelling und Raumhoheit. Die Warenstars werden über die Platzierung deutlich höher als gewohnt auf ein bis zwei Ebenen über Storytelling in den Rückwänden präsentiert. Der Blickwinkel und der erste Eindruck sind entscheidend. Urban Lifestyle hat ein anderes Mode- und Freiheitsgefühl und das sichtbar und nachhaltig.“
Sind solche Konzepte eigentlich auf eine Saison angelegt oder denkst du Themen auch über mehrere Saisons hinweg, die dann durchgespielt werden?
„Die Konzepte sind passend zum Thema über Visual Merchandising mittelfristig angelegt, um nicht zu sagen langfristig, weil es sich hier um einen Prozess der nachhaltigen Veränderung handelt. Ein Prozess, der unter Umständen über Jahre andauern wird. Wir reden über eine Freiheit, die sich natürlich weiter entfalten wird und sich nicht wieder einfangen lässt. Meine Kunden beauftragen mich seit geraumer Zeit mit exakt diesen Punkten. Sie wissen also um ihre Potenziale zum Thema Urban Lifestyle.
Was die Kosten angeht: Der Großteil der Ladeninhaber tut sich leicht damit, besagte Veränderungen anzugehen. Er steht dem Einzug von Urban Lifestyle und den damit verbundenen Investitionen (wie mein Tageshonorar) gegenüber. Darüber hinaus sind in aller Regel partiell Investitionen in Interieur und Mannequins sowie kleinere ladenbauliche Optimierungen notwendig. Große Umbauten finden aktuell weniger statt. Hier gilt eher der alte, bewährte Grundsatz: Aus und mit vorhandenen Mitteln den größtmöglichen Erfolg schöpfen.“
Steckbrief „Der TextilMerchandiser“
Name: Thomas Bußmann, Rufname: Tom
Alter: 50 Jahre (26.05.1971)
Karriere:
– gelernter Textilkaufmann (Kaufmann im EH), seit 1990 in der Modebranche
– Area Manager bei MANGO, Retail Area Manager bei JACK&JONES und Bereichsleiter bei Donna
– selbstständiger Visual Merchandiser seit 2018
Dienstleistungen:
– externes Visual Merchandising
– VM Support & VM Coaching für Modehäuser, Mitarbeiter im Textileinzelhandel und für die Markenindustrie
Arbeitsorte: deutschlandweit, Österreich, Niederlande und Schweiz