Le Pop 10

GEHÖRT – GEKAUFT

Ein genaues Muster, wie wir arbeiten, haben wir auch nach 14 Compilations nicht entwickelt. Es ist ein Prozess der ständigen Recherche, des gegenseitigen Vorschlagens, des Wiederhörens, der Ablehnung und im besten Fall der Zustimmung – ein mühsames Puzzle-Spiel. ©Peter Susewind/ Le Pop Musik.

Autor: Rolf Witteler
Mit Le Pop 10 haben wir uns selbst überrascht. Der Spruch kam irgendwann mal auf. Angelehnt an den großen Trainer des 1. FC Köln Christoph Daum, der nach einem Spiel mal zugab, eine Einwechslung aus fast göttlicher Eingebung getätigt zu haben, und sich damit quasi persönlich überrumpelte. Und genau diesen Moment gab es bei Le Pop 10 tatsächlich auch. Das wird im Oktober, November letzten Jahres gewesen sein und was wir da beschlossen, klingt vielleicht banal: Keine Sängerin oder Sänger, kein Künstler oder Künstlerin sollte schon einmal auf einer Le Pop vertreten gewesen sein. Und dazu zählen wir eben nicht nur Le Pop 1 bis 9, sondern auch die Spezial-Ausgaben „En Duo“, „Les Filles“ und „La Boum“. Das ist zum einen bemerkenswert, weil wir damit einer sehr großen Zahl an fantastischen französischen Künstlern einfach den Zutritt zur neuen Compilation verweigerten, und zum anderen, weil wir den gleichen Move schon auf Le Pop 9 vollzogen hatten und sie deswegen eben auch im Untertitel „au début“ hieß. Okay – zu kompliziert? Sorry. Aber das ist wichtig für so einen Prozess. Ich weiß nicht, ob ihr jemals schon darüber nachgedacht habt, wie so eine Compilation entsteht und was für Beweggründe bei der Auswahl eine Rolle spielen. Sitzen die Compiler bei ein paar Drinks zusammen und spielen sich ihre Lieblingstracks vor, am besten bei Cocktails und Shrimps? Könnte doch schön passen, gerade bei französischer Popmusik, ein bisschen leichter Chanson, dazu Leckereien, entspannende Alkoholika – bei gedämpftem Licht umrahmt von Flokati-Teppichen und Retromöbeln, so ungefähr, ja? Können wir leider nicht mit dienen.

WERBUNG

„Des Rèves“

Ein genaues Muster, wie wir arbeiten, haben wir auch nach 14 Compilations nicht entwickelt. Es ist ein Prozess der ständigen Recherche, des gegenseitigen Vorschlagens, des Wiederhörens, der Ablehnung und im besten Fall der Zustimmung – ein mühsames Puzzle-Spiel, bei dem es noch nicht mal eine Vorlage gibt. Im Sommer 2021 meinte irgendwann ein Radio-Macher zu uns, wir sollten doch ganz einfach mal schnell zur neuen Konzertserie in Köln auch eine Compilation rausbringen. Tja, wenn es nur so einfach wäre. Wenn zwei Leute, wie bei uns, gleichzeitig an so einem Fall rumdoktern, dann ist das komp-li-ziert (Achtung, jetzt keine Wortspiele!) Und wenn dann so Entschlüsse stehen, die klar in eine Richtung gehen, dann sind wir eben auch mal von dieser einfachen Klarheit überrascht. Da geht es uns genauso wie Christoph Daum.

Vielleicht die wichtigste erste Entdeckung für uns war P.R2B, der wir der Einfachheit halber den Spitznamen R2D2 gaben. Wichtig insofern, als sie der erste Name war, von dem wir dachten: Also, wenn wir eine neue Compilation machen, dann muss sie drauf. „Des Rèves“ heißt der Song, den wir quasi beide gleichzeitig zum ersten Mal hörten. Wir fanden: Das ist ein Hit, der vieles anders macht. Und damit meine ich nicht den Rap-Part – oder soll man besser hier Sprechgesang sagen? Deswegen wird auch kein French Pop mehr zum Hit, es ist natürlich der Refrain, an dem Stilisten vielleicht rummäkeln werden, dass die Sängerin „Rèves“ in die Länge zieht und aus einem einsilbigen ein fünfsilbiges Wort macht. Auf diese Unsitte machte mich mal ein musikalischer Franzose aufmerksam, am Beispiel von Frank Sinatra und „My Way“, wo das „My“ so unerträglich ausgeleiert wird (wer jetzt noch ein bisschen Party-Wissen braucht: „Comme d’habitude“ heißt es im Original). Aber was sagen wir den Experten und Kritikern in so einem Fall? Das funktioniert aber gerade deswegen hier so gut. Also, wir waren beide von dem Hit angetan und ich fand, dass man damit sogar eine Compilation anfangen könnte. Label-Kollege Oliver Fröschke war genauso begeistert, war nur skeptisch, was die Opener-Qualitäten angeht. Opener-Qualitäten? Ja, so komische selbst gebastelte Fachtermini benutzen wir bei der Compiliererei.

Bei alldem sollte ich vielleicht auch mal erzählen, warum wir das nach so langer Zeit immer noch machen. Weil so eine neue Compilation einen automatisch dazu zwingt, sich sehr intensiv mit Musik zu beschäftigen.

Und den dafür ideal passenden Opener mit eben jenen Qualitäten haben wir dann auch wieder fast unabhängig voneinander gefunden. Und das war dann nicht so ein Moment, wie bei „Des Rèves“, das ging viel subtiler vonstatten. Die Künstlerin heißt Emma Peters und deren Erscheinung ist so unauffällig wie deren Name, der auch flämisch, luxemburgisch, elsässisch, deutsch oder englisch sein könnte. Girl-Next-Door-Charme nennt man das. Fängt sie an zu singen, dann wird aus dem vermeintlichen Nachbarmädchen ein Star, dann wird aus dem Chanson, das sie ohne viel Aufwand aus dem Handgelenk zu schütteln scheint, ein Soul-Hit. Auch sie verfällt ab und zu in den Sprechgesang, allerdings merkt man bei ihr die Übergänge zwischen Singen und Sprechen fast nicht, alles scheint im Flow, alles passt wie angegossen. Man könnte bei ihr sagen, dass sie auch in ZARA- oder H&M-Klamotten glamourös wirken würde, und das liegt ganz allein an ihrer ungeheuren Musikalität. Musikalisch ganz ähnlich ist die Belgierin Iliona, über die wir ein bisschen später stolperten. UssaR aber auch. Nur, dass die eine wie ein verkifftes Model daherkommt und der andere einen Schnäuzer trägt, vielleicht, damit die Ähnlichkeit nicht gleich so ins Auge fällt. Bei beiden denke ich an Soul, weil sie es schaffen, mit ihrer Stimme eine abgründige Tiefe herzustellen. Und das ohne jedes Pathos.

Am meisten habe ich in dieser Zeit das Album von KCIDY gehört. Es fällt ein wenig aus der Zeit, hat Elemente der 1970er und der 1990er und schafft es, obwohl alles wohlüberlegt und durchkomponiert klingt, eine Art von Natürlichkeit zu entfalten, so, als wäre ihre Musik neben den Blumen auf der Wiese gewachsen. Bei alldem sollte ich vielleicht auch mal erzählen, warum wir das nach so langer Zeit immer noch machen. Weil so eine neue Compilation einen automatisch dazu zwingt, sich sehr intensiv mit Musik zu beschäftigen. Bei mir macht das aus dem Musikkonsum eine fordernde Auseinandersetzung, die noch viel mehr Spaß macht. Klingt logisch, ist es auch. Und dann gibt es natürlich auch Privilegien. Im Gegensatz zu dir, lieber Leser, kenne ich zum Beispiel das erste Album der belgischen Schauspielerin Edwige bereits. Und es ist zum Dahinschmelzen. Gitarrenpop, wie ich ihn immer mochte, sehr elegant und dazu diese Stimme, die mir komplett den Kopf verdreht hat. Jetzt willst du es aber auch hören? Bitte begnüge dich vorerst mit der ersten EP, die neben unserer Single „Corps & âme“ und einem wunderschönen Duett mit Albin de la Simone schon erschienen ist. Und falls es jetzt, wo draußen die Vögel singen, einen guten Grund gibt, um an die kalte Jahreszeit zu denken, dann nur für dieses sagenhafte Album.

WERBUNG

Und falls es jetzt, wo draußen die Vögel singen, einen guten Grund gibt, um an die kalte Jahreszeit zu denken, dann nur für dieses sagenhafte Album.

Doch erst mal bleibt es hoffentlich lange genug warm. Bei dem Wetter kann man sich perfekt dem Groove von Camélia Jordana hingeben oder im sehnsüchtigen Indie-Chanson von Palatine schwelgen. Das hat alles seinen Platz gefunden und vielleicht entdeckst du ja auch diesen einen Künstler, diese eine Künstlerin für dich und überraschst dich damit selbst. Das geht! Ich habe zum Beispiel gemerkt, wie sehr ich Voyou für seine kunstvollen Arrangements schätze und wie berührend ich die träumerischen Gesangslinien von Laura Cahen finde. Sängerinnen und Sänger, die ich schon kannte und die mir aber erst durch die Arbeit an dieser Compilation ans Herz gewachsen sind. Es wäre so schön, wenn sich unser minutiöses Puzzle-Spiel auch auf diese Art und Weise für euch lohnt. Eine tolle Compilation, die ihr gerne hören werdet, sollte es auch so schon sein.

VÖ: 20.05.2022 Le Pop Musik im Vertrieb bei Groove Attack

CD/Do-LP/Download kaufen

Release-Party:

26. Juni – Köln Stadtgarten mit dem Le Pop DJ-Team und Live-Gast Edwige