Prognosen gehen bislang davon aus, dass der mittelständische Modehandel an Bedeutung verlieren wird. Ob das so kommt, hänge nicht nur von der Leistungsfähigkeit im Wettbewerb ab, sondern auch von der jeweiligen Standortqualität, sagt Prof. Dr. Siegfried Jacobs, Geschäftsführer des Kölner Handelsverbandes BTE. Und die liege in aller Regel nicht im Einflussbereich der Handelsunternehmen. Für ihn ist es keineswegs ausgemachte Sache, dass mit der Anzahl der Geschäfte auch der Marktanteil des Mittelstandes genauso sinken wird.
FT: Herr Professor Jacobs, sicher lassen sich die unterschiedlichen Firmen nicht über einen Kamm scheren, aber wie schätzen Sie generell die aktuelle Marktstärke der rein Vertikalen ein? Kommen diese besser, genauso gut oder schlechter durch die Pandemie und die globalen Lieferprobleme als der zweistufige Handel, zumal diese digital vergleichsweise gut unterwegs sind?
Prof. Dr. Siegfried Jacobs: „Die vertikalen Ketten sind grundsätzlich schneller und flexibler als die zweistufig agierenden Handelsunternehmen. Diese Wettbewerbsstärke spielen sie natürlich noch immer aus. Allerdings trafen sie in der Pandemie die Herausforderungen auch auf beiden Marktstufen, also auf der Herstellungs- und der Einzelhandelsseite. Eine Reihe von Stärken spielte jedoch vielen von ihnen in die Hände: deutlich höhere Renditen als in der traditionellen Wertschöpfungskette und damit ausreichend Finanzpolster für die Krise, ein hoher Internationalisierungsgrad zum Austarieren von Absatzproblemen in einzelnen Ländern und Regionen sowie ein vergleichsweise hoher Online-Anteil am Gesamtumsatz schon unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie. Allerdings ist auch bei den Vertikalen die Bandbreite groß: Kamen zum Beispiel INDITEX und H&M vergleichsweise gut durch die Pandemie, mussten andere vertikale Anbieter wie ESPRIT, orsay oder ADLER Insolvenz anmelden. Und umfangreiche Filialschließungen haben alle Vertikalen durchgeführt, auch und insbesondere C&A.“
Wo sehen Sie Vorteile des zweistufigen Handels gegenüber den Vertikalen?
„In den vergangenen beiden Jahren hatten die inhabergeführten Modehäuser mit enger Kundenbindung und abseits der großen Metropolen sicher die Nase vorn. Hier zahlten sich deren intensiver Kundenkontakt und die Flexibilität auf der Handelsstufe aus. Der mittelständische Modehandel hat schnell gelernt und quasi notgedrungen und sehr rasch den Weg in die digitalen Kommunikationskanäle gefunden, häufig zudem in den E-Commerce. Die Mietbelastung lag und liegt natürlich in aller Regel unter jener der Vertikalen, die in vielen Eins-a-Lagen auf eine hohe Kundenfrequenz und extreme Flächenproduktivitäten angewiesen sind, sollen sich die Mietaufwendungen für sie rechnen. Zumal viele Modehäuser ihre Geschäfte ohnehin im Eigentum betreiben, was der Liquidität in dieser Zeit zugutekam. Darüber hinaus profitierte der Fachhandel in der Corona-Krise von seiner lokal und regional verwurzelten Identität. Damit kann kein Vertikaler aufwarten.“
Rechnen Sie damit, dass sich die Kräfteverhältnisse in Deutschlands Innenstädten zugunsten des mittelständischen Modehandels verschieben könnten oder bleibt es auch mittel- bis langfristig beim Status quo? Wie begründen Sie Ihre Einschätzung?
„Bisherige Prognosen gehen davon aus, dass der mittelständische Modehandel an Bedeutung verlieren wird. Ob das so kommt, hängt nicht nur von der Leistungsfähigkeit im Wettbewerb ab, sondern auch von der jeweiligen Standortqualität. Und die liegt in aller Regel nicht im Einflussbereich der Handelsunternehmen. Wir alle wissen, wie unterschiedlich die Attraktivität der Innenstädte hierzulande ist. Und nicht wenige Standorte haben unter der Corona-Krise stark gelitten. Nicht selten ,machen‘ aber auch Modehäuser Standorte und betreiben intensive Standortsicherung. Es gibt viele Beispiele dafür, einige bekannte sind ja GARHAMMER in Waldkirchen, CJ SCHMIDT in Husum oder messerich in Bitburg. Die Zahl der inhabergeführten Unternehmen wird zweifellos auch künftig sinken, die Marktanteile aber nicht zwingend ebenfalls. So konnten die Platzhirsche in unserer Branche zum Beispiel über die vergangenen 20 Jahre ihren Marktanteil annähernd halten, trotz der Expansion der Vertikalen und der Online-Pure-Player. Man darf also davon ausgehen, dass der inhabergeführte Modehandel auch in Zukunft einen wichtigen Platz im Wettbewerb um die Gunst der Kunden einnehmen und ihn verteidigen wird. Er bleibt damit auch in Zukunft wichtigster Partner für die Bekleidungsindustrie.
Dass dies kein Selbstläufer ist, liegt auf der Hand. Und dass die Multilabel-Modebranche angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht ohne eine verstärkte vertikale Zusammenarbeit auskommt, auch. Noch immer ist in „Normalzeiten“ die LUG zu niedrig und ist die Branche von einer fein und kundenorientiert justierten Sortimentsführung noch weit entfernt. Darüber hinaus muss nach wie vor an einer Optimierung der digitalen Prozesse gearbeitet werden. Dies gilt beispielsweise für die rechtzeitige und umfassende Übertragung von Bild- und erweiterten Produktdaten von den Markenlieferanten zu ihren Handelskunden, die darauf dringend angewiesen sind.“