Autorin: Katja VadersWährend Männer in ganz Europa derzeit im Homeoffice bevorzugt in Jogginghose vor dem Rechner hocken, setzt man in royalen Kreisen weiterhin auf einen strengen Dresscode. Michael Begasse, RTL-Adelsexperte und Fashion Connaisseur, erzählte FT, was der europäische Hochadel trägt – und welche Mode-Fauxpas bei der Queen ein Naserümpfen verursachen.
FT: Das Thema unserer aktuellen Ausgabe ist „Formal Wear“. Was bedeutet Ihnen persönlich ein guter Anzug?
Michael Begasse: „Sehr viel, ich trage oft und gerne Anzüge. Wichtig dabei ist allerdings die korrekte Größe: Wenn die Schulter nicht sitzt, dann sitzt der ganze Anzug nicht.“
Die Corona-Krise ist eine Katastrophe für die Herrenbekleidungsindustrie. Die Anzugbranche strauchelt, da viele Männer im Homeoffice sitzen und es seit zwei Jahren viel zu wenige offizielle Festivitäten gibt, zu denen man Anzug trägt …
„Ich ziehe mich auch im Homeoffice richtig an. Natürlich sitze ich jetzt gerade nicht im Anzug hier, aber ich trage ein Hemd, eine Hose und sogar Schuhe! (Das Interview findet telefonisch statt. Anm. d. Autorin) Das hat etwas mit Haltung und Konzentration zu tun. Wenn ich im Schlafanzug hier sitzen würde, wäre ich auch im Schlafmodus. Mode hat immer etwas mit Haltung zu tun!“
Muss es denn immer Anzug sein?
„Natürlich nicht, Strick ist eine gute Alternative. Für einen Mann ist ein gut sitzendes Sakko in Kombination mit einem Rollkragenpullover ein sehr guter Kompromiss zwischen Wohlfühl-Hoodie und Anzug. Das Sakko verleiht Schultern und damit auch die bereits erwähnte Haltung. Dazu eine gute Jeans, fertig.“
Aber der Rollkragen ist vielen Männern zu eng …
„Ach, Schnickschnack – da müssen sie durch. Wer von Mode spricht, redet nicht von Bequemlichkeit.“ (lacht)
„Zum Gesellschaftsanzug muss es ein Lackschuh sein, und zwar in Schwarz.“
Das gilt auf jeden Fall für uns „Normalsterbliche“. Aber wir wollen ja heute über den Dresscode der Royals sprechen. Gibt es den überhaupt? Und lassen Sie uns dabei unterscheiden zwischen offiziellen Anlässen und einem Freizeitlook.
„Wir müssen nicht nur zwischen ,Daily Use‘ und offiziellen Anlässen unterscheiden, sondern auch zwischen Tag und Abend – das ist bei den Royals sehr wichtig. Eine Abendveranstaltung geht für den männlichen Royal zwingend einher mit dem Abend- beziehungsweise Gesellschaftsanzug. Und hier wird noch weiter unterschieden zwischen dem großen Gesellschaftsanzug, das ist der Frack, und dem kleinen, das ist der Smoking.
Der Frack wird mit weißer Weste und weißer Fliege getragen. Der Smoking hingegen braucht keine Weste und wird mit schwarzer Fliege kombiniert, der ,Black Tie‘. Wenn die Männer zu einer Abendveranstaltung gehen, steht in der Regel in der Einladung, ob man den kleinen oder den großen Anzug tragen soll. Events, auf die man im Frack gebeten wird, gibt es allerdings fast gar nicht mehr, man trägt eher Smoking.
Kennen Sie eigentlich die Geschichte, warum es Smoking und Frack gibt? Der Name ,Smoking‘ kommt von ,Smoke‘, also Rauch. Die Männer wechselten in den ,Smoking‘, wenn sie sich nach dem Dinner ins Raucherzimmer zurückzogen, weil sie den Damen später nicht den Geruch einer verrauchten Jacke zumuten wollten.“
Wie sieht es mit Accessoires aus?
„Die Black Tie habe ich schon erwähnt, wichtig sind aber vor allem die Schuhe: Zum Gesellschaftsanzug muss es ein Lackschuh sein, und zwar in Schwarz. Früher, als es noch keine elektrische Beleuchtung in den Schlössern gab und man nur Kerzenlicht hatte, konnte man den Schuh, insbesondere, wenn er aus Wildleder war, nicht sehen. Der Lackschuh hingegen hat selbst in der Dunkelheit ein klein wenig geglänzt.“
Jetzt kennen wir den Dresscode für eine große Abendveranstaltung, aber was trägt man, wenn zum Beispiel William und Kate Freunde zum Abendessen in ein gutes Restaurant einladen?
„Selbstverständlich trägt dann niemand einen Smoking, sondern ein normales Sakko. Wichtig ist, dass ein Royal, selbst wenn er privat unterwegs ist, sich nicht gehen lassen darf. Dennoch ist er ein bisschen legerer unterwegs, er muss zum Sakko beispielsweise keine Krawatte tragen. Ein hochwertiges, weißes Hemd reicht. Ich sage ja immer: In jeden Männerkleiderschrank gehören ein gut geschnittener dunkelblauer Anzug und ein strahlend weißes Hemd; damit sieht man immer gut aus.“
Nehmen wir mal an, die Royals geben einen offiziellen Empfang. Eingeladen ist auch ein amerikanischer Hollywoodschauspieler. Der hat weder Frack noch Smoking, weiß nicht, dass es einen Dresscode am britischen Hof gibt, und erscheint entsprechend leger. Ist das ein Fauxpas – oder wird darüber hinweggesehen?
„In der britischen Aristokratie ist die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz relativ fließend. Wenn also ein Amerikaner völlig falsch gekleidet ist, würde man kichern und sagen: ,Diese Amerikaner haben halt keinen Geschmack.‘ Sie dürfen sich daher alles erlauben. Auch wenn ein Italiener am Abend mit braunen Wildlederschuhen erscheint, sieht man wohlwollend darüber hinweg. Unter ihresgleichen sind die Briten allerdings streng, denn jeder kennt den Dresscode und weiß, was man zu unterschiedlichen Anlässen zu tragen hat.
Ein Nachteil dieser festen Regeln: Auf solchen Veranstaltungen ist es dementsprechend modemäßig ziemlich langweilig; unter lauter Smokings gibt es keine großen Überraschungen.“
Wir haben jetzt über die Briten gesprochen. Wie ist der Dresscode der anderen europäischen Königshäuser?
„Das sieht man vor allem dann sehr gut, wenn man sich den Tagesanzug der Männer anschaut: den ,Cutaway‘. Wenn zum Beispiel der niederländische König zu Neujahr empfängt oder ein neuer Botschafter vereidigt wird, geschieht das natürlich nicht am Abend. Willem Alexander wird dann einen Cutaway tragen, der sozusagen ein Tagesfrack ist. Dieser unterscheidet sich vom Abendfrack darin, dass die Hose nicht schwarz, sondern grau ist, meistens gestreift. Dazu tragen die Herren eine Weste. Ist man tagsüber draußen unterwegs, etwa in Ascot, kombiniert man das Ganze mit einem Zylinder. Wer hier noch einen draufsetzen möchte, trägt zusätzlich eine Chrysantheme im Knopfloch.“
„Harry muss gar nichts, da er ja kein Mitglied des Königshauses ist.“
Das ist dann aber für Fortgeschrittene!
„Ja, das stimmt. Wichtig ist noch zu sagen, dass man zum Cutaway meist keine Fliege, sondern eine Krawatte trägt.“
Lassen Sie uns wieder zurück zu den Briten kommen und mal ein bisschen genauer hinschauen: Prinz William trägt als Thronfolger selbstverständlich den royalen Dresscode. Aber wie sieht es mit Harry aus?
„Harry muss gar nichts, da er ja kein Mitglied des Königshauses ist.“
Das ist klar, aber ich meine vor seinem Ausscheiden aus seinen royalen Verpflichtungen. Harry war ja schon immer sehr unkonventionell …
„Ja, aber an den Dresscode hat er sich trotzdem immer gehalten. Als Soldat hat er eine Zeit lang Uniform getragen, und zwar gerne, weil er so seine Orden zeigen konnte. Uniform geht immer – aber nur, wenn man in Amt und Würden ist. Als Beispiel kann ich die Beerdigung von Prinz Philip im letzten Jahr anführen: Da gab es große Diskussionen, welcher Dresscode für seine Angehörigen hinter dem Sarg gilt. Im Endeffekt sah man alle in schwarzen Anzügen, weil Prinz Andrew keine Orden mehr tragen darf wegen des Epstein-Skandals. Und wäre er der Einzige gewesen, der keine Orden zeigt, wäre das ein Affront gegen ihn gewesen. Daher erschien keiner der Männer in Uniform.“
Es gibt also keine Unterschiede zwischen dem Dresscode des Thronfolgers und dem seines Bruders?
„Grundsätzlich nicht, obwohl man den Unterschied sieht, wenn Ordenszeichen erlaubt sind – William hat mehr als Harry, weil er höhergestellt ist. Ansonsten tragen die Brüder und Charles bei allen Events exakt das Gleiche.“
Wir haben jetzt sehr ausführlich über die royale Kleidung bei offiziellen Anlässen gesprochen. Welchen Stellenwert haben bei den Royals bekannte Designer, deren Mode einen Tick extravaganter ist?
„Die haben durchaus eine Chance. Prinz William zum Beispiel haben wir im letzten Jahr mit einem grünen Samtsakko gesehen, darunter trug er sogar einen Rollkragenpullover. Also, hin und wieder gibt es auch bei Männern kleine Hingucker – für meinen Geschmack allerdings zu selten. Männer sollten sich viel mehr trauen!“
Und wer ist der Lieblingsdesigner von William – oder kauft er beim Herrenschneider und Schuhmacher ein?
„Genau das tut er und sein Zylinder kommt vom Hutmacher. In Großbritannien gibt es ja glücklicherweise noch die Tradition des klassischen Mode- beziehungsweise Textilhandwerks. In Ascot trägt man Hut – und zwar niemals zweimal den gleichen. Auch in Italien geht man gerne zum Maßschneider – aber dort gibt es keinen Hochadel und darum ist man auch ein bisschen cooler. Die Franzosen dürfen wir natürlich nicht vergessen, wenn es um Mode geht. Meiner Beobachtung nach schielen die immer ein bisschen nach England.“
Fashion bei Männern ist ja auch eine Gratwanderung, weil solche Looks schnell albern aussehen.
„Absolut! Ich habe gestern ein Foto von einem Mann gesehen, der einen bodenlangen Mantel trug, der wie ein Schlafsack aussah. Wer zieht so was ernsthaft an? Vielleicht ein 20-jähriger Influencer, aber verkaufen kann man die Dinger nicht. Dazu ist es ganz spannend, sich mal die Bedeutung von Mode beim Hochadel zu vergegenwärtigen: Für männliche Royals ist sie ein notwendiges Übel, um korrekt gekleidet zu sein. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. Ein Frack wird sich nie verändern und sieht heute noch so aus wie vor 50 Jahren. Da wurde zwar mal variiert zwischen Einreihern und Zweireihern oder bei der Breite des Revers, aber das sind Marginalien. Bei Frauen ist das etwas völlig anderes, weibliche Royals gehen mehr mit der Mode, als Männer das jemals tun werden.“
Aber auch da bleibt man klassisch.
„Nicht immer! Ganz weit vorne, was Mode angeht, ist Prinzessin Mary von Dänemark. Kopenhagen ist ja auch eine Modemetropole. Hinzu kommt, dass man Männern und ihren Looks in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit schenkt – oder haben Sie etwa schon einmal in der Gala gelesen: ,Prinz William trägt Designer XY‘? Das ist Frauen vorbehalten, die sind royale Kleiderständer. Und machen Werbung für die heimische Textilindustrie. Sie werden feststellen, dass weibliche Royals immer mindestens ein Teil aus ihrem Land tragen: Victoria von Schweden kombiniert dann zum Beispiel H&M mit CHANEL, Letizia von Spanien ZARA mit VERSACE.
Bei Männern hingegen geht es um ein gepflegtes Äußeres, und das erkenne ich immer an den Absätzen: Sind die abgelaufen, ist der Schuh geputzt? Es gibt allerdings eine Ausnahme: Prinz Nikolai von Dänemark, Enkel der dänischen Königin, ist eine richtige Stilikone. Er ist Model und läuft für BURBERRY und DIOR. Nikolai sieht super aus und ist einer aus der Next Generation, die definitiv Spaß an Mode hat.“
Nikolai ist also ein stylishes Model. Kann man dementsprechend sagen, dass der Lifestyle eines Royals seinen Dresscode beeinflusst? Ich denke da beispielsweise an Charles, der ja ausgewiesener Naturliebhaber ist.
„Hier muss man ganz klar Hobby von Dresscode unterscheiden. Nur weil Charles tagsüber und privat im Lodenmantel, in der Tweedjacke oder in Barbour rumläuft, heißt das noch lange nicht, dass er bei einer offiziellen Abendgesellschaft nicht im Smoking erscheinen muss.“
„Privat geht alles.“
Und zur Teatime?
„Da trägt er natürlich Jacket und Pullover. Privat geht alles. Aber sobald es offiziell wird, gibt es den Dresscode, den wir schon besprochen haben. Und offiziell kann schon heißen: Gleich kommt der Reittrainer vom Pferdestall vorbei, mit dem man etwas besprechen muss. Da trägt Charles zwar vielleicht eine Strickjacke, aber die hat auf gar keinen Fall ein Loch!“
Sie haben gerade ein wunderbares Buch veröffentlicht, in dem ich schon ausgiebig geschmökert habe. Es heißt „111 royale Momente für die Ewigkeit“. Sie widmen sich hier ausgiebig verschiedenen Skandalen und blicken hinter die Fassaden der internationalen Königshäuser. Welche fundamentalen Skandale gab es schon, was Mode angeht? Ich denke da zum Beispiel an Prinz Harry in seiner Verkleidung mit Hakenkreuz-Armbinde, ein Ereignis, das auch in Ihrem Buch Erwähnung findet …
„Ich möchte diesen Vorfall auf gar keinen Fall entschuldigen, wie Sie auch in meinem Buch lesen können. Aber von einem 16-Jährigen, der sich vom Trauma des Tods seiner Mutter befreien musste, der Rotzlöffel und Revoluzzer in einem sein wollte und dazu auch noch nicht gerade ein Intellektueller ist …“
Ach, tatsächlich? Ist das so?
„Na ja. Wenn man sich seine Zeugnisse anschaut, sieht man, dass er durch alle Schulen durchgeschleust wurde. Was meinen Sie, warum er zehn Jahre beim Militär war? Aber er ist ein sehr netter Kerl, liebevoll und emotional. Dennoch: So eine Geschichte wie die mit der Hakenkreuzbinde wäre William niemals passiert! Es war eine Provokation eines damals noch dummen Jungen, nicht mehr und nicht weniger.“
Zumal man in Großbritannien mit dem Thema auch komplett anders umgeht als bei uns in Deutschland …
„Exakt. Es war natürlich trotzdem ein Modeskandal ohnegleichen, allerdings nicht von Harry geplant, sondern im Endeffekt lediglich ein sehr geschmackloses Karnevalskostüm.“
Gab es noch weitere Skandale ähnlicher Tragweite?
„Die gibt es eher bei Frauen als bei Männern. Der Rock darf nie zu kurz, der Ausschnitt nicht zu tief sein. Die größte Gefahr: Man steigt aus dem Auto und ein Paparazzo fotografiert den Schlüpfer. Bei Männern gibt es keine derartigen No-Gos; vielleicht abgetretene Schuhe, aber das läuft unter Nachlässigkeit. Selbst ,No brown after six‘, also keine braunen Schuhe nach sechs Uhr, ist heutzutage kein Drama mehr – obwohl man tatsächlich dazu die Nase rümpfen würde. Schlimmer wäre es, den Hut nicht abzusetzen. (lacht) In diesem Zusammenhang ist es gut, dass wir Männer so langweilig sind, was Mode angeht, und der Rahmen bei den Royals zudem sehr eng gesteckt ist. Da kann eigentlich nichts mehr passieren. Frauen haben da wie gesagt erheblich mehr Fallstricke. Obwohl: Wir denken an Diana, dieses Foto von ihr als junge Frau im Kindergarten, als das Licht von hinten kam und man ihre Beine sah … In diesem Moment wurde sie zur Ikone!“
Ein schönes Bild als Abschluss unseres wunderbaren Gesprächs. Vielen Dank dafür!