Pandemie, Politik und Pannen

FTbasic

„Es gibt für diese Pandemie keine Blaupause." Philipp Scheffbuch, Inhaber des Stuttgarter Stores schlechtmensch ©schlechtmensch
Autor: Maximilian Fuchs

Interview mit Philipp Scheffbuch, Inhaber des Stuttgarter Stores schlechtmensch

In unserer neuen Serie „FTbasic“ laden wir kleine und mittelständische Händler zum Gespräch, um über das Geschäft mit der Mode in der aktuellen Situation zu sprechen. Dieses Mal waren wir in Stuttgart unterwegs und haben uns mit Philipp Scheffbuch unterhalten, der als Inhaber den Store für nachhaltige Mode schlechtmensch betreibt.

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FT: Herr Scheffbuch, welche Erfahrungen haben Sie mit der 2G-Regelung bisher gemacht? Haben sich die Zugangsbeschränkungen auf die Besucherfrequenz ausgewirkt, gerade im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft?
Philipp Scheffbuch: „Die Regelung ist zweifelsfrei ein Hemmnis, denn die Kunden sind verunsichert und wissen oft nicht, was tagesaktuell die jeweilige Hürde ist. Beispielsweise gibt es Paare, die gerne zusammen in den Laden kommen würden – aber darauf verzichten, weil einer der beiden aus irgendwelchen Gründen nicht geimpft werden kann. Die Kundenfrequenz leidet.“

Wie bewerten Sie die Corona-Maßnahmen und Hilfen der Bundesregierung/der Länder als Einzelhändler nach zwei Wintern mit COVID-19?
„Ich bin vorweg der Meinung, dass Fehler passieren und es auch dazugehört. Schließlich gibt es für diese Pandemie keine Blaupause. Allerdings finde ich es bedauerlich, dass es äußerst wenig Lerneffekte der politischen Entscheidungsträger bei der ganzen Sache gibt. Mich als Händler irritiert es unter anderem sehr, dass wir in zwei vollen Jahren der Pandemie nicht ein einziges Mal formal angeschrieben wurden. Weder vom Bund noch vom Land noch von der Stadt oder dem Gewerbeamt – es gibt keine einzige schriftliche Verfügung, die uns zugegangen ist. Eigentlich unvorstellbar!

Händler müssen jeden Tag nach Feierabend Online-Medien lesen, um sich im Regularien-Wirrwarr auf den neuesten Stand zu bringen. Es gibt immer neue Ideen der Politik, aber nichts wird ausgegoren auch tatsächlich umgesetzt. Nicht eine staatliche Stelle hat uns bis heute beispielsweise angeschrieben, wie wir Impfausweise auf ihren Wahrheitsgehalt zu kontrollieren haben oder welche verschiedenen Formen der Genesenen-Bescheinigungen es gibt.

Der Online-Absatz floriert: lange Schlangen vor den Post- und DHL-Filialen ©Altuntas

Neben allen Schwierigkeiten, über die wir schon gesprochen haben, frage ich mich, warum der Bund gemeinsam mit den Ländern als Entscheidungsträger nicht auch die DHL-Filialen in die aktuellen 2G-Regelungen miteinbezieht. Was viele vergessen: Der größte Anteilseigner am Deutsche Post/DHL-Konzern ist nach wie vor der Bund. Ich frage mich, warum wir als stationärer Modefachhändler eine 2G-Pflicht einführen müssen, vor und in DHL-Shops jedoch lange Menschenschlangen stehen. Erst, um ihre Pakete abzuholen, und oft einen Tag später, um die Retouren wieder in der kleinen Postfiliale abzugeben. Es erschließt sich mir nicht, warum hier das Infektionsrisiko als niedriger eingestuft wird und dieser Bereich als lebensnotwendig deklariert wird. In den Paketen für die Privatkunden wird meines Wissens selten Blutplasma transportiert.

Das Ziel der 2G-Regel ist doch zweifelsohne, mehr Menschen zum Impfen zu bewegen. Dieses Ziel könnte der Staat mit seinen eigenen Post-Filialen hervorragend umsetzen. Außerdem würde eine Gleichbehandlung die ,Umerziehung‘ zum Online-Shopping bremsen und den lokalen Einzelhandel stützen.

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Zum Thema Hilfen vom Bund: Ich stelle nach wie vor erstaunt fest, dass wir als Fashion-Händler deutlich schlechter gestellt sind als die meisten Gastronomen. Diese durften beispielsweise im letzten und in diesem Jahr sämtliche Weihnachtsfeiern bis 75 Prozent des Umsatzes abrechnen, obwohl sie nicht einen Cent Wareneinsatz hatten und die Mitarbeitenden in den meisten Fällen in Kurzarbeit waren. Mir persönlich ist nicht klar, warum die Politik die Wirtschaftshilfen nicht synchronisieren kann. Bei der ersten Corona-Hilfe, die zumindest bei uns in Baden-Württemberg strittig ist, weil viele sie nun zurückzahlen müssen, haben wir alle pauschal 9.000 Euro bekommen. Das mag für ein Yoga-Studio oder einen Friseur in Ordnung sein, aber wir haben in diesem ersten Lockdown natürlich Warenauslieferungen gehabt mit Bestellungen, die wir neun Monate im Voraus getätigt haben. Die mussten wir bezahlen, trotz Lockdowns – denn in unserer Branche läuft es anders. Im Lebensmitteleinzelhandel beispielsweise sind tagesaktuelle Anpassungen realisierbar, im Mode- und Textilhandel nicht. Unsere Branchenverbände und die Handelslobby haben es leider nicht ausreichend geschafft darzulegen, wie das Geschäft läuft, was ich etwas misslich finde.“

Ein großes Problem besteht vielerorts mit den internationalen Lieferketten/der planmäßigen Warenversorgung. Haben Sie aktuell Schwierigkeiten, an Produkte zu kommen, beziehungsweise warten Sie auf Wareneingang?
„Wir hatten im letzten Herbst zwei Hersteller, die tatsächlich Kollektionsteile wegen logistischer Schwierigkeiten später ausliefern mussten. Es war für uns – offen gestanden – verschmerzbar.“

Wenn Sie Ihren typischen Kunden beschreiben, wie sieht er aus? Sucht er gezielt nachhaltige Modemarken und hat er eine genaue Vorstellung – oder sind es vermehrt doch Kunden, die durch „Zufall“ zu ökologisch geprägter Fashion finden?
„Viele Stammkunden kommen weiter zu uns, das hält uns am Leben. Aber natürlich auch Laufkunden, denen wir gerne unsere Marken und Eco Fashion näherbringen. Wir standen als Modebranche in der Pandemie aber nahezu alle vor einem großen Problem: Wenn die Leute nicht mehr ausgehen können oder ins Büro zur Arbeit, wird neue Kleidung einzukaufen nahezu obsolet. Die Menschen essen und trinken zu Hause mehr, vielleicht kaufen sie auch mehr Bücher und Unterhaltung als zuvor, neue Klamotten jedoch nicht. Und auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen gerade: Der textile Einzelhandel hat verloren.

Man sollte insgesamt auch nicht vergessen, dass Fair Fashion immer noch eine extrem kleine Nische bildet. Ich mache das immer am Beispiel ARMEDANGELS fest, dem wohl größten Anbieter bei nachhaltiger Mode in Europa. Die sind nach starken zehn Jahren inzwischen bei einem Umsatz von rund 40 Millionen Euro angekommen. Das ist weniger als 2 Prozent von HUGO BOSS. In der Zeit, in der ARMEDANGELS von 0 auf 40 Millionen gewachsen ist, hat sich HUGO BOSS im Umsatz um 1 Milliarde Euro gesteigert. Also: Über Fair Fashion wird viel gesprochen, der Anteil jedoch ist leider immer noch klein. Wir werden getragen von den wenigen Kunden, die sich bewusst zu nachhaltiger Mode bekennen. Es gibt jedoch auch in unserer Nische unterschiedliche Verhalten: Der Kundenmarkt trennt sich in begeisterte Online-Kunden, die mehr Gefallen haben an einem zugesandten Warenlager im eigenen Wohnzimmer, um dann im Anschluss 80 bis 90 Prozent zu retournieren. Es gibt Gott sei Dank aber auch viele Kunden, die wortwörtlich lieber fühlen möchten, was sie auf der Haut tragen wollen, und deshalb gerne in Läden mit den Augen und Händen ihre Auswahl treffen. Fair Fashion bedeutet: faire Löhne, gute Umweltbedingungen. Wer an beidem nicht spart, spart dann auch nicht bei den Garnen. Das spüren die Kunden auf der Haut. Überzeugende Haptik wird von vielen konventionellen Anbietern meiner Ansicht nach unterbewertet und wird so immer mehr zum Alleinstellungsmerkmal der Fair Fashion.“

Unterschiedliche Varianten. Der schlechtmensch-Store in der Neckarstraße in Stuttgart-Mitte ©schlechtmensch

Sie betreiben neben Ihrem Ladengeschäft in Stuttgart-Mitte einen Online-Shop. Wie läuft es mit dem digitalen Geschäft?
„Wir haben unseren Online-Shop seit Beginn, nun schon über sechs Jahre. Ich habe jedoch das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen, die onlineaffin sind, direkt an die Hersteller wenden und im offiziellen Shop einkaufen statt über Händler-Plattformen. Das war vor sechs Jahren noch anders, da war die Industrie noch nicht stark im Endkundengeschäft engagiert. Mir persönlich ist die Entwicklung egal, weil ich den Online-Umsatz ohnehin kritisch sehe. Mir ist hier vor allem wichtig, die Retourenquote niedrig halten zu können, weil ich den unnötigen Versand als wirtschaftlich und ökologisch problematisch empfinde. Deshalb bietet schlechtmensch keine kostenfreien Retouren an. Der Warenversand geht auf unsere Kappe; wenn die bestellten Teile nicht gefallen, haben unsere Online-Kunden die Kosten für die Rücksendung zu tragen, was meines Erachtens ein ausgewogener Deal ist. So oder so: Der Online-Shop zeigt potenziellen Ladenbesuchern, was sie ungefähr im Laden erwartet. Das ist auf jeden Fall sehr hilfreich.“

Auf welche Fachmesse(n) freuen Sie sich, welche planen Sie zu besuchen, sobald das öffentliche Leben wieder vollumfänglich läuft?
„Für mich persönlich ist die INNATEX die wichtigste Messe. Allerdings ist es natürlich nicht nur für uns Fachbesucher, sondern auch die Messebetreiber und Produzenten in der aktuellen Situation schwierig, langfristig zu planen, weshalb ich mit einigen Herstellern enger zusammenarbeite und von deren Vertrieblern direkt besucht werde. Oder ich mache einen Termin im Showroom aus.“