Autor: Andreas GrüterMehr als 12.000 Unternehmen mit über 130.000 Mitarbeitern und trotz der coronabedingten Wirtschaftsflaute auch 2020 ein Jahresumsatz von über 6,5 Milliarden Euro – die traditionsreiche portugiesische Textil- und Bekleidungsindustrie erlebt eine stabile Renaissance, mit Tendenz nach oben. Ein guter Grund, um den boomenden Produktionsstandort in Europas Süden genauer unter die Lupe zu nehmen.
Vom Methuenvertrag bis zu den Dumpingpreisen der asiatischen Billiganbieter – der portugiesische Textilsektor musste im Laufe seiner langen Geschichte viele Krisen überwinden und hat sich dabei als echtes Stehaufmännchen erwiesen. Sah sich die Branche infolge des globaler werdenden Wettbewerbs Anfang der 2000er-Jahre noch mit dem nahenden Niedergang konfrontiert, erfand man sich mit umfangreichen Investitionen in Spitzentechnologie schließlich komplett neu und überstand die Wirtschaftskrise zwischen 2009 und 2018 überraschend gut. Obwohl 14,8 Prozent der Textilfabriken in dieser Zeit ihre Pforten für immer schlossen, konnte das Land nicht zuletzt dank automatisierter Produktion seine Exporte dennoch um 51,8 Prozent steigern und eine Import-Export-Bilanz von plus 7 Prozent verbuchen.
Vorsprung durch Technik und Nachhaltigkeit
Heute hat die portugiesische Textilindustrie mit den beiden Standbeinen technische Textilien und nachhaltige Produktion ihre ganz eigene, äußerst zukunftsorientierte Nische gefunden und bietet Labels, die Textilerzeugnisse „made in China“ oder „made in Bangladesh“ aufgrund zu geringer Auftragsvolumen nicht stemmen können oder aus ethischen Gründen scheuen, attraktive Möglichkeiten. Maximal sieben bis acht Arbeitsstunden pro Tag, feste Pausenzeiten und ein Mindestlohn von 740 Euro bei 14 Auszahlungen im Jahr – faire Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette sind garantiert, ebenso zertifizierte Produktionsstätten, konsequent umgesetztes Recycling und hohe Umweltstandards: Portugal ist ein absoluter Hotspot für Fair Fashion.
„Für kleine und mittelgroße Labels“
Seit Mitte 2021 bringen Iris Scherer und Hugo Couto mit ihrer Consulting-Agentur MINIA von Porto aus deutsche Labels mit portugiesischen Produzenten zusammen und übernehmen als Mittler nicht nur Recherche und Preisverhandlungen, sondern auch Qualitätskontrolle und Logistik. Was „made in Portugal“ gerade für kleine und mittelgroße Brands so attraktiv macht und welche Rolle das Thema Nachhaltigkeit dabei spielt, erklären sie im Interview.
FT: Ihr seid noch relativ neu im Business. Wie kam es zur Gründung von MINIA Consulting?
Iris Scherer: „Ich habe einen deutschen Start-up-Podcast gehört, in dem es um nachhaltige Mode und die schwierige Suche nach den richtigen Produktionspartnern in Portugal ging, und dachte, dass wir da auf jeden Fall helfen können. Hugo kommt aus dem Bereich Produktion und hat für verschiedene Unternehmen aus der Medical-Devices-Branche gearbeitet und ich habe einen Projekt-Management-Background. Wir sind zudem in Porto, dem Zentrum der portugiesischen Textilindustrie, ziemlich gut vernetzt. Auf Facebook haben wir unseren Service angeboten und das Feedback war auf Anhieb riesig. Mittlerweile arbeiten wir für verschiedene kleine bis mittelgroße Companys, darunter zwei Taschen- und ein Unterwäsche-Label, ein Workwear-Brand sowie ein Unternehmen für Feuerwehr-Bekleidung. Bei rund 80 Prozent unserer Projekte geht es um nachhaltige Produktionsmöglichkeiten.“
Welche Vorteile bietet der Produktionsstandort Portugal und wo liegen die Nachteile?
Iris: „Fast die gesamte Textilindustrie Portugals befindet sich im Großraum Porto. Zwischen den Webereien, den Nähereien und den Veredlern liegen maximal 70 Kilometer. Es gibt viele kleine und mittlere Betriebe, die nicht nur sehr schnell und flexibel agieren können, sondern sich auch untereinander unterstützen und helfen. Es ist eine Community, die sowohl auf Wettbewerb als auch auf Zusammenarbeit setzt. Dank der langen Textiltradition des Landes ist das Kompetenzniveau der Arbeiter enorm. Portugiesische Produzenten sind dabei sehr perfektionistisch, arbeiten äußerst lösungsorientiert und besitzen darüber hinaus ein hohes Improvisationstalent. Für die Kommunikation nicht ganz unwichtig ist auch die Tatsache, dass fast jeder Portugiese Englisch spricht. Hinzu kommen die strengen Umwelt- und Arbeitsrechtsstandards, die bereits ein gutes Maß an Nachhaltigkeit in der Produktion garantieren. Nachteile? Im Vergleich zu Asien ist made in Portugal natürlich um einiges teurer. Und wo die Flexibilität der kleinen Betriebe ein Vorteil ist, sind ihre begrenzten Produktionskapazitäten natürlich nachteilig. Da ändert sich zwar gerade einiges, aber das braucht seine Zeit.“
Hugo Couto: „Die richtige Reaktion auf eine wachsende Nachfrage ist aktuell eine der größten Herausforderungen der portugiesischen Textilindustrie.“
Iris: „Ein nicht zu unterschätzendes Problem ist auch, dass nach wie vor viele Produzenten komplett auf Eigenwerbung verzichten. Selbst alteingesessene Betriebe haben noch keine Websites. Das macht es natürlich schwer, sie überhaupt zu finden.“
Produktion in Portugal wird häufig mit dem Prädikat „nachhaltig“ verbunden. Zu Recht?
Hugo: „Quasi alle Produzenten arbeiten mit zertifizierten Materialien. Es ist alles sehr transparent. Darüber hinaus liegt ein großer Fokus auf der Reduktion von Produktionsabfällen, was nicht nur die Umwelt schont, sondern auch Geld spart.“
Iris: „Die portugiesische Textilindustrie weiß, dass sie preislich nicht mit asiatischen Produzenten konkurrieren kann, und positioniert sich deshalb als Innovator. Es wird wahnsinnig viel an Recyclingtechniken gearbeitet, an umweltfreundlichen Färbungen und Veredelungen und dabei wird auch viel mit Materialien experimentiert, zum Beispiel mit Fasern aus Kork. All das wird übrigens von der Regierung massiv unterstützt.“
Die Renaissance der portugiesischen Textilindustrie wird einerseits von nachhaltiger Produktion und andererseits von der Entwicklung innovativer Tech-Textilien getragen …
Iris: „… wobei auch die Produzenten von Tech-Textilien konsequent an mehr Nachhaltigkeit arbeiten. Manche Funktionen sind leider aktuell noch nicht ohne den Einsatz umweltbelastender Stoffe zu erreichen. An Lösungen hierfür wird aber mit Nachdruck geforscht, nicht zuletzt natürlich, weil die Nachfrage enorm steigt.“
Wie seht ihr angesichts sich verändernder Lieferketten und der Probleme und Schwächen der globalen Produktion die Zukunft der Textilindustrie in Portugal? Eine Nische für kleine Labels und Spezialisten oder ein Aufschwung zurück zur alten Größe der 1980er- und 1990er-Jahre?
Hugo: „Ich denke, made in Portugal ist vor allem für kleine und mittelgroße Labels und Spezialisten interessant. Dass High-Volume-/Low-Price-Labels wie H&M anfangen, hier zu produzieren, sehe ich eher nicht.“
Iris: „Wir bekommen sehr viele Anfragen, sprich: Das Interesse, in Portugal zu produzieren, ist groß. Die reine Lohnfertigung wird in Asien bleiben, aber wenn man auf der Suche nach Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit ist, kommt man in Europa an Portugal nicht vorbei.“