Autorin: Katja VadersAls im März 2020 die halbe Welt in einen kollektiven Lockdown geht, trifft es die Veranstaltungsbranche ganz besonders hart. Auch im zweiten Pandemie-Winter läuft es für Messebauer und Monteure noch lange nicht wieder wie vor Corona. FT sprach mit Jörg Lelgemann und Erik Kneisel über die neue Normalität in der Messebranche.
Auch wenn Messen und Kongresse wieder stattfinden: Das Damoklesschwert von zu hohen Inzidenzen schwebt im zweiten Pandemie-Winter wieder über jeder Veranstaltung. Überschreiten die Zahlen eine Grenze, kann ein Event auch trotz ausgeklügelter Hygienemaßnahmen nicht stattfinden. Ende November traf es die sps, eine der größten internationalen Fachmessen für elektrische Automatisierungstechnik in Nürnberg, obwohl diese Messe bereits komplett aufgebaut war. „Ich selbst habe dort nicht gearbeitet, aber ich kenne andere Firmen, die nur eine kurze Zeitspanne zur Verfügung hatten, ihre Stände wieder abzubauen. Dann wurden die Türen der Hallen verschlossen“, erzählt Jörg Lelgemann, Inhaber von sechsmeter messebau design. Der Düsseldorfer ist seit 16 Jahren mit seinem kleinen Messebauunternehmen als sogenannter Soloselbstständiger tätig, erstellt vor allem Konzepte für Messestände und plant auch deren Aufbau, den er dann in Zusammenarbeit mit Subunternehmen realisiert. Messe ist ein saisonales Geschäft, in einem laufenden Jahr gibt es für die Messeunternehmer und -bauer immer wieder Peaks, in denen viele Veranstaltungen stattfinden, gefolgt von Monaten, in denen nichts zu tun ist. „In dieser Zeit ist man vor allem mit Akquise und Planungen beschäftigt“, erklärt Jörg.
Hört man seine Erzählungen, so wird schnell klar, dass die Arbeit in der Messebranche für ihn eine Art Traumjob ist und er sich nichts anderes vorstellen mag. Nach einer kaufmännischen Ausbildung, in der er schon erste Berührungspunkte mit dem Messegeschäft hat, macht er zunächst Zivildienst, beginnt anschließend ein geisteswissenschaftliches Studium – und fängt an, als Messemonteur zu jobben. „Das war eine super Zeit, ich bin viel rumgekommen, auch im Ausland, und habe wirklich gutes Geld verdient. Irgendwann hat das überhandgenommen und ich habe mein Studium immer mehr zurückgestellt. Dann kam die Anfrage, ob ich fest als Projektleiter einsteigen möchte, und ich habe Ja gesagt.“
Es folgt ein Trainee-Jahr mit vielen Seminaren für einen theoretischen Unterbau, nach einiger Zeit als Angestellter entschließt sich Jörg dann für die Selbstständigkeit. „Ich war Feuer und Flamme für das Business, weil ich hier viele kreative Projekte umsetzen kann. Dazu kommt die Internationalität der Branche: Schon beim Aufbau trifft man in der Messehalle auf unzählige Nationalitäten. Wenn man selbst im Ausland arbeitet und es läuft etwas schief, muss man vor Ort organisieren … Das hat mich von Anfang an herausgefordert und macht unheimlich viel Spaß“, schwärmt Jörg. Auch finanziell lief es in den letzten Jahren immer besser für ihn und sein Unternehmen. „Vor der Pandemie war ich total gut aufgestellt. 2019 war umsatzmäßig bisher mein bestes Jahr und auch die Planungen für 2020 sahen richtig gut aus.“
Im Januar 2020 hatte er kleine Veranstaltungen gemacht, im Februar betreute er ein größeres Projekt auf der ambiente, einer wichtigen Messe in Frankfurt am Main, die eigentlich immer sehr ausgelastet ist und bei der es für Aussteller in den Jahren zuvor sogar Wartelisten gab. „Genau zu dieser Zeit schwappte Corona nach Europa. Wir hatten schon aufgebaut und sahen, dass es in den Hallen Stände zum Beispiel aus Asien gab, vor die die Messeleitung Wände gestellt hatte, weil die Aussteller nicht gekommen waren. Auf dem Stand meines Kunden gab es fünf Besucherkabinen für die zahlreichen Einkäufer, die dort normalerweise ihre Termine haben – aber alle hatten abgesagt. Das war natürlich eine Katastrophe für meinen Kunden. Ich sah dort auch das erste Mal Menschen mit Masken rumlaufen – damals dachte ich, das sei übertrieben. Insgesamt kann man sagen, dass die Veranstaltung ein Desaster für alle Beteiligten war. Die ambiente lebt eigentlich von asiatischen Ausstellern und Besuchern, von denen die meisten nicht erschienen sind. Auch für mich war es die letzte Messe für eine ziemlich lange Zeit“, erzählt er.
„Zunächst habe ich das alles noch ganz locker gesehen. Endlich mal mehr Zeit für die Kinder, die Familie, um die Wohnung zu renovieren. Ich hatte wirklich das Gefühl, das wird schon wieder.“
Zunächst seien Messen verschoben worden, für die er Aufträge gehabt habe, dann wurden immer mehr Veranstaltungen abgesagt. „Das bedeutete für mich natürlich, dass ich den eingeplanten Umsatz nicht machen konnte – auch wenn meine Kunden sehr kulant waren und mir meine Planungen bezahlten“, so Jörg. Die Hoffnung, dass sich das Virus im Herbst, in dem er in den letzten Jahren immer seinen Hauptumsatz gemacht hatte, 2020 eventuell schon erledigt haben könnte, erfüllte sich ebenfalls nicht. „Zunächst habe ich das alles noch ganz locker gesehen. Endlich mal mehr Zeit für die Kinder, die Familie, um die Wohnung zu renovieren. Ich hatte wirklich das Gefühl, das wird schon wieder.“ Dann wurden aber von Veranstaltern sogar Messen für 2021 abgesagt, dazu die Warnungen der Virologen … „Natürlich kamen dann auch keine Aufträge mehr, meine Kunden wollten lieber abwarten, was passiert. Überall herrschte große Verunsicherung. Und dann wurde ich langsam nervös“, erinnert sich Jörg.
Auch für Erik Kneisel war der Lockdown im Frühjahr 2020 eine Katastrophe. Er ist selbstständiger Messemonteur und arbeitet für einen Subunternehmer, mit dem auch Jörg Lelgemann kooperiert. „Ich bin seit 26 Jahren in dem Job. Eigentlich habe ich Bäcker und Koch gelernt, aber irgendwann kam mein Bruder auf mich zu, der Messebauer in Leipzig ist, und hat mich gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte, ihm beim Aufbau eines Stands zu helfen“, erzählt er. Erik liebt seine Arbeit in der Branche, weiß aber, dass das Geschäft dynamisch ist. „Man muss immer dranbleiben; wenn ich nicht arbeite, bekomme ich natürlich auch kein Geld.“ Zu Beginn der Pandemie war seine Auftragslage allerdings sehr gut, er konnte sogar Rücklagen bilden. Dennoch: „Mit den Kosten, die man so hat, und null Aufträgen von heute auf morgen hat mein Erspartes leider nicht lange gehalten.“
Erik beschließt, die Corona-Soforthilfe über 9.000 Euro zu beantragen – schnell stellt sich allerdings heraus, dass sie nicht halten kann, was sie verspricht. „Das Geld war sofort auf dem Konto, aber ich habe erst danach richtig gelesen, was es mit dieser Hilfe auf sich hat: Was nicht firmenintern abgerechnet werden konnte, muss zurückgezahlt werden. Da ich eine Einzelperson bin und in meiner Mietwohnung prozentual ein Zimmer als Büro abrechne, habe ich eben keinen großen Kostenapparat“, erklärt er.
So wie Erik ging es den meisten Soloselbstständigen, sprich Selbstständigen, die ihr Unternehmen ohne abhängig Beschäftigte betreiben, in der Pandemie. Und von denen gibt es in Deutschland gar nicht mal so wenige: Laut einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales waren von allen Selbstständigen in Deutschland im Jahr 2018 rund 55 Prozent Soloselbstständige, das entspricht immerhin 2,23 Millionen Menschen. Dass die Soforthilfen, die der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit großen Worten angekündigt hatte, außerdem nur für einen Förderzeitraum von März beziehungsweise April bis Juni vorgesehen waren, die pandemische Lage allerdings insbesondere für die Veranstaltungsbranche deutlich länger anhielt, war für einige Soloselbstständige ebenfalls problematisch.
„Die letzte Messe, die ich gemacht habe, war Ende Februar 2020, danach lief erst mal monatelang gar nichts mehr. Zunächst habe ich mir noch Geld von meiner Mutter geborgt, weil ich dachte: So lange kann das ja alles nicht dauern. Dann habe ich weitere Hilfen beantragt, aber schnell gemerkt, dass da für mich nicht viel zu holen war, weil immer nur die Betriebskosten geltend gemacht werden konnten. Ich habe mich irgendwann dazu entschlossen, ALG 2 zu beantragen. Für Soloselbstständige gab es da ein vereinfachtes Verfahren, das sehr unkompliziert war, und auch das erste Geld kam relativ schnell.“ Vom selbstständigen Monteur mit guter Auftragslage zum ALG-2-Empfänger in nur wenigen Wochen – wollte Erik nicht alles hinschmeißen und sich einen neuen Job suchen? „Das kam für mich definitiv nicht infrage. Aus gesundheitlichen Gründen kann ich nicht mehr als Bäcker arbeiten. Außerdem komme ich bei meinem Messejob sehr viel rum, habe ganz Europa gesehen. Ich möchte in diesem Beruf bleiben!“
„Einige liefen Gefahr, pleitezugehen, weil auch zu keiner Zeit für uns absehbar war, wie lange das Verbot von Veranstaltungen noch andauern wird. Andere haben es nicht geschafft und sich neu aufgestellt“
Auch Jörg wollte sich trotz düsterer Prognosen nicht vorstellen, die Branche zu wechseln. Obwohl ihm zwischendurch auch mal Zweifel kamen – insbesondere, als er sah, dass für Messen neue, digitale Konzepte entwickelt wurden. „Ich habe mal an so einer Veranstaltung teilgenommen, um zu sehen, ob solche Konzepte einer stationären Messe Konkurrenz machen können. Und ich war im ständigen Kontakt mit meinen Kunden, um festzustellen, wie sie durch die Krise kamen. Alle gaben mir das gleiche Feedback: Dass sie weiterhin Interesse an stationären Messen haben werden. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob die nach der Krise noch zeitgemäß sind oder ich mich nicht vielleicht doch neu ausrichten soll, beispielsweise im digitalen Bereich. Aber es gab sehr schnell genug Anbieter, die das schon gemacht hatten. Und fast ebenso schnell war klar, dass sich rein digitale Konzepte nicht durchsetzen werden. Wer kauft zum Beispiel etwas aus einem Maschinenpark nur anhand einer Online-Präsentation?“
Um die ersten finanziellen Löcher zu stopfen, beantragte auch Jörg die Soforthilfe im Frühjahr, wie bei Erik sind seine Betriebskosten relativ überschaubar. Mit seinem kleinen Unternehmen lohnte es sich für Jörg aber, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen und auch davon zu profitieren. „Bei der Überbrückungshilfe Plus gab es einen Unternehmerlohn von 1.000 Euro und die Betriebskosten. Dafür war ich dankbar, trotzdem reicht natürlich auch so eine Hilfe langfristig nicht und ich musste an mein Eingemachtes gehen. Insgesamt waren diese Hilfen für viele in der Branche nicht ausreichend. Einige liefen Gefahr, pleitezugehen, weil auch zu keiner Zeit für uns absehbar war, wie lange das Verbot von Veranstaltungen noch andauern wird. Andere haben es nicht geschafft und sich neu aufgestellt“, so Jörg.
Um auf ihre überaus schwierige Situation aufmerksam zu machen, taten sich die unterschiedlichen Event-Bereiche im Sommer 2020 zusammen und gründeten die Initiative „Alarmstufe Rot“. „Es waren ja ganz viele Branchen betroffen, auch das Hotel- und Gaststättengewerbe, mit dem wir eng zusammenarbeiten, wenn es um Events und Veranstaltungen geht. Alarmstufe Rot war super – eben weil sich alle zusammengetan haben, erst in NRW, später sind wir dann auch mal nach Berlin gefahren. Da waren dann auch Politiker auf der Bühne, die uns nach außen den Rücken gestärkt haben.“ Passiert sei trotzdem nicht viel, bis es im letzten Herbst die November- und Dezemberhilfen gab – für Jörg ein Segen. „Diese Hilfen bezogen sich auf den Vorjahresumsatz, und 2019 hatte ich gerade im Herbst sehr gut zu tun gehabt. Dennoch empfinde ich diese Hilfen auch als ungerecht, weil eben nicht jedes Unternehmen seinen Hauptumsatz in diesen Monaten hat. Diejenigen, die vor allem Veranstaltungen im Sommer machen, gingen leer aus.“ Daher würde Jörg eine individuelle Berechnung der Hilfen befürworten. „In Großbritannien hat man beispielsweise einen Durchschnittsumsatz auf das ganze Jahr errechnet, das wäre auch in Deutschland fair gewesen“, ist er sich sicher.
Es bleibt zu hoffen, dass die Hilfen bald obsolet sind. Seit dem Sommer laufen wieder stationäre Messen. Auch Jörg hatte Aufträge. Allerdings haben die Veranstalter inzwischen spezielle Anforderungen an Standkonzepte, um Hygieneauflagen gewährleisten zu können. „Diese Maßnahmen versuchen wir natürlich, direkt in unsere Planungen zu integrieren. Die Messehallen werden mit breiteren Gängen geplant, um Abstände gewährleisten zu können, außerdem gibt es Vorgaben, dass genügend Abstände zwischen Tischen eingehalten werden oder es Abtrennungen mit Plexiglas gibt.“
Die endgültige Umsetzung sei jedoch immer sehr abhängig vom aktuellen Infektionsgeschehen. „Ich habe zum Beispiel neulich einen sehr großen Stand gebaut, für den wir spezielle Blumenkästen haben anfertigen lassen, die als Abgrenzung zu den Gängen fungieren sollten. Damit wollten wir den Besucherstrom steuern. Im Oktober war das aber aufgrund relativ niedriger Inzidenzen nicht mehr nötig“, erzählt er. Doch nun, nur wenige Wochen später, werden die ersten Messen in Hochinzidenzgebieten schon wieder abgesagt.
Diese Dynamik ist für alle Beteiligten extrem schwierig. Rund ein Viertel der Aussteller sagt zum Beispiel bereits fest eingeplante Messen wieder ab. „Messeveranstalter räumen ihnen da eine Deadline ein, bis zu der sie unentgeltlich abspringen können“, so Jörg. In den letzten Monaten liefen dennoch bereits einige Messen schon wieder sehr erfolgreich, auch wenn insgesamt weniger Aussteller und Besucher zugegen waren als vor der Pandemie. Viele von ihnen nutzen die Hybridkonzepte, die die meisten Messen und Kongresse anbieten. Diese sind nicht nur coronakonform, sondern auch im Sinne des Klimawandels eine wichtige Entwicklung. Für einen Tag aus China oder den USA anzureisen, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr sind hybride Veranstaltungen, auf denen beispielsweise Einkäufer über VR-Brillen von zu Hause aus die Stände besuchen können, eine zukunftsfähige Alternative. Denn bei einem ist Jörg sich sicher: Auch in der nächsten Zeit werde sich die Branche darauf einrichten müssen, flexibel auf das Infektionsgeschehen zu reagieren, die sogenannte „neue Normalität“ zu leben. „Ich habe gehofft, dass die Impfungen besser greifen, aber mittlerweile glaube ich, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben.“
Auch Erik hat sich auf die neue Situation eingestellt. Seine Auftragslage ist immer noch bedeutend schlechter als vor der Pandemie, weniger als 50 Prozent im Vergleich zu 2019. „Da war ich zur selben Zeit nur unterwegs.“ Seine wichtigsten Auftraggeber haben die Krise glücklicherweise bisher gut überstanden. „Nachdem ich mehr als ein Jahr gar nicht auf Messen gearbeitet habe, stellt sich das Geschäft langsam wieder ein und ich habe ein paar kleinere Veranstaltungen und Kongresse gemacht. Als ich zusätzlich von einem Bekannten die Anfrage bekommen habe, ob ich ihm nicht dabei helfen möchte, eine Sauna im Olympiaschwimmbad in Hannover einzubauen, habe ich zugesagt. Das war ein richtig guter Job, der mir viel Spaß gemacht hat und mit dem ich flexibel bin. Vor allen Dingen gibt es da immer wieder Folgeaufträge. Wenn also mal wieder keine Messen stattfinden, baue ich eben Saunas“, lacht er.