Autor: Markus OessProf. Dr. Uwe Kleinkes ist Studiengangsleiter „Technisches Management und Marketing“ an der Hochschule Hamm-Lippstadt. Ein Forschungsschwerpunkt des Wissenschaftlers ist das B2B Marketing. Im zurückliegenden Sommer beschäftigte sich das Marketing Foresight Lab 2021 damit, wie die Messen in fünf Jahren aussehen werden. Das Lab ist ein Forum, das sich im Rahmen des Projektes digital-verbunden.net mit Zukunftsthemen aus dem Bereich digitales Marketing beschäftigt und dabei vor allem die Sicht kleinerer und mittlerer Unternehmen einnimmt. Prof. Dr. Uwe Kleinkes, Marcel Hildebrand und Marijan Schulte von der Hochschule Hamm-Lippstadt haben auf Basis dieser Veranstaltung ein Papier zur Zukunft der Messen verfasst. Die Messelandschaft nach Corona wird eine andere sein als davor, ist sich Professor Kleinkes im FT-Interview sicher.
FT: Herr Professor Kleinkes, was hat COVID-19 speziell für die Messen verändert?
Prof. Dr. Uwe Kleinkes: „Seit fast zwei Jahren ist ein für viele Unternehmen gelerntes und wichtiges Kommunikationsinstrument für das Marketing nicht mehr planbar. Während verschiedene Termine früher Fixpunkte im Marketingjahr waren, ist das Budget der Unternehmen für Marketingmaßnahmen entweder gekürzt worden oder in die digitale Welt gewandert. Es haben schlichtweg die meisten Veranstaltungen nicht stattgefunden. Veranstalter müssen sich die Aussteller wieder zurückholen. Die Messelandschaft nach Corona wird eine andere sein als davor.“
Als Sie Ihre Studie im Sommer erstellt hatten, war die Hoffnung groß, dass COVID-19 durch die Impfung erfolgreich eingedämmt werden kann. Nun ist das genaue Gegenteil der Fall. Hat die Messe-Branche dennoch die richtigen Weichen gestellt?
„Die einzige Chance, aus den Pandemiewellen herauszukommen, ist die Impfung. Ob die Messegesellschaften die richtigen Weichen gestellt haben, wird man in einigen Jahren sehen.“
Sie sagen, Präsenzmessen müssen einen Mehrwert bieten, der digital nicht erreicht wird. Was meinen Sie genau damit?
„Präsenzmessen sollten alle Sinne ansprechen, persönliche Kontakte und vertrauensbildende Maßnahmen ermöglichen, die es digital nicht gibt. Das war bereits die Aufgabe von Messen vor Corona. Der Unterschied ist, dass niemand mehr auf ,blauen Dunst‘ auf eine Messe fährt. Die Messegesellschaften wissen das. Bei den Ausstellern wird es mehr Arbeit werden, eine erfolgreiche Messe für alle Sinne zu machen. So, wie ich das von den Technikmessen kenne, wird es wohl kaum in Zukunft gut gehen. Da wurde vor der Messe der Bulli mit Zeug zugeworfen, das Zeug wurde auf der Messe auf den Messestand geworfen. Das, was an Mehrwert durch Präsenz da ist, sollte besser vermarktet werden. Wenn eine Top-Ingenieurin für vier Tage auf der Messe als Ansprechpartnerin präsent ist, sollte man das vorher wissen und vielleicht auch Termine ausmachen können.“
Sie fordern gleichzeitig einen Kulturwandel zu mehr „Trial and Error“ bei allen digitalen Formaten. Haben die Veranstalter überhaupt Zeit dazu, wenn nun der nächste Zwangsstopp droht?
„Das Thema Trial and Error beim Ausprobieren neuer Formate wird uns ab jetzt begleiten und das wird auch in Zukunft so sein. Im Technik-Bereich braucht man nicht die komplette Maschine auf die Messe zu karren. Man kann auf einem kleineren Messestand alles in VR und AR zeigen. Man sollte ausprobieren, wie es die Besucherinnen und Besucher akzeptieren.“
Brauchen wir nun ein neues COVID-19-Szenario für Messen?
„Aufgrund der neuen Mutationen sind die nächsten Szenarien kaum absehbar.“
Viele Veranstalter suchten im Lockdown ihr Heil in digitalen Formaten. Inzwischen sind hybride Konzepte der Standard für Messe. Trotzdem bleiben digitale Formate zweidimensional, auch wenn viel mehr Informationen transportiert werden können als bei rein physischen Veranstaltungen. Dazu kommt, dass Messen einem bestimmten Rhythmus unterliegen, der sie in den Mittelpunkt der Branche rückt, dann aber wieder in den Hintergrund treten. Reicht die bloße Addition der digitalen Inhalte aus oder müssten nicht weitere Spielarten in Interaktion mit der Community entwickelt werden, um einen fortwährenden Dialog zu entwickeln? Und ist das auf der anderen Seite überhaupt realistisch, wenn nach den Messen wieder operative Fragen der Player das Geschehen dominieren?
„Es gab schon vor 20 Jahren die Idee, das ganze Jahr die Messe im Netz stattfinden zu lassen. Was jetzt neu auf uns zukommt: Die Generation Z und dann die Generation Alpha sind komplett digital aufgewachsen. Die haben eine viel größere Affinität zu digitalen Inhalten und Formaten. Die Messe als fixer Termin im Kalender funktioniert aber rein digital nur, wenn sie wirklich ganz wichtig für die Kundinnen und Kunden ist. Die Gefahr, dass im Office dann doch die nächste Ablenkung da ist und man nicht in die digitale Messe reinschaut, ist groß. Wenn facebook oder amazon das Messegeschäft für sich entdecken, dann können Sie vielleicht im ,Metaversum‘ das ganze Jahr auf die komplett virtuellen Messestände gehen. Das Ganze bleibt in der Entwicklung auf jeden Fall spannend, weil es ja einen Bedarf gibt, den gesamten Markt zur gleichen Zeit am gleichen Ort abzubilden. Ob das in Zukunft ein Messegelände mit physischen Dingen sein muss, ist noch nicht klar.“
Was empfehlen Sie den Veranstaltern diesbezüglich?
„Die Veranstalter sind da eigentlich alle schon recht weit. Viele haben die digitale Welt ja kommen sehen. Nur, es müssen auch die Aussteller und Besucher mitmachen. Die Veranstalter brauchen ein Geschäftsmodell, das digital und/oder analog funktioniert. Die Messegesellschaften haben die Messegelände zu unterhalten. Vielleicht müssen die schrumpfen, wenn Messestände in Zukunft kleiner ausfallen und weniger Unternehmen kommen. Gleichzeitig müssen sie digitale Angebote monetarisieren. In der deutschen Internet-Umsonst-Kultur wird das nicht leicht. Gleichzeitig müssen die Messegesellschaften zeigen, dass sie wirklich Leads bringen. Durch die Digitalisierung weiß man ja, wer bei der Veranstaltung war.“
Ohne zu sehr in Allgemeinplätze zu verfallen – aber wie sieht das Messeformat der Zukunft aus?
„Es wird nicht das Messeformat geben. Durch digitale Tools wird ein Messebesuch planbarer. Alle werden digital mehr anbieten müssen. Die Infos im Vorfeld brauchen eine richtig gute digitale UX. Dann wird es die ganze Bandbreite von komplett Präsenz über hybrid bis komplett digital geben. Auf einer Lebensmittelmesse, wie der anuga, komme ich an Gerüchen und Geschmack halt noch nicht vorbei. Und für die Präsenzmessen wird immer noch sprechen, dass es um das unplanbare Moment geht, wo man mit irgendjemandem in der Schlange zum Espresso plaudert, mit dem man sonst nie geredet hätte, und bei dem sich herausstellt, dass man großes Potenzial zur Zusammenarbeit hat.“
Der Interviewpartner
Prof. Dr. Uwe Kleinkes ist Studiengangsleiter „Technisches Management und Marketing“. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem Technologiemarketing, Internationalisierung von KMU, Unternehmensführung (Schwerpunkt KMU) und B2B Marketing. Professor Kleinkes promovierte in Analytischer Chemie. Zu seinen beruflichen Stationen gehörten zuvor der IVAM Fachverband für Mikrotechnik, das Institut für Mikrotechnik Mainz und die Ruhr-Universität Bochum.