Autor: Markus OessAus fünf mach zwei. DIGEL hat eine neue Eigentümerstruktur, bleibt aber eine AG. Wie es dazu kam, erklärt Firmenchef Jochen Digel gegenüber FT. Digel spricht auch über seine Erwartungen an das Gesamtjahr und erklärt, warum die FRANKFURT FASHION WEEK eine Chance verdient hat. Eine Zwischenbilanz 2021.
Für DIGEL-Chef Jochen Digel ist es eine klare Angelegenheit: „Die meisten deutschen Marken haben einen hohen Inlandsumsatz. Die Branche braucht über kurz oder lang wieder eine zentrale funktionierende Modemesse in Deutschland. Wir sollten Frankfurt eine Chance geben. Die Stadt liegt sehr zentral und ist innerhalb von wenigen Stunden von überall aus in Deutschland sehr gut erreichbar. Die FRANKFURT FASHION WEEK wird zentral organisiert, es gibt keine langen Wege und die Organisatoren verstehen ihr Handwerk. All das sind Punkte, die für eine Teilnahme sprechen“, wirbt der Unternehmenschef für die Modewoche am Main. Der schwäbische Menswear-Spezialist hat einen 80-Quadratmeter-Stand auf der PREMIUM gebucht.
Markentechnisch bleibt es bei DIGEL als Dachmarke, unter der move als junge, schlanke Linie mit casualigen Elementen weiter aufgebaut werden soll. Insgesamt, sagt Digel, sei das Unternehmen noch halbwegs akzeptabel durch die Pandemie gekommen – auch dank staatlicher Unterstützung. „Wir hatten Kurzarbeit angemeldet und sind inzwischen wieder mit wenigen Ausnahmen voll im Einsatz. Der Lockdown hatte uns natürlich im Wholesale, aber auch im eigenen Retail getroffen. Wir betreiben insgesamt rund 20 eigene Geschäfte, Stores und Outlets in Deutschland, Frankreich, Polen und Österreich“, bilanziert Digel. Bei der Order liegen die Schwaben immer noch 20 Prozent unter dem Niveau von 2019. Digel sieht eine Veränderung im Einkaufsverhalten der Händler hierzulande und spricht von einem deutlichen Shift von der Order zum NOS.
Alles in allem sieht die Bilanz vor dem Hintergrund der Pandemie nicht mal so schlecht aus. Digel sieht aber auch dunklere Wolken aufziehen. Die nähere Zukunft berge Risiken: „Die Nachfrage hat seit Juli überraschend kräftig angezogen. Es gab bei den Festlichkeiten Nachholbedarf und wir liegen mit CEREMONY auch gegenüber 2019 sogar im Plus. Das Sakko schwächelt, die Nachfrage im Markt bleibt niedrig. Die Leute greifen eher zum kompletten Anzug. Alles in allem könnten wir wie alle mehr verkaufen, wäre Ware verfügbar. Wir haben zwar eine eigene Produktion in Polen und der Türkei, aber inzwischen spüren wir auch bei unseren Vorlieferanten Engpässe, was wiederum zu weiteren Verzögerungen führt. Aus Asien beispielsweise ist kaum etwas herbeizubekommen und wenn, dann zu höheren Logistikkosten. China hat immer noch zu wenig Container, die Energiekrise führt im Land dazu, dass Fabriken der Strom abgestellt wird, und auch der harte Lockdown in Vietnam trägt zur Verschlechterung der allgemeinen Versorgungslage bei.“
Vor wenigen Wochen gab das Unternehmen Veränderungen in der Eigentümerstruktur bekannt. Digel spricht von einem „Window of Opportunity“, das sich geöffnet hätte. „Das haben wir genutzt, um die Eigentümerstruktur auf neue Beine zu stellen. Meine Tante, Rose Finkenbeiner, und meine Cousine, Petra Lorenz, haben sich neu orientiert und wollten ihre Anteile am Unternehmen verkaufen. Mein Vater wiederum hat seine Anteile an meinen Bruder und mich übertragen, sodass ich heute 66 Prozent und mein Bruder Carsten Digel 34 Prozent am Unternehmen halten“, fasst Digel nochmals zusammen. DIGEL ist damit nach wie vor eine familiengeführte AG, nur jetzt mit zwei statt fünf Anteilseignern. Da zudem die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder zum 30. Juni 2021 auslief, gab es auch hier Veränderungen. Michael Schlecht, Matthias Mey und Petra Lorenz sind ausgeschieden. „Dafür konnten wir uns mit unserem ehemaligen Vorstand Michael Bischof viel Fachwissen ins Gremium holen. Neu dabei sind außerdem mein Bruder Carsten und unser Firmenanwalt Axel Preuss. Ich bin überzeugt, dass wir nun mit der klaren Struktur zukunftssicher aufgestellt sind“, sagt Digel.
Jochen Digel ist alleiniger Vorstand, stützt sich aber sehr stark auf die Kompetenzen von Bischof. Und sein Co-Vorstand? „Der Vertrag mit meinem Co-Vorstand Marc Svojanovsky war auf ein Jahr plus weitere Jahre ausgelegt – dann wollten wir schauen, wie es weitergeht. Leider kam dann Corona dazwischen und wir sind einvernehmlich im absolut Guten auseinandergegangen“, sagt Digel. Um die Führungsaufgaben im Unternehmen gleichmäßiger zu verteilen, wurde unterhalb des Vorstands eine neue operative Führungsebene eingezogen mit den Bereichen Produktion, Kreativ, Vertrieb, Retail und kaufmännische Leitung. Diese Positionen wurden ausnahmslos mit langjährigen Mitarbeitern besetzt.
„Kapazitäten sind ein rares Gut“
Jochen Digel über die Entwicklung in den wichtigsten Exportmärkten, die Produktionskapazitäten in der Türkei und Bienenvölker.
FT: Herr Digel, wie kommt Ihr Unternehmen insgesamt aus dem Jahr 2022?
Jochen Digel: „Wir planen absolut nach wie vor noch nicht mit den Umsätzen von 2019, hoffen allerdings, im NOS-Geschäft wieder sehr nahe an die alten Zahlen heranzukommen.“
Gehen Sie auch wieder auf die Pitti?
„Ja, wir gehen auch auf die Pitti. Da wir zu zwei Dritteln Umsätze außerhalb Deutschlands tätigen, ist diese Messe für uns die wichtigste.“
Wie entwickeln sich Frankreich und Italien als umsatzstärkste Exportmärkte?
„Auch hier gab es leider coronabedingt große Rückschläge. Beide Länder hatten stark gelitten, allerdings sehen wir auch schnelle Erholungseffekte.“
Wie läuft es in Russland und wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen?
„Russland ist unser drittstärkster Exportmarkt, wir haben in Moskau eine eigene Gesellschaft und sind somit relativ nah dran. Leider liegen die Impfquote und die Impfbereitschaft der Bevölkerung etwas unterhalb der von anderen europäischen Ländern. Daher kann eine Erholung hier länger dauern.“
Gibt es neue Exportländer, die Sie gezielt aufbauen wollen?
„Wir führen Gespräche auf dem amerikanischen Markt. Auch hier ist viel in Bewegung, es gibt ein Umdenken, nicht nur auf chinesische Lieferanten und Produktionen zu setzen. Eventuell tut sich hier eine neue Lücke auf, in die auch wir stoßen können.“
Nutzen Sie Ihre Produktion in der Türkei auch für dritte Marken oder könnten Sie das anbieten?
„Derzeit produzieren wir ausschließlich für uns selbst in der Türkei. Kapazitäten sind ein rares Gut geworden, auch was Anzüge betrifft. Insofern haben wir derzeit keine Planung, auch für andere Marken zu produzieren.“
Wie sieht es mit dem Thema Nachhaltigkeit aus – wird in Frankfurt dazu etwas zu sehen sein, welche Neuigkeiten können Sie denn jetzt schon andeuten?
„Wir implementieren bei uns derzeit ein Nachhaltigkeitsmanagement. Dabei geht es weniger um eine grüne Kapsel, es geht vielmehr darum, sukzessive, Schritt für Schritt unser Unternehmen nachhaltiger aufzustellen, speziell im Sourcing und der Produktion. Darüber hinaus pflanzen wir beispielsweise für jeden verkauften Anzug einen Baum und produzieren unseren Strom über große PV-Anlagen selbst. Aber auch kleine Dinge helfen, so beherbergen wir unter anderem drei Bienenvölker bei uns in Nagold.“