Autorin: Katja VadersViele Social-Media-Nutzer orientieren sich an den Postings ihrer Lieblings-Influencer. Was diese tagtäglich auf ihren Accounts aus ihrem „Alltag“ präsentieren, möchten auch die User erleben – zuweilen mit tiefgreifenden Folgen für Umwelt und Natur.
Instagram ist die perfekte Plattform, um sich inspirieren zu lassen: von Kunst, Fotografie oder einem der unzähligen Influencer, die auf ihren Accounts neben sich selbst diverse Produkte, neue Fashion Looks, Lifestyles oder ganz spezielle Orte inszenieren. Besonders im Trend liegt es momentan, sich in abseits von Wanderwegen und Touristenspots gelegener, möglichst unberührter Natur abzulichten. Solche Bilder bringen nicht nur viele Likes, sondern ziehen eine stetig wachsende Menge Follower an, die sich ebenfalls vor diesen Naturkulissen fotografieren möchte. Und so wird der vermeintliche Geheimtipp schnell zu einem überlaufenen Touri-Hotspot.
Während vor der Corona-Krise der instagrammable Traumurlaub vor allem in schicken Beach Resorts in Thailand oder auf Bali stattfand, zwangen die Lockdowns die Mehrzahl der Deutschen, ihre Auszeit in der heimischen Natur zu nehmen. Und siehe da: Wider Erwarten fanden sich auch in Deutschland schöne und vor allem unberührte Orte.
Corona löste einen regelrechten Wanderboom insbesondere bei jungen Leuten aus. Laut einer Umfrage des Deutschen Wanderverbands ist die Nachfrage nach Wanderwegen aufgrund der Pandemie im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 stark angestiegen. Über 90 Prozent der Befragten gaben an, dass sie nach dem ersten Lockdown eine sehr hohe Nutzung von Wanderwegen in der eigenen Region wahrgenommen hätten. Die Schattenseite dieser Entwicklung: 53 Prozent der Befragten beobachteten Umweltschäden rund um die Wanderwege. Dazu gehörten vor allem Müll am Wegesrand (86 Prozent), „wildes“ Parken (78 Prozent) und ein erhöhtes Verkehrsaufkommen (61 Prozent) sowie die Störung der Tierwelt (48 Prozent) und unerlaubtes Campen (38 Prozent).
Ein Beispiel für derlei ignorantes Verhalten waren die unzähligen Tagestouristen, die sich aufgrund der heftigen Schneefälle Anfang 2021 allen Bitten der Kommunen zum Trotz, zu Hause zu bleiben, in Richtung Eifel und Sauerland aufmachten. Die Folge waren nicht nur verstopfte Straßen und Staus. Die Massen angereister Menschen vergaßen zudem die pandemiebedingten Hygieneregeln wie auch ein Mindestmaß an gutem Benehmen. Berichtet wurde von Pöbeleien gegen Ordnungskräfte, Müllentsorgung in der Landschaft sowie zugeparkten Privatgrundstücken, die einige zusätzlich noch als öffentliche Toilette missbrauchten. Die Stadt Winterberg erließ daraufhin nach dem ersten Schneewochenende ein Betretungsverbot für die rund 40 Skipisten der Umgebung. Aufgrund der vielen Postings von scheinbar unberührten Schneelandschaften in den sozialen Medien ließen es sich einige Unbelehrbare dennoch nicht nehmen, eine Woche später erneut den Hochsauerlandkreis unsicher zu machen.
Eine Teilsperrung des Nationalparks Berchtesgaden löste im letzten Sommer ein Foto von Travel- und Lifestyle-Influencerin Yvonne Pferrer aus. Die hatte sich bei einem Bad in einer Gumpe, einem sogenannten Natural Infinity Pool an einem Wasserfall am Königsbach, abgelichtet und das Bild zur Freude ihrer rund 1,4 Millionen Follower bei Instagram gepostet. Bei diesem Wasserfall handelt es sich eigentlich um einen sehr versteckt und weitab von Wanderwegen gelegenen, naturschützerisch sehr wertvollen Ort, der allerdings schon zuvor beliebtes Motiv internationaler Fototouristen gewesen und daher weltweit bekannt geworden war. Die Folge: von unzähligen Tagestouristen zertretene Vegetation, Müll sowie illegale Feuerstellen, Trampelpfade und sogar zwei Tote, die 2019 in der Gumpe ertrunken waren. Pferrers Foto im Juni 2020 löste schließlich einen Eklat aus. Der Naturpark Berchtesgaden bat auf seinem Instagram-Account sie und andere Influencer, die Postings zum Königsbach-Wasserfall zu löschen, um noch mehr Tagestouristen zu verhindern – ohne Erfolg. Das Posting ist bis heute auf dem Instagram-Account von Yvonne Pferrer zu sehen, in einem Edit informierte sie ihre Follower lediglich über die dringende Bitte des Nationalparks, den Ort künftig zu meiden.
Der Nationalpark Berchtesgaden verhängte kurz darauf ein Betretungsverbot für die extrem sensiblen Landschaften. „Die Verordnung zum Vegetationsschutzgebiet am Königsbach-Wasserfall ist am 30. Juni 2021 in Kraft getreten und zunächst für eine Dauer von fünf Jahren vorgesehen. Die Situation (vor allem Regeneration der Vegetation) wird kontinuierlich beobachtet und bewertet. Dies ist das einzige Betretungsverbot im Nationalpark Berchtesgaden“, erklärt Carolin Scheiter, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation des Nationalparks Berchtesgaden. Doch leider waren die Vorkommnisse rund um die Gumpe am Königsbach-Wasserfall nicht die einzigen unschönen Erfahrungen, die man dort mit ignoranten Wanderern und Touristen machen musste. Wie sieht man generell deren Verhalten in den letzten Jahren? „Wir beobachten tatsächlich ein geändertes Freizeitverhalten bei einer bestimmten Gästegruppe. Informationen über Unternehmungen, Touren und Wege suchen sich vor allem junge Besucher vermehrt aus dem Internet. Die klassische Wanderkarte ist in dieser Gruppe eher ‚out‘“, so Carolin Scheiter weiter. Durch digitale Tourenportale stießen Gäste vermehrt auf Wege, die nicht auf dem Hauptwegenetz im Nationalpark lägen, im Gelände nicht beschildert würden und für die keine offizielle Schwierigkeitsbewertung vorliege. „Hier stoßen viele Gäste an ihre physischen und zuweilen auch psychischen Grenzen. Hinzu kommen vermehrte Störungen der Wildtiere und Trittschäden an der Vegetation. Insgesamt eine schwierige Situation, in der die Nationalparkverwaltung in Zusammenarbeit mit vielen Partnern vor Ort gefragt ist, neue Wege in der Besucherlenkung zu gehen.“
Und wie geht es der Natur in Berchtesgaden aufgrund dieser ignoranten Wanderer? Sind bereits Schädigungen durch den Menschen, aber auch durch den Klimawandel abzulesen? „Ja, zunehmende Schäden sind sichtbar. Die Gumpen am Königsbach-Wasserfall sind hier nur ein Beispiel. Wo viele Menschen unterwegs sind, so wie zum Beispiel an Königssee und Obersee, nehmen auch die Trittschäden zu. Dies ist auch sichtbar an den Wanderwegen am Obersee. Mit den Auswirkungen des Klimawandels befassen sich im Nationalpark aktuell gleich mehrere Forschungsprojekte, mit Ergebnissen ist in den kommenden Jahren zu rechnen. Wir wünschen uns von den Gästen im Nationalpark mehr Verständnis für die Natur und die Gabe, sich auch mal mit eigenen Interessen aus Rücksicht auf Tiere und Pflanzen zurücknehmen zu können“, hofft Carolin Scheiter. Ein wichtiger Appell, der hoffentlich auch von den Influencern und ihren Followern gehört wird.
Leider tritt das Problem mit Instagram-Touristen nicht nur in Berchtesgaden auf. Im letzten Jahr zum Beispiel verwies der Inselstaat Bali gleich mehrere Influencer des Landes, weil sie sich respektlos gegenüber seinen Einwohnern äußerten und heilige Stätten wie auch die Natur beschmutzten. Auch Island klagt immer wieder über Besucher, die trotz einschlägiger Warnungen und Absperrungen in Geysire stürzen oder die isländische Landschaft nachhaltig zerstören, indem sie große Wörter in das Moos ritzen und Fotos davon in Social Media posten. Problematisch dabei: Isländisches Moos ist extrem empfindlich und es dauert Hunderte von Jahren, bis es wieder nachgewachsen ist.
Man muss allerdings nicht weit reisen, um verwundete Landschaften durch Touristen zu finden. In Bayern klagen immer mehr Orte über verstopfte Straßen, Wildcamper und völlig überlaufene Wanderwege. Natürlich setzt man hier auf naturnahen Tourismus, dieser funktioniert allerdings nur, wenn die Natur und ihr Bedürfnis nach Unberührtheit beziehungsweise Regeneration respektiert werden. Daher empfehlen die ansässigen Touristikverbände, lieber ein Gästebett in einer Pension oder auf einer Hütte zu buchen, statt im Auto Schneisen in die Vegetation zu fahren und wild zu campen. Der Deutsche Alpenverein rät ganz dringend davon ab, sein Zelt in den Bayerischen Alpen aufzuschlagen, sondern verweist auf Verbote, die lediglich das Biwaken, also das ungeplante Übernachten im alpinen Gelände ohne Zelt unter freiem Himmel, im Notfall erlauben. Extrem genervt reagieren vor allem die Anwohner auf die Wildcamper-Invasionen, zertrampelte Pflanzen, Müll und andere Hinterlassenschaften in den Büschen.
Die Idylle, die Fotos auf Instagram versprechen, ist jedenfalls schon lange nicht mehr zu finden. Daher sollte man vielleicht doch lieber die Natur rund um den eigenen Wohnort erkunden – mit dem Fahrrad vielleicht – und abends im eigenen Bett schlafen. So mancher wird sich sicherlich wundern, welch schöne und auch unberührte Orte man nicht weit von der eigenen Haustür finden kann. Vor allem wird es dort vermutlich nicht ganz so überlaufen sein wie an den „Geheimtipps“, die Influencer mit über einer Million Followern gepostet haben. Dort findet man dann eventuell auch das, was man gesucht hat: Ruhe in der Natur.