Autorin: Katja VadersBesonders hart betroffen von den Corona-Maßnahmen war die Eventbranche: Großveranstaltungen sind bis heute nur mit großen Auflagen möglich. Insbesondere viele Zirkusse, die oft kleine Familienbetriebe sind, mussten dementsprechend in den letzten anderthalb Jahren um ihre Existenz fürchten. FT sprach mit Romina Neu, Pressesprecherin des Cirque Bouffon in Köln, über harte Zeiten und den lang ersehnten Neustart.
FT: Frau Neu, der Cirque Bouffon ist kein gewöhnlicher Zirkus. Was macht ihn so besonders?
Romina Neu: „Wir sind ein kleiner Zirkus, ein Familienunternehmen, bestehend aus dem Zirkusdirektor und Regisseur Frédéric Zipperlin und seiner Ehefrau Anja Krips. Die beiden haben den Zirkus vor genau 15 Jahren gegründet. Seitdem touren wir durch ganz Europa und machen alle zwei Jahre eine neue Show.
Der Cirque Bouffon ist ein poetisches Traumtheater, das auf dem Konzept eines Cirque Nouveau basiert, eine französische Kunstgattung mit artistischen und musikalischen Elementen, die mit dem klassischen deutschen Zirkus nichts zu tun hat. Der bekannteste Cirque Nouveau weltweit ist der Cirque du Soleil, für den unser Direktor Frédéric Zipperlin früher gearbeitet hat.“
Könnte man sagen, dass der Cirque Bouffon eine Art Zirkus für Erwachsene ist?
„Genau. Einen Cirque Nouveau muss man sich ähnlich wie ein Theaterstück vorstellen: Es gibt keine Aneinanderreihung von Nummern, wie Sie das aus dem klassischen deutschen Zirkus kennen, sondern es wird eine Geschichte in einem Zirkusambiente erzählt.“
Wie viele Menschen sind im Ensemble des Cirque Bouffon?
„Zum Team des Cirque Bouffon gehören pro Ensemble immer elf Artisten, die bei jeder neuen Show wechseln, und natürlich der feste Mitarbeiterstamm. Dazu gehören unsere Musiker mit dem musikalischen Leiter Sergej Sweschinskij, der die sehr typische Bouffon-Musik komponiert, die Bühnen- und Lichttechniker sowie die Mitarbeiter für das Projektmanagement, das Booking und die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.“
Gehen denn auch alle Mitarbeiter mit auf die Tourneen? Und wie kann man sich das vorstellen: Wohnen Sie in klassischen Zirkuswagen?
„Wenn wir auf Reisen sind, auch international, ist auch das Backstage-Team punktuell mit dabei. Wir spielen ganz klassisch in einem Zelt mit angeschlossenem Café- und Barbereich, das sich Chapiteau nennt und in das 400 Personen passen. Aber alle Künstler und das feste Cirque-Bouffon-Team übernachten in Appartements, wie bei einem mobilen Theater. Wir haben ja auch keine Tiere.“
In den letzten anderthalb Jahren war der Cirque Bouffon wie alle Unternehmen in der Veranstaltungsbranche von Corona betroffen. Wie sind Sie bisher durch die Pandemie gekommen?
„Corona war natürlich ein schwerer Schlag. Wir haben jetzt zwei Jahre nicht spielen können – durch die Pandemie hatten wir ja regelrechtes Auftrittsverbot. Zum letzten Mal war der Cirque Bouffon Weihnachten 2019 zu sehen. Im Januar und Februar haben wir immer eine Pause und wollten dann im März 2020 mit der Uraufführung unserer neuen Show ,Bohemia‘ starten, die dann aber aufgrund des Lockdowns nicht stattfinden konnte – und das für eine sehr lange Zeit.“
Durch den Fortschritt der Impfkampagne gab es aber in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Lockerungen.
„Das stimmt. Aber als wir in diesem Sommer endlich wieder auftreten durften, war das nur unter ganz krassen Auflagen möglich. Und die konnten wir so schnell gar nicht umsetzen. Dazu kamen wirtschaftliche Aspekte: Wir haben ein Zelt mit 400 Plätzen und eine Bühne mit einem Durchmesser von nur sechs Metern. Bei uns ist also alles sehr klein und intim, was es mit Hygieneauflagen noch schwerer realisierbar macht, eine Vorstellung zu spielen.
Trotzdem feiern wir am 10. September Premiere, obwohl die Inzidenzen gerade wieder steigen. Wir hoffen sehr, dass wir das Gastspiel trotzdem durchführen können. Gerade sind wir zwar guter Dinge, es bleibt aber trotzdem die Angst, nur kurze Zeit spielen zu können, bis dann wieder alles geschlossen wird.“
Wie hat der Cirque Bouffon die Lockdowns erlebt?
„Die letzten anderthalb Jahre waren natürlich sehr schwer für uns. Wir haben nur bedingt Förderungen bekommen und daher einen Spendenaufruf gestartet. Unsere Fans haben uns ganz toll unterstützt und wir konnten zumindest den Zirkus am Leben erhalten und daher jetzt auch das neue Gastspiel realisieren.“
Sie konnten aufgrund der Spenden Ihrer Fans überleben? Das ist unglaublich …
„Ja, das ist es wirklich. Wie gesagt, wir haben wirklich tolle Fans! Jeder, der bei uns eine Show erlebt hat, verliebt sich sofort – mir ist das auch so ergangen, bevor ich beim Cirque Bouffon angefangen habe zu arbeiten. Als Dankeschön für die Fans haben wir neue Ideen entwickelt, zum Beispiel für unsere Weihnachtsshow. Normalerweise spielen wir ja im Zelt, sind aber in diesem Jahr eine Kooperation mit der Kölner Kirche St. Michael eingegangen, die nach dem Dom die zweitgrößte Kirche der Stadt ist. Dort ist also richtig viel Platz, vor allem gibt es eine gewisse Höhe, die wir für unsere Hochseilnummern benötigen. Hier werden in der Adventszeit unsere Weihnachtsshows stattfinden, wir können nämlich alle Distanzauflagen erfüllen und haben auch keine Probleme mit Aerosolen. Das Gastspiel wurde dementsprechend bereits vom Gesundheitsamt freigegeben. Unsere ganz spezielle Weihnachtsshow ,Cœur à Cœur‘ wird vom ersten Advent bis Neujahr zu sehen sein.“
Sie haben gerade schon von finanziellen Hilfen gesprochen. Welche Gelder haben Sie bei Bund und Ländern beantragt – und auch bekommen?
„Der Cirque Bouffon ist eine sogenannte Unternehmergesellschaft, die ähnlich wie eine GbR funktioniert und von Frédéric und Anja betrieben wird. Alle anderen, die für den Zirkus arbeiten, sind Soloselbstständige. Wir haben also gar keine staatlichen Hilfen bekommen und jeder musste für sich selbst schauen, wie er über die Runden kommt. Und das ist im Endeffekt wirklich nur durch die Spenden unserer Fans gelungen. Wir hatten Kosten zum Beispiel durch die abgesagten Gastspiele, all die Vorarbeiten mussten ja trotzdem bezahlt werden, angefangen bei Plakaten und Tickets, die natürlich schon gedruckt waren, aber auch durch den Bühnenbau. Das war alles schon in Produktion gegeben. Diese Zahlungen waren sehr schwierig für uns, da wir keinerlei Einnahmen hatten und als kleines Unternehmen auch keine großen Rücklagen gebildet hatten.
Dazu kamen die bereits verkauften Tickets … Viele Käufer haben gesagt, dass sie ihre Tickets behalten und warten wollten, bis wir wieder spielen dürfen. Aber nachdem wir drei-, vier-, fünfmal verschoben hatten und immer unklarer wurde, wie lange der Lockdown noch dauert, gab es natürlich auch immer mehr Ticketbesitzer, die dann doch ihr Geld zurückwollten. Das war sehr schwierig für uns, weil wir auch irgendwann Liquiditätsprobleme bekamen.“
Trotzdem haben Sie es geschafft – und melden sich jetzt endlich bei Ihren Fans zurück.
„Ja. Im Mai gab es schon einen Livestream, in dem wir unsere neue Show gespielt haben, vor allem, um uns bei unseren Fans für ihre Spendenfreude zu bedanken. Kurze Zeit später kamen dann die Öffnungen. Und wir haben bei dem Programm ,Neustart Kultur‘ die Förderung für ein größeres Zelt beantragt. Eine Anschaffung, die wir machen müssen. In unserem momentanen Zelt können wir auf Dauer definitiv nicht die Distanzauflagen erfüllen und trotzdem wirtschaftlich arbeiten. Corona wird uns ja sicherlich noch eine Zeit begleiten. Nur damit Sie sich das vorstellen können: In unserem Zelt, in das eigentlich 400 Menschen passen, können wir mit den derzeitigen Auflagen lediglich vor 80 bis 100 Besuchern spielen. So teuer können die Tickets nicht sein, um das zu kompensieren.“
Wie wird das neue Zelt aussehen?
„Zunächst kann ich Ihnen sagen, dass wir glücklicherweise die Fördergelder von ,Neustart Kultur‘ erhalten haben. Darüber sind wir sehr froh und das wird uns hoffentlich auch langfristig retten. Das neue Zelt braucht allerdings ein Dreivierteljahr, bis es gebaut ist – ein Zirkuszelt hat eine ähnliche Bauzeit wie ein Haus. Wir werden es im Mai 2022 erstmals benutzen können und damit dann in Hamburg Premiere feiern.
Das Tolle am neuen Zelt wird sein, dass es zwar von außen sehr groß ist, dass wir aber die Intimität, die wir in unserem jetzigen Zelt haben, bewahren können. Uns war bei der Konstruktion sehr wichtig, dass wir eine kleine Bühne behalten können und das Publikum weiterhin sehr nah am Geschehen ist, wir aber dennoch die Zwei-Meter-Abstände zwischen den Besuchergruppen einhalten können. Und ich denke, das ist gelungen.“
Jetzt starten Sie aber erst mal wieder im alten Zelt mit der neuen Show. Wie haben Sie das mit dem Ensemble während der Lockdowns geschafft, in Verbindung zu bleiben, um zum Beispiel das neue Programm zu proben?
„Der Lockdown war eine schwere Zeit. Wir sind wie viele andere über Zoom-Meetings in Kontakt geblieben. Auch die Musiker haben digital ihre Stücke gemeinsam einstudiert und aufgenommen. Wir haben dann auf Facebook unseren Fans das eine oder andere Stück zugänglich gemacht. Frédéric Zipperlin hat die Zeit genutzt, um am neuen Programm zu arbeiten und es zu optimieren oder an der Dramaturgie zu feilen …
Problematisch war, dass man die ganze Zeit nicht absehen konnte, wie lange der Lockdown noch dauern wird. Innerhalb des Ensembles haben wir immer versucht, uns gegenseitig froh zu machen, indem wir uns bestärkt haben, dass das alles in ein oder zwei Monaten wieder vorbei sein wird. Wir sind also auf Sicht gefahren, wurden allerdings dann doch immer wieder enttäuscht und mussten unsere Ziele zurückstecken; und das war das eigentlich Anstrengende. Zu wissen: So schnell können wir nicht auf die Bühne zurück.
Es war ja alles geplant und mit jedem abgesagten Spielort schrumpfte die Tour immer mehr zusammen. Da die Bundesregierung ständig sehr kurzfristig entschieden hat, mussten wir ebenso kurzfristig unsere Auftritte absagen. Das war sehr ermüdend für alle. Wir merken das immer noch bei unseren Künstlern: Keiner kann glauben, dass es jetzt tatsächlich wieder losgeht.“
Sie haben eben erzählt, dass Frédéric Zipperlin während des Lockdowns noch am neuen Programm gefeilt hat. Wird es Änderungen geben – und spielt vielleicht sogar Corona thematisch eine Rolle?
„Nein, Corona wird thematisch wohl keine Rolle spielen. In unserem neuen Programm ,Bohemia‘ geht es darum, den Platz in einer Gesellschaft zu finden. Es geht um Dazugehörigkeit, aber auch darum, ausgegrenzt zu sein. Letztendlich handelt ,Bohemia‘ vom fahrenden Volk. Dementsprechend steht auch auf der Bühne ein Wohnwagen, der sich ständig im Kreis dreht.“
In Ihrem Zirkus treten viele internationale Artisten auf. Da gibt es doch sicherlich derzeit viele Probleme mit den verschiedenen Ländermaßnahmen, Quarantäne, Einreisebestimmungen et cetera.
„Ja, natürlich! Die Uraufführung findet am 10. September statt und unsere Artisten kommen aus Spanien, Russland, Polen, Deutschland … Wir haben also viele Nationen dabei und für uns war in den letzten Wochen die Hauptschwierigkeit, wer wann und wie anreisen muss, damit alle an den Endproben teilnehmen können, auch wenn sie in Quarantäne mussten. Während des kompletten Gastspiels werden zudem alle Beteiligten jeden Tag getestet. Und für die Besucher besteht die 3G-Regel … Obwohl das letztendlich natürlich abhängig vom Bundesland ist, in dem wir gerade spielen. Unsere Premiere findet im Saarland statt, danach sind wir in Nordrhein-Westfalen und immer müssen wir die hier zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen umsetzen.“
Es bleibt also spannend … Können Sie noch einmal kurz zusammenfassen, wie es in den nächsten Monaten für den Cirque Bouffon weitergehen wird?
„Uraufführung ist am 10. September in Saarbrücken, dort spielen wir bis zum 17. Oktober. Danach geht es am 22. Oktober nach Münster. Anschließend reisen wir nach Frankreich und machen dort eine kleine Tournee an sieben Spielorten im November und Dezember. Parallel spielen wir die Weihnachtsshow in Köln. Am 9. März geht ,Bohemia‘ dann in Gelsenkirchen weiter, ab dem 8. April spielen wir in Köln und am 28. Mai werden wir dann erstmals mit dem neuen Zelt in Hamburg zu sehen sein. Die Tourneeplanung schließt dann mit einem Gastspiel in Bielefeld ab. Und diese Show werden wir dann hoffentlich zwei Jahre lang spielen können.“
Ich hoffe sehr, dass diese Tournee genau so laufen wird, wie Sie sich das vorstellen. Alles Gute und toi, toi, toi! Und vielen Dank für das Gespräch!
Der Cirque Bouffon wurde vor 15 Jahren von Frédéric Zipperlin und seiner Frau Anja Krips gegründet. Er sieht sich in der Tradition des Cirque Nouveau, einer französischen Kunstgattung mit artistischen und musikalischen Elementen, die einer Art poetischem Traumtheater entspricht. Der Cirque Bouffon hat nicht viel mit dem klassischen deutschen Zirkus zu tun. Es gibt keine Aneinanderreihung von Nummern, sondern es wird, ähnlich wie beim Theater, eine Geschichte in Zirkusambiente erzählt.
Sein neues Programm „Bohemia“ startet der Cirque Bouffon am 10. September in Saarbrücken. Alle weiteren Infos zu Terminen und Ticketverkauf unter www.cirque-bouffon.com