Leben und leben lassen

Innenstädte

©Michael Gaida auf Pixabay

Autor: Markus Oess
Wer sich nicht anpasst, stirbt aus. Für die deutschen Innenstädte ist das undenkbar, aber egal ob Metropole oder Kleinstadt, die Citys leiden und sie litten vielerorts bereits vor COVID-19 und den Lockdowns unter Strukturschwäche und wirtschaftlichem Niedergang. Von Themen wie Mietexplosion, Gentrifizierung auf der einen und Verödung auf der anderen Seite ganz zu schweigen. Hat das Stadtmodell ausgedient? Mitnichten, gerade die Mittel- und Kleinstädte holen auf und bei allem kritischen Wandel gibt es auch Chancen. Die Verantwortlichen müssen sie nur nutzen.

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Die Verödung der Innenstädte und Ortskerne in Deutschland nimmt drastische Ausmaße an, viele große Kaufhäuser seien geschlossen, Leerstände nähmen zu. Und mehr noch, die Pandemie habe diesen Prozess dramatisch beschleunigt. Nach Schätzungen würden circa 100.000 Geschäfte schließen oder gar nicht wieder öffnen. Davon seien fast 500.000 Arbeitsplätze in Deutschland betroffen. Parallel dazu wachse der Online-Handel weiter und weiter. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund wählte im August dieses Jahres nicht zum ersten Mal deutliche Worte, um die Situation in deutschen Stadtzentren zu beschreiben. „Wir müssen die Innenstädte und Ortskerne als ‚Seelen der Kommunen′ nachhaltig umbauen“, werden der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Dr. Gerd Landsberg und der Vorsitzende des Senatsclubs Bonn Dirk Vögeli zitiert.

Das gehe nur mit langfristigen Konzepten, die Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Kommunalpolitik gemeinsam entwickeln und umsetzen würden. Auch die Dachorganisation der deutschen Städte und Gemeinden bricht eine Lanze für den innerstädtischen Einzelhandel, das „inhabergeführte Einzelhandelsgeschäft mit guter Beratung und Kundenbindung“, um genau zu sein. Exakt das werde auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Aber andere Faktoren wie Wohnen, Kultur, Grün, Blau (Wasser), Handwerk, „Erlebnisgastronomie“ und Klimaanpassung sowie sichere Aufenthaltsqualität für die Menschen in den Innenstädten gewönnen an Bedeutung. „Der größte Fehler wäre zu glauben, die alten, glorreichen Zeiten kommen von alleine zurück. Die nötigen Umgestaltungsprozesse werden Jahre dauern, aber wir müssen jetzt anfangen“, sagten Landsberg und Vögeli. Die Resilienz-Vermutung des innerstädtischen Wirtschaftsgeschehens hat ausgedient, es besteht Handlungsbedarf.

Ohne nachhaltige finanzielle Hilfen von Bund und Land würden die Städte diese Herausforderungen allerdings nicht meistern können. In einem ersten Schritt hatte die Bundesregierung 250 Millionen Euro bereitgestellt. Das allerdings könne nur der Anfang sein. In diesem Zusammenhang schlägt der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine Paketversandsteuer vor. „Einfach und pauschaliert könnte damit sichergestellt werden, dass sich auch die großen Plattformen an der Finanzierung der Infrastruktur, die sie ja schon jetzt in Anspruch nehmen, beteiligen. Nach unseren Schätzungen könnte damit ein Betrag von 1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erzielt werden, als Grundlage für den notwendigen Umbaufonds“, sagte Landsberg. Aber nicht nur der Online-Handel, auch die stationären Kollegen waren nicht durchweg begeistert von diesem Vorschlag. Es trifft unter Umständen ja sie selbst und Abgaben und Steuern sind sowieso ein unschönes Thema.

Wir erwarten, dass die Gewinne auch dort besteuert werden, wo sie anfallen und nicht in Steueroasen abfließen. Wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen. Das würde helfen.“ Steffen Jost ©BTE

Wir müssen bei der Digitalsteuer aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Viele stationäre Händler sind inzwischen auch über die Plattformen selbst digital unterwegs und sei es nur, um Liquidität zu schaffen. Müssten sie eine Digitalsteuer abführen, träfe es die Falschen. Wir erwarten allerdings, dass die Gewinne auch dort besteuert werden, wo sie anfallen und nicht in Steueroasen abfließen. Wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen. Das würde helfen. Eine mögliche Erhöhung der Mehrwertsteuer hingegen wäre absolut kontraproduktiv“, sagt Steffen Jost, Modehändler aus Grünstadt und BTE-Präsident, gegenüber FT.

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Studien, die sich mit der Wiederbelebung der Innenstadt befassen, wobei der Patient schon vor Corona und den damit verbundenen Maßnahmen erkrankt war: Strukturwandel, monotone Ladenstruktur, Verödung des Angebotes und so weiter. Und so tut sich eine Kluft auf bei Städten, die wegen ihrer Größe punkten oder den Tourismusjoker zücken können. Auch für den Wirtschaftswissenschaftler Dr. Werner Reinartz, Professor für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln und Direktor des dort ansässigen Instituts für Handelsforschung (IFH e.V.), steht völlig außer Frage, dass die Attraktivität von Innenstädten unbedingt gesichert werden müsse, als er auf dem Jahresevent der IFH FÖRDERER FASZINATION HANDEL Kernergebnisse der IFH-Schwerpunktstudie „Innenstadthandel in Zeiten der Digitalisierung“ vorstellte. Die Studie untersucht unter anderem auf Basis der letzten vier Erhebungswellen der Studienreihe „Vitale Innenstädte“ die Treiber der Gesamtattraktivität und beschreibt dabei fünf Typen von Innenstädten: die „unnahbare Schöne“, die „unterschätzte Alleskönnerin“, die „pragmatische Einkaufsstadt“, die „attraktive Einkaufsstadt“ und die „kleine Versorgerstadt“.

Richtig ist auch, die Innenstadt kommt nicht immer nur gut weg. Konsumenten bewerten etwa das Einzelhandelsangebot über die Zeit immer negativer, insbesondere in großen Großstädten und Metropolen, dafür holen Klein- und Mittelstädte auf. Professor Reinartz spricht vom digitalen Gleichmacher, denn der Online-Handel scheint Unterschiede in der Konsumentenwahrnehmung von Einzelhandelsportfolios über Stadtgrößen hinweg zu egalisieren. Außerdem, so heißt es in dem Whitepaper, habe der kleinstädtische Einzelhandel durchaus eine Zukunftsperspektive, wenn er seinen besonderen Charme und seine Einzigartigkeit ausspielen könne. Gleichwohl kommen die Konsumenten immer seltener, doch dafür gezielter, und ihre Verweildauer je Besuch ist über die Jahre deutlich gestiegen. Es gibt also auch Chancen. Wie das aussehen könnte, berichtet Steffen Jost, Modehändler aus Grünstadt und BTE-Präsident, gegenüber FT, wenn er über die Wiedereröffnung spricht: Die ersten Tage waren sehr bewegend für uns alle. Wir pflegen einen sehr persönlichen Kontakt zu unseren Kunden und wir konnten förmlich spüren, wie viel Emotionen im Spiel waren, als die Menschen die ersten Male wieder zu uns kommen durften. Etwa 40 Prozent der Menschen leben in Einpersonenhaushalten. Daran lässt sich unschwer erkennen, dass der Einkauf auch soziale Funktionen übernimmt. Wir sind besser durch die Krise gekommen, als anfangs befürchtet, und wir liegen jetzt in den zurückliegenden drei Monaten über 2019.“ Bezogen auf die Ware, steht Jost nach eigener Einschätzung vergleichsweise sauber da. „Aber wir haben in das investiert, was uns vom Wettbewerb immer noch am stärksten und erkennbar unterscheidet: Beratung und Service. Gute, kompetente Mitarbeiter wachsen nicht auf den Bäumen, sie müssen entwickelt werden und das kostet Zeit, Mühe und eben auch Geld.“

Vier Kernthesen, wie sich Innenstädte weiterentwickeln

Zurück zum Whitepaper des IFH. Vier Kernthesen formulieren die Wissenschaftler, wie sich Innenstädte weiterentwickeln werden und welche Herausforderungen und Möglichkeiten sich daraus für die diversen Stakeholder, insbesondere Vertreter von Kommunen und Städten, Einzelhändler und Gastronomen ergeben. So müsse die Stadt vom „Place of Commerce zum Place of Experience“ werden. „Der innerstädtische Handel muss das liefern, was der Online-Handel nicht bieten kann“, sagen die Autoren und nennen Beispiele: Das vielfach zitierte Surf-Angebot von L+T, Osnabrück, oder das kalifornische Start-up b8ta, das „Retail as a Service“ anbietet, indem es Produkte von Herstellern wie in einer Galerie ausstellt. Konsumenten können mit diesen Produkten direkt interagieren. Die eigentliche Distribution der Produkte findet hauptsächlich online statt. Die Innenstadt müsse sich überdies von der klassischen Einkaufsmeile zum Wohnzimmer entwickeln und Funktionen miteinander verknüpfen, die vorher zur räumlichen Trennung geführt hätten („von monofunktionalen Agglomerationen zu multifunktionaler Vielfalt“), also weg von den üblichen Einkaufsmeilen, den Vergnügungsvierteln und Bürotürmen hin zu Biotopen, die vielen städtischen Funktionen eine Heimat bieten. Kleiner vielleicht, aber neu und unter Einbindung der Bürger – auf digitalem Weg im Grunde ein Klacks. Der vierte Aspekt dürfte insbesondere Modehändler in Klein- und Mittelzentren erbauen. Viele Diskussionen zur Entwicklung von Innenstädten fokussierten sich auf Großstädte und Metropolen. „In unseren Analysen sehen wir jedoch, dass auch kleinere Städte im hohen Maße attraktiv sein können. Dies wird sich in Zukunft weiter verstärken, wenn der reine Erwerb von Produkten weiter in den Hintergrund rückt und dafür das Ambiente eine größere Rolle spielt. Zudem versprechen die Entwicklung hin zum Home- und Hybridoffice und die steigenden Mieten in Innenstädten, dass kleinere Städte in Zukunft einen verstärkten Zuwachs erleben können“, heißt es dazu („vom Großstadtfokus zur Stärke der Kleinen“).

Die Stadt Bremen zum Beispiel ist nicht unbedingt als Innovationsmotor der Republik bekannt, geht hier im Rahmen des Aktionsprogramms „Bremen wird Neu“ und mit anderen Projekten neue Wege. Mit der Straßenbahnlinie „Die Ölf“ können Konsumenten samstags kostenlos in die Innenstadt fahren. Eltern können ihre Kinder im Spielparadies Pöks kostenfrei betreuen lassen. In der Innenstadt selber empfängt Konsumenten der Open Space Domshof, der mit Kunst- und Musikveranstaltungen sowie einer Rooftop Bar Erlebnisse und Lebendigkeit schafft. Durch City-Sandkästen, Urban-Gardening-Projekte und die autofreie Martinistraße mit kulturellen Angeboten wird das Freizeitangebot erweitert und die Innenstadt zum erlebnisreichen Ort des Verweilens.

„Stirbt der Handel, stirbt die Stadt“

Für die Untersuchung „Vitale Innenstädte“ 2020 ließ das IFH KÖLN im vergangenen Herbst rund 58.000 Passanten in 107 deutschen Innenstädten interviewen, um Attraktivitätsmerkmale deutscher Stadtzentren herauszuarbeiten Das Fazit lautet: Stellschrauben sind Zielgruppen, Erlebniswert und der Einzelhandel. „In diesem Jahr hat unsere Untersuchung zur Attraktivität der deutschen Innenstädte eine ganz besondere Relevanz. Obwohl die teilnehmenden Städte größtenteils durchaus positiv bewertet wurden, muss der Transformationsprozess jetzt eingeläutet werden, denn die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel weiter enorm beschleunigt“, sagt Dr. Markus Preißner, wissenschaftlicher Leiter am IFH KÖLN. Der stationäre Einzelhandel bestimme maßgeblich, wie attraktiv und erlebnisorientiert deutsche Innenstädte wahrgenommen werden. Weitere Treiber für den Erlebniswert seien Sehenswürdigkeiten sowie Freizeit- und Kulturangebote. Um Stadtzentren attraktiver zu gestalten, gelte es, Verantwortliche von Städten, Handel und der Immobilienbranche an einen Tisch zu bringen. Auch die Digitalisierung und eine zukunftsorientierte Positionierung von Städten, etwa durch den passenden Online-Auftritt, seien oft noch ein Manko.

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„Stirbt der Handel, stirbt die Stadt. Der Einkaufsbummel ist und bleibt für viele Menschen der Grund Nummer eins für den Besuch einer Innenstadt“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). „Insgesamt aber muss die Mischung der Angebote und Nutzungen vor Ort stimmen. Deshalb brauchen wir einen Innenstadtfonds, der es den Städten und Kommunen ermöglicht, den Bedarf vor Ort sauber zu ermitteln und entsprechende Maßnahmen für ein gesundes Stadtzentrum zu ergreifen. Dafür sollten in den nächsten fünf Jahren jährlich 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, um beispielsweise ein bundesweites Leerstandsverzeichnis anzulegen und individuell für jede Stadt und jede Kommune passende Innenstadtkonzepte zu erstellen. Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen, damit unsere Stadtzentren auch morgen noch vital und attraktiv sein können.“ Genth sagt das im Zusammenhang mit der IFH-Studie, die, wie könnte es anders sein, die Handelsfunktion der Innenstadt ganz besonders hervorhebt.

Der klassische Einkaufsbummel ist laut IFH-Studie das Hauptmotiv für den Besuch von Innenstädten – vor allem für ältere Personen (65 Prozent). Bei jüngeren Menschen unter 25 Jahren gibt die Hälfte an, zum Einkaufen in die Stadt zu kommen. Dafür sind Gastronomie oder Behörden-/Arztgänge für Jüngere öfter ein Besuchsanlass als bei älteren Menschen. „Gerade für die Revitalisierung von Innenstadtlagen nach dem Corona-Lockdown müssen rein anbieterzentrierte Strategien nachfrageorientierten Konzepten weichen. Alle Macht geht lokal bekanntermaßen von den Besucherinnen und Besuchern aus. Deshalb steht nicht radikale Disruption im Fokus, sondern die stetige und balancierte Anpassung an die jeweilig lokalen Bedarfe“, schlussfolgert Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH KÖLN.

Freude über den normalen Stadtbummel

Um herauszufinden, wie sich die Ansprüche der Kunden an den lokalen Einzelhandel in der Innenstadt durch den Lockdown verändert haben, haben auch die Berater von Simon-Kucher & Partners über 1.000 Konsumenten in Deutschland befragt. Die Ergebnisse flossen in deren Studie „Shopping-Verhalten in der Innenstadt nach dem COVID-19-Lockdown“ vom März dieses Jahres ein. Wenig überraschend: 90 Prozent der Befragten freuen sich darauf, wieder in der Innenstadt oder Fußgängerzone einkaufen gehen zu können. Bei der Frage nach den Motiven eines Stadtbummels zeigt sich, dass vor allem die sozialen Beweggründe eine wesentlich größere Rolle spielen als noch vor Ausbruch der Pandemie: Freunde und Familie treffen, gemeinsam in einem Café sitzen oder den Weihnachtsmarkt besuchen. Aber auch die Solidarität mit dem Einzelhandel vor Ort wächst. „Die Studie zeigt: Wenn unsere Innenstädte attraktiv bleiben sollen, muss Stadtentwicklung von den Bedürfnissen der Menschen aus gedacht werden. Der stationäre Handel muss sich an diese Ansprüche anpassen und funktioniert nur, wenn er persönlich sowie service- und erlebnisorientiert gestaltet ist und sich als Teil der Stadtgesellschaft begreift“, sagt Jürgen Block, Geschäftsführer Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V. (bcsd).

Soziale Anlässe, aber auch Solidarität mit dem stationären Handel

 

Nicht nur amazon oder zalando, auch eBay wolle ins Geschäft mit dem stationären Handel kommen, lokalen und digitalen Handel verknüpfen, sagt Oliver Klinck, Geschäftsführer von eBay Deutschland, auf der schon zitierten Jahresveranstaltung des Fördervereins des IFH. Klinck will den digitalen und lokalen Handel enger verzahnen und zusammen denken. Der Online-Gigant hat dazu im April 2021 das Projekt „eBay Deine Stadt“ initiiert, bei dem immerhin mittlerweile 20 Städte mitmachen. Um den lokalen Handel zu stärken, biete eBay die Plattform an, auf der Städte wiederum eigene, lokale Online-Marktplätze kreieren können. Interesse ist da, aber es gebe auch Hürden, sagt Klinck. Oft werde eBay noch als Consumer-to-Consumer-Plattform wahrgenommen – dabei steige der Business-to-Consumer-Anteil zusehends. Der Glaube vieler Händler, ausgerechnet ihre Kundinnen und Kunden würden online nicht einkaufen, sei falsch. Dabei sei es speziell für kleinere Händler recht einfach, online aktiv zu werden. „PC und Smartphone reichen, eBay bietet die Technik“, wirbt Klinck.

Auch Lifestyleslab, ein Angebot der Fashion ID GmbH (P&C Süd), hat eine repräsentative Studie veröffentlicht, bei der 949 Teilnehmer aus ganz Deutschland zu ihrem Einkaufsverhalten befragt wurden. Die Kernfragen auch hier: Warum kaufen Menschen digital, warum stationär ein und was hat COVID-19 verändert? Und wie verändert sich die Innenstadt? „Durch die Pandemie hat sich das Kaufverhalten der deutschen Bevölkerung noch stärker verändert. Schon allein, weil das Einkaufen im stationären Handel durch die vielen Einschränkungen und Maßnahmen kaum bis gar nicht möglich war. Hinzu kommt, dass viele Menschen das Einkaufen im Geschäft vermeiden, um einem Infektionsrisiko zu entgehen. Ein Blick auf die Produktkategorien zeigt, dass seit dem Ausbruch der Pandemie insbesondere Kleidung vermehrt online geshoppt wird, wohingegen Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Getränke oder Körperpflegeprodukte weiterhin vor Ort gekauft werden. Das bestätigt auch unsere Studie. Die Mehrheit der Befragten (27 Prozent) geht während der Pandemie nie in Geschäften einkaufen, die nicht den täglichen Bedarf decken“, heißt es dort. Doch auch wenn Online-Shopping in den letzten Jahren immer beliebter wurde, wollen die Menschen nicht ohne eine Innenstadt leben. Fast die Hälfte (45 Prozent) der Befragten der Studie gibt an, gerne im stationären Einzelhandel einzukaufen. Nur 17 Prozent gehen nicht gerne stationär einkaufen. Und auch hier zeigt sich die Solidarität mit dem Handel in der City: „Viele sorgen sich aktuell sogar um die Einzelhändler in ihrer Region und kaufen bewusst bei Geschäften in ihrer Nähe ein.“ Lifestyleslab stellt genauso klar, dass es bei allem Handlungsdruck verkürzt wäre, die Sicht auf den Handel zu beschränken: „Die Stadt darf nicht mehr nur auf Shopping reagieren. Shoppen und Soziales müssen vereint werden. Das Herz der Stadt muss pulsieren. Es muss eine lebendige Mischung aus Tourismus, Restaurants und Cafés, Wohnen, Arbeiten und Kultur, aber auch Geschäften her, damit Innenstädte wieder aufblühen können. Aktuell sind Innenstädte zu sehr vom Einzelhandel abhängig. Dabei gibt es schon viele neue Konzepte.“

Online oder stationär? Eine Umfrage des Lifestyleslab

Bei aller Einigkeit, die Stadt wieder zu dem sozialen Treffpunkt zu erheben, wird ein Aspekt zum Zankapfel der Republik. Es geht ums Auto, das Wahrzeichen wirtschaftlicher Prosperität und Mobilität schlechthin. Allerdings ist der Lack ab, seit klar ist, wie stark das Auto die Umwelt im innerstädtischen Bereich belastet und die Politik mehr oder weniger ambitioniert versucht, das Auto aus der City zu halten. Der menschengemachte Klimawandel lässt sich nicht mehr leugnen, es muss gegengesteuert werden – schnell. Allerdings ist es ein Unterschied, ob die Menschen in Berlin auf die Öffentlichen umsteigen oder Anrainer einer mittelgroßen Stadt, die sich in dem Fall damit abfinden müssen, genau drei Transportslots am Tag buchen zu können. Kurzum, der Handel fürchtet einen abermaligen Umsatzverlust, wenn die Menschen nicht mehr mit dem eigenen Fahrzeug vom Umland in die Stadt fahren können, sondern den öffentlichen Nahverkehr nutzen müssen, der nun nicht gerade immer und überall gut ausgebaut und bedarfsgerecht getaktet ist. Intelligente Verkehrskonzepte sind unerlässlich. Zweiter Streitpunkt sind die Sonntagsöffnungen. Beide Aspekte liegen auch KATAG-Chef Dr. Daniel Terberger im FT-Interview am Herzen.

Jost blickt jedenfalls zuversichtlich nach vorn: „Wir hatten in Grünstadt die erste Aktion nach eineinhalb Jahren und es war ein Erfolg. Die Stimmung draußen ist nach der Pandemie nun nicht ausgelassen, aber sie ist gut. Die Chancen stehen günstig, dass das Jahr versöhnlich endet“, sagt er. Allerdings hat er auch zwei konkrete Forderungen an die Politik, um den mittelständischen innerstädtischen Handel zu stützen und den Corona-Blues vergessen zu machen: „Was wir brauchen, sind vor allem zwei Dinge: Verlässlichkeit und Planbarkeit. Das gilt jetzt gerade für die Sonntagsöffnung. Wir brauchen keine 50 verkaufsoffenen Sonntage, aber wir sind darauf angewiesen, die Tage, an denen wir öffnen können, verlässlich unsere Aktionen zu fahren und nicht Gefahr zu laufen, doch wieder ausgebremst zu werden. Und wir dürfen nicht einfach das Auto aus der Innenstadt verbannen, solange keine funktionierenden Alternativen da sind. Wir haben doch gesehen, was passiert. Die grüne Wiese hat den Verkehr nicht reduziert, sie hat ihn nur umgeleitet.“

Inzwischen haben auch rein digitale Player erste stationäre Gehversuche hinter sich. amazon etwa oder auch zalando. Ob damit allerdings mehr stationäre Konkurrenz digitaler Player aufkommt, scheint aus zweierlei Sicht fraglich, wie BTE-Präsident Jost ausführt. „Auch für den digitalen Handel ist das Wachstum nicht grenzenlos und wir sehen, dass Käufe vom Digitalen wieder zurück ins Stationäre fließen. Die digitalen Händler können auf riesige Datenbanken zugreifen und arbeiten mit Algorithmen. Dennoch kennen sie das klassische stationäre Geschäft nicht. amazon, so scheint es, ist nahezu uneinholbar weit weg. Auch zalando hat inzwischen eine Größenordnung erreicht, die es schwer macht, dagegen digital anzugehen. Bei OTTO, breuninger oder auch engelhorn passiert viel. Aber ich glaube, dass das Ladenkonzept von amazon doch für Großstädte gedacht ist, zumal es schwer sein dürfte, diese riesige digitale Angebotspalette in ein stationäres Konzept zu gießen. Also wird es nur Teilbereiche geben, die dort zum Zuge kommen.“ Bange ist dem Händler nicht, denn er weiß um seine Stärken: „Wir sehen, dass gerade berufstätige Frauen schnell und gezielt Bekleidung kaufen wollen. Auf der Fläche können Sie das nur mit geschultem Personal erreichen, das ein gutes Auge für den Geschmack der Kundin oder den Kunden hat und direkt sieht, welche Marken/Größen passen und welche nicht. Wenn die digitalen Händler mit Geschäften in die Städte kommen, ist es für uns ein Heimspiel, denn dann herrscht Waffengleichheit, abgesehen von der Umsatzgröße. Die aber ist nicht allein entscheidend.“