Autor: Markus OessSpätestens seit Corona haben auch mittelständische Händler erkannt, wie wichtig es ist, nach Berlin, aber auch generell zur Politik einen guten Draht zu haben. Es geht um Wahrnehmung und Interessenvertretung. Früher waren es vornehmlich der Lebensmittelhandel und die großen Konzerne, die hier den Takt vorgaben. Das hat sich mit COVID-19 und den Lockdowns geändert. Der Mittelstand spürte plötzlich unmittelbar die Folgen politischer Entscheidungen, auch wenn keiner das Ereignis, das zu Lockdowns und Kontaktbeschränkungen führte, vorher auch nur ansatzweise ahnte. Nun will auch die KATAG AG stärker als bislang Lobbyarbeit leisten. Ihr Chef Dr. Daniel Terberger über Aufgabenverteilung, Absichten und Ansagen an die Politik. Ganz oben auf der Agenda steht die Revitalisierung der Innenstadt und Mobilität. Ohne Auto werde es nicht gehen, sagt der KATAG-Chef.
FT: Deutschland kommt besser durch die Pandemiekrise als andere Länder. Was läuft aus Ihrer Sicht gut, was nicht?
Dr. Daniel Terberger: „Vieles ist gut gelaufen, manches nicht. Über den Lockdown brauchen wir nicht mehr zu sprechen. Aber es sind zum Beispiel am Ende doch viele und oft auch ausreichend Hilfsgelder geflossen. Allerdings hat es doch eine ganze Weile gedauert, bis die ersten Gelder ausgezahlt wurden, und anfangs musste hier auch spürbar nachgebessert werden. Auch hätte das Ganze durchweg unbürokratischer ablaufen können. Dennoch hat es sich gelohnt, aktiv als Händler ins politische Geschehen einzugreifen, sei es über die Verbände, sei es als KATAG oder jeder einzelne Händler, der ganz individuell auf seine Situation öffentlich aufmerksam gemacht hat. Zwar ist in Berlin und in den Landeshauptstädten das Bewusstsein für unsere Bedürfnisse gestiegen. Ich will auch nicht die moralische Keule schwingen, aber das politische Bewusstsein für Leistungen des Mittelstandes für eine lebendige Innenstadt, gerade auch in ländlichen Regionen, ist immer noch gering.“
Die Politik schafft die Rahmenbedingungen, die Wirtschaft aber füllt diese aus. Wenn Sie von Stärkung des Mittelstands sprechen, um die Innenstädte wieder attraktiver zu gestalten, sodass die Menschen in die Innenstädte kommen, was meinen Sie damit?
„Die große Politik in Berlin kann natürlich nur die Rahmenbedungen schaffen, aber genau diese Aufgabe sollte sie auch erfüllen. Was wir brauchen, sind Planungssicherheit und faire Wettbewerbsbedingungen. Während die Online-Konkurrenz, allen voran amazon, den umsatzstärksten Wochentag, den Sonntag, munter verkauft, müssen wir im stationären Handel durch die Anlassbezogenheit nicht nur bürokratische Hürden überwinden, sondern müssen auch noch schlechtestenfalls damit rechnen, dass ein verkaufsoffener Sonntag kurz vor Realisierung auf dem Klageweg gekippt wird und wir auf dem Schaden und den Kosten sitzen bleiben. Ich kann auch nicht die Ungleichbehandlung von ausländischen Konzernen und inländischen Mittelständlern verstehen. Während der Mittelstand mit der Zahlung der Gewerbesteuer die lokale Infrastruktur mitfinanziert, marschiert durch dieselbe Innenstadt der amazon-Bote und verteilt Pakete. Nur, dass amazon in steuer- genauso wie zum Beispiel in haftungsrechtlichen Fragen fein raus ist, weil sich die ausländischen Firmen diesen Dingen ganz legal entziehen können. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern.“
„Die Politik sollte uns die gleichen Waffen an die Hand geben und schiefe Wettbewerbslagen wieder ins Gleichgewicht bringen. Dann sind wir selbst kreativ genug, Leben in die Innenstädte zu bringen.“
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Maßnahmen/Punkte, die zur Revitalisierung der Innenstädte angegangen werden müssten?
„Die Politik sollte uns die gleichen Waffen an die Hand geben und schiefe Wettbewerbslagen wieder ins Gleichgewicht bringen. Dann sind wir selbst kreativ genug, Leben in die Innenstädte zu bringen. Mir geht es gar nicht darum, jeden Sonntag zu öffnen, aber ich halte einen verkaufsoffenen Sonntag im Monat, also zwölf Sonntage im Jahr, für einen guten Kompromiss. Auch die Lenkungsfunktion der Mehrwertsteuer wäre ein Hebel. Warum nicht den nachhaltigen Pulli oder die Jeans aus der Innenstadt mit einem reduzierten Steuersatz fördern, so wie bestimmte Lebensmittel auch? Es ist mir auch nicht ersichtlich, warum Novellierungen immer gleich für alle gelten sollen, unabhängig von ihrer Belastbarkeit. Was spricht dagegen, Dinge wie Antidiskriminierungsregeln oder Haftungsfragen im ersten Schritt über die Größe des Unternehmens, zum Beispiel anhand einfacher Parameter wie ab 500 Mitarbeitern oder 100 Millionen Euro Umsatz, anzugehen, anstatt diese Dinge direkt für alle Unternehmer gleichermaßen vorzuschreiben? Es ist ein Unterschied, ob ich 5 Millionen Euro für die Umsetzung bestimmter Vorschriften einsetzen muss und 50 Millionen oder 500 Millionen Euro oder noch mehr, vor allem nach den Monaten des Lockdowns.
Und schließlich dürfen wir nicht autofreie Innenstädte per Zwang installieren. Wenn die Menschen keine Möglichkeit haben, bequem und zeitlich ungebunden zum Einkaufsbummel in die Stadt zu fahren, werden weniger kommen und wir haben sowieso schon schwer mit den Folgen des Lockdowns zu kämpfen. Jedes weitere Prozent Umsatzverlust schnürt uns den Hals zu. Viele können das nicht mehr verkraften. So wünschenswert und gut autofreie Innenstädte auch sein mögen, können wir erst dann darangehen, wenn wir die funktionierenden Verkehrskonzepte dazu auch umgesetzt haben.“
Wie wichtig ist die lokale Ebene?
„Die lokale Situation ist genauso wichtig für eine vitale Innenstadt. Salopp gesagt, können ein guter Bürgermeister und drei, vier starke Unternehmer einer Innenstadt wieder Leben einhauchen und andere vor Ort mitziehen. Keiner hat gesagt, dass wir jetzt nur noch alle Kraft auf die große Politik richten müssen. Wir müssen auf beiden Feldern punkten.“
„Nüchtern betrachtet, kehrt die Branche zu vielen alten Verhaltensmustern zurück. Etwa bei anhaltenden Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer oder dem Drang, in der Wertschöpfungskette die Verantwortung und das Risiko möglichst der nächsten Stufe aufzubürden.”
Hat die Pandemie den Handel tatsächlich verändert oder gab es eher eine Art „Starre“ und wir kehren doch wieder zu den althergebrachten Handlungsweisen und Branchenmechanismen zurück?
„Nüchtern betrachtet, kehrt die Branche zu vielen alten Verhaltensmustern zurück. Etwa bei anhaltenden Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer oder dem Drang, in der Wertschöpfungskette die Verantwortung und das Risiko möglichst der nächsten Stufe aufzubürden. Dennoch sehe ich drei Bereiche, in denen gewissermaßen der Film um einige Minuten nach vorne gespult wurde. Da ist das Thema Digitalisierung, dessen Relevanz keiner mehr in der Branche abtut und die mittlerweile nicht nur im rückwärtigen Bereich und in der Ablauforganisation immer wichtiger wird, sondern auch im Vertrieb. Das zweite Thema ist die Nachhaltigkeit. Früher haben wir das Thema als Nischenproblem abgetan, für das sowieso kein Verbraucher bereit ist, einen Cent mehr zu bezahlen. Das ändert sich. Die Problematik ist in den Köpfen der Player angekommen und beeinflusst zusehends unser Handeln – bis hin zum unangemessenen Bemühen mancher, nur Greenwashing betreiben zu wollen. Und der dritte Punkt ist die proaktive Zuwendung zur Politik. Viele von uns haben sich in einer Art innerer, passiver Arroganz von der Politik abgewendet, ganz nach dem Motto: ,Lasst die anderen machen, wir machen einfach unser Ding.‘ Und dann kamen die Pandemie und der Lockdown. COVID-19 ist unser Fukushima und wir mussten schmerzhaft erleben, wie es sich gerächt hat, dass wir so wenig politisch nach Berlin vernetzt waren.“
Wie sieht der erfolgreiche Händler der Zukunft aus und welche auch neuen Aufgaben übernimmt die KATAG dabei?
„Der erfolgreiche mittelständische Händler ist der, der mit einem guten Sortiment/Auswahl und einer Topberatung mit Erlebnissen punktet, die einfach den Unterschied zum Internet machen. Der Händler, der sich aber standortbezogen genauso seinen Kunden präsentiert und anspricht. Der gelebte Nachhaltigkeit praktiziert, vor Ort und mit den Produkten und seinen Kunden einen guten Grund gibt wiederzukommen. Zufriedene Kunden tun das. Und dazu muss er auch die digitalen Werkzeuge nutzen, die ihm heute zur Verfügung stehen. Wir als KATAG müssen mit Leistung überzeugen, die andere nicht bieten können, etwa weil ihnen das Know-how fehlt oder sie keine Skaleneffekte nutzen können. Wir müssen die Digitalisierung unserer Mitglieder auch marktseitig Standort für Standort passgenau voranbringen. Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit konsequent und aktiv begleiten. Ich kenne keine andere Verbundgruppe, die eine Nachhaltigkeitsdatenbank aufgebaut hat wie wir. Uns ging es nicht um ideologische Fragen, sondern wertfrei um die reinen Daten, welche Marke was macht. Wir haben gelernt, dass es schwer wird in Zukunft ohne politische Lobby-Arbeit. Auch da werden wir gezielt hineinarbeiten und zum Schluss werden wir uns genauso um die Erneuerung und Stärkung der Lieferantenbeziehungen kümmern müssen und diese auf eine andere Ebene heben, ganz im Sinne eines klassischen Category Managements. Welcher Händler braucht welche Marke, welche Produkte und wann braucht er sie? Auf diese Fragen müssen wir die richtigen Antworten bieten.“
Innenstädte revitalisieren und Handel unterstützen
Im August fand die 66. KATAG Cheftagung unter dem Motto „Welcome back“ in Bielefeld statt. Gekommen waren rund 250 Gäste, am späteren Abend rund 300 Gäste zur traditionellen Feier im „GLÜCKUNDSELIGKEIT“. „Im Mittelpunkt dieses Branchentreffs stehen Austausch und Kommunikation. Weitere Schwerpunkte sind Nachhaltigkeit, Aufbruchstimmung für Mittelstand und Handel, Entwicklung der Innenstädte, Digitalisierung sowie Politik im Rahmen der Pandemie“, teilen die Bielefelder mit. Als Ehrengäste und Speaker kamen Katrin Göring-Eckardt, MdB, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ralph Brinkhaus, MdB, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Dorothee Bär, MdB, stellvertretende Parteivorsitzende der CSU, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin für Digitalisierung. Thematisiert wurden vor allem die anfangs schleppende und zu geringe Unterstützung des Modehandels in den Lockdowns und die fehlende Anerkennung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistung des Handels speziell in den Innenstädten, die es nun wieder zu revitalisieren gilt. Der KATAG-Chef, Dr. Daniel Terberger, warnte davor, die Innenstädte ohne unterstützende Maßnahmen kurzfristig autofrei zu machen und so mit dem zu befürchtenden Frequenzrückgang in vielen Mittelzentren den durch die Corona-Maßnahmen sowieso geschwächten Modehandel weiter zu gefährden.