„Was heißt, den Anschluss verlieren?“

FASHION COUNCIL GERMANY

Scott Lipinski ©Nela König

Autor: Markus Oess
Scott Lipinski, Geschäftsführer des FASHION COUNCIL GERMANY – für ihn ist der Verein eine Art Dolmetscher zwischen der Branche und der Politik, Wirtschaft und Kultur. Lipinski sagt, die Mode genieße nicht den Stellenwert, der ihr gebühre, dabei sei sie mit einem hohen Milliardenumsatz ein wichtiger, internationaler Wirtschaftszweig. Er fordert handfeste Anreize, um die Branche zukunftsfähig zu halten.

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FT: Herr Lipinski, warum haben Sie diese Studie in Auftrag gegeben, was war das Ziel?
Scott Lipinski:Ganz einfach: Es mangelte an Zahlen, die den gesamten deutschen Modemarkt abbilden. Dazu dient nun die Studie des FASHION COUNCIL GERMANY. Unser Ziel ist es, mit dieser Studie die Wichtigkeit, Größe und Relevanz der deutschen Modeindustrie deutlich zu machen, darin aber auch gleichzeitig Zukunftsthemen und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Es soll bei der Studie nicht bei einer einmaligen Ersterhebung bleiben. Studien sind insbesondere dann interessant und relevant, wenn man auf gleicher Basis Folgeerhebungen publiziert, um die Entwicklung der Branche zu thematisieren.“

Sind Sie mit den Kernergebnissen, wie die deutsche Modeindustrie abschneidet, zufrieden?
„Ja. Die Studie zeigt deutlich, dass die deutsche Modeindustrie mit 66 Milliarden Euro zum deutschen BIP beiträgt, wir 1,3 Millionen Menschen durch die Modeindustrie beschäftigen und dass wir uns international nicht verstecken müssen. Auch die Dokumentation unserer Innovationskraft geht aus der Studie deutlich hervor.“

Deutschland steht im Ausland beim Auto für leistungsfähige Ingenieurskunst. Wofür steht deutsche Mode?
„Qualität. In all unseren internationalen Gesprächen ist das immer wieder ein Faktor, der mit deutscher Mode in Verbindung gebracht wird. Seit einiger Zeit spielen aber auch Innovation und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, wenn man an Mode aus Deutschland denkt. Aus keinem anderen Land in Europa kommen mehr neue Zukunftskonzepte, Materialien und Fasern als aus Deutschland.“

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Mode zwar leistungsfähig ist, aber durchaus verglichen zum Beispiel mit der Automobilbranche mehr öffentlichkeitswirksamen Zuspruch erfährt, etwa aus der Politik. Andererseits lebt doch gerade die Mode auch vom Glamourfaktor. Warum passiert dann so wenig?
„Es passiert eindeutig nicht genug, um die deutsche Modeindustrie zu fördern. Hierbei geht es auch nicht ausschließlich um Förderinstrumente für aufstrebende Modebrands. Wir brauchen Anreize, wieder Produktionskapazitäten im Heimatmarkt aufzubauen. Wir brauchen mehr zukunftssichernde Initiativen, um die Modebranche nachhaltiger zu gestalten. Ich bezweifle, dass der Glamourfaktor ein Anreiz für politische Unterstützung ist.“

„Wir haben in Deutschland tolle nachhaltige Brands und Initiativen. Diese gilt es zu unterstützen und zu kommunizieren. Die Modebranche ist sich ihrer Verantwortung bewusst und selbst große Player widmen sich dem Wandel in eine nachhaltigere Unternehmung.“

Was muss an wirksamer wirtschaftlicher Förderung kommen? In der Studie werden unter anderem auch Kompetenzzentren und Nachwuchsarbeit angesprochen.
„Richtig, wir empfehlen in unserer Studie, Cluster an Exzellenzen zu fördern. Man muss bei der Antwort zu dieser Frage zwischen den notwendigen Hilfsmaßnahmen während und nach der COVID-19-Pandemie und den Struktur- und Zukunftsmaßnahmen, die längst überfällig sind, unterscheiden. Die Modeindustrie trägt global gravierend dazu bei, die Umwelt zu verschmutzen. Entsprechend muss gehandelt werden. Sowohl in der Branche selber, aber eben auch mit der Unterstützung staatlicher Instrumente. Das ist ein zentrales Problem, welches wir schleunigst lösen müssen. Ein anderer Ansatz, den die Modeindustrie benötigt, sind Aufklärung und Visibilität. Es passiert schon viel, aber auch das könnte staatlich stärker unterstützt werden.“

Zwei weitere Trends, die die Modeindustrie auch international nicht verschlafen darf, sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Wo sehen Sie die wichtigsten Ansatzpunkte, um international nicht den Anschluss zu verlieren?
„Was heißt, den Anschluss verlieren? Wir haben in Deutschland tolle nachhaltige Brands und Initiativen. Diese gilt es zu unterstützen und zu kommunizieren. Die Modebranche ist sich ihrer Verantwortung bewusst und selbst große Player widmen sich dem Wandel in eine nachhaltigere Unternehmung. Wir glauben aber, dass wir insbesondere Endkonsumenten erreichen müssen, um dort auch ein Verantwortungsgefühl zu schärfen. Viel zu wenig weiß der Endkunde über den Herstellungsprozess oder über die Wertigkeit eines Kleidungsstücks. Zu schnell wird einfach weggeschmissen oder sogar unüberlegt konsumiert.“

Warum brauchen wir eine deutsche Messe? Florenz oder Paris sind nun auch nicht weiter entfernt als Berlin oder jetzt Frankfurt, und Europa hat mit der EU eine breite Basis.
„Wir haben in Deutschland die größten und führenden Messeveranstalter in der Modebranche. Sie sind nicht mehr wegzudenken und geben inhaltlich auch in vielen Bereichen den Ton an. So ist die NEONYT die Messe für nachhaltige Brands. Die messe frankfurt ist weltweit der größte Messeanbieter im Bereich Mode und Textil. Es ist interessant zu sehen, wie Messen aber nicht nur reine Verkaufsplattformen sind, sondern insbesondere als eine Stätte der Begegnung und des Austauschs zu verstehen sind. Innerhalb von Messen, beziehungsweise Fashion Weeks, sind es nicht mehr nur Transaktionen von Bestellungen, sondern Transaktionen von Wissen und Erfahrung, die diese Veranstaltungen ausmachen.“

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Hintergrund:

Nach Führungspositionen in Unternehmen der deutschen Modebranche ist Scott Lipinski seit Juni 2017 Geschäftsführer für den FASHION COUNCIL GERMANY. Lipinski versteht den Verein mehr als Dolmetscher zwischen der Branche und der Politik und setzt sich mit verschiedenen Projekten, Veranstaltungen, Kooperationen und Studien dafür ein, den Fokus auf die wirtschaftliche und kulturelle Kraft der deutschen Mode zu richten. Die Studie zum Status Deutscher Mode 2021 war dabei ein wichtiger Schritt, um Daten, Fakten und folglich Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft, aber auch die Politik zu liefern.

Status Deutscher Mode 2021

Deutschland ist einer der größten Modehersteller und einer der größten Modemärkte der EU. Der FASHION COUNCIL GERMANY hat die Berater von OXFORD ECONOMICS damit beauftragt, eine Studie zur deutschen Modeindustrie zu erstellen. Ermittelt wurden Leistungsstand, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsperspektiven. Laut Studie hat die Modebranche im Jahr 2019 insgesamt 66 Milliarden Euro zum deutschen BIP beigetragen. Davon entfielen 28 Milliarden Euro auf die gesamte Modeindustrie. Weitere 20 Milliarden Euro ergaben sich aus Einkäufen der Branche in der Lieferkette und 18 Milliarden Euro aus ausgegebenen Löhnen der Beschäftigten in der Branche selbst und in der Lieferkette. Die Branche hat überdies knapp 1,3 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland gesichert (770.000 in der Branche selbst, 260.000 in der Lieferkette und 240.000 Arbeitsplätze wurden durch die Ausgaben von Beschäftigten gesichert).

„‚Made in Germany‘ ist ein international anerkanntes Gütesiegel, das für Qualität, Zuverlässigkeit und Preis-Leistung steht“, heißt es in der Studie. Aber: Die deutsche Modebranche werde jenseits von Sportartikeln weltweit nicht ausreichend wahrgenommen. Die Branche sei gut aufgestellt, um vom Trend zu nachhaltiger Mode zu profitieren, doch wird die deutsche Modeindustrie weiterhin investieren müssen, um ihren globalen Marktanteil zu behaupten und ihre technische Spitzenposition im Modebereich gegen den Druck der Schwellenländer zu verteidigen. „Insbesondere bei technischen Geweben und Fertigungsanlagen für die Textilherstellung dürfte China mittelfristig zu einem starken Konkurrenten werden.“

Die Modeindustrie im Überblick

Stärken: Die deutsche Modeindustrie steht international für Qualität, Zuverlässigkeit und Preis-Leistung, für eine technologisch fortschrittliche Herangehensweise, für ihre technischen Textilien sowie modernen Fertigungsanlagen für Stoffe und Kleidung. Der große Heimatmarkt stellt einen wesentlichen Vorteil für deutsche Unternehmen dar.

Schwächen: Die deutsche Modeindustrie wird noch zu wenig wahrgenommen, abgesehen von den international bekannten Sportartikelherstellern und einigen anderen Labels. Es mangelt an einer Tradition für avantgardistisches Design, das gerade auf internationalen Fashionshows gefragt ist.

Chancen: Als Produzent von Qualitätswaren und modernsten technischen Textilien hat Deutschland ein internationales Alleinstellungsmerkmal und eröffnet Chancen zur Erschließung neuer Märkte, insbesondere in Schwellenländern.

Risiken: Deutschland muss weiter stark investieren, um seinen globalen Marktanteil bei den technisch geprägten Modeindustrien gegen den Druck der Schwellenländer zu verteidigen. Insbesondere bei technischen Geweben und Fertigungsanlagen für die Textilherstellung dürfte China mittelfristig zu einem starken Konkurrenten werden. Außerdem stellen globale Krisen (wie COVID-19) und Handelskriege, speziell mit negativen Auswirkungen auf die Lieferketten, ein großes Risiko für die deutsche Modeindustrie dar, die zu den weltweit größten Importeuren und Exporteuren von Bekleidung und Textilien gehört.

Handlungsempfehlungen

  • Die Wahrnehmung und der Stellenwert der deutschen Modeindustrie im In- und Ausland sollten systematisch erhöht werden.
  • Deutsche Modeschulen sollten stärker gefördert und beim Nachwuchs sollte über die Aufklärung über Karrierechancen um Talente geworben werden.
  • Stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit und Austauch innerhalb der Branche, zum Beispiel durch eine digitale Exzellenzplattform
  • Unterstützung für im Inland hergestellte Ware zur Förderung des Produktionsstandortes Deutschland
  • Bildung und Förderung von Branchenclustern und Kompetenzzentren
  • Digitalisierung der gesamten Branche