Autor: Markus OessUnterm Strich wurde DRYKORN im Verhältnis gut durchverkauft und die Nachfrage zieht wieder an. „Wir rechnen mit einem hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Plus gegenüber 2020“, sagt DRYKORN-Gründer Marco Götz im FT-Interview über die aktuelle Order. Dass Mode dabei durchaus politisch sein kann, ist für ihn eher eine Frage der Haltung als Unternehmen und als Unternehmer. Trotzdem soll DRYKORN die Menschen schön machen. Was er darunter versteht und warum Nachhaltigkeit eine strategische Relevanz hat.
FT: Herr Götz, sollte Mode politisch oder kann sie es sein?
Marco Götz: „Mode kann politisch sein, sie muss es nicht sein. Mir geht es vor allem um die politische Haltung als Unternehmen und Unternehmer. Uns kann es nicht egal sein, was um uns herum geschieht, also positionieren wir uns auch dazu, etwa, wenn wir im Rahmen der Kampagne ‚Verantwortung tragen‘ mitwirken und Sea-Watch unterstützen oder uns gegen Diskriminierung einsetzen. Wir verstehen diese Dinge als Ausdruck einer Grundhaltung und das hat absolut nichts mit der Selbstwahrnehmung und -darstellung als Gutmensch zu tun.“
Wenn Sie sich als Label zusehends zu Fragen wie Fake News, Flüchtenden oder Schönheitswahn positionieren – wie weit können Sie damit gehen?
„Unsere #NOFAKES-Kampagne, bei der wir Konsumenten, aber auch unser eigenes Team ungeschminkt und ohne Filter zeigen, haben wir ganz über unsere eigenen Kanäle und über den Handel ausgespielt. Wir wollen zeigen, dass in der Individualität die eigentliche Schönheit liegt und nicht in glatt gezogenen Konventionen. Andererseits soll Mode Freude machen, ist Ausdruck von Lebensfreude. Wir dürfen nun auch nicht permanent den Zeigefinger heben und uns als Dauermahner aufführen. Das ist nicht unsere Aufgabe.“
Sie arbeiten auch weiterhin mit dem Claim „for Beautiful People“, wollen diesen aber immer wieder mit neuen Inhalten, Botschaften aufladen. Für was steht for Beautiful People im Jahr 2021?
„Dass wir offen sind für alle Menschen und es völlig egal ist, welche Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Geschlecht sie haben. Schönheit bedeutet auch Gleichberechtigung für alle.“
Inwiefern hat die Pandemie die Gesellschaft verändert und was macht das mit Ihrer Mode?
„Es ist noch zu früh, um nachhaltige und langfristige gesellschaftliche Veränderungen festzuschreiben. Im Augenblick sehe ich, dass sich die Menschen wieder treffen wollen, die Lebensfreude zurückgekehrt ist. Unserer Einladung zur Kunstausstellung am Frankfurter Museumsufer anlässlich unseres 25-jährigen Bestehens sind sehr viele gefolgt. Es kamen jeden Abend gut 400. Der Wunsch nach Normalität ist förmlich zu greifen. Mittel- und langfristig werden wir Themen wie Globalisierung, Nachhaltigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit neu diskutieren. Das sind Dinge, die sich schon vor der Pandemie entwickelt haben. Wie viel Veränderung damit verbunden sein wird, bleibt abzuwarten. Modisch haben wir eine Verlagerung weg vom Förmlichen. Die Konfektion muss inzwischen freier definiert werden, gleichzeitig haben wir den Bereich Casual Wear ausgebaut und angepasst. Anlassmode kommt zurück und auch die Businesswear wird mit der Rückkehr ins physische Arbeitsleben wiederkommen. Auf diese Entwicklungen haben wir bereits in der zurückliegenden Herbst/Winter-Saison reagiert. Der Handel hat seine Lager und Sortimente bereinigt und heruntergefahren. Jetzt ist der Bedarf an frischer Ware da. Wir haben die zurückliegenden Monate mit Kreativität und Vernunft gearbeitet und uns auch mit der neuen Kollektion Frühjahr/Sommer 2022 gut aufgestellt. Aber wie in der Vergangenheit auch werden wir nicht blind alles dem Umsatz unterordnen, sondern nur Geschäfte eingehen, die nachhaltig sind – für uns und für den Handel. Das unterscheidet uns von finanzinvestierten Anbietern, bei denen die Investoren vorrangig Zuwächse sehen wollen.“
Ist der Einfluss des Endkonsumenten tatsächlich gestiegen oder ist das eine selbst gemachte Illusion der sozialen Medien?
„Natürlich hat der einzelne Mensch jetzt nicht mehr Nachfragemacht, er kann sich über die sozialen Medien sehr viel besser einbringen. Gruppenphänomene und deren Gesetzmäßigkeiten gelten gerade auch in den sozialen Medien. Wir kommen in den direkten Austausch mit unseren Endkunden und können sehr viel schneller und effizienter ihre Wünsche und Präferenzen einfangen und reagieren als früher. Wir haben heute nicht nur die Daten, wir können sie auch besser verarbeiten und diese in zukünftige Produkte einfließen lassen. Früher hatten wir nur auf über den Handel ausgespielte Informationen Zugriff. Das ist ein großer Unterschied.“
„Wir verkaufen uns nicht als nachhaltige Marke, sondern betrachten es als Verpflichtung.“
Sie wollen immer auch den Wholesale ins Boot holen, ihn stärken. Wenn Sie nun stärker direkt auf die Konsumenten zugehen, inwiefern verändert sich dann die Position/Aufgabe des Handels in diesem Moment?
„Überhaupt nicht. Egal, wie und womit wir auf die Endkonsumenten zugehen, steht am Ende dieser Maßnahme immer auch der Wille, den Handel zu unterstützen, ihn als Markenbotschafter zu inszenieren und mitzunehmen.“
Nachhaltigkeit, sagen Sie, nimmt in ihrer Bedeutung für Marke und Handel weiter zu. Wie weit ist Ihr Unternehmen, wie weit die Mode in dieser Sache?
„In dieser Sache arbeiten wir schon seit sieben, acht Jahren daran, das komplette Unternehmen neu auszurichten. Wir setzen bei unseren Verpackungen auf nachhaltigere Materialien, weniger Plastik und Mehrfachverwendung. Unsere Online-Shop-Verpackungen sind plastikfrei, 100-prozentig recycelbar, zertifiziert und können für Retouren wiederverwendet werden. Wir versenden zu 100 Prozent klimaneutral. Wir kompensieren alle Flugreisen zu 100 Prozent. Inlandsflüge haben wir ganz abgeschafft. Auch arbeiten wir daran, unseren Hauptsitz komplett auf Klimaneutralität umzustellen. Schon jetzt sind nahezu alle Zutaten wie Reißverschlüsse oder Knöpfe STANDARD-100-by-OEKO-TEX®-zertifiziert, 60 Prozent unserer Oberstoffe ebenfalls. Aber deswegen verkaufen wir uns nicht als nachhaltige Marke, sondern betrachten es als Verpflichtung.“
Honoriert der Handel Ihre Bemühungen?
„Ich würde das aktuell eher als ein freundliches Wahrnehmen bezeichnen und wir sehen, dass, wenn wir die Rede darauf bringen, die Einkäufer sehr schnell auf die üblichen Fragen wechseln. Das Modegeschäft ist nun nicht immer sonderlich tiefgründig.“
Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Order gestartet?
„Wir sind positiv gestimmt. Im zurückliegenden Geschäftsjahr sind wir mit einem leichten Umsatzminus von 4 Prozent ausgestiegen (April 2021, die Red.). In der Corona-Krise sind wir unseren Kunden sehr weit entgegengekommen mit Storni, Warentausch et cetera. Vor Beginn der Krise hatten wir die stärkste Vororder der Unternehmensgeschichte eingefahren, welche wir zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf Bitten des Handels wieder reduzierten. Unterm Strich wurde DRYKORN im Verhältnis gut durchverkauft und die Nachfrage zieht wieder an. Wir rechnen mit einem hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Plus gegenüber 2020.“
DRYKORN feiert dieses Jahr 25-jähriges Bestehen. Was planen Sie neben der Ausstellung in Frankfurt noch?
„Wir wollten unser Jubiläum anlässlich der FRANKFURT FASHION WEEK feiern und wäre Corona nicht dazwischengekommen, hätte es auch sicher eine große Party gegeben. Aber ich bin nicht der Meinung, dass allein die Tatsache, dass wir nun seit 25 Jahren am Markt sind, rechtfertigt, uns alleine selbst zu feiern.“
Was bieten Sie diesmal bei 2DY4 an und wie ist die erste Kollektion vom Handel angenommen worden?
„Wir hatten die Kapsel vergangene Saison exklusiv mit STYLEBOP aufgelegt und auch selbst online angeboten. Sehr hochwertig und preislich rund 30 Prozent oberhalb unserer normalen Kollektion. Die Kapsel ist auch sehr gut angekommen, dennoch werden wir 2DY4 sehr behutsam ausrollen und es bei kleinen exklusiven Kooperationen mit hochwertigen Retailern belassen. Aber es ist noch zu früh, Details zu künftigen Kooperationen zu nennen.“
Wie läuft es aktuell wirtschaftlich?
„Wie eingangs gesagt, gehen wir davon aus, dass wir uns wieder in eine Wachstumsphase hineinbewegen und das laufende Geschäftsjahr deutlich über Vorjahresniveu abschließen werden.“
Welchen Anteil hat das Online-Geschäft daran?
„Mittlerweile macht es gut ein Drittel des gesamten Volumens aus. Das schließt neben unseren eigenen Aktivitäten auch die Marktplätze und die Online-Umsätze der Händler mit ein. Im Vergleich zu vor Corona sprechen wir hier von einem Zuwachs zwischen 60 und 70 Prozent. Gerade zu Beginn der Krise konnten wir mit dem Maskengeschäft vieles kompensieren und wir haben dadurch auch eine stattliche Zahl an Neukunden dazugewonnen, die über die Maske zu DRYKORN gekommen sind und dann auch Mode gekauft haben.“
Wie sehen die Planungen auf internationaler Ebene aus?
„Wir werden nächstes Jahr einen internationalen Showroom in Paris eröffnen. Nach wie vor sehen wir international große Wachstumschancen und für Premium- und Luxusmode ist Paris immer noch die erste Adresse.“
Kehren Sie im Januar 2021 physisch zur Pitti zurück?
„Wenn es die Umstände zulassen, ja. Gerade für den weltweiten Auftritt ist die Pitti immer noch sehr wichtig.“
„Inzwischen laufen 15 Prozent unserer Order digital. Das hat auch das Exportgeschäft beflügelt.“
Wird die digitale Order für das Auslandsgeschäft wichtiger und wie weit sind Sie hier gekommen?
„Durch die Aktivierung von JOOR sind wir in der Lage, unsere gesamte Kollektion live digital zu präsentieren, und haben dazu extra ein eigenes Studio aufgebaut. Dort setzen wir zu dem digitalen Output auch Models ein, um die Teile noch besser präsentieren zu können. Inzwischen laufen 15 Prozent unserer Order digital. Das hat auch das Exportgeschäft beflügelt.“
Sie haben Kosten und Strukturen angepasst, sich weiter digitalisiert. Welche Maßnahmen sind von Dauer, wo werden Sie gewissermaßen wieder auf Regelbetrieb umstellen?
„Was die digitale und prozessuale Transformation angeht, haben wir diese umgesetzt, um uns zukunftsfähig dem Wettbewerb stellen zu können. Andere Dinge wie zum Beispiel Geschäftsreisen werden wir wieder aufnehmen, wenn auch nicht mehr in dem Umfang wie früher. Aber nicht alles kann über Videocalls abgewickelt werden. Wir sind auch produktionsseitig mit der Digitalisierung ein großes Stück weitergekommen. Wir können zum Beispiel Kollektionen rein digital entwickeln, aber wir müssen uns schon die Frage stellen, wie viel handwerkliche Qualität dabei verloren geht.“
Was sagen Sie, ist die Rückkehr zur alten Normalität denn noch sinnvoll angesichts der aktuellen dramatischen Ereignisse?
„Ich glaube, dass generell viele alte Verhaltensmuster nach einer Weile wieder aufleben werden, in der Kultur zum Beispiel oder in der Gastronomie. In den zurückliegenden 17 Monaten haben sich viele Veränderungen beschleunigt, aber es gab sie schon. Wie nachhaltig das Tempo dieser Veränderungen sein wird, muss sich erst einmal zeigen.“