Autor: Andreas Grüter Würde man Solidarität mit der LGBTQ-Community an der Anzahl der Regenbögen bemessen, die im vergangenen Pride Month auf u. a. Stickern, Fashion-Kollektionen, Parfums und in verschiedensten Social-Media-Kanälen auftauchten, man könnte fast glauben, Homophobie sei in Europa ein Relikt aus dunklen, aber zum Glück längst vergangenen Zeiten. Dass dem bei Weitem nicht so ist, haben nicht zuletzt die fragwürdigen Moves der UEFA bei der Fußball-Europameisterschaft bewiesen. Warum sich dennoch viele Unternehmen mit den bunten Farben schmücken und was das alles mit Pinkwashing zu tun hat, also der Praxis von Firmen, eine Identifizierung mit Homo-, Bi- und Transsexuellen vorzugeben, um bestimmte Produkte, Personen, Länder oder Organisationen zu bewerben und dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken, haben wir mit Markus Ulrich, Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD), besprochen.
Herr Ulrich, der Pride Month ist vor wenigen Wochen zu Ende gegangen. Wie lautet Ihr Fazit?
„Der Pride Month wird immer bekannter und immer mehr Unternehmen nutzen den Termin im Juni, um sich beim Thema LGBTQ zu positionieren. Sei es mit eigenen Produkten, mit Events oder mit Statements wie dem realen beziehungsweise virtuellen Hissen der Regenbogenflagge. Die breite Debatte rund um den Umgang der UEFA mit der Regenbogenfahne bei der Fußball-Europameisterschaft beweist eine Sensibilisierung. Das gab es bei sportlichen Großereignissen vorher so noch nie. Was die Sichtbarkeit der Community in der Gesellschaft angeht, nicht nur im Sport, auch in der Werbung oder in der allgemeinen Berichterstattung, hat sich eine Menge getan. In politischer Hinsicht gilt das nicht unbedingt. Die Bundesregierung hinterlässt nach dem Ende der Sitzungsperiode eine sehr gemischte bis enttäuschende Bilanz, was den Einsatz für LGBTQ betrifft.“
Viele Unternehmen, darunter auch eine Menge Modefirmen, haben im Rahmen des Pride Month wieder mit der Regenbogenfahne geworben. Echte Solidarität oder reines Marketing?
„Was auffällt, ist, dass gerade Bekleidungsunternehmen das Gefühl zu haben scheinen, mit Pride-Kollektionen und dem Regenbogen Geld verdienen zu können. Darunter sind dann durchaus auch Firmen, deren Verhältnis zu Diversität auch über den Pride Month hinaus sehr glaubwürdig ist. Etwa durch eine klare Positionierung und ein aktives Eintreten für die queere Community in Statements, in der Werbung oder in den Kollektionen selbst oder auch durch finanzielle Unterstützung, wie eine Beteiligung an Verkaufserlösen. Aber natürlich gibt es auch viele Trittbrettfahrer, die nur das schnelle Geld wittern. Der Regenbogen ist ja ein allgemeines, nicht geschütztes Zeichen, was letztendlich jeder nutzen kann.“
Wie werden Pride-Kollektionen, Pride-Parfums und andere Produkte, die im Rahmen des Pride Month auftauchen, in der Community diskutiert?
„Die Entwicklung wird in der Community äußerst ambivalent betrachtet. Einerseits will man natürlich die Sichtbarkeit, und die Produkte – und hier vor allem die Individualität und Identität versprechende Mode – helfen dabei, sich sichtbar zu machen. Andererseits nimmt die Debatte um Pinkwashing aber auch seit Jahren immer mehr an Fahrt auf. Kommerzialisierung bedeutet letztendlich nichts anderes als eine Entleerung von politischen Zielen und eine kapitalistische Einverleibung von gesellschaftlichen Kämpfen um Anerkennung und Gleichstellung. Und es ist ja nicht gerade so, als hätte sich die Fashionindustrie in der Vergangenheit im Kampf um Gleichberechtigung und Fairness besonders hervorgetan. Mitunter wird das dann auch sehr absurd. Wir werden immer häufiger gebeten, Pride-Kollektionen über unsere Kanäle zu bewerben – auch in Fällen, in denen klar ist, dass die Community davon in keinster Weise profitiert. Von Seiten der Unternehmen wird noch nicht einmal gefragt, was sie für uns tun können.“
Kommunizieren Unternehmen im Vorfeld mit dem LSVD oder anderen Queer-Interessengruppen? Gibt es Zusammenarbeiten und, falls ja, in welcher Form?
„Ja, da tut sich recht viel. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die den Pride Month Juni für Spendenaktionen nutzen, etwa indem sie uns oder andere Organisationen aus der Queer-Community mit einem Anteil der Umsätze von Pride-Kollektionen finanziell unterstützen – und dass ohne die Erwartung von Gegenleistungen. Andere Firmen wiederum setzen ganzjährig auf Kollaborationen mit Organisationen, LGBTQ-Prominenten und Influencer*innen aus der Szene. Es geht dann gezielt darum, queere Belange fest und glaubwürdig im Markenselbstverständnis zu verankern. Hier trennt sich auch die sprichwörtliche Spreu vom Weizen.“
Solche Unternehmen entsprechen wahrscheinlich am ehesten Ihren Idealvorstellungen.
„Natürlich, wobei sich da auch immer noch die Frage stellt, was das Unternehmen nach innen gegen Diskriminierung tut.“
Wie kann sich die Community gegen Pinkwashing wehren? Gibt es erfolgreiche Beispiele?
„Social Media hat Unternehmen transparenter und öffentlich ansprechbarer gemacht, weshalb die Social-Media-Präsenzen von Unternehmen, die Pinkwashing betreiben, natürlich auch die idealen Plattformen sind, um Diskurse darüber öffentlich und reichweitenstark zu führen. Und diese Möglichkeit wird von der Community umfangreich genutzt. Öffentliche Kritik setzt Firmen unter Druck, ehrlicher zu agieren.”
Erhöht Flagge für queere Belange zu zeigen den sozialen Druck auf Firmen, auch weitere Schritte folgen zu lassen? Unterstützt der LSVD Unternehmen dabei, etwa durch Workshops?
„Mit dem Zeigen der Regenbogenfahne setzt man ein klares Zeichen und wird dann natürlich auch daran gemessen. Was die Unterstützung von Unternehmen seitens des LSVD betrifft, stehen wir bei Interesse natürlich beratend zur Seite. Allerdings liegt der Fokus unserer Arbeit nicht in diesem Bereich, und bislang werden wir hierzu auch eher selten angefragt.”
Was erwarten Sie von Unternehmen, die mit der Regenbogenfahne werben?
„Ich erwarte, dass sie sich nicht einfach ein politisches Symbol aneignen, weil es gerade so schön in den Kram passt. sondern mit der Nutzung der Regenbogenfahne eine klare Botschaft verbinden, die in der konkreten, sichtbaren und glaubwürdigen Unterstützung der LGBTQ-Community mündet.“