Autor: Markus Oess Anita Tillmann, Managing Director PREMIUM GROUP, lebt gern in einer globalisierten Welt, in der wir uns über große Distanzen und Zeitverschiebungen hinweg austauschen und zusammenarbeiten können. Aber die Managerin fordert mehr Zusammenhalt und weniger Konkurrenz. Tillmann im FT-Interview über Messen, Menschen und Marken – und warum die FFW auch international gesetzt sein wird.
FT: Anita, wenn du an Frankfurt denkst, was fällt dir als Erstes ein?
Anita Tillmann: „Frankfurt ist für mich unglaublich facettenreich: Die Stadt ist eine internationale Design- und Kulturmetropole mit einer herausragenden Kreativszene. Frankfurt ist kosmopolitisch und hat die internationalste Community Deutschlands. Frankfurt ist offen und das haben wir in den vergangenen Monaten immer wieder selbst gespürt. Die Stadt und ihre Menschen haben uns sehr herzlich empfangen.“
Wie sieht deine Vision für die FFW aus?
„Wir wollen die Idee einer Fashion Week in Frankfurt ganz neu denken und eine neue Experience für die Fashion Industry erschaffen. Die Branche ist bereit für einen Wandel – das haben die vergangenen Monate noch mal ganz klar gezeigt. Dafür kreieren wir in Frankfurt ein ganzheitliches Ecosystem aus Fachmessen, Konferenzen, Showcases und Events. Die FFW richtet sich an Fachbesucher und Fachbesucherinnen, Experten und Expertinnen, Interessierte und Endverbraucher und Endverbraucherinnen gleichermaßen. Durch die Kooperation und Coopetition von messe frankfurt und PREMIUM GROUP, aber auch dem gesamten Mode- und Textilmarkt sowie der Kreativwirtschaft entsteht ein Bündnis, das es in dieser Form noch nie gab. Einmalig und zeitgemäß – genau das, was die Branche für den notwendigen Restart braucht. Die Vision ist ganz klar, in Frankfurt einen Ort zu schaffen, an dem sich internationale Entscheider und Entscheiderinnen der Fashion- und Lifestylebranche treffen, um gemeinsam die Themen der Zukunft zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Dieses Jahr kann das leider noch nicht persönlich und vor Ort stattfinden – Corona hat uns allen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Unsere Vision möchten wir trotzdem verwirklichen, und zwar im FFW STUDIO. Das FFW STUDIO ist eine digitale Plattform, die unser Ecosystem abbildet. Auf unserer Website www.frankfurt.fashion werden wir Interessierten vom 5. bis 9. Juli in einem kuratierten Livestream zukunftsrelevanten Fashion-Content bieten. Das Ganze findet live statt und wird dann auch wie eine Video-on-Demand-Serie zu späteren Zeitpunkten abrufbar sein. Die inhaltlichen Leitmotive bleiben auch online die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung.“
Die FFW will die Fashion-Welt auf einer neuen Ebene zusammenbringen und auch die Verbraucher stärker einbinden. Was muss sich in der Modewelt auf internationaler Ebene ändern? „Weniger Konkurrenzgedanke, mehr Zusammenhalt. Wir haben das Glück, in einer globalisierten Welt zu leben – wir können uns über große Distanzen und Zeitverschiebungen hinweg austauschen und zusammenarbeiten.
Sind die Sustainable Development Goals, zu denen sich die Marken verpflichten sollen, im Markt schon angekommen, anders gefragt: Sind wir wirklich einen Schritt weiter?
„Momentan passiert in der Branche unglaublich viel im Bereich Nachhaltigkeit – das Bewusstsein ist da und es gibt immer mehr Lösungen und Innovationen. Wir wollen mit der FFW dabei helfen, dem Thema noch mehr Raum zu geben: Die Brands müssen sich nicht nur zu den SDGs verpflichten, sondern das Thema Nachhaltigkeit ist auch ein Leitthema aller Veranstaltungen und Events. Jede Brand der FFW muss sich zwangsläufig mit dem Thema beschäftigen und kann gleichzeitig zeigen, wie sie sich dem Thema annähert. Wir bieten eine Plattform des Austauschs – ich denke, das ist ein guter Anfang.“
Müssten dann nicht auch die Discounter und Fast-Fashion-Anbieter mit ins Boot geholt werden, die eben auch Teil der Wertschöpfung sind, oft aber auf Halde produzieren?
„Natürlich! Wir müssen dieses Thema als Branche zusammen angehen und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln. Wir wollen mit der FFW Vorreiter sein und alle dazu einladen, sich intensiver damit zu beschäftigen. Es führt kein Weg mehr daran vorbei – auch für Discounter und Fast-Fashion-Anbieter.“
Gerne denken wir in Kategorien und ordnen alles diesen unter. Passen die gängigen Verbraucherkategorien überhaupt noch in unsere Zeit oder müssen wir nicht neu denken, zum Beispiel Verbraucherwelten, zu denen die Menschen je nachdem anlassbezogen gehören und dann wieder weg sind, statt Menschen dauerhaft in Kategorien und Typen einzuteilen?
„Das ist ein spannender Gedanke. Schubladendenken war noch nie gut – momentan ist Zeit des Umbruchs. Sustainability, Digitisation, Diversity … All diese Themen finden endlich immer mehr Platz in der Branche. Jetzt wäre auf jeden Fall ein guter Zeitpunkt, um alte Muster zu hinterfragen und aufzubrechen!“
Bedeutet das dann auch, die Modewelt und die Wertschöpfung neu zu begreifen?
„Wertschöpfung ist ein guter Stichpunkt – Nachhaltigkeit ist ein fortschreitender Prozess, ein Weg, auf dem man sich immer wieder neue Ziele setzt. Sie geht entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette – angefangen beim Rohstoff, über das Garn und die Stoffe, über die Herstellung und die Färbung bis hin zum fertigen Produkt. Weiter geht es dann mit dem Transport, in den Store und bis nach Hause. Für jeden dieser Schritte gibt es aber schon tolle, nachhaltige Lösungen. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden. Wir müssen entscheiden, welche Prozesse bereits gut laufen und wo es Verbesserungspotenzial und Alternativen gibt – und wie wir diese nutzen können.“
Zu Ende gedacht haben wir dann keine Gerade vom Rohstoff über den Produzenten und Handel zum Verbraucher, sondern eine Kugel, in der sich die Verbindungen neu aufbauen?
„Ich würde eher von einem vernetzten Kreislaufsystem sprechen. Es muss unser Ziel sein, Kreisläufe zu implementieren und weg von den linearen Konzepten zu kommen. Nur so können wir unsere Umwelt und unsere Erde auf lange Sicht erhalten. Das ist der einzige Weg. Das mag sich drastisch anhören, aber so sehe ich es.“
Früher galt es als schwierig bis nicht rentabel, Endverbraucher auf B2B-Messen anzusprechen. Heute definiert die FFW mit The Ground eine neue Dimension. Warum ist das jetzt eigentlich möglich, was vor wenigen Jahren noch als nicht machbar galt oder nicht gewollt wurde?
„Den Wandel, über den wir hier sprechen, können wir nur gemeinsam mit Verbrauchern und Verbraucherinnen gestalten. Auf ihre Stimmen kommt es am Ende an. Das Konsumverhalten hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert – Endverbraucher und Endverbraucherinnen haben ein viel größeres Interesse daran, mitzudenken, mitzugestalten und mitzubestimmen, was sie tragen, woher die Kleidung kommt und wie sie gefertigt wurde. Umso wichtiger ist es, sie aktiv einzubeziehen – mit The Ground machen wir genau das. Es ist ein Business-to-People-Format, das Iconic Brands für eine zukunftsorientierte Zielgruppe zeigt und die komplette Wertschöpfungskette abdeckt – von Ingredient Brands über Direct-to-Consumer-Marken sowie herkömmlich distribuierten Denim-, Sneaker-, Lifestyle- und Performancelabels bis hin zu den Konsumenten und Konsumentinnen. Formate wie der Community Space und die Community Content Stage werden ganz neue Möglichkeiten bieten, Marken, Produkte und Prozesse in Szene zu setzen.“
Zum Schluss nenne mir bitte drei Gründe, warum das Format der FFW und ihr Besuch trotz aller Widrigkeiten durch COVID-19 auch international gesetzt sind.
„Business, Lifestyle und Kultur – in Frankfurt bündelt sich alles. Gemeinsam entwickeln wir radikal zukunftsweisende Konzepte mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Technologie, die die Branche neu prägen. Wir wünschen uns alle, endlich wieder persönlich zu networken, und zwar alle gemeinsam an einem Ort – diesen Wunsch erfüllen wir in Frankfurt. Die FRANKFURT FASHION WEEK wird der internationale Modebusiness-Hotspot, neu und nach vorne gerichtet. Wir freuen uns sehr darauf, im Januar endlich wieder persönlich zusammenzukommen. Bis dahin sehen wir uns virtuell im Juli im FFW STUDIO.“