Autorin: Yvonne Heinen-Foudeh Mit Teil eins der Serie in der FT-Februar-Ausgabe gab es Einblicke in den Status quo bei Elektromobilität und das Marktangebot bei Fahrzeugen und Fördermitteln. Inklusive Gelegenheit, zur virtuellen Probefahrt mit dem Mercedes-Benz EQC zu begleiten – eine Stärken-Schwächen-Analyse. Diesmal nehmen wir den vollelektrischen I-PACE aus dem Hause JAGUAR im Praxistest unter die Lupe.
Fakt ist: Elektrische und damit lokal emissionsfreie Mobilität erfordert Umdenken. „Das Nutzerverhalten ist eher wie beim Smartphone, das ich ja auch zu Hause oder am Arbeitsplatz in der Firma lade“, gibt Julio Lusadisu zu bedenken. Der Spezialist für Ladeinfrastruktur berät mit dem Team Privatkunden und Projekte in Europa und Übersee bei THE MOBILITY HOUSE in München. Das möglichst schnelle Laden ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Elektroauto beherrschen muss. Genau da trennt sich die Spreu vom Weizen. Viele Stromer können – sobald sie an Wechselstrom angeschlossen sind – nur die einphasige Variante des Nachtankens nutzen und somit nur ein Drittel der Möglichkeiten. So fließt nur durch eine statt drei Leitungen Strom, also statt maximal 22 Kilowatt theoretisch nur etwas mehr als 7 Kilowatt. Als Anbieter eines E-Fahrzeugs der ersten Stunde hat JAGUAR dies erkannt und seinen SUV I-PACE aufgepeppt. Dabei wurden gleich technische Schwachstellen ausgemerzt. Vor allem das dreiphasige Laden, das die Stromtankzeit an der heimischen Wallbox deutlich verkürzt, erhöht den Praxisnutzen.
Bei einer Testfahrt im dreisprachigen Königreich Belgien stellte sich heraus, dass dieser Stromer die volle Ladung an Vielseitigkeit und Luxus in sich trägt: Beim Start in der Stadt Lüttich (flämisch: Luik; deutsch: Lüttich) in den frühen Morgenstunden an einem sonnigen, aber kühlen Märzmorgen haben wir durchaus Lust, den Fahrzeuginnenraum auf gemütliche 22 Grad vorzuheizen – wohl wissend, dass das Reichweite kostet. JAGUAR verspricht für den I-PACE, inzwischen die zweite Generation, eine Reichweite von bis zu 470 Kilometern. Der erste Elektro-SUV war 2018 am Start, bestückt mit zwei E-Motoren (700 Newtonmeter) und einer 90-Kilowattstunden-Batterie (Gewicht: circa 603 Kilogramm; acht Jahre Werksgarantie). Wir wollen erleben, was die weiterentwickelte I-PACE-Neuversion draufhat.
Trotz der Tatsache, dass die Stadt Lüttich beschlossen hat, in ein Großprojekt zum Bau von Straßenbahnen als Verkehrsmittel zu investieren, was in der Tat mit Blick auf die Reduktion des CO2-Ausstoßes der beste, weil klimaschonendste Ansatz ist, gönnen wir uns eine kurze Stadtrundfahrt. Bevor wir auf die Autobahn E 42 wechseln, kommen wir am riesigen Palast der Fürstbischöfe am Place St. Lambert vorbei: Per Sprachbefehl weise ich das Navigationssystem für die rund 122 Kilometer lange Strecke zu unserem nächsten Ziel ein – die Autorennstrecke von Spa. Sie ist aktueller Austragungsort des Großen Preises von Belgien der Formel 1, der Renn-Elite bei hochgezüchteten Boliden mit Verbrennermotoren – noch. Kein Problem, schließlich zeigt die Reichweitenanzeige noch 420 Kilometer an. Um den WLTP-Wert zu erreichen, wäre viel Disziplin nötig, aber die Kraft der JAGUAR-eigenen Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse ist verlockend.
Komfortable Gelassenheit begleitet uns nicht allein aufgrund der E-Auto-typischen, kommunikationsfreundlichen Laufruhe, sondern auch aufgrund der Reichweite – durch die Kraftreserven. Mit so viel Punch in den Achsen fährt man automatisch entspannter. Und nachdem wir das Spiel mit der Rekuperation erst mal verinnerlicht haben (Verzögerung bis zu 4 m/s2), brauchen wir beim I-PACE auch kaum noch aufs Bremspedal zu treten.
Auf teils abenteuerlichen Nebenstrecken schließlich in den traumhaft schönen Ardennen genießen wir die wunderschöne Landschaft und überzeugen uns davon, dass der I-PACE auch holprige Steilstrecken mit einer Sicherheit erklimmt, die sich im Zweifel auch für den F-PACE (Verbrenner-Variante) mit der Performance der Schwester-Marke LAND ROVER messen kann.
Zwar werden auf der Rennstrecke von Spa-Francorchamps Testtage für Teams und Fahrer mit offizieller Lizenz organisiert, coronabedingt bleibt uns diese Option für diesmal jedoch verwehrt. Und so fahren wir am nächsten Tag, aktuell negativ getestet, über die Grenze auf der Europastraße E 40 ins „gelobte“ Automobil-Deutschland, das zumindest teilweise noch Autobahnfahrten frei von Tempolimits ermöglicht.
399 Kilometer später, mit riskant erscheinenden verbleibenden 15 Prozent Reststrom nun, will der JAGUAR nun aber erst mal gefüttert werden: An der Peripherie von Köln haben wir unsere Picknickrast im Grünen mithilfe des zuletzt verbesserten Infotainmentsystems unseren Stromers auf Samtpfoten geplant. An einer nahen 50-Kilowatt-Gleichstrom-Ladesäule dauert es knapp zwei Stunden, ehe die Stromspeicher des I-PACE der neuen Modellgeneration wieder voll sind. Das ist auch innerhalb von 40 Minuten machbar, wenn Sie zeitig eine Ladestation mit 100-Kilowatt-Gleichstromanschluss finden. Mit dem 7-Kilowatt-Wechselstrom-Heimladegerät dauert eine 80-prozentige Ladung hingegen zehn Stunden, ein weiteres Merkmal, das nicht weit von den TESLA-Modellen entfernt ist.
Jetzt heißt es durchstarten: Nicht um die Spitzengeschwindigkeit des EV von 200 Stundenkilometern auszuschöpfen, sondern um durch Beschleunigung beim Einfädeln auch sicherer unterwegs zu sein. JAGUAR schätzt, dass der I-PACE in nur 4,8 Sekunden von null auf 100 Stundenkilometer beschleunigt. Und er fühlt sich sogar noch schneller an dank der für E-Antriebe charakteristischen verzögerungsfrei verfügbaren Leistung aus dem Stand.
Angemessener Luxus-Quotient
Womit der I-PACE unsere Fahrt besonders komfortabel macht, liegt im Bereich der Luxusausstattung. Der Innenraum ist weit und luftig, in modernen Materialien gehalten, mit einem konventionellen ergonomischen Layout und selbsterklärenden Bedienelementen. Stimmiges Preis-Leistungs-Verhältnis (Listenpreis ab 73.351 Euro) also. Der hintere Sitzbereich ist bemerkenswert geräumig und bietet Platz für drei Erwachsene.
Doppeltes Podium
Am 12. April 2021 siegte JAGUAR in Rom in der Formel E, der Rennserie für Formelwagen mit Elektromotor, und setzte sich an die Spitze der Team- und Fahrerwertung. Sam Bird und Mitch Evans belegten auch die ersten Ränge in der Fahrerwertung. Obwohl beide JAGUAR-Piloten zu beiden Läufen nach Qualifikation in der ungünstigen ersten Trainingsgruppe nur von außerhalb der Top Ten starteten, zeigte der JAGUAR I-TYPE 5 eine überragende Rennleistung.