Autor: Markus OessVertrauen sei durch das Schutzschirmverfahren verloren gegangen, berichtet Christian Greiner, Inhaber und Aufsichtsratschef der Modekette WÖHRL mit Sitz in Nürnberg im FT-Interview. „Aber“, sagt er, „wir konnten das Markenportfolio neu aufsetzen und haben auch ein Trading-up hinbekommen. Heute führen unsere Filialen Marken, die es vor dem Neuaufbau nicht unbedingt in unsere Regale geschafft hätten.“ Der Neustart war gelungen, das Filialnetz wird auf Vordermann gebracht und auch digital sind die Franken ein Stück weiter. Greiner zieht Bilanz und berichtet, wie sich WÖHRL in Zeiten von COVID-19 schlägt. Er rechnet mit mehreren Saisons, bis sich die Branche davon erholen wird.
FT: Herr Greiner, wie weit ist WÖHRL auf dem Weg zum Multichannel-Anbieter und wo liegen die Schwerpunkte bei dem Shift dahin?
Christian Greiner: „Es gibt kein festes Zeitraster, das wir einfach so auflegen können. WÖHRL hatte schon vor dem Neustart unter meiner Führung diverse Versuche gestartet, etwa mit dem Curated-Shopping-Konzept ,My Style‘ oder der Übernahme des Webshops ,Herrenkontor‘. Doch die Ergebnisse waren unterm Strich nicht so, dass die Pläne weiterverfolgt wurden. Im Herbst 2019, als wir uns voll in der Aufbauphase befanden, haben wir endgültig beschlossen, den digitalen Schritt mit aller Nachdrücklichkeit zu gehen. Es sollte nicht der große Wurf werden, dafür hatten wir gar nicht die Mittel, sondern wir wollten organisch wachsen. Im ersten Quartal 2020 haben wir unseren Shop erfolgreich gelauncht und seitdem konstant aufgebaut und uns auch personell verstärkt. Parallel haben wir uns mit WÖHRL und auch U eins in den sozialen Medien neu aufgestellt. Seitdem haben wir die Follower auf Facebook und Instagram deutlich ausbauen können. Im Verhältnis zu anderen sind wir da zwar noch ein kleines Licht, aber das Wachstum ist sehr dynamisch und was noch viel wichtiger ist: organisch. Parallel dazu sind wir auf den Plattformen aktiv. Wir hatten vor der Pandemie den Plattformgedanken noch nicht konkretisiert, aber im Lockdown kam es dann sehr schnell auch hier zu Umsetzungsschritten, sodass wir digital und analog inzwischen recht eng verwoben haben. Der Versand erfolgt über unsere Häuser je nach Lagerbestand.“
Wie passen regional, heimatverbunden und digital zusammen?
„Ich sehe da gar keinen Widerspruch. Die Digitalisierung hat mittlerweile alle Teile der Gesellschaft und der Wirtschaft erreicht. Die Hürden für Endverbraucher sind sehr niedrig geworden, online zu shoppen. Auch bei Kunden, denen es wichtig ist zu wissen, von wem sie was kaufen. Andererseits müssen wir erst einmal abwarten, wie weit das Pendel wieder zurückschlägt, wenn wir endgültig aus dem Lockdown herauskommen, was sich ja nun auch abzeichnet. Ich bin gespannt, wo sich dann die Balance zwischen On- und Offline-Geschäft finden wird.“
Es gab jüngst mit dem Einkaufschef Thomas Rothe, der auch den digitalen Veränderungsprozess voranbringen soll, und mit dem Vorstand Martin Barzauner Neubesetzungen im Topmanagement. Kommen weitere Veränderungen auf WÖHRL zu?
„Nein, beides waren normale Nachbesetzungen. Herr Rothe kam für Jens Beukema, der sich beruflich neu orientiert hatte, und Herr Barzauner folgte auf Robert Rösch, der in den Ruhestand gegangen ist. Wir sind personell gut aufgestellt. Lediglich beim E-Commerce haben wir uns jüngst noch personell verstärkt.“
Wie weit sind Sie mit den Facelifts der Filialen und was sind die nächsten Schritte?
„Wir kommen gut voran und haben auch während des Lockdowns in unsere Filialen investiert. Inzwischen haben wir alle Häuser mit einem neuen Beleuchtungskonzept auf LED umgestellt. Das Ergebnis kann sich im wahrsten Wortsinn sehen lassen. Kunden haben uns teilweise sogar gefragt, ob wir neu eingerichtet hätten. Natürlich sparen wir damit auch massiv Energiekosten. Dafür wurden wir gerade im Nürnberger Stammhaus als ,energie.effizienz.gewinner‘ der Metropolregion Nürnberg ausgezeichnet.
Der Aus- und Umbau unseres Stammhauses in Nürnberg, der Ende 2022 abgeschlossen sein wird, ist aktuell eines unserer wichtigsten und spannendsten Projekte. Außerdem haben wir bis dato in München im OEZ, in Würzburg, Bayreuth, Amberg und auch in Magdeburg umgebaut. In Dresden hatten wir das Glück, direkt gegenüber dem alten Standort eine neue und deutlich effizientere Fläche beziehen zu können, die auch als Blaupause für künftige Expansionsschritte dienen soll. Leider kam kurz nach der Neueröffnung der erste Lockdown. Auch haben wir Ingolstadt auf Vordermann gebracht und neben unserer Filiale im Center eine autarke U-eins-Fläche eröffnet. Viele dieser Projekte haben wir mit recycelten Materialien für kleines Geld und sehr nachhaltig realisiert.“
Wie sieht es mit der Neuausrichtung innerhalb der Sortimente aus, gab es da Anpassungen?
„Ja klar. Unmittelbar nach dem Neustart mussten wir erst einmal Aufbauarbeit leisten, weil viel Vertrauen durch das Schutzschirmverfahren verloren war. Wir konnten das Markenportfolio aber neu aufsetzen und haben auch ein Trading-up hinbekommen. Heute führen unsere Filialen auch spannende Marken, die es vor dem Neuaufbau nicht unbedingt in unsere Regale geschafft hätten. Natürlich nicht flächendeckend, denn hier spielt die standortpolitische Vertriebspolitik immer eine wichtige Rolle.
Außerdem haben wir in Kooperation mit bioRe® eine komplett nachhaltige Eigenmarke gelauncht: WÖHRL – bioRe®. Wir bieten hier Womenswear, Menswear und Kidswear an. Preislich bewegen wir uns allerdings nicht im üblichen Einstiegssegment einer Eigenmarke. Das wäre auch der falsche Ansatz, denn dann ließen sich wirklich nachhaltige Produkte nicht fair herstellen. Bislang verzeichnen wir eine sehr gute Resonanz.“
Inwieweit hat Corona die Langfriststrategie des Unternehmens beeinflusst? Nach dem Neustart gab es schwarze Zahlen und der Umbau im Unternehmen nahm Gestalt an beziehungsweise wurde in Angriff genommen.
„Natürlich müssen wir Budgets und damit den Umfang der Maßnahmen sowie Zeitpläne anpassen. Aber im Kern hat sich an unserer Marschrichtung nichts geändert, denn wir denken langfristig. Natürlich hat sich COVID-19 gerade auf alle digitalen Bereiche wie ein Booster ausgewirkt.“
WÖHRL ist in verschiedenen Bundesländern präsent. Wie hatten Sie die Wochen der Öffnung erlebt? Was den Kampf gegen die Pandemie angeht – gibt es in den Bundesländern deutliche Unterschiede …?
„Durchaus, hier musste man sich stetig anpassen. Wir hatten im ersten Lockdown auch erfolgreich gegen die 800-Quadratmeter-Regelung geklagt. Generell wurden in Bayern viele Regelungen doch konsequenter durchgesetzt als in anderen Bundesländern, wo der Handel von einer gewissen Flexibilität profitieren konnte.“
Brauchen wir mehr Tübingens?
„Unbedingt, selbst wenn Dinge womöglich scheitern! Ohne den Mut, etwas auszuprobieren, werden wir uns in der augenblicklichen Situation kaum bewegen. Wir müssen uns, wo es möglich ist, über ,Trial and Error‘ vorwärtstasten – so kommt man oftmals auf neue und vielleicht sogar bessere Ideen. Tübingens OB Boris Palmer hat Mut bewiesen und das verdient großen Respekt. Der Staat wäre gut beraten, mehr auszuprobieren, und zwar auf allen Ebenen, in Großstädten genauso wie in kleineren Gemeinden. Was wir da an den meisten Stellen erleben, ist viel zu zögerlich.“
Wie viel hilft der Klageweg?
„Wir leben in einer Demokratie und der Klageweg steht jedem offen und das ist gut so. Hätten wir uns nicht gerichtlich gewehrt, wäre es vielleicht noch länger bei der unsinnigen 800-Quadratmeter-Regelung geblieben.“
Wie setzen Sie die Testpflicht für Arbeitnehmer um und mit welchen Mehrkosten rechnen Sie?
„Wir halten uns selbstverständlich strikt an die gesetzlichen Vorgaben. Eine Testpflicht für den Arbeitnehmer gibt es jedoch nicht. Wir als Arbeitgeber müssen das Angebot für Tests machen. Es besteht jedoch kein Zwang für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dieses Angebot anzunehmen.“
Sie haben den Vergleich zu LUDWIG BECK. München ist eine international beliebte Großstadt. Gerade für BECK ist die ausländische vermögende Kundschaft wichtig. WÖHRL dagegen präsentiert sich inmitten der Republik und des deutschen Alltags.
„Es stimmt, München ist internationales Reiseziel und lockt dadurch auch viel kaufkräftiges und kaufwilliges Publikum an. Natürlich kam der Tourismus zum Erliegen und auch für 2021 wurde gerade erneut das Oktoberfest abgesagt. Andererseits musste auch Nürnberg seinen Christkindlesmarkt oder weltweit relevante Messen absagen oder mussten viele Feriengebiete in Bayern auf wichtige Einnahmen verzichten. Ich denke, die Pandemie und ihre Folgen machen keine Unterschiede, jede Region hat da ihre individuellen Probleme.“
Wie ist WÖHRL aus dem vergangenen Jahr gekommen?
„Wir bewegen uns im Branchentrend und der sieht nun einmal ziemlich betrüblich aus.“
Wann rechnen Sie wieder mit einem Lauf auf Normalniveau?
„Es wäre toll, wenn ich einen Termin nennen könnte. Tatsache ist, dass wir nach dem ersten Lockdown schnell wieder Fahrt aufgenommen haben und die Geschäfte besser losgingen als erwartet. Wenn ich nach China, England oder die USA sehe, rechne ich fest damit, dass auch hierzulande der Konsum sehr schnell wieder anspringen wird. Die Menschen haben einiges nachzuholen und sind lebenshungrig. Davon werden wir profitieren. Ich hoffe auch, dieser Effekt hält möglichst lange an, denn irgendwann wird er sich zwangsläufig abnutzen und wir sind wieder drin im business as usual. Bis sich die Branche jedoch von diesem schweren Schlag erholen wird, dürfte es noch mehrere Saisons dauern.“
Hintergrund
Christian Greiner hatte im Frühjahr 2017 das operative Geschäft der angeschlagenen Handelskette WÖHRL in Form eines Asset Deals übernommen. Er ist der Sohn des Unternehmers Hans Rudolf Wöhrl und auch Vorstand der LUDWIG BECK AG. WÖHRL musste im Herbst 2016 Insolvenz anmelden. Bereits mit der ersten Bilanz vom 31. Juli 2017 wies die Unternehmensgruppe WÖHRL nach eigenen Angaben einen kleinen Überschuss aus. Seither hat das Management unter Einhaltung eines strikten Kostenmanagements am Umbau und der Neuausrichtung gearbeitet. Auch das Filialnetz wird nach und nach auf Vordermann gebracht. Zudem soll die Digitalisierung vorankommen. So wurden nach dem Neustart 2020 ein neuer Online-Shop gelauncht und die Aktivitäten in den sozialen Medien neu aufgestellt.
In Dresden hat das Unternehmen ein neues Haus eröffnet, das als Blaupause für künftige Expansionsschritte dienen soll. Auf rund 3.800 Quadratmetern und auf zwei Etagen bietet WÖHRL ein breites Sortiment hochwertiger Damen- und Herrenbekleidung in einem modernen Ambiente. Zu den Marken, die neu ins Sortiment aufgenommen wurden, zählen LACOSTE, HUGO BOSS, Calvin Klein, JOOP!, GANT, M.O.P, PARAJUMPERS und NAPAPIJRI. Am neuen Standort sind 35 Menschen beschäftigt. Das Innendesign stammt vom Kölner Store-Designer Jochen Königshausen.
Dresden: Blaupause für künftige Expansionsschritte