„LGBT-Personen werden instrumentalisiert“

Kirgistan

Aktivist Maksat Eraaliev küsst seinen damaligen Freund auf der LGBT Pride in Trier 2019: Dass er dabei den traditionellen kirgisischen Hut Kalpak trägt, schlägt in Kirgistan große Wellen. Der Vorfall wird sogar im Parlament der Hauptstadt Bischkek diskutiert. ©Nurbek Omurov

Maksat Eraaliev ist ein bekannter LGBT-Aktivist aus Kirgistan. Inzwischen lebt er, Model und Student, in Deutschland, engagiert sich aber weiter gegen die Homophobie in seinem Heimatland. Mit FT sprach er über die Lebensrealität homosexueller Personen und die Modebranchen in Kirgistan und Russland.

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Maksat Eraaliev auf einem Runway der Fashion Week in Kirgistan im Jahr 2015 ©Fashion Week Kirgistan

FT: Maksat, du kommst aus Kirgistan, einem kleinen Land an der Grenze zu China, und hast dort als Model gearbeitet. Wie kam es dazu?
„Ich bin in Bischkek, der Hauptstadt von Kirgistan, geboren. Models gibt es nur in den großen Städten. Grundsätzlich ist es eher ein Hobby als ein richtiger Job, weil es sehr schlecht bezahlt wird. Für Mode habe ich mich schon sehr früh interessiert. Wir Kirgisen lieben es, uns schön anzuziehen. Mit 15 Jahren bin ich auf eine Model-Schule gegangen und habe dann in meinen Teenagerjahren auch als Model gearbeitet – bis meine Eltern mich baten, damit aufzuhören. Sie dachten, es könnte sich negativ auf meine Schulbildung auswirken. Der Beruf des Models ist nicht besonders beliebt in meinem Land, insbesondere für Männer. Die geläufige Meinung ist, dass er den Frauen vorbehalten sein sollte. Also habe ich ein paar Jahre pausiert und erst wieder als Student damit angefangen.“

Wieso hast du dich entschlossen, Kirgistan zu verlassen und nach Deutschland zu kommen?
„Ich wollte weiterstudieren – da gab es in Deutschland einfach die besseren Möglichkeiten. Der noch wichtigere Grund: die Homophobie in meinem Heimatland. Ich lebe erst seit drei Jahren offen schwul, das ist in Kirgistan nicht ungefährlich. Ich habe mich zuerst nur vor Freunden geoutet. Kurz darauf wurde ich dann in mehrere Angriffe verwickelt, einmal sogar verprügelt. Danach war mir klar, dass ich nicht länger in einem Land leben kann, in dem ich mich nicht mehr sicher fühle.“

Steht denn deine Familie zu dir?
„Als ich mich vor ihnen outete, baten sie mich, niemandem davon zu erzählen, weil sie sich schämten. Sie unterstützen mich als Sohn, aber nicht als homosexuelle Person.“

Wirst du in Kirgistan politisch verfolgt? Ist es dort generell gefährlich für Mitglieder der LGBT-Community?
„Man wird aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht verhaftet. Trotzdem verstecken alle ihre Homosexualität vor der Polizei. Man muss zum Beispiel sehr vorsichtig sein, wenn man eine Dating App benutzt. Polizisten legen Fake Accounts an, um Schwule zu kontaktieren und sie anschließend erpressen zu können. Dahinter steckt Methode. Was mich persönlich betrifft: Ich bin in meiner Heimat ziemlich bekannt. Erst mal, weil ich einer der wenigen Kirgisen bin, die offen schwul leben. Hinzu kommt, dass ich Polit- und LGBT-Aktivist bin. Daher ist es für mich ziemlich gefährlich, in meine Heimat zurückzukehren.“

„Ich lebe erst seit drei Jahren offen schwul, das ist in Kirgistan nicht ungefährlich.“

Wie ist die aktuelle politische Situation in Kirgistan?
„Es wird gerade zu einem autokratischen Land. In seiner 30-jährigen Geschichte gab es drei Revolutionen, jedes Mal wurde der aktuelle Präsident gestürzt, so auch im letzten November. Jeder neue Präsident ändert die Verfassung des Landes. Interessant ist, dass einer der Hauptgründe dafür wir waren – LGBT-Personen werden in Kirgistan instrumentalisiert und kriminalisiert. Vor jeder Wahl gibt es sehr viele homophobe Aktionen und man möchte die progressiven Bürger und ihre politischen Ziele diskreditieren.
Dazu kommt die religiöse Komponente. Eigentlich haben wir in Kirgistan unsere eigene Religion. Sie heißt Tengrismus und ist eine Form des Schamanismus. Während der Zugehörigkeit zur UdSSR wurden wir aber mehr und mehr islamisiert und in den letzten zehn oder zwanzig Jahren hat die Islamisierung noch einmal zugenommen. Im Zuge dessen ist auch der Level der Homophobie in Kirgistan angestiegen.“

Maksat spielt auf seinen Bildern gern mit kirgisischer Folklore – was ihm auch immer wieder den Hass von Traditionalisten einbringt. ©Anna Cherrno (Instagram: @annacherrno)

Ein Problem, das es in vielen Ländern gibt, die stark vom Islam geprägt sind. Aber auch in eurem Nachbarland Russland ist die Homophobie stark ausgeprägt. Lass uns über das „Gay Propaganda Law“ sprechen, das Wladimir Putin im Jahr 2013 in Russland installiert hat. Gibt es ein ähnliches Gesetz in Kirgistan?
„Nein, aber Kirgistan und Russland haben eine gemeinsame Geschichte. Ende des 19. Jahrhunderts wurden wir von Russland kolonialisiert. Bis heute sind wir unter einem starken Einfluss der russischen Politik und Medien. Dazu gehört auch die Homophobie. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Heirat, das in dem „Gay Propaganda Law“ eine wichtige Rolle spielt.

Ich weiß nicht, wie das in Russland ist, aber in der kirgisischen Verfassung war früher festgelegt, dass eine Hochzeit zwischen zwei Erwachsenen erlaubt ist. Im Jahr 2016 haben wir eine neue Verfassung bekommen, in der dann stand, dass eine Heirat nur zwischen Mann und Frau erlaubt ist. Du siehst also, dass das „Gay Propaganda Law“ inzwischen auch die kirgisische Realität prägt, um die LGBT-Community zu demoralisieren.“

Was steckt denn deiner Meinung nach wirklich hinter dem „Gay Propaganda Law“?
„Vordergründig rückt man die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau in den Mittelpunkt, um Familien zu stärken. Was wirklich dahintersteckt: Man möchte von den schwerwiegenden politischen und wirtschaftlichen Problemen des Landes ablenken und diskreditiert dazu LGBT-Personen.“

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Aber es gab doch bestimmt auch schon vorher Homophobie in der russischen und der kirgisischen Gesellschaft. Wie sieht das in den Modebranchen der beiden Länder aus, in denen ja viele Menschen aus der LGBT-Community arbeiten? Wie hat sich hier das „Gay Propanganda Law“ ausgewirkt?
„In Kirgistan ist die Mode definitiv traditioneller geworden. In Russland verstecken viele der älteren Designer immer noch ihre Homosexualität. Die junge Generation geht allerdings vermehrt offen mit ihrer sexuellen Orientierung um – wie zum Beispiel der Fashionblogger Andrey Petrov. Er wurde dafür allerdings schon sehr oft körperlich angegriffen.“

Ich habe ein Zitat des russischen Modejournalisten Sascha Amato gefunden: „Russian fashion is limited by its political and economic problems.“
„Ja, das sehe ich auch so. Um Mode zu machen, brauchst du als Allererstes ein Netzwerk wie zum Beispiel Investoren, die Presse und die Offiziellen. Wenn das politische Narrativ gegen die Homosexuellen ist, dann wird es schwierig. Kein Investor traut sich, Geld in deine Mode zu stecken, wenn du gay bist. Daher verstehe ich die Designer, die sich nicht outen. Sie haben Angst, ihre Karriere und damit ihr Leben zu ruinieren. Es gibt in Russland ein paar sehr berühmte Sänger, bei denen ich mir zu 100 Prozent sicher bin, dass sie schwul sind. Aber die würden sich niemals offiziell outen. Wenn sie es täten, könnten sie nie wieder in der russischen Musikbranche arbeiten.“

Du hast bereits gesagt, dass sich auch in Kirgistan wenige Homosexuelle outen …
„Genau, denn das ist fast unmöglich. Du wirst beispielsweise gekündigt, wenn dein Arbeitgeber herausfindet, dass du homosexuell bist. Das kann man auch auf die Fashionindustrie übertragen: Wer sich outet, fliegt raus. Ich kann dir eine wirklich harte Geschichte erzählen, die mit der #metoo-Kampagne zu tun hat. Der Chef einer großen Modelagentur missbrauchte seine jungen männlichen Klienten. Seinen Namen möchte ich hier nicht nennen, um die Opfer zu schützen. Er hat ganz klar seine Machtposition ausgenutzt, indem er Sex für die Vermittlung von Jobs gefordert hat – vorher hat er seine Opfer noch betrunken gemacht …“

Und er arbeitet immer noch und hat keine Repressalien erfahren?
„Ja, er arbeitet unbehelligt weiter. Ein Grund dafür ist, dass die Models, die er missbraucht hat, nicht offen schwul leben. Dazu kommt die Situation mit der kirgisischen Polizei, von der ich bereits gesprochen habe: Wer den Mann bei der Polizei anzeigt, würde sich damit quasi outen und dann von ihr erpresst werden. Diese Models tun mir furchtbar leid, weil sie keine Chance haben, sich zu wehren. Der Agenturchef ist ja eigentlich selbst Opfer des homophoben Systems. Trotzdem nutzt er seine Macht, um andere zu missbrauchen, und macht sich damit mit dem System gemein.“

Sind solche Geschichten der Grund, warum du Aktivist geworden bist?
„Im Alter von 23 Jahren habe ich angefangen, mit anderen Männern aus der Schwulenszene zu kommunizieren. Zu dieser Zeit wurde ich zu einem LGBT-Meeting eingeladen. Besonders interessiert haben mich die Storys von den anderen aus der Community. Im Vergleich zu ihnen ist meine Geschichte wirklich viel besser: Ich bin in der Großstadt aufgewachsen, meine Eltern sind Intellektuelle … Darum war es für mich leichter, mich in die LGBT-Community zu integrieren.

Die Geschichten der Leute vom Land haben mich traurig gemacht und mir meine Privilegierung gezeigt. Viele von ihnen werden von den Eltern gezwungen zu heiraten. Daher habe ich mein Standing genutzt, um den Menschen zu zeigen, dass es okay ist, gay zu sein! Die Menschen in Kirgistan denken nämlich, dass es unnatürlich ist, wenn man schwul ist. Dass man aufgrund des schlechten Einflusses von Europa homosexuell wird.“ (lacht)

„Wer sich outet, fliegt raus.“

Mode als Teil des Aktivismus: Maksat Eraaliev überwindet in den Bildern auf seinem Instagram-Account Geschlechterrollen.
©Sophia Raskina

Du hast einen Instagram-Account, auf dem du sehr offen mit deiner schwulen Identität spielst.
„Ja, ich präsentiere dort Fotos von mir, die sagen sollen: Wenn du als Mann Lust hast, Damenunterwäsche zu tragen oder deine Nägel zu lackieren, dann kannst du das tun! Als ich mit meinem Aktivismus anfing, hat das bei vielen Menschen Hass provoziert, sie wünschten mir den Tod und andere schlimme Dinge.

Aber davon habe ich mich nicht abhalten lassen. Eine meiner wichtigsten Aktionen war im Jahr 2019. In Kirgistan tragen die Männer traditionelle Hüte, sie heißen Kalpak. Ich trug so einen Kalpak auf einer LGBT Pride in Trier, wo ich seit 2018 lebe, und habe dort meinen damaligen Freund geküsst. Davon gibt es ein Bild, das bei Facebook gepostet wurde. Darauf erfolgte eine Art Shitstorm, obwohl mich auch einige Leute unterstützt haben. Das Ganze schlug so viele Wellen, dass das Foto sogar im kirgisischen Parlament diskutiert wurde. Auch die Medien haben furchtbare Dinge über mich geschrieben, zum Beispiel, dass ich die traditionelle Kleidung beschmutze. Als hätte ich nicht das Recht, einen Kalpak zu tragen! Das zeigt sehr gut, wie lächerlich dieses System ist. Im Endeffekt hat mich das Foto zu einem der bekanntesten LGBT-Aktivisten in Kirgistan gemacht.“

Mode ist definitiv Teil deines Aktivismus.
„Ja, absolut! Ich liebe Schönheit: die Schönheit der Natur, des Universums, von allem. Sie hilft mir, das Leben zu genießen, mich auszudrücken. Daher möchte ich auch meine Homosexualität über die Schönheit zeigen. Das Ganze ist eine Art Prozess: Wir leben immer noch im Patriarchat, denken, dass Männer Anzüge und Frauen Röcke tragen sollen. Dagegen möchte ich protestieren. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sie ist bunt! Man sollte sich mehr auf seine Gefühle verlassen. Und wenn man als Mann Lingerie tragen möchte, warum nicht?! Es ist nämlich sehr gut für die mentale und emotionale Gesundheit, sich selbst treu zu sein. Hast du schon mal von Gestalttherapie gehört? Wenn du deiner Gestalt sehr nahe bist, dann bist du glücklich und kannst dein Leben genießen. Und Mode macht dich stark und selbstbewusst. Wenn ich trage, was ich will, fühle ich mich einfach besser.“

Welche Bürgerrechte?

Maksat Eraaliev ist ein bekannter LGBT-Aktivist aus Kirgistan. Der 29-Jährige ist Model, Student und lebt seit drei Jahren in Trier, wo er Ökologie studiert. Seine Heimat Kirgistan liegt in Zentralasien und ist eine frühere Teilrepublik der UdSSR. Bis heute ist das patriarchalisch und islamisch geprägte Land gesellschaftlich wie politisch stark beeinflusst von seinem Nachbarn Russland. Nach der manipulierten Parlamentswahl im Oktober 2020 kam es zu Massenprotesten, im Januar dieses Jahres erfolgten Neuwahlen. Sadyr Schaparow ist seither Präsident von Kirgistan. Nach einem Referendum gab es kürzlich eine Verfassungsreform, die eine Wiedereinführung des Präsidialsystems nach sich zog. Menschenrechtsaktivisten hatten bereits im Vorfeld der Wahl die Befürchtung geäußert, dass nun grundlegende Bürgerrechte der Kirgisen in Gefahr sind.