Erholung für 2022 erwartet

Nachgefragt

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Autor: Markus Oess
Russland­ – und weiter? FT hat Topmanager der deutschen Markenindustrie befragt, wie es aktuell läuft im größten Land der Welt für ihre Marken. Wie sehen die Pläne aus und was macht der Markt und wie geht es voran mit dem so wichtigen E-Commerce? Antworten geben Jochen Digel (DIGEL), Lür Holler (pierre cardin), Frederick Westermann (ROY ROBSON) und Marc Freyberg (BRAX).

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FT: Welchen Stellenwert hat Russland für die Marke?

Jochen Digel, Vorstand Digel AG ©Digel AG

Jochen Digel, Vorstands-Chef DIGEL: „Nach wie vor einen relativ hohen. Zwar ist es für uns nur noch Exportmarkt Nummer drei, allerdings haben wir nach wie vor eine eigene OOO (entspricht einer GmbH) vor Ort und viele langjährige Partnerschaften. Sowohl markentechnisch als auch preislich präsentieren wir uns in Russland eher an dem oberen Limit von unserem Spektrum bei DIGEL. Es gibt aber ein separates Baukastenlager in Moskau mit 24-Stunden-Lieferung, analog Deutschland.“

Lür Holler, Geschäftsführer pierre cardin: „Russland stellt für uns einen zentralen Part dar. Sowohl in unserer internationalen als auch in unserer osteuropäischen Strategie. Die Marktgegebenheiten sind speziell und anspruchsvoll und müssen in der Vertriebsorganisation und im Produkt abgebildet sein. Speziell in der Herbst/Winter-Saison hat das Produkt einen zentralen Stellenwert, da wir in Russland extreme klimatische Komponenten haben, die es beeinflussen. Aufgrund dieser Sonderstellung des Marktes in Bezug auf das Produkt benötigen wir ein gewisses Mengenvolumen, um gezielt und marktgerecht agieren zu können.“

Frederick Westermann, Geschäftsführung ROY ROBSON: Wir sind seit vielen Jahren in diesem Markt tätig und erzielen hier einen nicht unwesentlichen Teil unserer Umsätze in jeder Saison. Daher wird in vielerlei Hinsicht ein besonderes Augenmerk auf diesen Markt gelegt. ROY ROBSON hat sich im russischen Markt über viele Jahre eine hohe Markenbekanntheit erarbeitet, auch die Kollektionsbreite ist hier eine andere als in vielen anderen Exportmärkten.“

Marc Freyberg, Geschäftsführung BRAX: „Russland ist für BRAX ein sehr wichtiger Markt. International gesehen liegt Russland unter den Top 5 unserer Auslandsmärkte.“

Wie hat sich Russland im vergangenen Jahr entwickelt, wie sehen die Planungen in diesem Jahr aus?

Lür Holer, Geschäftsführer pierre cardin ©Ahlers AG

Lür Holler: Russland hatte aufgrund der Pandemie ebenfalls Einschränkungen im stationären Handel. Center wurden zweitweise geschlossen, sodass von diesen Restriktionen auch der eigene Retail betroffen war. Trotzdem konnten wir weiter in unser Partner-Konzept investieren und 2020 zwei neue Monobrand Stores in Krasnoyarsk und Krasnodar eröffnen. Diese neuen Flächen sowie ein stabiler Umsatz im Wholesale-Segment haben uns 2020 positiv abschließen lassen. 2021 planen wir weitere Partnerstore-Eröffnungen. Zudem fokussieren wir uns konsequent auf das Thema Online. Hier werden wir die Partnerschaften mit den Top 3 Pure Players Wildberries, Lamoda und OZON weiter ausbauen.“

Frederick Westermann: „Auch wir mussten in den letzten Jahren einen leichten Umsatzrückgang in diesem wichtigen Markt hinnehmen. Trotz aller Widrigkeiten ist es uns gelungen, die Umsätze bereits jetzt wieder zu stabilisieren, sodass wir davon ausgehen, dass wir bis zum Jahresende auch wieder Umsatzsteigerungen für diesen Markt verzeichnen können.“

Marc Freyberg: „Im Jahr 2020 wurden coronabedingt natürlich Korrekturen an den Planwerten vorgenommen. Wir konnten das Jahr erfreulicherweise aber besser abschließen als erwartet. Die Frühjahr/Sommer- und Herbst/Winter-Orders 2021 sind ebenfalls besser ausgefallen als geplant. Wir verfolgen auch in Zukunft den Weg der selektiven Distribution, der für uns seit Jahren sehr erfolgreich ist.“

Jochen Digel: Auch hier merken wir natürlich die Corona-Effekte. Zuvor war es ein absolut stabiler Markt für uns mit Kunden quer durch das riesige Land in unterschiedlichen Städten bis hin nach Sibirien oder an die chinesische Grenze. Aber aufgrund von Corona gehen wir auch hier von einem Einbruch unserer Orderzahlen in 2021 aus und einer Erholung in 2022 analog anderen Märkten.“

Was läuft in Russland besonders gut?

Frederick Westermann, Geschäftsführung Roy Robson ©Roy Robson

Frederick Westermann: Die besten Zuwächse und Ergebnisse werden in Russland im Bereich der Casual Wear verzeichnet, aber auch unsere neuen sportlichen und casualisierten Sakkos und Anzüge sorgen für gute Zahlen in diesem Markt. Insgesamt gefällt in diesem großen Markt, was einem neuen modernen Look entspricht.“

Marc Freyberg: „Das gesamte BRAX-Sortiment mit all seinen Produktgruppen ist in Russland sehr erfolgreich. Herausstellen kann man unsere Outdoor-Produkte, die im Winter extrem erfolgreich sind. Italienisches Design mit deutscher Passform kommt sehr gut an. Auf dem russischsprachigen Markt ist Knitwear ebenfalls ein Erfolgsbaustein. Innerhalb unserer Herbst/Winter-2021-Kollektion kamen ‚BRAX LAB‘ und ‚Smart Lounge‘ sehr gut an.“

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Jochen Digel: „Bei DIGEL ist es die Klassik, wobei unsere Kunden mittlerweile auch auf breiter Front unser City Casual dazukaufen, nahezu auf jedem Auftrag.“

Lür Holler: „Auch in Russland kann man selbstverständlich von einer Casualisierung sprechen. Da wir in Russland sehr stark über eigene Stores und Partnerstores distribuiert sind, wird pierre cardin beim Konsumenten als gehobener Total-Look-Anbieter verstanden. Daher hat in Russland der formale Anzug immer noch seine Berechtigung, wobei auch hier in den letzten Jahren ein signifikanter Rückgang zu beobachten ist. Hosen und Jacken stellen für uns immer noch die beiden wichtigsten Produktgruppen dar.“

Welche Besonderheiten zeichnen den russischen Markt aus?

Lür Holler: „In Russland haben internationale Brands einen hohen Stellenwert. Da Russland keine europäischen High Streets kennt, sondern der Konsum meist in Malls stattfindet, haben viele Marken vor Ort ein großes Netz an Monobrand Stores in den vielen modernen Malls. In den großen Städten gibt es einige Department Stores, die jedoch eher lokal agieren. In den letzten Jahren hat auch in Russland der E-Commerce stark zugenommen. Einige Player aus Europa sind vom Markt verschwunden (Quelle), jedoch haben sich zwei bis drei große neue Pure Player vor Ort entwickelt. WILDBERRIES bezeichnet sich als größter russischer Anbieter und wird von LAMODA, einem Projekt der zalando-Investoren, gefolgt. Aufgrund der großen Distanzen im Land hat der E-Commerce erst in den letzten fünf Jahren richtig am Markt teilgenommen und ist aktuell im Bereich Fashion einer der größten Treiber.“

Jochen Digel: „Um es einfach zu sagen: Blau. Interessanterweise sind von zehn verkauften Teilen mindestens acht blau. Im Einzelhandel gibt es kleinere erfolgreiche Ketten, jeweils mit regionalen Schwerpunkten wie Sankt Petersburg oder Moskau, im Prinzip ähnlich wie bei uns. Da sich aber viel in Centern abspielt und weniger in Innenstädten, sind es oft auf die Quadratmeter gesehen auch kleinere Formate, weniger die familiengeführten 2.000-Quadratmeter-plus-Häuser wie bei uns.“

Marc Freyberg, Geschäftsführung BRAX ©BRAX

Marc Freyberg:Ich würde sagen, der gesamte Einzelhandel wird immer professioneller. Konzepte mit einem klaren Sortimentsprinzip sind auf dem Vormarsch.“

Frederick Westermann: Für den russischen Markt sind besonders die Kollektionsneuheiten sehr wichtig. Trends werden von den Kunden besser bewertet und gekauft als NOS-Artikel. Der Kunde in Russland legt großen Wert auf Qualität und Marke, trotzdem ist ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis auch in diesem Markt unerlässlich und wird von den Käufern als eines der wichtigsten Einkaufskriterien gesehen. Darüber hinaus ist für den russischen Kunden eine Bedienung im Store fast schon Bedingung für den Einkauf. Selbstbedienung – auch in größeren Department Stores – ist ein No-Go. Dieses Einkaufsverhalten ist ein großes Plus für ROY ROBSON – durch gezielte Schulungen der Verkäufer können wir hier gute Abverkaufsquoten generieren. In Russland bestimmen Einkaufszentren das Stadtbild – gleich ob Department Stores oder inhabergeführte Geschäfte, alle befinden sich in den großen Einkaufsmalls der Städte.“

Gibt es einen Masterplan für das Wachstum? Soll das Wachstum durch eigenen Retail erfolgen oder über den Wholesale? Welchen Stellenwert hat dabei der E-Commerce?

Frederick Westermann: Der beste Garant für eine organische Expansion ist eine marktgerechte Kollektionsentwicklung. Durch unsere langjährige Erfahrung und den guten direkten Draht zu unseren dortigen Partnern sind wir in der Lage, eine marktstarke Kollektion mit großer Nähe zu den Wünschen der Kunden herauszubringen. So können wir das Wachstum nachhaltig vorantreiben. Eigene Stores sind derzeit nicht in Planung, wir setzen auf unsere langjährigen Kontakte zu den wichtigsten Händlern im Land und möchten diese weiter stetig ausbauen und somit durch gezielte Aktionen mit unseren Handelspartnern weitere Marktanteile sichern.“

Marc Freyberg: „Wir verfolgen weiterhin den Weg der selektiven Distribution mit einer intelligenten Akquisition. Das hat in den vergangenen Monaten sehr gut funktioniert, auch wenn wir wegen Reisebeschränkungen nicht vor Ort sein konnten.“

Jochen Digel: „Wir setzen stark auf den Wholesale, analog unseren anderen Märkten. Eigenen Retail planen wir keinen, es gibt aber auch von uns aus Franchise Stores. Spannend wird sein, inwiefern sich auch hier Märkte verschieben – wie stark wird die Klassik sein, wie ändern sich Business- und Anlassmode im Herrenbereich und so weiter? In einem so großen Flächenland spielt logischerweise auch Online mehr und mehr eine Rolle, allerdings auch hier über Wholesale-Kunden oder Plattformen. Einen eigenen Online-Shop planen wir in naher Zukunft in Russland nicht.“

Lür Holler: Wir wollen weiter mit Partnerstores an guten Standorten wachsen und Wholesale-Partnerschaften gezielt ausbauen. Zudem wollen wir auch über neue Kooperationen nachdenken, um neue Potenziale zu forcieren. Hier sehen wir weiteres Wachstumspotenzial, unter anderem bei den oben genannten Pure-Play-Partnern WILDBERRIES und LAMODA. E-Commerce und Partnerstores werden für uns 2021 und 2022 die beiden wichtigsten Themen darstellen, denen wir unsere volle Aufmerksamkeit schenken werden.“