Die Corona-Zeit ist vor allem durch Sorgen geprägt – um die Gesundheit und für viele auch um die Existenz. In den Monaten der Isolation haben deshalb viele zwangsläufig verlernt, auf andere zu schauen. Die Pandemie verlangt uns trotzdem immer wieder viel Solidarität ab, die sich vor allem im Verzicht äußert. Der bringt uns nicht selten an unsere Grenzen, emotional wie finanziell.
Auch die Modebranche hat das Virus hart getroffen: Labels haben ihre Produktionen runtergefahren, Messen finden nicht statt und der stationäre Einzelhandel hat seit Mitte Dezember wenig beziehungsweise gar keinen Umsatz gemacht. Die Winterware türmt sich dementsprechend in den Lagern und erst ganz langsam wieder dürfen Händler unter strengsten Lockerungsvorgaben öffnen.
Vor einigen Wochen machte Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband des Textileinzelhandels, seinem Ärger über den Endloslockdown und seine Folgen in der Rheinischen Post Luft. Davon, dass den Händlern nicht mehr viel bliebe, als ihre Ware in Rabattschlachten mit Preisnachlässen von bis zu 90 Prozent zu verramschen, war die Rede, von einer halben Milliarde Artikeln, die jetzt, kurz vor Frühlingsanfang, nicht mehr zu annehmbaren Preisen verkauft werden könnten und damit täglich an Wert verlören.
Ein paar Hundert Kilometer von Berlin entfernt hingegen, in den Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Lesbos oder im französischen Calais, leben Menschen, für die diese Ladenhüter das Überleben sichern könnten. Hier fehlt es an allem, vor allem an warmer und wetterfester Kleidung. Wäre es nicht toll, wenn man im Lichte einer Art europäischer Solidarität diesen vergessenen Menschen die Kleidung spenden würde, bevor man sie im Schredder vernichtet? Wenn es mal so einfach wäre …
Das Verteilen von Sachspenden ist in Deutschland nämlich, wie so vieles andere, streng reglementiert – und dazu auch noch kostenintensiv. Bislang wird bei Warenspenden von Unternehmen grundsätzlich Umsatzsteuer auf einen fiktiven Einkaufspreis oder Wiederbeschaffungswert erhoben. Das ist schon zu normalen Zeiten schwer hinnehmbar, derzeit aber eine Katastrophe. Es kann nämlich einfach nicht sein, dass es für die betroffenen Einzelhändler günstiger ist, Tonnen von Neuware zu vernichten, als sie Bedürftigen zu spenden!
Eine Auflösung dieses Dilemmas ist allerdings in greifbare Nähe gerückt: In einigen Pressemeldungen vom Ende letzten Monats wurde berichtet, dass der Finanzminister Olaf Scholz Warenspenden durch einen befristeten Verzicht auf die Umsatzsteuer erleichtern möchte. Das Bundesfinanzministerium bestätigte auf Nachfrage, dass von den Ländern inzwischen tatsächlich diese Aussetzung der Umsatzsteuer auf Sachspenden von Einzelhändlern entschieden wurde, man arbeite derzeit mit Hochdruck an letzten Auswertungen, damit diese Regelung schnellstmöglich in Kraft treten könne.
Das ist doch mal was! Genau solche Entschlüsse bringen eine Dynamik in die Krise, wie sie in vielen Bereichen längst überfällig ist. Die Pandemie illustriert immer wieder sehr anschaulich, aber auch schmerzhaft, wie sich eine um Lösung ringende Regierung im Dickicht überbordender Bürokratie verheddert. Viel zu lange diskutiert man über Impf-Priorisierungen, Digitalisierung, Datenschutzgesetze und pandemiebedingte Gesetzveränderungen, anstatt wichtige und zielführende Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und seiner Folgen einer Pandemie angemessen – nämlich schnell und pragmatisch – auf den Weg zu bringen.
Im Fall der Aussetzung der Umsatzsteuer auf Warenspenden hat dies glücklicherweise geklappt: Sie ebnet den Weg, dass zumindest Teile der unverkauften Winterware nicht im Müll, sondern bei Bedürftigen landen und dass Einzelhändler aus ihrer Not eine Tugend machen können.