Weniger ist mehr

Corona als Gamechanger

„Mode, die nur um ihrer selbst willen existiert, hat unserer Meinung nach keine Zukunft. Aktivismus und Vermeidung, Bewusstsein und Reflexion sind die zukünftigen Triebfedern für Kaufentscheidungen." Alexander Nolte (r.) und Oliver Spies ©Jason Richter

Autor: Andreas Grüter
Bietet Corona der Bekleidungsbranche die Chance auf ein Reset hin zu echter Nachhaltigkeit ohne Greenwashings? Alexander Nolte und Oliver Spies, die beiden Gründer von LANGBRETT, sind davon überzeugt und gehen mit bestem Beispiel voran. Was sich ihrer Meinung nach dringend ändern muss, erzählen sie im Interview.

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Mikroplastik-Workshop an der Cabrillo Middle School, Ventura, Californien ©A. Bruns

FT: Ein Jahr Corona. Was hat sich für LANGBRETT geändert? Wie habt ihr reagiert?
Alexander Nolte: „Wir haben die Krise genutzt, um uns noch intensiver mit dem Thema Mikroplastik auseinanderzusetzen, noch mehr über das Ausmaß der Vermüllung zu lernen und vor allem, um neue Lösungsansätze voranzutreiben. Mit unserem Guppyfriend-Waschbeutel etwa, der übrigens auch den Startschuss für die von uns gegründete gemeinnützige Organisation STOP! MICRO WASTE gegeben hat, lassen sich beispielsweise 86 Prozent des Faserbruchs bei synthetischer Kleidung während eines Waschvorgangs vermeiden. Abgebrochene Fasern werden zurückgehalten und gelangen nicht in den Wasserkreislauf. Wir arbeiten an grundsätzlichen Lösungen dieser Probleme. Das spiegelt sich in jedem einzelnen unserer Produkte und das ist unserer Meinung nach heute wichtiger, als die individuellen Schwierigkeiten des Handels zu beklagen. In Zeiten, in denen quasi alles mit dem Stichwort Nachhaltigkeit beworben wird, ist es höchste Zeit, Statements zu setzen, wirklich nachhaltige Ware zu produzieren und zu unterstützen und Greenwashed-Produkte auch beim Namen zu nennen. Für uns läuft es auf jeden Fall ganz gut, aber es bleibt natürlich spannend.“

Wie steht es um die Läden? Könnt ihr Verluste durch Online-Verkäufe abfangen?
Oliver Spies: „Wir haben hier ganz bewusst Druck von der Leitung genommen. Natürlich wollen wir unsere Produkte verkaufen, aber unser Ziel ist ganz klar, dass grundsätzlich wesentlich weniger, dafür aber ausgesuchter konsumiert wird. Radikale und aggressive Werbung findet bei uns dementsprechend nicht statt. Wir versuchen, da ehrlich zu bleiben.“

Natürlich wollen wir unsere Produkte verkaufen, aber unser Ziel ist ganz klar, dass grundsätzlich wesentlich weniger, dafür aber ausgesuchter konsumiert wird.

Ihr habt eine ziemlich eingeschworene Community hinter euch. Macht sich das in solchen Zeiten bemerkbar?
Oliver Spies: „Ja, absolut. Wir konnten in den letzten Monaten dank unserer Kunden und unserer Aufklärungsarbeit bei großen Labels und Online-Händlern noch besser analysieren, wo beim Streben nach echter Nachhaltigkeit die Probleme liegen. Die Krisenzeit führte bei nahezu all unseren Gesprächspartnern zu Erkenntnisgewinnen. Eine gute Entwicklung, die allerdings auch konkretes Handeln nach sich ziehen sollte. Wir sind recht optimistisch, dass sich hier zukünftig noch einiges mehr bewegt als bislang.“

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Habt ihr eure Produktion heruntergefahren?
Oliver Spies: „Ja, das haben wir. Was man aus der Krise lernen kann und auch lernen sollte, ist, dass es kein ,Weiter so‘ geben darf. Das Herunterfahren unserer Produktion ist die Konsequenz aus dieser Erkenntnis und unserer Meinung nach ein Schritt hin zu einer grundsätzlichen Verbesserung.“

Schuhe im Closed Loop

Welche Lehren habt ihr persönlich und für das Label aus der Pandemie gezogen?
Alexander Nolte: „Wir waren in puncto Nachhaltigkeit bereits vor 15 Jahren dort, wo viele neue Labels behaupten, heute zu stehen. Im Lauf der letzten zwölf Monate wurde es plötzlich total angesagt, ausschließlich Durchläufer zu produzieren und auf Klasse, Qualität und modische Langlebigkeit zu setzen. Insofern hat die Krise in Nachhaltigkeitsfragen augenscheinlich einiges verändert. Wie tief diese Erkenntnisse gehen und ob sie von Dauer sind, bleibt erst einmal abzuwarten. Wo stehen wir mit LANGBRETT heute? Wir haben unser Wissen in Handeln umgesetzt und Innovationen entwickelt, die echte Problemlöser sind. Beispielsweise haben wir es als weltweit einziges Label geschafft, Schuhe wirklich in einem Closed Loop zu produzieren. Das bedeutet nichts anderes, als dass alle Materialien sauber voneinander getrennt werden können, um sie dann wieder in die Produktionsprozesse zu integrieren. Und natürlich schließen wir toxische Zuschlagstoffe und Fertigungsverfahren auf diese Weise bereits im Vorfeld aus. Gleiches gilt auch bei unserer Bekleidung, die natürlich ohne Mikroplastik-Anteile gefertigt wird.“

Ein Blick in die Zukunft. Welche Auswirkungen wird Corona auf die Bekleidungsindustrie haben?

Als visuelle Erinnerung an die Fakten der Klimakrise zeigt das Klimahandtuch die Jahresdurchschnittstemperaturen von 1850 bis heute

Alexander Nolte: „Corona ist nicht vorbei. Neue Mutanten werden kommen, neue Lockdowns werden zum obligatorischen Mittel der Pandemiebekämpfung. Klimawandel, Erderwärmung, neue Viren, die vom Tier zum Menschen überspringen, und natürlich auch das Problem mit dem Mikroplastik sind im Endeffekt alles Auswirkungen eines Lebenswandels, den sich die Menschheit nicht weiter leisten kann. Mode, die nur um ihrer selbst willen existiert, hat unserer Meinung nach keine Zukunft. Aktivismus und Vermeidung, Bewusstsein und Reflexion sind die zukünftigen Triebfedern für Kaufentscheidungen. Industrien, die das verstehen und sich wandeln, werden bestehen und erfolgreich wirtschaften können. Diejenigen, die es nicht ernst meinen und immer noch auf Greenwashing setzen, werden es hingegen schwer haben. Nachhaltigkeitslügen haben bekanntlich kurze Beine.“