Autor: Markus Oess Der chinesische Online-Gigant Alibaba liegt zwar mit einer Marktkapitalisierung von rund 625 Milliarden US-Dollar gute 60 Prozent hinter amazon, ist aber inzwischen auf Platz acht unter den weltweit zehn wertvollsten Unternehmen vorgerückt. Nicht ohne Grund, wie ein Blick auf die Verkaufszahlen am Singles’ Day (Global Shopping Festival), dem 11. November 2020, zeigt: Allein an diesem Tag hat die Alibaba-Plattform über 800 Millionen Kunden bedient und es wurden insgesamt über das eigene Logistiknetzwerk 2,32 Milliarden Bestellungen abgewickelt. Pro Sekunde wurden in der Spitze 583.000 Bestellungen getätigt. Verkauft wurden dabei Waren (nicht nur von Alibaba selbst, sondern auch über Marktplatzangebote) im Wert von fast 500 Milliarden Yuan (etwa 74,1 Milliarden US-Dollar). Aus dem internationalen Bereich konnten die Kunden Artikel von mehr als 250.000 Marken kaufen. Marken wie adidas, Apple und Nike sind auf Umsätze von jeweils über 100 Millionen Yuan (rund 14,9 Millionen US-Dollar) gekommen. Karl Wehner, Managing Director bei der Alibaba Group für die Regionen Deutschland, Österreich, Schweiz, CEE und Türkei, nennt seinen Arbeitgeber „Gateway to China“. Dabei sind die Wachstumspläne ambitioniert. 2018 wurde das Ziel ausgerufen, den Import über die Plattform binnen fünf Jahren auf 200 Milliarden US-Dollar zu bringen. Der Alibaba-Manager im FT-Interview über die Rolle der Republik in diesem Szenario und die Ankündigung, auch außerhalb Chinas Fuß zu fassen.
FT: Herr Wehner, Alibaba gilt als Schlüssel, den chinesischen Markt zu öffnen, sagen Sie. Wie ist das gemeint?
Karl Wehner: „Unsere E-Commerce-Marktplätze erreichen über 800 Millionen mobile Nutzer im Monat und über 757 Millionen aktive Konsumenten im Jahr. Westliche Marken und Händler können diese enorme Käuferschicht durch die Alibaba-Plattformen gezielt ansprechen, um in China erfolgreich Handel zu betreiben.“
Können Sie kurz noch einmal Ihr Geschäftsmodell, Vorteile und Kosten für die Marken zusammenfassen?
„Marken, die bereits Niederlassungen in China haben, können unseren B2C-Marktplatz Tmall nutzen; unsere Cross-Border-Plattform Tmall Global dient gerade kleineren Händlern, die (noch) keine Niederlassung in China haben oder den Markt zum ersten Mal betreten, als ‚Gateway to China‘. Mein deutsches Team und ich dienen hier als Berater und Wegbegleiter.
Wichtig zu verstehen ist, dass unsere Marktplätze keine ,Listing Services‘ sind, auf denen die Produktdetailseite einer Waschmaschine genauso aussieht wie die eines Sneakers. So können Marken ihren eigenen Flagship Store mit eigener Corporate Identity, eigenem Pricing, eigenem Marketing online eröffnen. Nach einer überschaubaren Setup Fee liegen unsere Provisionen dann im einstelligen Prozentbereich am Umsatz des jeweiligen Stores. Wir verstehen uns als Partner der Händler und Marken: Wenn sie erfolgreich sind, sind wir es auch, ganz im Sinne unserer Mission, den Handel weltweit zu vereinfachen.“
Mit welchen namhaften Marken aus dem deutschsprachigen Raum arbeiten Sie zusammen?
„Das beginnt bei A wie adidas, B wie BOSCH, C wie cosnova … Ich könnte so weitermachen. Weitere deutsche Fashion Brands sind unter anderem Marc O’Polo, HUGO BOSS, ESPRIT oder Puma. Am Global Shopping Festival 2020, auch bekannt als 11.11 Singles’ Day, haben über 1.300 deutsche Marken teilgenommen. Hinzu kommen zahlreiche namhafte Schweizer Marken, zum Beispiel aus dem Hause RICHEMONT, aber auch verschiedene Nestlé-Marken.“
Wen haben Sie noch auf der Wunschliste?
„Viele große Namen arbeiten ja bereits mit uns; wir sind aber besonders stolz darauf, dass auch immer mehr digital denkende Marken aus dem Mittelstand mit uns den Weg zum chinesischen Konsumenten finden. Die LAUENSTEIN CONFISERIE ist ein tolles Beispiel, beurer mit seinen hochwertigen Gesundheitsprodukten oder Salus mit seinen pflanzlichen Arzneimitteln.“
Wie groß ist der Umsatzanteil des europäischen, insbesondere des deutschsprachigen Marktes am zurückliegenden Shopping Festival?
„Deutschland lag beim 11.11 zum dritten Mal in Folge in den Top Ten der Länder, die nach China verkauft haben – nach GMV, also Bruttowarenvolumen. Deutsche Marken haben dabei im Rahmen des Festivals über 1 Milliarde US-Dollar umgesetzt.“
Welche Segmente, welche Marken boomen?
„Hier ist wichtig zu wissen, dass die wachsende chinesische Mittelschicht vor allem eines möchte: durch das Konsumieren internationaler, hochwertiger Produkte die eigene Lebensqualität verbessern.
Als wir vor fünf Jahren mit dem deutschen Team gestartet sind, lag der Fokus sehr auf Mutter- und Babyprodukten, besonders Babynahrung. Dazu kamen dann schnell auch Nahrungsmittel für Erwachsene und natürlich Haushaltsgeräte – um die Nahrung in qualitativ hochwertigen Produkten zuzubereiten. Wir haben in der Folge eine Diversifizierung hin zu Fashion, Sport- und Luxusprodukten gesehen. Während der Pandemie nun lag und liegt ein großer Fokus auf Gesundheitsprodukten. So hat beispielsweise das Unternehmen beurer während eines Livestreaming-Events Tausende von Fieberthermometern in nur wenigen Minuten verkauft.“
Wie sehen die mittelfristigen Ziele für Europa und insbesondere für den deutschsprachigen Markt aus hinsichtlich Marktvolumen, Anzahl der Marken und strategischer Produktgruppen?
„Wir haben 2018 versprochen, den Import nach China binnen fünf Jahren mit einem Warenvolumen von 200 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Unser Ziel als deutsches Team ist es, dass ein möglichst großer Anteil daran aus unseren Märkten, also Deutschland, Österreich und Schweiz, kommt.“
Wie hoch sollte der Mindestumsatz sein, den eine Marke erzielen muss, um ein Engagement profitabel zu machen?
„Da gibt es keine feste Grenze, das hängt von vielen Faktoren ab.“
Wie wollen Sie konkret auch Schritte in das stationäre Geschäft unterstützen?
„Der wichtigste Hebel, den wir hier haben, ist Alipay. Das beliebte mobile Bezahlsystem ist bereits in zahlreichen stationären Geschäften integriert. Chinesische Touristen nutzen gerne ihr vertrautes Zahlungsmittel, um einzukaufen. Das tun bereits zahlreiche Händler – die Drogerien ROSSMANN, Müller und dm zum Beispiel, aber auch breuninger, das KaDeWe sowie LUDWIG BECK oder die Parfümerie DOUGLAS. Während der Pandemie, die den stationären Handel vor so große Herausforderungen stellt, erleben wir in China, wie Händler sich mithilfe der Tools, die Alibaba anbietet, hervorragend selbst helfen können, zum Beispiel ihre Kunden mit Livestreams ansprechen.“
Wie gehen Sie mit Kritik an chinesischen Unternehmen und der Einflussnahme durch den chinesischen Staat um? Wie können Sie hier Unabhängigkeit und freies Handeln garantieren?
„Das ist sehr einfach zu beantworten. Wir sind ein international börsennotiertes Unternehmen und halten uns an die geltenden Gesetze in all den Ländern, in denen wir tätig sind. Der Schutz der Privatsphäre unserer Kunden hat für uns höchste Priorität.“
Welche Preissegmente entwickeln sich diesbezüglich besonders dynamisch?
„Besonders schnell wächst in China in der Tat das Luxussegment: Der chinesische Luxusmarkt – der bis 2025 voraussichtlich die Hälfte der weltweiten Luxusverkäufe ausmachen wird – besteht aus Hunderten von Millionen junger, digitaler Konsumenten mit wachsendem verfügbaren Einkommen. Der Tmall Luxury Pavilion, unsere dedizierte Plattform für Luxusmarken, erfreut sich drei Jahre nach Gründung größter Beliebtheit bei westlichen Luxusmarken. Die Plattform zählt rund 200 führende Luxus- und Designermarken – vor dem Ausbruch von COVID-19 waren es noch 150. BALMAIN, Salvatore Ferragamo, GOLDEN GOOSE, DE BEERS, JAEGER-LECOULTRE und IWC SCHAFFHAUSEN gehören zu den jüngsten Neuzugängen. Auch unsere jüngst verkündete Kooperation mit FARFETCH und RICHEMONT trägt dieser Entwicklung Rechnung.“
Ist auch angedacht, eventuell als Händler außerhalb Chinas aktiv zu werden?
„Wie gesagt – wir selbst sind nicht in erster Linie Händler; die Händler sind unsere Partner, denen wir extrem gut besuchte und perfekt funktionierende Plattformen bieten. Die Alibaba-Plattformen (wie unter anderem Alibaba.com oder AliExpress) sind natürlich auch in anderen Märkten für unsere Konsumenten zugänglich, doch unser größter Wachstumsmarkt ist nach wie vor China selbst. Da wir allerdings bis 2026 2 Milliarden Konsumenten bedienen wollen, müssen wir natürlich über Chinas Grenzen hinaus.“
Der Manager:
Im Juni 2016 heuerte Karl Wehner bei der Alibaba Group an und wurde im Juli 2017 zum Managing Director für die Regionen Deutschland, Österreich, Schweiz, CEE und Türkei ernannt. Seit August 2019 gehören auch Alipay und Ant Financial Services zu seinem Verantwortungsbereich. Wehner blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich des digitalen Handels zurück. Der Manager begann 1999 seine Karriere im Online-Handel bei amazon Deutschland. Dort führte er den amazon Marketplace ein und verantwortete den Launch der amazon-Kreditkarte. Bevor Wehner zu Alibaba stieß, baute er einen Marktplatz für Drittanbieter bei takealot.com in Kapstadt auf, das inzwischen das größte E-Commerce-Unternehmen Südafrikas ist.