Autor: Markus Oess „Die Welt setzt seit 50 Jahren auf Freiwilligkeit, um Menschenrechte umzusetzen. Ich habe mit Kindern in Steinbrüchen und Plantagen gesprochen und kenne ihr Leid. Es kann nicht sein, dass Unternehmen ihre Produktion ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Grundstandards durchziehen und sich so noch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen“, sagt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), warum er sich für ein Lieferkettengesetz einsetzt. „Freiwillige Initiativen sind wichtig. Der Grüne Knopf zeigt, dass es geht – viele Unternehmen machen mit. Darunter sind das Sportlabel Jack Wolfskin, Mittelständler wie Peter Hahn und mey, Nachhaltigkeitspioniere wie VAUDE und große Einzelhändler wie Tchibo, Lidl oder ALDI. Aber nur mit Freiwilligkeit erreicht man nicht alle. Unternehmen sollten nicht ohne Rücksicht auf Menschenrechte produzieren und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Das geplante Lieferkettengesetz soll deshalb gleiche Spielregeln für alle schaffen“, sagt auch eine Sprecherin seines Ministeriums (BMZ). Jetzt hat sich die große Koalition geeinigt, um die Ketten der Globalisierung zu zerbrechen. Kann das in der weltweiten Pandemie gelingen?
Immerhin meldet jetzt die Große Koalition einen Durchbruch. Das Gesetz wird kommen, wenngleich in abgeschwächter Form. Größere deutsche Unternehmen müssen künftig die Einhaltung der Menschenrechte bei ausländischen Partnerfirmen sicherstellen, sonst drohen Sanktionen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will es noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen und nennt das Gesetz gar einen „historischen Durchbruch“. Der Gesetzentwurf wurde ins Kabinett eingebracht. So drohen Unternehmen, die gegen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verstoßen, Sanktionen und sie können bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Heil will dazu eine Kontrollbehörde mit einem „robusten Mandat“ ausstatten, auch bei Zulieferern zu kontrollieren. Das Gesetz solle Kinderarbeit und Umweltverstöße in Herkunftsländern unterbinden, sagt Müller. Die Einigung sehe vor, dass Unternehmen sicherstellen müssen, dass es „in ihrem Bereich und durch ihre unmittelbaren Zulieferer“ zu keinen Menschenrechtsverstößen kommt. Der mittelbare Zulieferer wie zum Beispiel ein Rohstofflieferant kommt dann ins Spiel, wenn ein Unternehmen Kenntnisse über Verstöße erhält, etwa über eine Beschwerde oder einen anderen Weg. In diesen Fällen müsse sich das betreffende Unternehmen „in einem vereinfachten Verfahren“ auch um dieses Problem kümmern. „Wir nehmen die Lieferkette insgesamt in den Blick“, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und verweist darauf, dass mit dem Gesetz Deutschland auch eine Vorbildfunktion für andere Länder ausübe. Gerd Oliver Seidensticker, Chef des gleichnamigen Unternehmen und Präsident des Industrie-Verbandes GermanFashion sieht aber vor allem die großen Handelsketten in der Pflicht: „Da unsere Mitglieder in erster Linie kleinere und mittelständische Unternehmen sind, ist der Einfluss auf die ärmeren Produktionsländer sehr gering bis nicht vorhanden. Die Beziehungen zu den Produktionspartnern zeichnen sich durch langjährige gute Zusammenarbeit und Treue aus, die nicht aufs Spiel gesetzt wird. Hier sind die großen Handelsunternehmen, die dort in extrem hohen Stückzahlen ordern, gefragt sowie die großen Fast Fashion Ketten, dass sie sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Partnern bewusst sind.“
Kompromiss für die Wirtschaft
Allerdings wurden die ursprünglich geforderten härteren zivilrechtlichen Haftungsregeln und der breite Anwendungsbereich abgemildert und die Regelungen greifen erst ab dem 1. Januar 2023. Mittelständler werden nach den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers von dem Gesetz ausgenommen. Betroffen sind Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern. 2024 soll es dann auf Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten ausgedehnt werden. Ein Lieferkettengesetz wird schon lange gefordert, Kritik kommt nun wegen der abgeschwächten Vorgaben. Das Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“ begrüßt den Kompromiss als überfälligen Schritt in die richtige Richtung. Leider gelte es am Anfang nur für wenige Unternehmen und es fehle die zivilrechtliche Haftung der Firmen, beklagt die Initiative. Die Vorstandssprecherin des Kinderhilfswerks terre des hommes (tdh) Birte Kötter sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), dass der Bundestag noch nachschärfen müsse, denn die Sorgfaltspflicht müsse für alle Unternehmen aus Risikobranchen gelten. Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie, Uwe Mazura, poltert in der Wirtschaftswoche: „Bemerkenswert ist, wie viele Kapazitäten die Bundesregierung für ein neues Gesetz hat, während unsere Unternehmen seit Monaten auf Corona-Hilfe warten und ihre werthaltige Mode in den geschlossenen Geschäften nicht verkauft werden darf.“ Gegenüber FT sagt die BMZ-Sprecherin, man habe die angespannte Situation hierzulande auch im Blick: „Viele heimische Unternehmen leiden unter der Corona-Krise. Deswegen ist ein Gesetz mit Augenmaß geplant: Nur größere Unternehmen sollen erfasst werden, kleine Firmen oder Handwerksbetriebe sind ausgenommen. Es wird Übergangsfristen geben, um sich auf die Regeln einzustellen. Und wir bieten Beratungen an – über 800 wurden schon durchgeführt. Bei alldem sollte nicht vergessen werden: In Ländern wie Äthiopien wird etwa eine Jeans für 5 Dollar hergestellt, die später im Laden für 50 oder 100 Euro verkauft wird. Wenn die Näherinnen 40 Cent statt 20 Cent pro Stunde erhielten, könnten sie ihre Familie vernünftig ernähren. Die Jeans würde dadurch in der Produktion lediglich um 1 Euro teurer, von 5 auf 6 Euro. Das ist möglich und es muss der ethische Anspruch in einer sozialen Marktwirtschaft sein.“
Bedrohliche Schieflage des globalen Südens
Der Makroökonom und Unterstützer der Initiative Lieferkettengesetz, Prof. Dr. Hansjörg Herr, verweist auf die globalen Zusammenhänge und die bedrohliche Schieflage des globalen Südens. Herr sagt, Deutschland stehe in der Pflicht, an der Ungleichverteilung etwas zu ändern. Dies, zumal die Corona-Pandemie die Probleme verschärft habe. Im Gegensatz zu den reichen (Industrie-)Ländern dieser Erde gebe es in den armen Weltregionen keine finanziellen Mittel im Kampf gegen das Virus, schon gar nicht gegen das Beben, das das Virus in der Wirtschaft dieser Länder ausgelöst hat. Frank Zach ist DGB-Bundesvorstand und kümmert sich um internationale und europäische Gewerkschaftspolitik. Pauschal lasse sich nicht sagen, wie viel vom Ladenpreis bei der Näherin in Bangladesch hängen bleibt, sagt er. Viele Faktoren spielten eine Rolle. Besonders viel, das ist klar, werde es nicht sein. „Schätzungen gehen davon aus, dass bei den Näherinnen zwischen 0,5 und 3 Prozent des Ladenpreises als Lohn hängen bleiben. Eine Näherin kann sehr oft von ihrem Lohn nicht leben und internationale Studien belegen, dass die Lücke zwischen tatsächlichem und existenzsicherndem Lohn bis zu 300 Prozent beträgt. Bei einem Ladenpreis von 30 Euro für eine Jeans bleiben vielleicht 25 Cent für die Näherin. Beim deutschen Einzelhandel sind es rund 15 Euro. Das Problem wird auch nicht dadurch gelöst, dass wir die Jeans 10 Euro teurer machen, denn auch dann würde nur ein Bruchteil für die Näherin übrig bleiben“, sagt Zach. Am unteren Ende der Lieferkette kommt so gut wie nichts an.
Die Corona-Pandemie sei nicht die Ursache für Missstände, aber sie habe sie offenbart und oft verschärft, sagt Zach. „Aktuell bekommen die Näherinnen nicht mehr nur sehr wenig, sondern überhaupt keinen Lohn, weil komplette Fertigungsaufträge einfach storniert wurden. Sie erhalten wie übrigens 71 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weltweit keinerlei Hilfen oder sozialen Schutz.“ Bei Ländern wie Myanmar komme hier noch die Bedrohung von demokratischen Grundrechten durch den aktuellen Militärputsch hinzu, sagt der Gewerkschafter. Auch das BMZ ist alarmiert: „Neben der Gesundheitskrise führt die Pandemie bereits zu einer dramatischen Hunger- und Wirtschaftskrise weltweit: 100 Milliarden US-Dollar Kapital wurden in kurzer Zeit abgezogen. Globale Lieferketten brechen zusammen. Millionen Menschen haben so ihre Jobs verloren. Ohne Kurzarbeitergeld und Grundsicherung stehen sie buchstäblich auf der Straße. Es zeigt sich schon jetzt, dass die ökonomischen Kollateralschäden der Pandemie vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer treffen. Und hier sprechen wir von zwei Dritteln der Menschheit. Die Pandemie hat eine der größten Wirtschaftskrisen und in der Folge eine der größten Armuts- und Hungerkrisen ausgelöst“, sagt die Sprecherin. Entscheidend sei, die richtigen Konsequenzen aus der Krise zu ziehen, um die Globalisierung gerechter zu gestalten. „Immer billiger“ sei der falsche Weg. Im Herbst 2019 wurde der Grüne Knopf eingeführt. Im ersten Halbjahr 2020 wurden 50 Millionen Teile mit dem Siegel verkauft. „Das sind 1,5 bis 3 Prozent Marktanteil – eine solide Entwicklung mitten in der Corona-Krise“, rechnet die BMZ-Sprecherin vor. Inzwischen seien Firmen wie Lidl, Tchibo, Kaufland und ALDI oder Jack Wolfskin, VAUDE, hessnatur und trigema dabei. Das Siegel zahle auf den Schutz von Mensch und Umwelt ein. Auch Zach nennt positive Beispiele, etwa wenn gemeinsam mit der FAIR WEAR FOUNDATION und ACT im Rahmen des Textilbündnisses Marken wie beispielsweise ALDI, C&A oder auch HUGO BOSS faire, existenzsichernde Löhne und faire Arbeitsbedingungen diskutierten und durchzusetzen versuchten. Seidensticker betrachtet das neue Siegel indes skeptisch: „Die Bedeutung des Grünen Knopfes ist aus Sicht der deutschen Modeunternehmen gering. Weder Verbraucher haben ein großes Interesse an diesem Siegel, noch kann man sagen, dass das Siegel hält, was es vom Namen her verspricht. Der Grüne Knopf beschäftigt sich nicht mit Ökologie. Viele unserer Unternehmen sind in Sachen Nachhaltigkeit deutlich weiter und arbeiten lieber mit etablierten Organisationen und Siegeln zusammen.“
Konkrete Sanktionen
„Wenn Unternehmen die Risiken in ihren Lieferketten kennen, Vorsorge und Abhilfe schaffen, tragen sie auch zu stabilen und nachhaltigen Lieferketten bei. Genau darum geht es auch beim von der Bundesregierung geplanten Lieferkettengesetz“, schlägt die Sprecherin die Brücke zu dem aktuellen Gesetzesvorhaben. Neben der Gesundheitskrise verursachte die Pandemie eine „dramatische Hunger- und Wirtschaftskrise“ weltweit. Laut BMZ wurden 100 Milliarden US-Dollar Kapital in kurzer Zeit abgezogen. Zach ist so wie viele andere überzeugt, dass ein Lieferkettengesetz kommen muss. Aber es dürfe nicht zum zahnlosen Tiger werden, müsse also nicht nur Kontrollen, sondern auch konkrete Sanktionen sicherstellen. „Das Gesetz kann nicht als Korrektiv wirken, wenn die mangelnde Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte ohne mögliche Folgen bleibt. Ein ganz großes Problem ist auch die Vereinigungsfreiheit, die in weiten Bereichen nicht gewährleistet oder wie in Myanmar akut bedroht ist und so immer eine Schieflage der Verhandlungspartner zugunsten der Produktionsbetriebe besteht. Auch hier muss sich etwas ändern.“
Die COVID-19-Krise trifft den Bekleidungssektor in Asien und im Pazifik besonders hart. Millionen von Arbeitnehmern kämpfen ums Überleben. Unzählige Unternehmen stehen vor dem Nichts. Laut Angaben der International Labour Organization (ILO) ist jeder zweite Arbeitsplatz in der Textilproduktion vom Lockdown der reichen Länder betroffen. Keine Umsatzperspektiven, keine Abnahme, lautet die Parole dann offenbar. Schon im ersten Halbjahr 2020 war der weltweite Bekleidungshandel praktisch zusammengebrochen. In einigen Fällen gingen die Importe der asiatischen Bekleidungsproduktionsländer in die wichtigsten Abnehmerländer um bis zu 70 Prozent zurück. Tausende von Fabriken mussten vorübergehend oder dauerhaft schließen. Und selbst in den wiedereröffneten Fabriken wurden spürbar Stellen abgebaut. Nur drei von fünf Arbeitern wurden in die Fabrik zurückgerufen und mussten nach Wochen ohne Einkommen mit Lohnkappungen zurechtkommen. Ganz zu schweigen, wie weit die Gleichstellung von Mann und Frau dort zurückgeworfen wird, egal ob es darum geht, Personal abzubauen oder Löhne zu kürzen, Frauen trifft es häufig zuerst. Bei möglichen Neueinstellungen sieht es nicht besser aus, weswegen die ILO weitere negative Folgen befürchtet, angefangen von Gewalt gegen Frauen bis hin zu schmerzhaften Verschlechterungen der sowieso schon maladen Arbeitsbedingungen. Langfristig könnte sich dieser Zustand verfestigen und schon gewonnen geglaubte Fortschritte verloren gehen.
Die Rufe nach Hilfen und Korrekturen werden lauter. Schon lange können wir uns von Ereignissen, die fern in anderen Ländern geschehen, nicht mehr tatenlos abwenden. Zach hat konkrete Forderungen für die Arbeiter und Arbeiterinnen: „Faire Arbeitsbedingungen und einen Lohn, von dem man in Würde leben kann. Aktuell in der Corona-Krise brauchen die Menschen Lohnersatzleistungen, um ihr Leben finanzieren zu können. Die Pandemie hat dazu geführt, dass massiv Aufträge storniert wurden und die Menschen von heute auf morgen ohne Arbeit und Lohn dastehen. Die Sache gipfelt darin, dass sogar fertig produzierte Aufträge nicht abgenommen, geschweige denn bezahlt werden. Unternehmen tragen eine Verantwortung für die Beschäftigten in den Produktionsländern wie Bangladesch. Wir brauchen Klarheit darüber, dass Aufträge bezahlt werden müssen.“
Globalisierung geht weiter
Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass die Globalisierung weder zurückgedreht werden kann noch sollte. Für sensible und systemrelevante Produkte und Branchen wie zum Beispiel Arzneien oder medizinische Schutzprodukte geht es um mehr als nur die gloablisierte Wertschöpfung. Das hat die Corona-Pandemie gezeigt. „In anderen Bereichen wäre es wenig hilfreich für die Menschen, wenn die Karawane wieder kehrtmacht und Richtung Europa zieht. Im Gegenteil, wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen sicher und fair gestaltet werden und die Wertschöpfung in den Ländern ausreichend finanzielle Mittel aufbaut, damit in soziale Schutzsysteme und in die Zukunftsfähigkeit dieser Länder investiert werden kann“, sagt Zach. Der Gewerkschafter denkt, die Pandemie habe in Teilen zu einem Bewusstseinswandel geführt, dass die ungebremste Globalisierung kein Allheilmittel ist: „Von der Haute Couture in Paris bis hin zu konsumigen Marken kehrt zunehmend die Einsicht ein, dass wir umdenken müssen. Das Thema Nachhaltigkeit in der globalen Prozesskette gewinnt an Bedeutung.“ Das Gerangel um die endgültige Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes hat schon längst begonnen. Auch Seidensticker geht an das Gesetzesvorlagen mit Selbstbewusstsein heran: „Viele der Unternehmen des GermanFashion Modeverbandes arbeiten mit Produzenten zusammen, die sich zertifizieren lassen, GOTS, STEP oder Blue Sign sind nur einige dieser Labels. Es werden immer mehr, da die deutschen Unternehmen sich ihrer Sorgfaltspflichten entlang der gesamten textilen Kette bewusst sind und von ihren Partnern die entsprechenden Qualifizierungen fordern. Für die mittelständische deutsche Modeindustrie gehört die Einhaltung der Menschenrechte weltweit zum Grundverständnis. Wir werden die Beratungen im Deutschen Bundestag über ein Sorgfaltspflichtengesetz deshalb mit großer Aufmerksamkeit verfolgen und kritisch begleiten.“ Bleibt zu hoffen, dass dabei der Grundgedanke, Gutes zu tun und mit Taten die gebotene Demut denen gegenüber zu entwickeln, denen es nicht so gut geht wie uns, nicht verloren geht. Es stimmt, mit Freiwilligkeit allein wird es nicht gehen.