„Wochenenden und Feiertage mochte er nicht“

Pierre Cardin

„Der Austausch mit ihm war immer inspirierend. Zudem liebte er wie ich Kunst und Kultur, das hat uns neben dem Geschäftlichen verbunden." Dr. Stela Ahlers Alle Bilder ©Ahlers AG

Autor: Markus Oess
 
Der Tod des Modeschöpfers Pierre Cardin Ende des vergangenen Jahres löste weit über die Modewelt hinaus Trauer aus. Kreativ, genial und sehr geschäftstüchtig, steht er für eine besondere Generation von Kreativen, die die Modewelt nachhaltig prägten. Seit 1992 ist die Ahlers AG Lizenznehmer von pierre cardin und hat die Marke zu einer tragenden Säule im Konzern ausgebaut. Die Vorstandsvorsitzende Dr. Stella Ahlers über den Menschen und den Modeschöpfer Pierre Cardin und die Zukunft des Labels im Konzern.

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FT: Frau Dr. Ahlers, wie war das, als Sie Herrn Cardin kennengelernt haben?

Jan Ahlers und Pierre Cardin, Messe in Poznan, 90er Jahre

Dr. Stella Ahlers: „Ich habe Herrn Cardin Ende der 1990er-Jahre kennengelernt. Er hatte gerade drei neue Maxim’s-Restaurantschiffe auf der Seine gekauft und einen rauschenden Empfang zur Einweihung gegeben, zu dem mein Vater und ich eingeladen waren. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits seit sechs Jahren eine geschäftliche Verbindung mit dem Haus Cardin. Der damalige Lizenzdirektor Zbigniew Krawczynski hatte meinem Vater 1992 die Sportswear-Lizenz angeboten. Mein Vater hat, unter der Voraussetzung, dass wir zusätzlich auch die Jeans-Lizenz erhalten, zugestimmt. Gestartet sind wir in Deutschland, Österreich, Holland, der Schweiz, Frankreich und Spanien. In den folgenden Jahren kamen immer weitere Produkte und Länder hinzu. Heute haben wir die Lizenzen für Jeans, Sportswear, Strick, Shirts und Konfektion für fast alle europäischen Länder, inklusive Russland, der Ukraine und Weißrussland.“

Mit Models vor dem Brandenburger Tor, 2008

Was zeichnete ihn als Modeschöpfer aus?
„Seine enorme Kreativität und unbändige Begeisterung für alles Neue. Einen hervorragenden Überblick dazu gab es 2019 in der Ausstellung ,Fashion Futurist‘ im Museum Kunstpalast in Düsseldorf.“

Wie war er als Mensch?
„Pierre Cardin war ein sehr interessanter und humorvoller Mensch. Der Austausch mit ihm war immer inspirierend. Zudem liebte er wie ich Kunst und Kultur, das hat uns neben dem Geschäftlichen verbunden. Pierre Cardin war ein unermüdlicher Workaholic, der Wochenenden und Feiertage nicht besonders mochte und bis ins hohe Alter jeden Tag in sein Atelier gegangen ist.“

Wie eng war der Austausch mit Herrn Cardin bei der Kollektionserstellung, hat er noch darübergeschaut, hat er sich „eingemischt“?
„Der Austausch mit dem Hause Cardin in Paris und auch mit Herrn Cardin persönlich war immer sehr intensiv. Er hat sich die Kollektionen regelmäßig von mir zeigen lassen. Jeans wollte er weniger sehen, dafür haben ihn die Anzüge immer sehr interessiert. Er hat sehr auf Details und Qualität geachtet, daran hat man gemerkt, dass er gelernter Schneider war.“

Hermann Doerbecker und Pierre Cardin auf dem roten Platz in Moskau, 1993

Die Marke pierre cardin ist eine der Stützen Ihres Unternehmens, die Lizenzvereinbarungen mit dem Haus Cardin dürften auch künftig langfristig angelegt sein, oder?
„Wir haben mit dem Haus Cardin langfristige Verträge. An der Geschäftsbeziehung mit dem Haus Cardin wird sich auch durch den Tod von Herrn Cardin nichts ändern.“

Sind Erweiterungen des Sortimentes oder Ergänzungen innerhalb des Lizenzportfolios angedacht?
„Erweiterungen des Sortiments und Ergänzungen innerhalb des Lizenzportfolios sind derzeit nicht angedacht.“

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Besuch mit Pierre Cardin beim regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, 2008

Planen Sie anlässlich seines Todes etwas Besonderes?
„Es existieren bereits sehr viele Bücher und Veröffentlichungen über Herrn Cardin.  Zuletzt gab es die Ausstellungen ,Fashion Futurist’ in Düsseldorf und ,Future Fashion’ im Brooklyn Museum in New York, jeweils begleitet von sehr schönen Katalogen. Zudem gibt es den Film ,House of Cardin’, der 2019 beim Film Festival in Venedig und 2020 in Paris vorgestellt worden ist. Wer sich auch aktuell über Pierre Cardin informieren will, findet hier sehr viele Informationen.

 

 

Gradlinig, genial, geschäftstüchtig

Mir hat es immer gefallen, durch meine Arbeit zu existieren, und es hat mich noch nie amüsiert, mich zu amüsieren.“ Wer solche Sätze sagt, verfügt über etwas, das nicht unmittelbar mit Genialität und Schaffenskraft in Verbindung gebracht wird: eine geradezu preußische Selbstdisziplin. Pierre Cardin wurde am 2. Juli 1922 als Pietro Costante Cardin im italienischen San Biagio geboren. Er war das jüngste von sieben Kindern eines Weinhändlers. Noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging er 1944 nach Paris und begann dort, als Modezeichner im Haus Paquin zu arbeiten. Schon zu dieser Zeit blitzte seine Gabe auf. 1946 fertigte der noch junge Modeschöpfer während seiner kurzen Zeit bei Elsa Schiaparelli die Kostüme für Jean Cocteaus Film „La Belle et la Bête“ an. 1947 arbeitete Cardin für Christian Dior, wo er den „New Look“ für Frauen kreierte. Cardin folgte von Anfang an einer Vision: „Meine liebsten Kleider sind diejenigen, die ich für ein Leben schaffe, das es noch gar nicht gibt – für die Welt von morgen.“

 … wie ein Bildhauer, mit einer direkt am Körper entwickelten und dem verwendeten Stoff gemäßen Schnittführung.“

Nur drei Jahre später gründete er als erster Couturier ein eigenes Haute-Couture-Unternehmen. Ein Jahrzehnt später entwarf Cardin als erster großer Designer auch Mode für Männer. Unvergessen ist die erste Modenschau Cardins für Männer. Weil es das bis dahin nicht gab und demzufolge auch keine männlichen Models, schickte der Designer Studenten von der Sorbonne über den Laufsteg. In den frühen 1960er-Jahren eroberte der Couturier, Designer und Pionier des Prêt-à-porter den internationalen Modemarkt mit seinen futuristisch-avantgardistischen Entwürfen. „Cardin, der mit seiner geometrisierenden Formensprache eine unverwechselbare Ästhetik geschaffen hat, zeichnet wenig und kreiert seine skulptural anmutende Mode meist am Modell“, sagt Barbara Til, Kuratorin der Cardin-Ausstellung „Fashion Futurist“ von 2019 in Düsseldorf. Cardin gilt zusammen mit Paco Rabanne und André Courrèges als Erfinder der futuristischen Mode. „Er arbeitet geradezu plastisch, wie ein Bildhauer, mit einer direkt am Körper entwickelten und dem verwendeten Stoff gemäßen Schnittführung“, sagt Til.

In den 1970er-Jahren veränderte sich der Stil Cardins. Er arbeitete verstärkt mit Kontrasten. Cardin kombinierte ultrakurze Kleider und Röcke mit bodenlangen Jacken und Tuniken sowie farbigen Bodysuits. Fransen, Schlitze und Cut-Outs prägten die Outfits und dienten gleichzeitig der dynamischen Verformung. Seine Kreationen wurden von Filmstars wie Lauren Bacall, Raquel Welch und Jeanne Moreau getragen. In den 1980er- und 1990er-Jahren erweiterte Cardin sein Formenspektrum um stromlinienförmige Elemente. Charakteristisch sind bewegte Faltensegmente an den Rückenpartien von Jacken und Mänteln. Auch das „Schlauchkleid“ erhielt durch eingearbeitete Reifen eine neue, plastische Gestalt. Für die Männerkollektion entwickelte Cardin kastenförmige Lederjacken mit breiten, geometrischen Schulterelementen, die mit sportlichen Keilhosen kombiniert wurden.

Pierre Cardin gilt als Pionier der Globalisierung und des weltweiten Lizenzhandels in der Mode. Bis zuletzt war er Alleineigentümer seines weltweit agierenden Unternehmens. Er war auch in ökonomischen Fragen äußerst einfallsreich. Cardin war einer der reichsten Männer in Frankreich und sehr geschäftstüchtig. Als einer der ersten Modeschöpfer öffnete Cardin seine Marke früh für das Lizenzgeschäft, aber nicht nur für Mode. Er war der Erste, der seinen Markennamen auch für andere Produkte wie Möbel, Mineralwasser oder Plattenspieler verkaufte. Cardin starb am 29. Dezember 2020 im Alter von 98 Jahren in einem Krankenhaus in Neuilly nahe Paris.

Bilder der Vergangenheit

  • HW2003