Autor: Alexander Langhorst Ziemlich genau ein Jahr ist es nun her, dass alle Welt gebannt auf die chinesische Stadt Wuhan geschaut hat. Dort ist es zum ersten großen Ausbruch von COVID-19 gekommen und erstmals sind dort auch „Gegenmaßnahmen“ wie Lockdowns ins Bewusstsein getreten. Während sich die Corona-Pandemie inzwischen weltweit verbreitet hat und derzeit die zweite Welle grassiert, scheint China nach den harten Maßnahmen zu Beginn des Jahres 2020 ganz gut durch die Krise gekommen zu sein. Insbesondere das wirtschaftliche Leben hat sich im Reich der Mitte weitgehend normalisiert und bis auf kleinere Ausbrüche in jüngster Zeit hat man die Pandemie dort scheinbar fürs Erste überwunden.
Ein Blick auf die Entwicklung des chinesischen Online-Handels lohnt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es auch in Deutschland in der Post-Corona-Ära weitergehen könnte. Klare Nummer eins auf dem chinesischen Online-Markt ist der an der Börse notierte Alibaba-Konzern (Alibaba Group), der vom Unternehmer Jack Ma geführt und angesichts seiner mittlerweile erreichten Größe auch oft als amazon Chinas bezeichnet wird. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 625 Milliarden US-Dollar liegt das Unternehmen zwar noch rund 60 Prozent hinter amazon, ist aber per Ende 2020 auf Platz acht unter den weltweit zehn wertvollsten Unternehmen vorgerückt. Vergleichbar mit amazon, bietet auch Alibaba eine breite Palette an Waren aus den verschiedensten Bereichen und hat ebenfalls eine starke Stellung im Geschäft mit Bekleidung und Schuhen im Reich der Mitte erlangt.
Deutlich wird dies beim Blick auf die Verkaufszahlen am Singles’ Day (auch bekannt als Global Shopping Festival), dem 11. November 2020. An diesem Tag hat die Alibaba-Plattform über 800 Millionen Kunden bedient und es wurden insgesamt über das eigene Logistiknetzwerk 2,32 Milliarden Bestellungen abgewickelt. Pro Sekunde wurden in der Spitze 583.000 Bestellungen getätigt. Verkauft wurden dabei Waren (nicht nur von Alibaba selbst, sondern auch über Marktplatzangebote) im Wert von umgerechnet fast 500 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 74,1 Milliarden US-Dollar). Aus dem internationalen Bereich konnten die Kunden Artikel von mehr als 250.000 Marken kaufen. Bekannte Unternehmen wie etwa adidas, Apple und Nike sind auf Umsätze von jeweils über 100 Millionen Yuan (umgerechnet rund 14,9 Millionen US-Dollar) gekommen. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass das E-Commerce-Geschäft in China weiterhin stark läuft.
Dennoch sind die kurz vor dem Event per 6. November veröffentlichten Zahlen zum dritten Quartal 2020 am Markt eher unterkühlt aufgenommen worden. Umsatzseitig konnte Alibaba Erlöse von 155,06 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 22,8 Milliarden US-Dollar) nach 119,02 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 17,5 Milliarden US-Dollar) ausweisen. Das bereinigte EBITDA erreichte einen Wert von 47,53 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 7 Milliarden US-Dollar) und das Ergebnis je ADR (Aktienzertifikat, welches an der Börse handelbar ist) belief sich bereinigt auf 17,97 Yuan (umgerechnet 2,65 US-Dollar). Auch wenn damit die Analystenerwartungen von 13,87 Yuan oder 2,04 US-Dollar deutlich übertroffen werden konnten, wurde am Markt das Wachstum im Online-Geschäft um „nur“ 26 Prozent eher enttäuscht aufgenommen. Für das Gesamtjahr 2020 rechnet GSC Research in Anlehnung an den Marktkonsensus mit Umsatzerlösen in einer Größenordnung von rund 690 Milliarden Yuan (oder 106,5 Milliarden US-Dollar) und einem Ergebnis je ADR im Bereich von etwa 65 Yuan oder rund 10 US-Dollar.
Gegenwind bekommt Alibaba derzeit allerdings von der kommunistischen Regierung in China zu spüren. Nachdem sich Konzernchef Jack Ma, lange Superstar unter den Unternehmern im Reich der Mitte, in 2020 kritisch zur Politik der Regierung und insbesondere dem dortigen Bankensystem geäußert hat, scheint er bei den Machthabern in Peking in Ungnade gefallen zu sein. Seit Monaten sind nun keinerlei Statements mehr von ihm zu vernehmen. Für diese Einschätzung spricht auch, dass seitens der Regierung inzwischen auch sehr intensiv über eine Regulierung und strengere Auflagen im Markt nachgedacht wird – eine Entwicklung, die sicherlich zulasten des künftigen Wachstums bei Alibaba ausfallen würde. Einen weiteren deutlichen Dämpfer haben die Pekinger Beamten Ma auch im Vorfeld des geplanten Börsengangs des zum Konzern gehörenden Bezahldienstes Alipay (Ant Group) im vergangenen Jahr verpasst. Quasi wenige Stunden vor dem geplanten IPO wurde dieser von den Behörden gestoppt. Im Grundsatz ist die Entwicklung in China durchaus auch mit Diskussionen bei uns vergleichbar, welche eine Beschränkung der Ausbildung monopolistischer Strukturen im Online-Bereich fordern.
Investoren sollten jedoch beim Blick auf die sicherlich auch weiterhin noch bestehenden Wachstumschancen auf dem chinesischen Markt nicht außer Acht lassen, dass das dortige Rechtssystem für Unternehmen und Investoren nicht mit dem in Europa oder den USA vergleichbar ist. Daher müssen diese Risiken, auch aus einer möglicherweise erratischen Politik in China, bei Investitionsentscheidungen mit berücksichtigt werden. Zuletzt war zudem zu vernehmen, dass auch seitens der US-Regierung möglicherweise Sanktionen in Bezug auf den Zugang zu amerikanischer Technologie gegen Alibaba und Tencent wegen Verbindungen zum chinesischen Militär geprüft werden. Mit einem erwarteten KGV für das Jahr 2020 von etwa 23 wird das Alibaba-ADR beim aktuellen Aktienkurs von rund 236 US-Dollar an der NYSE oder 189 Euro auf Xetra aus Sicht von GSC Research derzeit fair bewertet. Bei etwaigen Kursrücksetzern in den Bereich von 160 Euro ergeben sich allerdings für den eher risikoaffinen Investor, der die zuvor beschriebenen Risiken im Blick behält, spekulative Einstiegschancen.