Autor: Markus Oess Im Sommer 2021 soll die Geschichte der Modemessen in Deutschland nicht einfach nur ein neues Kapitel erhalten. Das klassische, althergebrachte Format wird offiziell zu Grabe getragen und erlebt eine Neugeburt. Anita Tillmann ist Managing Partner der PREMIUM GROUP, die gemeinsam mit der messe frankfurt die FRANKFURT FASHION WEEK (5. bis 9. Juli 2021) ausrichtet. Gegenüber FT erklärt die Managerin, warum und wie wir Messe neu denken müssen. Es ist Zeit für ein völlig neues Format.
FT: Frau Tillmann, wie ist die PREMIUM GROUP bislang durch die Pandemie gekommen?
Anita Tillmann: „2020 hat definitiv Einschnitte hinterlassen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Trotzdem haben wir das Privileg, alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter beschäftigen zu können. Dafür bin ich wirklich dankbar. Mit der FRANKFURT FASHION WEEK haben wir ein Projekt, das uns auch in der Zeit der Pandemie auf Hochtouren hat arbeiten lassen. Wir wollen etwas Großes, Neues aufziehen, das uns keine Zeit für Pausen und Unterbrechungen lässt.“
Mit welchen Maßnahmen haben Sie gegengesteuert und was ist für diesen Januar geplant?
„Wir konnten unseren Kundinnen und Kunden alternative Formate im Sommer 2020 anbieten. Mit der ersten digitalen Messe ‚PREMIUM+SEEK Passport‘ in Kooperation mit JOOR waren sie weiterhin handlungsfähig, womit wir einen Stillstand in der Branche verhindern wollten. Das Feedback dazu war viel besser als erwartet.
Auch im Januar werden wir diese digitale Veranstaltung noch einmal aufleben lassen. Unsere Kundschaft wird erneut die Chance bekommen, in virtuellen Showrooms die neuesten Kollektionen zu präsentieren, mit Einkäuferinnen und Einkäufern in Kontakt zu treten und das Business weiterlaufen zu lassen.“
Im Sommer ist wieder mit einer Entspannung der Situation zu rechnen, sofern die Infektionslage nicht völlig aus dem Ruder läuft. Mit etwas Glück kommen wir sogar in Europa in die Nähe einer Herdenimmunität, wenn die Massenimpfungen gut laufen. Aber was hat das Virus verändert? Wie sehen die Messen der Zukunft aus?
„Die Branche wird und muss sich nach der Pandemie verändern. Das zwingt auch uns dazu, Messen, Konferenzen und Events ganz neu zu denken. Wir nehmen die Herausforderung sehr ernst und stecken unsere gesamte Energie in ein Projekt mit Zukunft: die FRANKFURT FASHION WEEK im Sommer 2021.
Wir werden ein inklusives, hybrides, ganzheitliches Konzept auf die Beine stellen. Unsere Formate werden weiterentwickelt: von einem ‚Marketplace of Products‘ zu einem ‚Marketplace of Purpose and Ideas‘. Es geht nicht mehr um Einzelprodukte, es geht um Marken, Firmenphilosophie, um Transparenz und Ehrlichkeit.
Dazu arbeiten wir mit starken Partnern zusammen. Wir freuen uns sehr, dass im Sommer 2021 die CONSCIOUS FASHION CAMPAIGN, die mit dem United Nations Office for Partnerships zusammenarbeitet, Presenting Partner der FRANKFURT FASHION WEEK wird. Ziel ist es, alle Formate bis 2023 an die Sustainability Development Goals (SDGs) zu koppeln gemeinsam mit deren Hilfe.“
Kehren wir wieder zu den „alten beziehungsweise gewohnten Orderrhythmen“ zurück?
„Das ist abzuwarten, wie und wie schnell sich die Branche von der aktuellen Lage erholen wird. Trotzdem glaube ich, dass es weiterhin ein Branchen-Treffen zu bestimmten Terminen geben muss, um eine Planbarkeit zu gewährleisten. In welchen Zyklen das stattfinden wird – man wird es sehen.“
Ein Neustart wie in Frankfurt bietet gerade durch die Kooperation mit der messe frankfurt viele Chancen. Was wird konzeptionell und strategisch in Frankfurt anders sein als in Berlin?
„Die FRANKFURT FASHION WEEK wird ein ganzheitliches Konzept. Die Formate der PREMIUM GROUP – PREMIUM, SEEK und FASHIONTECH – werden neben NEONYT und FASHION SUSTAIN der messe frankfurt auf einem Gelände stattfinden. Hinzu kommt ein gemeinsames, neues Messeformat: The Ground.
The Ground ist Purpose- and Value-driven und richtet sich an die gesamte Wertschöpfungskette. Wir fokussieren uns dabei auf den Denim-Lifestyle und konzipieren ein modernes B2B- und B2P-Konzept. Das Motto: ‚Denim meets Gen Z meets Highstreet‘ – alles mit einer 360-Grad-Kommunikation. Um den Ansprüchen der jungen Generation gerecht zu werden, wird das Brandportfolio anhand der SDGs gekoppelt. Mindestens 5 der 17 SDGs müssen erfüllt werden, wenn man auf The Ground ausstellen will.
Über das Messegelände hinaus zieht sich ein roter Faden durch die ganze Stadt. In Off-Locations werden innovative Events, Runway Shows, Get-togethers, Partys und viele weitere Formate präsentiert – alles vom Kern-Team der FRANKFURT FASHION WEEK kuratiert. Man kann gespannt sein!“
Macher statt Messe
Die FRANKFURT FASHION WEEK (5. bis 9. Juli 2021) gibt sich eine nachhaltige Agenda. Das neue Format in der Mainmetropole will Antreiber sein, Beschleuniger „hin zu einer modernen, ressourceneffizienten Branche“. Inzwischen haben die Veranstalter (messe frankfurt und PREMIUM GROUP) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Verantwortlichen der Stadt Frankfurt weitere Einzelheiten bekannt gegeben und den Ablauf konkretisiert.
Nachhaltigkeit und Zusammenarbeit mit der CFC
Die CONSCIOUS FASHION CAMPAIGN (CFC), in Kooperation mit dem United Nations Office for Partnerships (UNOP), wird Presenting Partner mit der Konsequenz, dass die Sustainable Development Goals (SDGs) bis 2023 Voraussetzung für Aussteller zur Teilnahme werden. Zum Auftakt müssen sich Aussteller auf dem neuen Format „The Ground“ zu mindestens 5 der 17 SDGs bekennen. Zudem soll der Frankfurt Fashion SDG Summit by CFC zur internationalen Leitkonferenz für Nachhaltigkeit in der Modewelt werden.
Detlef Braun, Geschäftsführer der messe frankfurt, setzt sich für den European Green Deal ein. Auch die Mode- und Textilbranche soll bis 2050 klimaneutral werden. „Die FRANKFURT FASHION WEEK lädt alle Initiierenden und Beteiligten nachhaltiger Konzepte, Kongresse und Shows, die sich dem Thema Sustainability widmen, ein, sich in Frankfurt zu treffen, zu diskutieren und konkrete Entscheidungen zu treffen. Wir vernetzen die relevantesten Makers und Shakers für eine zukunftsfähige Mode- und Textilbranche“, sagt Braun. Überdies lanciert die FRANKFURT FASHION WEEK einen Nachhaltigkeitspreis für Design und weitere Kategorien. Während eines eintägigen Frankfurt Fashion SDG Summit presented by CONSCIOUS FASHION CAMPAIGN werden Fragen nach Geschlechtergleichheit, sauberem Wasser, Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und ihrer Bedeutung für eine zukunftsweisende Modebranche thematisiert. Ziel der FRANKFURT FASHION WEEK ist es, dass sich alle Ausstellenden, Teilnehmenden und Partnerinnen und Partner bis 2023 zu den Sustainable Development Goals bekennen. „Es geht darum, Werte und Wertschöpfung nicht als Kontroverse, sondern als Chance zu begreifen. (…) Mit diesem Impuls entwickeln wir auch unsere Messeformate von einem Marketplace of Products zu einem Marketplace of Purpose and Ideas“, sagt Anita Tillmann, Managing Partner der PREMIUM GROUP. „Wir sprechen mit vielen Messen, Organisationen, Marken und potenziellen Partnern, nicht nur in Deutschland. Unser Ziel ist es, das internationale Modegeschäft zusammenzubringen. Weitere Informationen werden im nächsten Jahr bekannt gegeben.“
Vielfalt und ein neuartiges Format
Nach den Vorstellungen der Macher wird die FRANKFURT FASHION WEEK B2B, B2C und B2P; Damen- und Herrenkollektionen; Skate-, Mainstream-, Contemporary- und High Fashion in Tradeshows, Konferenzen, Runways und Events zusammenführen. PREMIUM und messe frankfurt lancieren gemeinsam ein neues Messeformat „The Ground“. Das hybride Business-to-People-Format (B2P) soll Iconic Brands für eine zukunftsorientierte Zielgruppe präsentieren. Das neuartige Format adressiert die komplette Wertschöpfungskette, vertikal wie horizontal. Damit werden über ein Netz Ingredient Brands, Direct-to-Consumer-Marken sowie herkömmlich distribuierte Denim-, Sneaker-, Lifestyle- und Performance-Labels sowie Konsumenten miteinander verknüpft. „Formate wie der Community Space und die Community Content Stage bieten neue Möglichkeiten, Marken, Produkte und Prozesse in Szene zu setzen“, heißt es dazu. The Ground wird gemeinsam mit den bekannten B2B-Messen PREMIUM, SEEK und NEONYT vom 6. bis 8. Juli 2021 auf dem Frankfurter Messegelände stattfinden.
Frankfurt und all die anderen
Die Stadt Frankfurt selbst soll zur Bühne für zeitgemäße Modeinszenierungen und Diskursraum für einen offenen Dialog werden. Dafür hat die messe frankfurt ein Kreativboard mit elf Agenturen. Gesprächsrunden mit Museen, Musik, Kunst und Kultureinrichtungen, Hochschulen und dem Frankfurter Handel sowie zahlreiche weitere Events und Happenings sind bereits geplant. Erstmals in Frankfurt findet die Skateweek SKTWK der Agentur fine lines Marketing statt. Die SKTWK bringt mit offenen Sessions und Contests über Kunst- und Fotoausstellungen sowie Videoscreenings bis hin zu Musik und Partys die Skateboard-Kultur an den Main.
Zur Inszenierung der Fashion Shows in der Frankfurter Festhalle wurde ein hybrides Runway-Konzept entwickelt, mit klassischen Fashionshows für geladenes Fachpublikum und kuratierten Shows mit Shop-The-Runway-Formaten sowie Livestreams. Die FRANKFURT FASHION WEEK wird zum „Katalysator phygitaler Innovationen. Livestream-Events, Online-Panels, Matchmaking-Tools, digitale Marktplätze und Shopping-Erlebnisse, Virtual Reality und nicht zuletzt eine mobile App werden von der FRANKFURT FASHION WEEK forciert und gezielt konzeptionell eingebunden – als Wegbereiter für den Austausch der Branche“. Auch ausgewählte Medien und der Fashion Council Germany (FCG) haben ihr Mitwirken bereits angekündigt.