„Corona-Zeiten, schlechte Zeiten“

Obdachlosigkeit

Der Verkauf des Straßenmagazins „fiftyfifty“ gibt Obdachlosen eine Struktur und die Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen ©fiftyfifty

Autorin: Katja Vaders
Dezember 2020: Gastronomien und der Kulturbetrieb stehen still, viele Unternehmen und Soloselbstständige straucheln, Weihnachten wird in diesem Jahr mit Abstand gefeiert. Und während die meisten über Kurzarbeitergeld, Homeoffice-Pauschalen und Kontaktbeschränkungen diskutieren, gibt es Menschen, die ganz andere Probleme haben. Ein Besuch bei der gemeinnützigen Organisation zur Unterstützung von Obdachlosen fiftyfifty in Düsseldorf.

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fiftyfifty ist ein wichtiger Ort für Düsseldorfer Obdachlose. Vor dem Büro der Sozialberatung in Düsseldorf-Oberbilk hat sich seit der Corona-Krise einiges verändert. Ein großer Teil der Arbeit ist nach draußen verlegt worden – mit Unterstand, Desinfektionsmittelspender, Heizpilz und mit Gaffer-Tape abgeklebten 1,50-Meter-Abständen. Wer ins Büro von fiftyfifty möchte, muss erst einmal in eine Art Schleuse treten: soziale Arbeit in Zeiten von Corona. „Unser Café ist viel zu klein, als dass sich dort noch Leute aufhalten können. Nur wenn es nötig wird, nehmen wir sie zu einem Einzelgespräch mit ins Büro. Wegen der Schutzverordnungen haben wir definitiv nicht mehr den gleichen Durchlauf wie vor Corona“, erzählt Julia von Lindern, Sozialpädagogin und bei fiftyfifty unter anderem zuständig für die Pressearbeit.

fiftyfifty ist unabhängig von Kommune, Land oder Bund und finanziert sich über eine eigene Galerie und Spenden. Bereits seit 25 Jahren gibt die Organisation das gleichnamige Straßenmagazin heraus, das von Obdachlosen verkauft wird, um ihnen Struktur sowie einen Zusatzverdienst zu ermöglichen. Außerdem bietet sie eine Sozialberatung an. Übrigens sind nicht alle Menschen, die „fiftyfifty“ verkaufen, obdachlos, betroffen von Armut hingegen schon.

fiftyfifty ist unabhängig von Kommune, Land oder Bund und finanziert sich unter anderem über eine eigene Galerie, die in Düsseldorf-Eller zu finden ist.

Eine der Straßenmagazinverkäuferinnen, für die das fiftyfifty-Büro eine essenzielle Anlaufstelle ist, heißt Buffy. Die 33-Jährige hat Pflegegrad 4, ist auf einen Rollator angewiesen und musste vor einigen Wochen vor häuslicher Gewalt ihres Ex-Partners nach Düsseldorf fliehen. Seitdem ist sie obdachlos, auch wenn sie zurzeit glücklicherweise bei einem guten Freund untergekommen ist. Buffy ist nicht das erste Mal ohne Wohnung, bekommt aber gerade deutlich zu spüren, dass dies zu Pandemiezeiten noch härter ist als sonst. „In Corona-Zeiten kommt man sehr schlecht auf der Straße zurecht. Meine Kollegen und ich verkaufen gerade viel weniger Straßenzeitungen. Ich bin zwar noch jung, müsste aber durch den Pflegegrad 4 eigentlich im Rollstuhl sitzen. Ohne meinen Kater, meinen Partner und meine Kinder hätte ich gar keinen Grund mehr, auf dieser Welt zu bleiben“, erzählt sie. Buffy ist zwar froh, dass sie gerade einen trockenen und warmen Schlafplatz hat, weiß allerdings nicht, wie lange das noch so ist. Es gibt Ärger mit dem Vermieter des Bekannten, bei dem sie untergekommen ist. Der möchte nicht, dass Buffy in der Wohnung übernachtet. „Ich wäre bereit, anteilig Nebenkosten zu zahlen, aber er will uns trotz Corona lieber aus der Wohnung werfen. Frauen haben es wirklich schwer auf der Straße, werden schnell vergewaltigt. Ich bin kurz davor, mit meinem Kater in ein Zelt zu ziehen.“

Die Sozialberatung von fiftyfifty in Düsseldorf-Oberbilk hat einen Großteil ihrer Arbeit nach draußen verlegt. Mit einem Unterstand, Heizpilz …

Große Sorgen, die bei fiftyfifty auf Gehör stoßen. Die Sozialberatung hat immer montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr geöffnet, hier gibt es nicht nur einen heißen Kaffee, sondern vor allem die Möglichkeit, sich anonym und kostenlos beraten zu lassen oder Telefonate zu führen. Das Angebot ist extrem niedrigschwellig und an keine Bedingungen geknüpft. Man möchte vielmehr Hilfestellung bei Schwierigkeiten mit Behörden, dem Jobcenter, Krankenkassen oder Problemen mit der Staatsanwaltschaft leisten. „Obdachlosigkeit ist eng verwoben mit Kriminalisierung. Diesen Begriff benutzen wir ganz bewusst. Sucht ist zum Beispiel eine anerkannte Krankheit und es ist völlig kontraproduktiv, Leute wegen ihres Konsums zu kriminalisieren. Dazu kommen Verfahren wegen Schwarzfahrens oder kleinerer Diebstähle, Prostitution im Sperrbezirk oder Ordnungsgelder, weil man gegen die Straßenverordnung verstoßen hat, etwa indem man eine Plane zwischen zwei Bäume spannt, um einen trockenen Schlafplatz zu haben“, erklärt Julia von Lindern. Manche der „Platten“, so nennt man die Lager von Obdachlosen, werden geduldet, wieder andere rigoros geräumt, auch im Winter. „Man sollte uns nicht aus Ecken vertreiben, die gerade eh geschlossen sind. Wenn wir uns so einen verlassenen Regen- oder Windschutz gesucht haben: Warum können wir nicht bleiben?“, fragt sich auch Buffy.

Diese Räumungen sind insbesondere unter Pandemiebedingungen folgenreich. „Wir fordern einen Räumungsstopp, weil alle Notunterkünfte bis unters Dach voll sind“, appelliert Julia von Lindern. Denn natürlich unterliegen auch die Schlafstellen für Obdachlose den Corona-Schutzverordnungen. Abstandsregeln bedeuten, dass die Belegung der Notschlafstellen nicht wie gewohnt möglich ist. „Die Stadt Düsseldorf hat zwar sehr klug reagiert und leer stehende Hotels für obdachlose Menschen angemietet. Nur leider sind auch die schnell voll belegt“, so von Lindern.

… und einem überdachten Fenster hat man sich winterfest gemacht. Alle Fotos ©Katja Vaders

Volle Schlafstellen sind natürlich ideale Bedingungen für das Coronavirus, sich auszubreiten. Wie ist eigentlich die Zahl der Infizierten unter den Obdachlosen? „Darüber ist uns wenig bekannt. Das liegt aber nicht daran, dass es keine Fälle gibt, sondern dass nicht getestet wird“, erklärt Julia von Lindern. 50 Prozent aller Obdachlosen in Düsseldorf seien keine Deutschen, die zum überwiegenden Teil auch nicht krankenversichert sind. Daher sind Corona-Tests nicht finanzierbar. Auch Möglichkeiten, in Quarantäne zu gehen, gibt es für die meisten Wohnungslosen nicht.

Trotz dieser Schwierigkeiten läuft beim zweiten „Lockdown light“ vieles besser als im Frühjahr, auch wenn einige Begegnungsstätten wie Cafés von kirchlichen Trägern geschlossen haben. Das ist insbesondere im Winter dramatisch, in dem naturgemäß mehr Hilfeangebote benötigt werden. „Die Altstadt-Armenküche hat beispielsweise gerade einen enormen Zuwachs von 120 auf derzeit 300 Essen am Tag.“ Die Lebensmittelversorgung ist aber nur ein Teil der wichtigen Hilfemaßnahmen für Obdachlose. „Die Tagesstätten für Wohnungslose dürfen gerade nur noch ein Viertel der Leute reinlassen. Das ist bei der momentanen Witterung ein totales Dilemma.“

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Erschwerend hinzu kommt, dass auch Gastronomien oder die Museen geschlossen sind. Eine Katastrophe, wenn man sich einfach mal die Hände waschen oder eine Toilette benutzen möchte. „Viele der öffentlichen Toiletten sind defekt, andere kosten Geld. Das heißt, man muss sich draußen hinhocken. Gerade für uns Frauen ist das nicht schön“, klagt Buffy.

fiftyfifty kann die Obdachlosen zumindest mit dem Nötigsten unterstützen. „Neben Masken können wir Schlafsäcke verteilen, da ist der Bedarf unheimlich groß, weil viele aus Infektionsschutzgründen nicht in die Notunterkünfte gehen. Man darf nicht vergessen, dass obdachlose Menschen zur Hochrisikogruppe gehören und im Bundesdurchschnitt zehn Jahre früher sterben als die mit festem Wohnsitz.“

Hauptsache sauber

Auch Einkommensquellen wie Betteln sind in Pandemiezeiten rapide eingebrochen. „Corona ist für die Leute, die Straßenzeitungen verkaufen oder auf sonstige zusätzliche Einkünfte angewiesen sind, sehr schwierig. Auch Straßenmusik macht keinen Sinn. Im Sommer war das alles anders, da konnte man Flaschen sammeln. Jetzt fallen auch noch die Weihnachtsmärkte aus, bei denen viele Menschen in Armut als Aushilfe arbeiten oder Obdachlose, die fiftyfifty verkaufen konnten“, so Julia von Lindern. Buffy beobachtet die wachsende Rivalität auf der Straße. Mehr denn je sind die Obdachlosen daher auf die Solidarität und die Spenden der „normalen Bürger“ angewiesen. Dabei helfen ein paar Euro genauso wie etwas zu essen.

„Es gab im Frühjahr Bauzäune, an die man in Tüten verpacktes Essen hängen konnte. Vielleicht kann man so etwas organisieren, wenn man uns die Lebensmittel nicht selber geben möchte. Oder man bringt sie zu einer anderen Stelle wie der Armenküche!“, so Buffy. Ihr fehlt in Pandemiezeiten auch die persönliche Ansprache von Passanten. „Es geht nicht darum, dass man uns eine Zeitung abkauft. Ich möchte nur, dass man uns als Menschen behandelt. Egal, was für eine Hölle man durchgestanden hat, man ist ein Mensch. Viele haben ihre Familie verloren und sind dadurch suizidgefährdet. Daher wäre es schön, wenn alle Leute etwas mehr zusammenhalten könnten. Das würde uns auch unsere Würde lassen“, erklärt sie.

Ein Appell an uns alle, aufmerksamer zu sein, Obdachlose wahrzunehmen und neben einem Euro vielleicht auch mal ein nettes Wort übrigzuhaben. Wer Berührungsängste hat, kann an fiftyfifty spenden – oder an eine andere der zahlreichen Obdachlosenhilfen in Deutschland. „Von dem Geld werden verschiedene Dinge besorgt, die wichtig für unser Überleben sind. Oder jetzt gerade Weihnachtsgeschenke. Dafür sind wir sehr dankbar!“, so Buffy.

fiftyfiftySpendenkonto: Asphalt e.V./fiftyfifty, Postbank Essen, DE35 3601 0043 0539 6614 31

Für mehr Infos, auch zur Galerie: www.fiftyfifty-galerie.de