Autor: Markus OessDie Verbraucher-Umfrage von GermanFashion hat den stationären Modehandel zumindest nicht als Verlierer ausgemacht. Ein Erfolg im Kampf gegen Online-Händler, die bereits im ersten Lockdown von der anhaltenden Abkehr des klassischen Einkaufsbummels zusätzlich profitieren konnten. Denn während auch die Modegeschäfte in ein wochenlanges künstliches Koma versetzt wurden und viele noch nicht einmal aushilfsweise auf Online-Verkäufe ausweichen konnten, durfte die digitale Konkurrenz weitermachen. Nachdem die Frühlingssonne und die Erholung der Wirtschaft die düsteren Ereignisse des Frühjahrs fast schon vergessen machten, erwischt die zweite Infektionswelle die Republik mit voller Wucht. Auch wenn gerade die Wahlen in den USA wieder einmal Zweifel an der Prognosesicherheit und Aussagekraft von Umfragen kräftig nähren, zeigt die Studie: Die Deutschen lieben ihre Innenstadt und der stationäre Handel schneidet in der Verbrauchergunst deutlich besser ab, als im Vergleich zum Online-Handel zu befürchten war. Aber reicht das? Wer sind die Gewinner der Corona-Krise und was können stationäre Händler nun tun? Wir haben die Chefs der drei großen Verbundgruppen befragt. Susanne Sorg, Vorstand EK/servicegroup (Bielefeld), Dr. Daniel Terberger, Chef der KATAG AG (Bielefeld), und Xaver Albrecht, Geschäftsführung unitex (Neu-Ulm), geben Antworten.
FT: Hat es Sie überrascht, dass der stationäre Fachhandel höher im Kurs steht, als in der Öffentlichkeit gemeinhin vor dem Hintergrund des Online-Booms gedacht?
Susanne Sorg: „In dieser Deutlichkeit ja. Dieses positive und überaus erfreuliche Ergebnis ist ein klares Zeichen dafür, dass sich die vielfältigen Anstrengungen des stationären Fachhandels lohnen und vom Endverbraucher durchaus wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
Viele unserer Fachhändler haben uns in den letzten Wochen von sehr positiven Gesprächen mit ihren Kunden berichtet. Insbesondere wurde häufig betont, wie wichtig Bekleidungsfachgeschäfte als inspirierende Informationsquelle und Ort der Begegnung sind.
Vor allem sehen wir eine deutliche Rückbesinnung auf die lokalen Platzhirsche. Diese Tatsache ist bei all den herausfordernden Rahmenbedingungen ermutigend und motivierend zugleich.
Allerdings machen uns die aktuellen Entwicklungen, die die Abwärtsspirale in den Citys weiter beschleunigen, und der drastische Frequenzrückgang in den Innenstadtlagen große Sorgen. Hier bleibt neben staatlichen Wirtschaftshilfen weiterhin auch die Flexibilität von Kommunen und Vermietern gefragt. Trotzdem wissen wir natürlich, dass wir auch diese Krise in erster Linie selbst meistern müssen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das im Verbund mit unseren Händlern und Industriepartnern schaffen können.“
Dr. Daniel Terberger: „Natürlich sind die Ergebnisse dieser Umfrage sehr erfreulich. Der Mensch ist ein soziales Wesen und er braucht die Kommunikation. Wenn wir sehen, dass bei Mode immer auch Kommunikation, der Wunsch nach Interaktion im Spiel ist, und zwar vom Verkaufsgespräch bis zum Wunsch, sich mit seinem Kleidungsstil selbst auszudrücken, verwundert es kaum, dass die Menschen den Bummel in der Stadt und den Einkauf im stationären Fachhandel schätzen, gerade nach dem ersten Lockdown, der uns alle schwer getroffen hat. Der örtliche Fachhandel ist die Bühne schlechthin für Kommunikation. Allerdings muss ich einschränkend sagen, dass ich von Haus aus skeptisch gegenüber Umfragen bin. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was ich sage, und dem, was ich wirklich tue, wie wir gerade in den USA bei der Wahl gesehen haben. Oder nehmen Sie das Thema Nachhaltigkeit, auch wenn die Studie von GermanFashion dieses neu einordnet. Viele Verbraucher sagen, das sei ihnen wichtig, greifen aber dann im Laden zum billigen, stylishen Teil, das so gar nicht fair und sauber produziert wurde. Das soll nun nicht heißen, dass wir nicht mehr auf faire und saubere Produktionsbedingungen achten sollen. Es ist in diesem Fall hier nur ein Beispiel, wie geäußerte Meinung und konkretes Handeln auseinandergehen können.“
Xaver Albrecht: „Das hat mich nicht wirklich überrascht. Es geht darum, mit und über die Mode ein gutes Gefühl zu verkaufen. Welcher Unternehmenszweig sollte das besser können als der stationäre Fachhandel? Dennoch muss man sich die Frage stellen, warum die Absatzzahlen der Onliner so deutlich steigen. Das ist einerseits sicherlich mit der COVID-19-Pandemie zu erklären, andererseits geht es um ,Convenience‘ und die Bequemlichkeit der Kunden. Man muss dem Kunden dort begegnen, wo er das möchte. Deswegen haben wir in den letzten Jahren die Themen Digitalisierung und Verkauf über das Netz vorangetrieben und die Mitglieder, die beide Optionen – stationär und online – anbieten können, also hybrid unterwegs sind, haben heute die Nase vorn.“
Wer sind Ihrer Meinung nach die Gewinner der aktuellen Krise im (besonders im stationären) Handel (auch mit Blick auf einen drohenden zweiten Komplett-Lockdown, sollten die Infektionszahlen nicht sinken) und woran liegt das?
Dr. Terberger: „Zweifelsohne sind Online und Food die großen Gewinner der Pandemie, auch DIY zähle ich dazu, ebenso wie Consumer Electronics. Möglicherweise stehen wir beim digitalen Food-Handel sogar an einem Tipping Point, der dann den gleichen Weg weist, wie wir ihn in der Mode schon hinter uns haben. So oder so, stationäres Non-Food zählt in 80 Prozent der Fälle zu den Verlierern. Gleichzeitig hat die Anlass-/Businessmode im Lockdown ihre wichtigsten Treiber verloren. Statt Hochzeiten haben wir Homeoffice. Unterdessen hat auch die Casualisierung zu weiteren Verschiebungen der Nachfrage geführt. Nun gehen die Infektionszahlen wieder hoch und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie treffen uns wieder mit voller Wucht. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, in dem viele im Handel und in der Industrie sowieso schon angezählt sind. Jetzt sind wir fast schon in unserer Branche an einen Punkt gelangt, an dem es oft nur darum geht, wer länger durchhält. Das ist die dramatische Großwetterlage. Aber bei genauerem Hinsehen gibt es durchaus Händler und Marken, die gut durch diese Krise kommen. Zum Beispiel gute Mittelständler mit starkem Geschäftsmodell wie FUSSL und ROBERT LEY, aber auch Leffers und Zinser werden sicher gestärkt aus der Krise gehen, ebenso wie casual orientierte starke Marken. Dazu gehören PME LEGEND, Marc O’Polo und mey.“
Sorg: „Kenne deinen Kunden! Was jetzt zählt, sind intensive, persönliche Kundenbeziehungen, denn der Lockdown hat nicht nur messbare Auswirkungen auf das Kaufverhalten, sondern auch auf die Stimmungslage der Menschen. Es kommt darauf an, sichtbar zu sein, den Kontakt zu halten und individuelle, relevante Botschaften zu senden, auch über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co und Messenger-Plattformen wie WhatsApp. Wer in dieser Situation über ein gutes CRM-System als Datenquelle für eine gezielte Kundenansprache verfügt, ist klar im Vorteil.
Immer deutlicher wird auch, wie wichtig die professionelle Kombination aus stationärer und digitaler Kompetenz für die Stärkung der Händlermarke ist. Der Aufbau einer guten Website ist ein erster Schritt; für eine nachhaltige Zukunft sind allerdings noch viele weitere Schritte notwendig. Hier hat die gegenwärtige Krise einen unumkehrbaren Transformationsschub ausgelöst. Weiterhin sehen wir, dass B-Lagen zurzeit besser performen als A-Lagen. Manchmal ist es eben besser, in der 2. Bundesliga an der Spitze zu stehen als in der 1. in der Abstiegszone. Ich hoffe, die Bielefelder Fußballfans verzeihen mir diesen Vergleich.“
Albrecht: „Gewinner in Krisenzeiten sind die kreativen Unternehmer, die sich mit neuen und innovativen Geschäftsmodellen beschäftigen. Diese Krise hat uns aufgezeigt und gelehrt, dass der Fokus nur auf klassische Geschäftsmodelle nicht zukunftsträchtig ist. Wir haben unsere Mitglieder daher bestmöglich darin bestärkt, sich mit innovativen Vertriebskanälen zum Beispiel über Plattformen oder Social Media zu beschäftigen. So konnten und können auch während eines Komplett-Lockdowns via Omnichannel Umsätze generiert werden.
Grundsätzlich lässt sich in diesem Jahr außerdem feststellen, dass die Frequenzverluste und damit verbunden die Umsatzrückgänge in den Einkaufsmeilen der Großstädte und in den Shoppingcentern größer sind als in den Klein- und Mittelstädten. Zudem stellen wir fest, dass es wieder mehr ,Lokalpatriotismus‘ gibt. Ein Teil der Kunden erkennt mehr als in der Vergangenheit die Wichtigkeit und die Notwendigkeit einer funktionierenden Infrastruktur in einer Stadt, inklusive ansprechender Gastronomie und der Vielfalt des Handels vor Ort. Die Pandemie verstärkt manche Entwicklungen. Wer seine Kunden kennt und ein attraktives Angebot in einem zeitgemäßen Ambiente präsentiert, der hat beste Chancen, als Gewinner aus dieser Krise herzvorzugehen.“
Welche Handlungsempfehlungen leiten Sie aus der augenblicklichen Lage und dem Stimmungsbild in der Gesellschaft für den Handel ab?
Albrecht: „Es gibt hohe Planungsunsicherheiten, deshalb ist es notwendig,
- alle – wirklich alle – Kosten auf den Prüfstand zu stellen (es darf dabei keine Tabus geben),
- sich mit ausreichend Liquidität zu versorgen,
- trotz der angespannten Situation aktiv und unternehmerisch zu handeln und
- sich intensiv untereinander auszutauschen.
Wir stellen fest, dass die Gemeinschaft wichtiger denn je ist. Wir freuen uns sehr über die aktive Kommunikation mit den Mitgliedern der unitex. Die Lernkurve ist bei allen Beteiligten in diesem Jahr besonders hoch. Dass Gemeinschaft besonders gefragt ist, stellen wir zum Beispiel auch dadurch fest, dass bereits über 100 Modehändler sich in diesem Jahr entschieden haben, Mitglied der unitex zu werden.“
Dr. Terberger: „Es gibt keine allgemeine Handlungsempfehlung. Da spielen eine Menge Faktoren rein: Wettbewerbsumfeld, Positionierung, Lage, lokales Infektionsgeschehen und so weiter. Also, es muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Aber eines ist klar, um den Eingangsgedanken wieder aufzunehmen: Wir sollten jede Kundin und jeden Kunden ernst nehmen, ganz egal, ob es um den Kauf eines Luxusteils geht oder um das Schnäppchen für 9,99 Euro. Wir sollten auf die Bedürfnisse unserer Kunden eingehen. Sicher ist es für Onliner viel einfacher, eine Nische zu bedienen und sich dort hoch zu spezialisieren. Wir müssen die Breite der Gesellschaft modisch abbilden. Aber darin liegt auch eine Chance im Wettbewerb um die Kundengunst. Soziale Medien können eines nicht bieten und das ist Heimat. Gerade auch der örtliche Händler und der Laden um die Ecke sind elementarer Bestandteil davon.“
Sorg: „Wie schon angedeutet: Das Konsumverhalten und die Bedürfnisse der Kunden haben sich in der Krise signifikant verändert. Darauf hat sich der Einzelhandel in vielen Bereichen schon in bemerkenswerter Art und Weise eingestellt. Nach einigen Monaten ‚Krisenerfahrung‘ haben sich aus meiner Sicht diese grundsätzlichen Handlungsempfehlungen herauskristallisiert:
- Fokussierung auf den eigenen USP und eine entsprechend konsequente Analyse des Lieferantenportfolios;
- Sicherung der monetären Flexibilität, um auf kurzfristige Marktausschläge reagieren zu können, zum Beispiel über die Budgetgestaltung und die Open-to-Buy-Planung (OTB) für eine optimale Bestandshöhe;
- Digitalisierung ist ein Must-have – kein Nice-to-have! Das stationäre Geschäft muss um ein attraktives Online-Angebot erweitert/ergänzt werden.
- Eigenmarken mit hoher Kalkulation und Abverkäufen sind ein wichtiges Differenzierungsmerkmal und Garant für wirtschaftlichen Erfolg. Business-Intelligence/Retail-Analytics-Lösungen werden damit zum differenzierenden Wettbewerbsfaktor.
Last, but not least: Wir machen, alle profitieren – das ist Verbund. Wer die Stärken und Möglichkeiten einer Verbundgruppe noch nicht nutzt, sollte das schnell ändern. Denn eines haben die zurückliegenden Monate eindrucksvoll gezeigt: Eine gute Händlergemeinschaft ist stärker als der Einzelne.“