Autor: Markus Oess Ohne geht es nicht. Die physische Winterausgabe der Pitti Uomo ist bestätigt. Zwar führe jeder das Wort der Digitalisierung im Munde und tatsächlich habe die COVID-19-Pandemie der Entwicklung einen ordentlichen Schub verpasst. Aber digitale Events seien deswegen noch lange kein adäquater Ersatz für die realen Branchen-Veranstaltungen. Messen, sagt CEO Pitti Immagine Raffaello Napoleone im Interview mit FT, werden immer real bleiben, digital sind sie eine sinnvolle Ergänzung.
FT: Herr Napoleone, es ist die längste Pitti, die es je gegeben hat. Wie fällt denn die Zwischenbilanz hinsichtlich Resonanz der Einkäufer, Marken und auch Mode-Community, aber auch hinsichtlich der technologischen Herausforderungen aus?
Raffaello Napoleone: „Wir hatten sehr positive Reaktionen auf die Pitti Connect sowohl von Einkäufern, Ausstellern als auch von der Modegemeinschaft im Allgemeinen – und das inhaltlich und auch in Bezug auf die Gesamterfahrung.
Um Ihnen ein paar Zahlen zu nennen: Wir hatten mehr als 1 Million Seitenaufrufe, die von den Besuchern seit dem 16. Juli bei Hunderten von Ausstellern gesehen wurden. Die Verweildauer des Betrachters auf einer Seite stieg um 34 Prozent und damit von 1,38 Minuten auf 2,11 Minuten. Ein in der Tat sehr gutes Ergebnis. Dies gibt uns einen Hinweis darauf, dass die Plattform von der Modegemeinschaft gut aufgenommen wurde und der Betrachter sie immer interessanter fand. Allerdings stimmt es auch, dass wir unter technologischen Gesichtspunkten eine kontinuierliche Optimierung benötigen, wenn die Betreiber sich konstant verbessern. Es ist ein sich ständig weiterentwickelnder Prozess.“
Ist es angedacht, die Pitti Connect auch als Plattform zu nutzen, um sich gegenüber den Endverbrauchern (Instagram-Aktivitäten, generell Social Media, Collabs mit anderen Plattformen et cetera) weiter zu öffnen und sogar direkt zu verkaufen? Wie sehen da mögliche Schritte für die Zukunft aus?
„Unsere Messen richten sich auch weiterhin an Profis. Die Pitti Connect bietet jedem einen ersten Zugang bis zu einer ersten Ebene. Wenn Sie jedoch auf die Details eingehen, muss der Betreiber registriert sein und sich als Fachmann in der Branche ausweisen.
Derzeit ist nicht geplant, mit der Pitti eine Website für den Endverbraucher zu verbinden. Unser Ziel ist es auch künftig, das italienische und internationale Produktionssystem zu unterstützen und uns als Plattform der Branche zu widmen.“
Wenn die Pitti sich pro Ausgabe länger digital präsentieren wird, ist das auch eine Antwort auf sich verändernde Ordergewohnheiten oder wird es eher um Marketing gehen und die Order nimmt wieder ihren gewohnten Verlauf? Mit welchem Szenario planen Sie für die kommenden Jahre?
„Ich bin überzeugt, dass die Bestellungen trotz der Änderungen in der letzten Periode weiterhin an die Jahreszeiten gebunden sein werden. Wir haben gesehen, dass das System ,See now, buy now‘ nicht funktioniert. Die Mode, die die Pitti repräsentiert, ist High-End-Fashion und umfasst mehrere Produktionsdimensionen: Kreativität, sorgfältige Produkt- und Detailanalyse, Verkaufskampagnen, Kommunikation, Produktion. Ich glaube daher nicht, dass die Veränderungen der letzten Zeit zur Entstehung kontinuierlicher Kollektionen führen, die den saisonalen Rhythmus aufbrechen. Zumindest nicht für High-End-Mode.“
Wird es auch zu einer Anbahnung neuer Allianzen beziehungsweise Vertiefung bestehender Allianzen auf globaler Ebene kommen? Schließlich sprechen wir alle Englisch und die neue Weltsprache ist gerade in heutigen Zeiten digital …
„Ich denke, die Digitalisierung erfordert unser aller Aufmerksamkeit und sicherlich wird derzeit viel in die Digitalisierung investiert. Ich denke aber, dass digital immer noch eine Ergänzung des Physischen ist und daher eine physische Erfahrung nicht vollständig ersetzen kann. Sogar der Kauf im E-Commerce, bevor er abgeschlossen wird, durchläuft eine physische Erfahrung. Das Risiko des Digitalen besteht darin, Emotionen zu reduzieren. Mode besteht aus Emotionen, daher denke ich, dass das Digitale in der Modewelt immer etwas bleiben wird, das mit einer physischen Erfahrung verbunden ist.“
Fortezza da Basso öffnet ihre Tore
Geht es nach dem Willen der Veranstalter und kommt kein zweiter Lockdown, wird die 99. Ausgabe der Pitti Uomo vom 12. bis 14. Januar 2021 in der Fortezza da Basso in Florenz stattfinden. Allerdings wird die Veranstaltung um einen Tag verkürzt. „Die Entscheidung, die Winterausgabe der Pitti Uomo über drei statt über vier Tage abzuhalten, resultierte aus dem Bewusstsein für die heikle Übergangsphase, die wir durchlaufen und die von Industrie und Handel erlebt wird – auf der ganzen Welt, nicht nur in Italien“, sagt Agostino Poletto, General Manager von Pitti Immagine. Das Management habe die Gesamtsituation ausgiebig analysiert. „Wir sind Realisten und erwarten andere Zahlen als die, die wir normalerweise verzeichnen“, sagt Poletto. In der Folge wurde der Freitag gestrichen und dafür die täglichen Öffnungszeiten von Dienstag bis Donnerstag verlängert, sodass unterm Strich die Messe nur drei Stunden Öffnungszeit verliert.
Im Januar solle die Pitti Uomo ein lebendiger, dynamischer und proaktiver Ort sein: mit allen Dienstleistungen für Aussteller und Einkäufer, den Trends, den Sonderprojekten, den Veranstaltungen in- und außerhalb der Fortezza und der Vorstellung neuer Ideen und junger Talente, sagt Raffaello Napoleone, CEO der Pitti. „Eine physische Messe abzuhalten, die den neuen Regeln entspricht und die Gesundheit aller schützt, ist unser Hauptziel sowie eine wesentliche Voraussetzung für die Rückkehr zur Normalität“, sagt Napoleone. #SaferWithPitti bringe ein ganzes Paket von Sicherheitsmaßnahmen mit sich. So sollen unter anderem alle Pavillons und Gemeinschaftsbereiche mehrmals täglich desinfiziert werden. An den Eingängen stehen Fieberthermometer und die Besucherströme werden reguliert. Das Management habe in Sicherheit und Layouts sowie die Entwicklung des digitalen Konzeptes investiert, dennoch seien die Gebühren gesenkt worden und die Teilnahme an der digitalen Plattform Pitti Connect in der Teilnahmegebühr enthalten. Auch die Bimbo und Filati sollen unter Beibehaltung einer digitalen Ergänzung zum physischen Format zurückkehren.
Nachdem die Sommerausgabe der Pitti aufgrund der damaligen Entwicklung der Corona-Pandemie zunächst vom Juni 2020 in den September verschoben werden musste, kam doch noch das Aus. An eine physische Messe war nicht zu denken. Dafür entwickelten die Veranstalter ihren digitalen Auftritt in ein neues Format weiter. Die Pitti Connect startete am 16. Juli und blieb bis zum 9. Oktober online. Präsentiert wurden die Sommerkollektionen von namhaften Ausstellern der internationalen Modeszene. Ergänzt wurde der Auftritt mit einem ganzen Bündel an zusätzlichen Programmpunkten. So bot die Pitti Connect auch redaktionelle Inhalte, Sonderveranstaltungen, Talks und Ausstellungen zu verschiedenen Themen wie Innovationen, Nachhaltigkeit sowie Kultur und Design. Auf der neuen digitalen Plattform wurden die Pitti-Immagine-Messen Pitti Uomo 98, Pitti Bimbo 91 und Pitti Filati 87 zusammengeführt.