Autor: Markus Oess Die Bielefelder Verbundgruppe EK/servicegroup kommt alles in allem ganz gut durch die Krise, sagt Vorstand Susanne Sorg. Einmal, weil die EK gleich in sieben Branchen unterwegs ist, aber auch, weil die Weichenstellungen für die Digitalisierung des Verbundes und seiner Mitgleider rechtzeitig vorgenommen wurden. Auch wenn die Bielefelder in der Mode und dem Sport den allgemeinen Branchentrend zu spüren bekommen, stehen die Ampeln in Bielefeld auf Grün. Sorg im FT-Interview über den Markt, die Mode und den Einsatz von KI im Mittelstand.
FT: Frau Sorg, nun ist die EK-Messe durch, zu der rund 2.000 Besucher kamen. Verspürten Sie mehr banges Erwarten oder erwartungsvolle Vorfreude, bevor es losging?
Susanne Sorg: „Definitiv Vorfreude! Wir hatten zwar großen Respekt vor den Herausforderungen, in diesen Zeiten eine reale Messe zu veranstalten. Zudem hatten wir begleitend die EK LIVE digital aufgesetzt. Viele Unbekannte also, aber Kompliment an das komplette Team, die Messe war ein großer Erfolg und wir konnten spüren, wie groß der Wunsch in der Branche ist, sich wieder physisch zu treffen.“
Wie ist die Stimmung derzeit bei der Mode? Sie haben ja den Vergleich zwischen mehreren Branchen …
„In der Tat haben wir sieben Vertriebslinien, von denen zwei – Mode und Sport – leider etwas schlechter unterwegs sind. Wir bewegen uns bei Fashion aber im Marktdurchschnitt: Der März und der April waren schlecht, im Mai und Juni zeichnete sich dann eine Besserung ab, im Juli hakte es dann wieder mehr. Aber die Lage ist nicht durchgängig schlecht bei unseren Mitgliedshäusern, da hier natürlich auch individuelle Faktoren hineinspielen. Es gibt Verlierer und Gewinner. Wir haben schon vor der Messe wichtige Vorkehrungen getroffen, hier zu unterstützen, unser Sales Team hat die digitale Betreuung intensiviert. Wir haben viele Beratungsgespräche in puncto Krisenmanagement geführt und auch bei konkreten Anlässen wie Bankgesprächen oder bei den staatlichen HiIfspaketen unterstützt. Auch haben wir marktseitig zum Endkunden vieles auf den Weg gebracht. Jetzt macht es sich bezahlt, dass wir uns schon lange vor Corona digital richtig positioniert haben.“
Was bekommen Sie ordertechnisch gespiegelt und wie sind die letzten Wochen auf der Fläche gelaufen?
„Wir kommen mit unseren Eigenmarken wie ‚Marco Manzini‘‚ ,Born with Appetite‘ oder ,St. Barth‘ und ‚Blue Rebel‘ bislang gut durch. Natürlich können wir uns auch nicht dem Branchentrend entziehen, wir rechnen damit, aus dem Jahr mit einem Minus von 20 bis 25 Prozent herauszukommen. Bei Sport laufen wir knapp zweistellig ins Minus, hier spüren wir neben den unmittelbaren Folgen des Lockdowns auch den Wegfall der Großveranstaltungen Fußball-EM und Olympia. Aber im Grunde ist das auch nur eine Momentaufnahme – wenn ein zweiter Lockdown käme, wäre das eine Katastrophe. Die Infektionszahlen steigen in Europa wieder, wie Sie wissen. Wir bauen auf ein gutes Weihnachtsgeschäft, Geld ist da und weil die Urlaube bei vielen mehr oder weniger ausgefallen sind, hoffen wir, dass sich die Menschen etwas gönnen.“
Was raten Sie Ihren Mitgliedern heute?
„Wir raten dazu, sich mehr Freiräume zu verschaffen und mit der Erstorder etwas vorsichtiger zu verfahren, um Mittel für Anpassungen freizusetzen. Generell wünschen wir uns eine größere Flexibilität bei der Order und dass die festen Orderrhythmen aufgebrochen werden, um näher am Markt agieren zu können. Wir brauchen mehr Mut zur Veränderung. Wir haben zwar das Glück, als Mehrbranchenverbund auf mehreren Beinen zu stehen, aber das entbindet uns nicht von der Pflicht, uns auch um den gesamten Prozess zu kümmern, schneller zu werden, indem wir die Digitalisierung vorantreiben. Ich spreche hier von Orderprozessen, aber auch von Dingen wie Stammdaten, Bildern und so weiter und natürlich der Analyse der Verkaufsdaten. Stand heute würde ich uns hier ein Befriedigend als Schulnote geben. Wir haben keine Zeit, auf den Markt zu warten, wir müssen den Markt machen.“
„Natürlich können nun nicht alle von zu Hause arbeiten, aber wir können das Arbeiten jetzt flexibler und damit auch effizienter gestalten. Das geht hoch bis in den Vorstand.“
Was hat sich inzwischen durch den Zugang der EURETCO im eigenen Angebot modisch geändert?
„Die Modekompetenz der EURETCO tut uns natürlich gut und unsere Kollegen in Hoevelaken geben uns die richtigen Impulse. Wir kommen bei der Entwicklung unserer etablierten Eigenmarken wie St. Barth gut voran, werden modisch spürbar frischer. Aber die Deutschen sind modisch betrachtet doch etwas konservativer als die Niederländer, die es bekanntlich etwas lauter mögen. Wir passen jetzt die EURETCO-Marken wie Marco Manzini dem deutschen Markt etwas an und haben dazu auch interne Arbeitsgruppen gebildet. Wir rollen die niederländischen Marken aus und haben zum Beispiel Marco Manzini auch bereits bei mehr als 60 Flächen in Deutschland im Verkauf, Tendenz steigend.“
Corona hat die Digitalisierung vorangetrieben, auch die Akzeptanz von Telearbeit. Wie sieht es in Ihrer Organisation aus? BOSS zum Beispiel wird, wo möglich, wenigstens zwei Heimarbeitstage einrichten.
„Wir hatten 2018 das Projekt Office 365 gestartet, das jedem Mitarbeiter der EK, der das auch sinnvoll nutzen kann, Homeoffice ermöglichen soll. Ziel war es, damit im ersten Quartal 2020 zu starten. Wir hatten also das Glück, genau zum richtigen Zeitpunkt fertig zu sein. Natürlich können nun nicht alle von zu Hause arbeiten, aber wir können das Arbeiten jetzt flexibler und damit auch effizienter gestalten. Das geht hoch bis in den Vorstand.“
Glauben Sie, dass das Modell Frauen benachteiligt?
„Nein, aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das auch eine Frage der Lebenspartner ist, sich so zu organisieren, dass beide profitieren und nicht eine Partei auch noch die komplette Familienbetreuung plus Haushalt stemmen muss. Ich sehe darin vielmehr eine echte Chance, Beruf und Familie noch besser vereinen zu können.“
Was hat sich bei den Mitgliedern im Umgang mit der EK, aber auch im Umgang mit den Kunden verändert?
„Wir rücken noch enger zusammen und das Prinzip der Solidarität und Gemeinschaft hat zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Wir hatten unsere Mitglieder in allen Bereichen unterstützt, auch in Fragen der Liquidität, gleichzeitig haben wir in den zurückliegenden sieben Jahren eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, setzen diese kontinuierlich um und führen diese weiter. Heute haben wir einen digitalen Baukasten zur Verfügung, der modulare Lösungen bietet, jedes Mitglied hat inzwischen eine eigene Website, die es mit weiteren Inhalten bis hin zum Webshop ergänzen kann. In einigen Branchen arbeiten wir mit einer eigenen EK-Lösung oder einem Marktplatz. Bei Mode haben wir eine Kooperation mit zalando; Retailconnect bietet unseren Händlern einen weit größeren Markt, als wir ihn mittelfristig aufbauen könnten.“
Was bringt die Kooperation mit zalando, wie fällt die Bilanz auch vor dem Hintergrund von Corona und dem Lockdown aus?
„Die Zahlen sind wirklich vielversprechend, unsere Händler kommen auf 50 bis 60 Pakete, die sie täglich verschicken. Sicher müssen wir auch die Retouren berücksichtigen und es besteht noch hier und da Korrekturbedarf, aber es funktioniert gut und das ist das Wichtigste.“
Bringt Corona wirklich einen digitalen Schub oder ist auch diese Entwicklung von den Unternehmern getragen, die sowieso schon vorne dabei sind?
„Wie so oft sind die Firmen Treiber der Entwicklung, die generell digital im Verbund vorne dabei sind. Aber wir sehen auch in der Breite eine deutliche Veränderung. Man kann schon sagen, dass Corona für einen nachhaltigen digitalen Schub gesorgt hat.“
Das Modehaus Ebbers mit Christoph Berger zum Beispiel ist so ein Mitglied?
„Absolut, zumal der Unternehmer aus der IT-Branche kommt und jahrelang als Berater gearbeitet hat. Jetzt setzt er gemeinsam mit dem Frankfurter KI-Software-Unternehmen Panther Solutions, dem Retail Artificial Intelligence Lab (retAIL) des Lehrstuhls von Prof. Dr. Reinhard Schütte an der Universität Duisburg-Essen und uns ein KI-Projekt um, das den digitalen und stationären Einzelhandel noch weiter zusammenführt. Es geht dabei um den Einsatz von KI auf Basis der Abverkaufsdaten in Echtzeit, die richtige Platzierung der Ware und vor allem darum, den optimalen Verkaufspreis zu finden. Ein Projekt, das auch von der Landesregierung NRW gefördert wird.“
Wie kam es zu dem Projekt KIEPO?
„Herr Berger hatte uns angesprochen und wir waren sofort dabei. Die Tatsache, dass er uns angesprochen hat, macht mich dabei schon etwas stolz.“
Im Online-Shop sind die Daten und ihre Analyse eine Sache, die inzwischen jeder begriffen hat. Wie muss man sich KI im Laden vorstellen?
„Im Online-Handel sind individuelle Preise und schnelle Preisanpassungen nichts Besonderes mehr, aber auch stationär müssen wir die richtige Balance zwischen Profitabilität und tatsächlichem Abverkauf finden. Dazu analysiert das System die Abverkäufe fortwährend und testet im Grunde aus, bis der richtige Preis gefunden ist. Dabei lernt es kontinuierlich dazu und diese Learnings fließen dann wieder in die Preisfindung ein. Das geht natürlich nur, wenn die Preisauszeichnung elektronisch erfolgt. Das kostet zwar Geld, ist technisch aber keine große Herausforderung mehr.“
Nils Streitbürger, der Chef von Panther Solutions, spricht davon, dass KI ohne Branchenkompetenz wie Schießen mit der Bazooka auf Spatzen sei, aber ist der Einsatz von KI auf der Fläche eines Mittelständlers das nicht auch?
„Natürlich ist die Größe eines Ladens entscheidend, das Optimierungspotenzial in einer 8o-Quadratmeter-Boutique ist überschaubar. Bei der Größe des Hauses von Christoph Berger sieht das mit einer Fläche von 3.000 Quadratmetern schon wieder anders aus. Aber ich gebe Ihnen recht, wir sollten auch mit der nötigen Demut vor dem Detail zu Werke gehen und einen Schritt nach dem anderen machen.“
„Wie so oft sind die Firmen Treiber der Entwicklung, die generell digital im Verbund vorne dabei sind.“
Das Modell soll später auch anderen Mitgliedern zugutekommen, sprechen denn inzwischen ausreichend viele digital die gleiche Sprache?
„Das ist in der Tat ein großes Thema, wir müssen hier eine Sprache sprechen, auch bei uns im Verbund sind über 60 verschiedene Warenwirtschaftssysteme im Einsatz. Wir müssen dahinkommen, die Komplexität deutlich zu reduzieren. Ein wesentlicher Faktor ist die Nutzung eines einheitlichen Systems, das über einen sogenannten Enterprise Service Bus allen zugänglich ist.“
bonprix setzt inzwischen auch bei der Sortimentsentwicklung auf KI. Was wären die nächsten Schritte in Ihrem Projekt, die Sie ins Auge fassen?
„Ein entscheidender Wettbewerbsvorteil unserer niederländischen Kollegen, an dem wir inzwischen teilhaben, ist ihr Business Intelligence System, also die Fähigkeit, unternehmerische Entscheidungen anhand von umfassenden Datenanalysen zu treffen und abzusichern. In einem nächsten Schritt wollen wir aus der Ex-post-Analyse in die Ex-ante-Analyse kommen und mit Analysen sowie allgemeinen Konsumdaten wie denen von der GfK arbeiten, also künftige Entwicklungen vorhersagen und Handlungsempfehlungen aussprechen können. Wir müssen lernen, nach vorne zu denken und schneller zu werden.“
Hintergrund
Susanne Sorg ist Vorstand der EK/servicegroup und verantwortet die Ressorts Einkauf und Vertrieb comfort, Multichannel und IT sowie Fashion, Media und die Auslandsgesellschaften EK Austria und EK France. Die Managerin kam 2015 nach Bielefeld und war zuvor in verschiedenen leitenden Funktionen bei Handelsunternehmen wie METRO und Tchibo tätig und vor ihrem Wechsel zuletzt Mitglied der Geschäftsleitung von GS1 Germany GmbH, Köln.
Im zurückliegenden Jahr ist die Mitgliederzahl des Mehrbranchenverbundes EK/servicegroup leicht von 2.061 auf 2.005 gesunken. Zudem verzeichnete die Gruppe im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatzrückgang von etwa 5,5 Prozent auf rund 2,3 Milliarden Euro. Maßgeblicher Grund des Umsatzrückgangs war die Beendigung der Kooperation mit einer niederländischen Möbelverbundgruppe, die in der Vergangenheit einen dreistelligen Millionenbetrag über die EK abgerechnet hatte. Bereinigt um diesen Sondereffekt, lag der Umsatz der Gruppe mit einem Plus von 2,1 Prozent leicht über dem Niveau des Vorjahres.