Irrationale Zeiten

Kommentar

Autorin: Cordelia Albert

Es soll Menschen geben, die haben immer eine gepackte Tasche zu Hause, denn sie könnten ja ins Krankenhaus müssen. Das kann man heute in Corona-Zeiten sinngemäß auch auf Messen beziehen: Man hat seine Tasche gepackt. Schließlich kann es ja sein, dass die Veranstaltung stattfindet – oder eben auch nicht. Unsicherheit ist das Einzige, was sicher ist. Die FABRIC DAYS konnten zum Beispiel Anfang September in München besucht werden, ebenso wie die Gallery FASHION & SHOES in Düsseldorf. Und auch, wer auf die INNATEX, die internationale Fachmesse für nachhaltige Textilien, wollte, hatte Glück, denn sie fand rund um das erste September-Wochenende im Messecenter Rhein-Main in Hofheim statt. Wer sich stattdessen für die neuen Lederwarentrends interessierte, musste seinen Koffer stehen lassen. Zum selben Zeitraum angesetzt und nur wenige Kilometer entfernt, wurde die Internationale Lederwaren Messe in Offenbach eineinhalb Wochen vor dem Termin relativ kurzfristig abgesagt. Mit 59 Infektionen pro 100.000 Einwohner lasse das Infektionsgeschehen ein solches Ereignis auch mit Fachpublikum nicht mehr zu, weil sich die Situation in der Stadt drastisch verändert habe, erläuterte Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke. „Die ILM fällt ausschließlich der Tatsache zum Opfer, dass wir ein akutes Corona-Infektionsgeschehen haben.“ Rechtlich richtig, ist das das Ganze trotzdem völlig irrational und für manchen Aussteller und Besucher absolut nicht nachvollziehbar. Man kann sich schon fragen, wie viele Einwohner der durchschnittliche Messebesucher in der Regel trifft. Und sind andererseits die Messen, die wenige Kilometer weiter stattfinden, nur deshalb sicherer, weil weniger Bürger im Umfeld erkrankt sind? Was nutzen beispielsweise die tollsten Hygienekonzepte einer Veranstaltung, wenn man auf der Reise dorthin im vollen Nahverkehrszug Schulter an Schulter steht – im schlimmsten Fall mit Maskenverweigerern? Die Corona-Pandemie ist und bleibt ein ebenso irrationales wie emotionsgeladenes Thema – auf Messen wie im Alltag. Einerseits gebe ich im Restaurant mit weit auseinanderstehenden Tischen meine Kontaktdaten an, andererseits quetschen sich plötzlich nach Schulschluss unzählige Schüler in die Straßenbahn und niemand weiß, wer mitgefahren ist.

WERBUNG

Doch es hilft alles nichts. Wie im täglichen Leben muss jeder auch im Business versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und seinen persönlichen Standpunkt zu finden. Fürs Ordergeschehen könnten das eben der Besuch von Veranstaltungen oder andere Einkaufsmöglichkeiten sein, ob digital oder im guten alten Showroom, der gerade eine Renaissance erlebt. In jedem Fall sind auch hier Flexibilität und Gelassenheit angebracht, egal wie irrational und emotional aufgeladen die Zeiten sind.