Autor: Markus Oess Dass Covid-19 die diesjährige Order trifft, ist klar, unklar ist, was am Ende dieser Orderrunde steht und wie viel Handel und Industrie in der Kasse haben. Noch immer zeichnen die Auguren dieser Zeit ein mal helleres und mal düsteres Bild der nahen Zukunft. Ist das Glas halb voll oder halb leer, gibt es überhaupt noch eine neue Runde? Ein Blick auf die kommenden Monate.
Das Parkplatzangebot lässt sich schon als valider Indikator heranziehen, wie gut oder wie schlecht Veranstaltungen besucht sind. Und die Tatsache, dass unmittelbar auf dem Gelände der Halle 29 in Düsseldorf problemlos das eigene Vierrad abgestellt werden konnte, korreliert mit der Tatsache, dass ein FT-Besuch in den Showrooms die Frequenz vor Ort verdoppelte. Kurzum: Termine wurden vom Handel vereinbart und wahrgenommen. Aber Laufkundschaft gab es im Grunde keine. Das wichtige Exportgeschäft mit Osteuropa und dem Nahen Osten war allein schon aufgrund der Reisebeschränkungen ein Komplettausfall. Firmen wie bugatti passen vorsorglich ihre Planungen nach unten an. Marketing-Chef Stephan Horst erklärt gegenüber FT, dass die Herforder mit einem Worst-Case-Szenario arbeiten, und Manager wie Jan ten Brinke, Geschäftsführer von LERROS, legen Erfolg versprechende Ansätze wie New in Town auf Eis, um die Ressourcen auf die Hauptmarke zu konzentrieren. BRAX drückt massiv auf die Kostenbremse. Auch bei ahlers war es an diesem Montag ruhig, aber es gibt auch Lichtblicke: „Denim wird sehr gut nachgefragt, ebenso Hosen und Casual Wear. Dinge, bei denen wir mit unseren Marken gut aufgestellt sind“, sagt Dr. Stella Ahlers. Und, so der Tenor, generell komme gerade der mittelständische Handel besser durch die Krise als die großen Ketten. Unterm Strich wird sich die Branche in der Spitze bei einem Umsatzminus von 20 bis 30 Prozent einpendeln. Manche kommen sogar mit etwas Glück nahe an die Vorjahreszahlen heran, so wie LERROS etwa.
Verstärkung der Trends
Ist das Glas also halb voll oder leer? Es kommt darauf an. Studien zeichnen ein differenziertes Bild der nahen und mittleren Zukunft. Dazu kommt, dass im internationalen Vergleich die Deutschen sich bezüglich ihrer finanziellen Situation am unsichersten fühlen, wobei die Verbraucher weltweit planen, ihre Ausgaben langfristig zu reduzieren. Das besagt die internationale Studie „COVID-19 Consumer Outlook“, in deren Rahmen die globale Strategie- und Marketingberatung Simon-Kucher & Partners im Juni 2020 mehr als 12.000 Verbraucher in Deutschland, den USA, Großbritannien und China befragte. Über drei Viertel der deutschen Befragten sorgen sich um ihre finanzielle Zukunft. Zum Vergleich: In China geben 44 Prozent der Verbraucher an, positiv in ihre finanzielle Zukunft zu schauen. Und schmerzhaft genug, haben die deutschen Konsumenten ihre Ausgaben während der Krise über nahezu alle Produktkategorien hinweg reduziert. Ausnahme: Anbieter von Hygiene- und Gesundheitsprodukten sowie Streamingdienste, Lebensmittelhändler und -produzenten. Laut Studie wird das veränderte Konsumverhalten der Deutschen auch nach der Krise weiter anhalten. Die deutschen Konsumenten geben an, ihre Ausgaben in fast allen Branchen um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Besonders gilt das für die Reise- und Entertainment-Branche (Theater, Kino etc.) sowie die Gastronomie. Als Hauptgrund geben 40 Prozent der Befragten Sicherheit und Gesundheit an, die persönliche finanzielle Situation spielt für 24 Prozent ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Kriterien wie veränderte Bedürfnisse oder ein neuer Arbeitsalltag durch Homeoffice sind dagegen eher weniger relevant. Ein Hoffnungsschimmer. „Um die Krise zu überstehen, müssen viele Unternehmen ihr bisheriges Geschäftsmodell infrage stellen. Wo es geht, werden digitale Angebote stark ausgeweitet, um den Sicherheitsbedürfnissen der Kunden Rechnung zu tragen“, sagt Tim Brzoska, Partner und Global Co-Head der Consumer Goods Practice bei Simon-Kucher. „Vor allem im Hinblick darauf, dass sich die Lage durch eine zweite Welle wieder verschlechtern kann, sollten Firmen jetzt Commercial Agility entwickeln. So bezeichnen wir die Fähigkeit, schnell und flexibel immer und immer wieder belastbare Entscheidungen bezüglich Angebotsgestaltung, Vertrieb, Kostenmanagement und Preisgestaltung zu treffen. Das ist bei einer wieder aufflackernden Krise überlebenswichtig.“
Corona wird die Trends verstärken, die sowieso schon als Herausforderungen gelten und vielen Unternehmen das Überleben schwer machen. Sie bieten aber andererseits Wachstumsräume für anpassungsfähige Labels und Händler, die zum einen den Wandel klug mitgehen und auf der anderen Seite auf Tuchfühlung zum Endverbraucher bleiben. Das sagt auch Berater Achim Berg von McKinsey im FT-Interview. Er ist Co-Autor der Studie „The State of Fashion 2020“, in der ein Corona-Update eingearbeitet wurde. Die Autoren stellen fünf Thesen auf, die sich mit der globalen wirtschaftlichen Entwicklung, Verbrauchertrends und dem Fashion-Markt selbst auseinandersetzen.
Der Überlebenstrieb
Die Erholung von der Pandemie trifft auf einen rezessiven Markt, der die Modehersteller dazu zwingt, noch widerstandsfähiger gegen Krisen zu werden und ihre Betriebsmodelle anzupassen. Die These lautet: Unternehmen, die die Krise überstehen, werden mutige und schnelle Maßnahmen zur Stabilisierung ihres Kerngeschäfts ergreifen, bevor sie nach neuen Märkten, strategischen Chancen und zukünftigen Wachstumstaschen in einer globalen Modebranche suchen, die sich einem sowieso schon dramatischen Wandel unterzieht. Das klingt gut, aber laut Studie sagen immerhin 30 Prozent der Mitarbeiter der Modebranche, die Vorkehrungen ihres Unternehmens für eine Erholung nach der Krise seien ineffektiv.
Die Discountisierung
Die Einzelhändler dürften für den Rest des Jahres 2020 von schmerzhaften Preisnachlässen geplagt werden. Die über Jahrzehnte gepflegte Schnäppchen-Einkaufskultur wird durch einen Anstieg des Antikonsumismus als Gegenbewegung, überflutete Lagerbestände und Konsumenten mit geringem Einkommen verschärft. Um die wachsende Schar von Sparfüchsen und desillusionierten Verbrauchern zu erreichen, müssen Marken neue Wege gehen, ihr Geschäftsmodell überdenken, um bei diesen wieder eine wahrhafte Wertschätzung zurückzugewinnen. Laut Studie sagen 56 Prozent der Verbraucher, Sonderaktionen seien ein wichtiger Faktor beim Einkaufen für Kleidung.
Digitale Eskalation
Social Distancing hat die Bedeutung digitaler Kanäle mehr denn je unterstrichen und der Lockdown hat die Digitalisierung als Priorität Nummer eins in der gesamten Wertschöpfungskette weiter gestärkt. Wenn Unternehmen ihre digitalen Fähigkeiten in der Erholungsphase der Krise nicht ausbauen und stärken, werden sie langfristig ins Hintertreffen geraten. Dies auch gegenüber den Kunden. Die Verbraucher werden diesbezüglich weiterhin mehr verlangen und Marken müssen schnell handeln und liefern. Um mehr als 700 Prozent ist das Volumen der Livestreams auf der chinesischen E-Commerce-Website Taobao seit dem Ausbruch von Covid-19 gewachsen.
Wirtschaftsdarwinismus
Die Krise wird die Schwachen aus dem Markt nehmen, die bereits vor der Pandemie zu kämpfen hatten. Übrig bleiben die Starken. Es kommt zu massiven Konsolidierungswellen. M&A-Aktivitäten und Insolvenzen legen deutlich zu. Um ihre Zukunft zu sichern, müssen sich Unternehmen an das neue Marktumfeld anpassen, auch Veräußerungs- und Übernahmemöglichkeiten ausloten. 80 Prozent der Modefirmen geraten durch den Lockdown spürbar unter Druck.
Lebenselixier Innovation
Um mit den neuen Marktbedingungen und den anhaltenden Einschränkungen fertig zu werden, müssen Unternehmen neue Instrumente und Strategien entlang der Wertschöpfungskette entwickeln, um ihre Geschäftsmodelle zukunftssicher zu machen. Unternehmen müssen diese Innovationen konsequent nutzen und radikale Veränderungen an ihren Organisationen vornehmen, nachdem sich der Staub gelegt hat. Die Wertschöpfungskette der Modeindustrie wurde durch die Pandemie unterbrochen. Jetzt öffnen sich neue Freiräume vom digitalen Design bis zum Social Commerce.
Tatsächlich wächst auch auf dem deutschen Markt die Bereitschaft, sich zu digitalisieren, spürbar, sei es mit dem Umbau des eigenen Auftritts, dem Aufschalten von B2B-Shops bis hin zur Digitalisierung der Wertschöpfung innerhalb des eigenen Unternehmens vom Einkauf bis hin zum Verkauf in den Handel. Der Lockdown und in dem Zusammenhang der Komplettausfall der Messen dürften die Entwicklung noch weiter antreiben, denn wenn sich an der Gesamtsituation nichts nennenswert ändert, wird die Bereitschaft, zu den Berliner Messen zu reisen, sich weiter der Nulllinie nähern – egal ob Handel oder Industrie.
Disruption für den Handel – Trends 2021
Das Zukunftsinstitut hat sich Gedanken gemacht, was Corona und der Kampf gegen die Ausbreitung des Virus mit dem Handel machen. „Die Krise hat den Handel aus der Komfortzone geholt – weil es anders nicht ging. Und was neben allen Trends besonders hängen geblieben ist: Mut zu haben und die Strukturen, Produkte und Geschäftsmodelle vollkommen zu verändern“, sagen die Trendforscher. Die Autorin und Retail-Expertin Theresa Schleicher glaubt, dass sich im Herbst zeigen wird, welche Unternehmen in die Insolvenz gehen müssen, welche überleben werden, wer aus der Krise sogar gestärkt hervortritt und wer sich neu erfunden hat: „Im Grunde legt die Krise die größten Pain Points des Handels offen.“
DIE RETAIL-TRENDS 2021
Next Safe Service – für mehr Sicherheit
Retailer übernehmen Verantwortung für die Sicherheit der Kundschaft und das Personal. Eine positive Einkaufserfahrung basiert darauf, sich im Laden sicher und wohlbehalten zu fühlen.
Circular Fashion – zweites Leben für die Modebranche
Auch die Big Player im E-Commerce setzen auf zirkuläre Businessmodelle. Abgelegten Lieblingsstücken ein zweites Leben zu bieten, entspricht vor allem nachhaltig orientierten Lebensstilen, die im Trend liegen – zugleich birgt der Secondhandmarkt ein wirtschaftliches Potenzial für Händler.
Ghost Stores – Einkaufen ohne Personal
Handel ohne Menschen – in einer Zeit, die im Zeichen der Kontaktreduktion steht, erhält der Diskurs über den personallosen Handel eine neue Bedeutung. Während sich in China bereits einige Anbieter im Bereich der Unmanned Stores etabliert haben, ist in Europa die Entwicklung noch abwartend.
Eco Delivery – die letzte Meile wird nachhaltig
Die Krise bescherte Lieferservices einen Boom und führt zu einer zunehmenden Professionalisierung der Letzte-Meile-Auslieferung. Es werden immer mehr nachhaltige und bewusste Konzepte entwickelt und ausgerollt, die die Zukunft der Logistik verändern.