Autor: Markus Oess Das neuartige Corona-Virus unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse – und auch nicht zwischen Gut und Schlecht. Aber es wirkt als Brandbeschleuniger der bestehenden Trends auch in der Modeindustrie. Wer in der Krise besteht und warum es noch keine Insolvenzwelle gibt, aber zu befürchten ist.
FT: Herr Berg, was macht Angst mit den Menschen?
Achim Berg: „Angst und Verunsicherung sind generell nicht gut für den Konsum. Vor allem aber haben wir schon vor der Pandemie gesehen, dass Mode für die Deutschen nicht an oberster Stelle steht. Mode ist für sie eher Mittel zur Selbstdarstellung. Am Anfang des Lockdowns waren dann auch ganz andere Fragen wichtig. Als es in der wirtschaftlichen Unsicherheit darum ging zu sparen, war die Mode ein Bereich, den es als Erstes traf – auch im Online-Handel gingen die Umsätze während des Lockdowns merklich zurück. Andererseits liegen die Umsätze im stationären Handel heute nur zwischen 20 und 30 Prozent unter Vorjahr, der Einbruch war also weit geringer als befürchtet. Das ist die gute Nachricht, denn die einzelnen Konsumenten, die in die Geschäfte kommen, kaufen im Schnitt mehr ein als früher. Allerdings darf es nicht zu einer zweiten Welle kommen.“
Corona wird grundlegende Umwälzungen in der Modebranche mit sich bringen und bei Weitem nicht alle Player können zuversichtlich in die nahe Zukunft blicken. Lässt sich sagen, dass die Corona-Krise im Grunde nur die bestehenden Trends verstärkt, oder gibt es auch Entwicklungen, die speziell auf die Pandemie zurückzuführen sind?
„Wir haben schon vor dem Ausbruch der Pandemie fundamentale Herausforderungen für die Modebranche gesehen: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Marktkonsolidierung und die schwache Finanzkraft einiger Player im Markt, um einige zu nennen. Corona wirkt nun wie ein Brandbeschleuniger bestehender Trends. Noch gibt es keinen nennenswerten Anstieg der Insolvenzen durch die Pandemie. Doch das ist eher auf die kurzfristige Änderung des Insolvenzrechts zurückzuführen, das den Unternehmen mehr Luft in der Krise verschaffen soll. Laufen die Aufhebung der Insolvenzantragspflicht und die Zahlungsverbote am 30. September aus, befürchte ich, dass wir eine schmerzhafte Insolvenzwelle erleben könnten. Tröstlich ist, dass sich daraus neue Spielräume für die verbliebenen Unternehmen ergeben werden.“
Wie würden Sie die Zeit nach Corona in einem Satz für die Modebranche zusammenfassen?
„Wir werden ein neues ,Normal‘ erleben. Nach Corona werden wir nicht zur Tagesordnung übergehen und weitermachen, als wäre nichts geschehen. Alle Bereiche werden sich neu orientieren, sei es die Reisebranche, die Gastronomie und auch nennenswerte Anteile des Einzelhandels und damit auch die Mode. Gewinner der Krise sind andere, wie der Lebensmittelhandel, die Pharma- und Pflegemittelindustrie oder auch zum Teil Consumer Electronics. Aber unterm Strich verändert die Pandemie die Menschen nicht. Sicher wird es einen realwirtschaftlichen Nachschlag geben, doch die Veränderungen ergeben sich aus der Beschleunigung der skizzierten Trends.“
Welche Bereiche/Anbieter werden die Gewinner, wer die Verlierer in der Mode sein?
„Gewinner sind Player mit einer starken digitalen Verankerung beim Konsumenten. Marken mit einem guten Standing, die Begehrlichkeit wecken. Bestimmte Bereiche wie Sportswear haben das Glück, im Trend zu liegen. Auf der anderen Seite darf auch der finanzielle Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. Unternehmen, die finanziell auf festem Grund stehen, kommen natürlich besser durch diese Zeiten als andere. Bestimmte Marktsegmente und Produktkategorien werden es erst einmal schwer haben, wieder auf die Beine zu kommen: Die großen Warenhäuser sind massiv unter Druck geraten. Formal- und Businesswear etwa haben nicht erst seit Corona und dem Trend zum Homeoffice mit der Casualisierung zu kämpfen und auch die Anpassung der Produktprogramme hilft nur bedingt, denn Sie müssen schon eine Menge Hemden verkaufen, um den Umsatzausfall eines Anzuges zu kompensieren.“
Was raten Sie der Industrie, wie soll sie mit den großen Themen Kapitalisierung, Nachhaltigkeit, globale Lieferketten und Transparenz umgehen?
„In der Marktforschung haben wir auch schon vor der Krise festgestellt, dass sich die Präferenzen der Konsumenten verändern. Themen wie Nachhaltigkeit, volle Transparenz in der Lieferkette und über die Produktionskette gewinnen an Bedeutung. Hier sehen wir großen Handlungsbedarf besonders für die Modemarken, denn mit reinen Absichtserklärungen ist es nicht mehr getan. Die Menschen hatten und haben in der Krise Anlass und Zeit, mehr nachzudenken, und werden den Konsum nicht mehr allein am Preis ausrichten, zumindest nicht die, die es sich leisten können. Auf der anderen Seite kämpfen die Läden immer noch mit sinkenden Frequenzen. Eine höhere Verweildauer und der ,Wohlfühlfaktor‘ werden zu entscheidenden Faktoren, zumal ein Ende der Maskenpflicht nicht absehbar ist, solange flächendeckend kein Impfstoff verfügbar ist.“
Wo haben die großen Ketten die besseren Karten?
„Große Ketten haben systemische Vorteile und profitieren dadurch bei richtigen Entscheidungen stärker. Zudem dürfte sich die Verhandlungsposition als Mieter spürbar verbessert haben. Vor Corona war die Bereitschaft der Vermieter besonders in den bevorzugten Lagen nicht sonderlich ausgeprägt, die Ladenmieten auch nach unten anzupassen. Kleine Unternehmen agieren dafür deutlich näher am Markt und können sehr viel schneller gerade auch lokal auf Marktveränderungen reagieren. Aber für beide gilt: Schon vor Corona stand der Markt vor Herausforderungen. Das Virus hat sie nur noch größer gemacht.“
Der Modeberater
Achim Berg arbeitet für McKinsey in Frankfurt und leitet die Global Apparel, Fashion & Luxury Group. Dort ist er in allen relevanten Branchen tätig, darunter Bekleidung, Textilien, Schuhe, Sportbekleidung, Schönheit, Accessoires und Einzelhändler, die vom Value bis zum Luxus reichen. Berg gilt als globaler Experte für die Modebranche und den Einzelhandel.