Autor: Christoph Anders
Nachdem uns das Vokal-Sextett mit seinem klangüberschäumenden, weltenumschlingenden Erstling bleibend begeisterte, führt es uns mit seinem kristallreinen 2020er 16-Weisen-Werk zurück zu den eigenen Wurzeln – zu den historischen Heldinnen des traditionellen Gesangs seiner lettischen Heimat. Das ebenfalls rein weibliche vokale Auleja-Sivas-Ensemble existiert dort seit 1940, ist bis heute in mittlerweile dritter Generation aktiv und bildete den Forschungsmittelpunkt einer wissenschaftlichen Arbeit der tonangebenden Tautumeitas-Stimme Asnate Rancanes. Solcherart inspiriert, begaben sich die sechs strahlenden Silberstimmen in das Dorf ihrer vokalen Vorbilder, um dort die aus alten und ältesten Tagen tradierten Weisen zu studieren. Eine Auswahl von 16 ursprünglichen, rein a cappella zelebrierten Liedern wurde im Studio zu finaler Form getragen, um jetzt auch das mitteleuropäische Ohr zu faszinieren, wobei die hier zu erlebenden harmonischen Welten unserem musikalischen Empfinden schon beim ersten Hören weit weniger fremd erscheinen, als der Lettland-Laie befürchten mag. Faszinierend vokale Klangreise, gleißend geleitet von sechs betörenden Stimmen.
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Jonathan Wilson – Dixie Blur
Welch ein Werk! Allein schon der Fülle wegen (14 neue Songs in mehr als 55 Minuten, das ruft ja geradezu nach der guten alten Doppel-LP-Darreichungsform!) darf man beim 2020er Wilson-Werk getrost von einem Opus Magnum sprechen, aber dieser derart lukullisch und lustvoll dargereichte Klangreichtum überzeugt nicht nur an der köstlichen Oberfläche, der Soundschöpfer, profilierte Produzent (Roy Harper, Lana Del Rey, Father John Misty), Roger-Waters-Gitarrist, Song-Autor und inzwischen auch erheblich gereifte Sänger schöpft mit seinen neuen, durchweg grandios gelungenen Weisen aus den tiefsten Wurzeltiefen und kredenzt uns ein aus allen kunstvoll geflochtenen Fasern, in allen erdenklichen irdenen Farben strahlendes Country-Meisterstück. Als versierter Arrangeur und auch dank der ihm zur Verfügung stehenden instrumentalen Mittel schöpft der allwissende Zeremonienmeister aus dem Vollen, überzeugt in karg-ehrlichen Besetzungen ebenso wie in herzhaft aufeinandergehäuften Klanggebilden, voller Lust und Leidenschaft an der Fülle aus Gitarren, Bässen, Fiddle, Tastenwerk, Querflöte, Klarinette, Mundharmonika und der nahezu omnipräsenten, durchweg prägenden Steelguitar von Russ Pahl bis in Spector-gleiche Höhen geschichtet. Mit einer solch prachtvoll agierenden, vielköpfigen Musikermannschaft im Rücken springt der Spiritus Spector mit sanfter Stimme herzhaft zwischen alle Country-Stühle, wechselt die Stilrichtung auch schon mal auf der halben Höhe des Songs, bleibt dabei aber stets im melodieseligen Fluss und trifft immer den richtigen weichen Ton, um Herz und Hirn gleichermaßen zu rühren.
Einfach meisterlich auch seine Art, mit den Country-Stilen zu spielen, dabei die gesamte Genre-Geschichte zitierend, BackPorch BlueGrass wie wiegenden Country Swing, samtweich fließenden Singer-Songwriter- und Psyche-Folk, Country Rock, Pub Rock und West Coast, beschwingenden Honky Tonk und auch die ganz große, gefühlstiefe Breitwand-Ballade bewunderungswürdig beherrschend und mit ehrlichem, emotionsreichem Leben füllend. Auch den Gesangspart erledigt der Vielinstrumentalist (A- und E-, Nashville- und Zwölf-String-, Bariton- und Slide-Gitarren, Mellotron, Arp, Synth, Schlagwerk, Perkussion) mal im Alleingang, mal in vielstimmigen Harmonielagen mit Bravour, dezenter Zurückhaltung und voller Gefühl, verweist dabei sowohl stimmlich als auch häufig in den Harmoniewechseln in die balladeskeren Weiten der späten, ihm nicht unbekannten Pink-Floyd-Welten und erschafft ganz nebenbei ein wahrhaft opulentes Opus von genregrenzensprengender Größe. Ein kunstvolles, vor Ideen überquellendes Country-Meisterwerk von atemberaubenden Ausmaßen.
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Kjellvandertonbruket – Doom Country
LP/CD. Mit allen nur erdenklichen Erwartungen gewappnet, näherte ich mich dieser grenzüberschreitenden Collaboration, auf alles Mögliche gefasst, haben hier doch musikalisch eigensinnige Feingeister zusammengefunden, die auf den ersten, oberflächlichen Blick erst einmal nur die Herkunft verbindet: Christian Kjellvander ist uns unter den schwedischen Samttönern uneingeschränkt der liebste, das auf dem Act-Label veröffentlichende Tonbruket-Ensemble hingegen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass jede, aber auch jede seiner Albumveröffentlichungen den Jazz-Grammy seiner Heimat gewann. Aus gegenseitigem Interesse am Schaffen des jeweils anderen traf man sich ohne allzu ausschweifende Vorarbeiten, um frisch ersonnene musikalische und textliche Kjellvander-Skizzen in spontaner, sessionnaher Atmosphäre in Musik umzusetzen – und erschuf dabei ein Americana-Klangspektrum von einer bislang selten gefühlten Tiefe. Denn dem beeindruckend beweglich agierenden Bassisten Dan Berglund, dem mit allen Jazz-, Roots- und Steel-Wassern gewaschenen Gitarristen Johan Lindström, Schlagzeuger Andreas Werliin und vor allem dem uns nicht nur von den Soundtracks Of Our Lives wohlbekannten Tasten-Maler Martin Hederos gelingt es, eine ungemein intensive, Stilgrenzen nicht scheuende, ungeahnte Tiefen auslotende, aber nie zu weit gehende Desert/Alternative-Country-Klang-Leinwand zu weben, die auch des Wurzel-Kenners Ohr erfasst, packt und fasziniert.
Auf den beseelt fließenden, unterschwellig aber heftig fiebernden Instrumental-Strukturen lässt Kjellvander seine sanft-sonore Stimme zwischen Cash und Cohen, zwischen Lanegan und Hazlewood schmeicheln und raunen, berühren und bewegen, singt, schmeichelt, reibt und spricht er die wehmütigen Worte tief unter die Haut, dabei gleichermaßen der mitunter hypnotischen Gänsehaut-Atmosphäre eine weitere wüstenwindumwehte Ebene verleihend und stets die verbindenden Brücken zum gewohnt-geliebten Scandamericana-Kosmos schlagend. Und ist der Einstieg in den von sechs langen Epen (darunter das magisch hypnotisierende Triptychon Normal Behaviour In A Cutting Garden) getragenen Aufbruch in neue Alternative-Country-Welten mit dem von Klang-Experimenten belebten Yacht In The Fog auch für den Roots-Hörer zunächst etwas holprig, so wird er auf Dauer mit einem unendlich faszinierenden, gleichermaßen gewohnten wie ohrenöffnenden Americana-Weg belohnt, der Bill Frisell, Hugo Race und die Cowboy Junkies miteinander versöhnt und dennoch ganz und gar Kjellvander ist.
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