Von knapp 4 Millionen Euro auf 10 Millionen, von 170 überwiegend grünen Wholesale-Kunden auf 400 bis 500 Läden. Die Drei-Jahres-Ziele des Hamburger Öko-Labels recolution sind klar umrissen. Klar ist auch: Erreichen lassen sie sich nur über den Zutritt in den konventionellen Handel, betont Mitgründer Robert Diekmann gegenüber FT. Wie die Hamburger das erreichen wollen, wo die Knackpunkte liegen und was der konventionelle Handel von der grünen Szene lernen kann.
FT: Herr Diekmann, wie läuft es gerade?
Robert Diekmann:„Wir sind überaus zufrieden. 2019 war für uns ein gutes Jahr und wir haben unseren Umsatz um rund 20 Prozent auf knapp 3 Millionen Euro gesteigert. In diesem Jahr wollen wir auf 3,5 bis 4 Millionen Euro kommen und in den nächsten drei Jahren wollen wir dann an die 10-Millionen-Grenze stoßen. Das klingt ehrgeizig, ist aber drin.“
Wo kann man recolution überhaupt ordern?
„Wir haben letztes Jahr einen Head of Sales eingestellt, der den Wholesale gezielt ausbauen soll. Mit Christoph Wilm, der bereits für FREITAG und Barbour. gearbeitet hat, haben wir den richtigen Mann dafür. Er soll ein eigenes Vertriebsteam aufbauen, um den Handel kundennah zu betreuen. Neben unserem Showroom in Hamburg am Firmensitz haben wir einen festen Showroom in Düsseldorf und zusätzlich temporäre Auftritte zur Order in München und Berlin.“
Wie teilen Sie Order und NOS auf?
„Wir haben nur einen sehr geringen Anteil an NOS, sind aber dabei, eine kleine ‚Core Collection‘ aufzubauen. In unserem Segment arbeitet man klassisch mit Orders. Zusätzlich bieten wir ein Seasonal NOS an.“
Wo soll es hingehen?
„Aktuell beliefern wir rund 170 Händler, der überwiegende Teil sind grüne Concept Stores. Aber wir wollen schon in den kommenden drei Jahren um die 400 bis 500 PoS beliefern.“
Sie wollen in den konventionellen Handel, welche Pläne gibt es?
„Wir sind von Anfang an auf den grünen Messen in Berlin dabei. Was wir jetzt sehen, ist eine spürbare Professionalisierung des Auftritts unter der NEONYT. Gerade die zurückliegende Ausgabe im Flughafen Tempelhof war ein deutlicher Schritt nach vorn. Das aktuelle Interesse, das Fair Fashion gerade auch im konventionellen Handel erlebt, kommt ja nicht von ungefähr, sondern ist aus der gesellschaftlichen Entwicklung getrieben. Die Menschen fragen nach grüner Mode und auch der konventionelle Handel muss liefern. Wir arbeiten gerade Modelle aus, wie wir uns im konventionellen Handel präsentieren können. So starten wir jetzt zum Frühjahr/Sommer 2020 mit dem Modehaus ZINSER und haben dafür gemeinsam eine kleine Limited Edition im Rahmen ihrer Initiative ,LoveMyPlanet‘ erarbeitet, welche 360 Grad über eine Broschüre, am PoS, im Schaufenster und via Social Media gespielt wird.
Im konventionellen Handel ist im Gegensatz zu unseren Concept Stores der Einkäufer nicht zugleich der Verkäufer. Er weiß also nicht, wie mit dem Kunden umgegangen werden soll, was er wünscht und worum es bei grüner Mode wirklich geht, wie die Produktion läuft, welche auch internationalen Verflechtungen bestehen. Also müssen wir das Personal auf der Fläche schulen und zudem Werbemittel bereitstellen, mit denen der Handel arbeiten kann. Wir bieten ein Social Media Kit an, das nicht nur Content und Bilder, sondern beispielsweise bereits Ready-to-use Insta Stories beinhaltet, mit denen der Handel direkt loslegen kann. Geld für breit angelegte Kampagnen haben wir nicht, also müssen wir kluge Alternativen finden.“
Wir haben Berlin gerade hinter uns gebracht. Wie bewerten Sie die Bemühungen der Szene, sich zu professionalisieren, was Prozesse und Warenströme angeht?
„Anfangs rekrutierte sich unsere Branche aus Überzeugungstätern und daran hat sich nicht viel geändert. Auch wir haben als Studenten angefangen und wussten erst mal gar nicht, was Sache ist. Aber wir waren uns sicher, dass wir etwas verändern müssen. Klar sind auch konventionelle Marken und selbst die Vertikalen und Discounter auf den Zug aufgesprungen. Aber wir wollen den Kunden das Original, den Ursprungsgedanken der grünen Mode vermitteln und der beruht nicht auf maximaler Gewinnermittlung, sondern einer fairen Verteilung der Wertschöpfung. Marken wie ARMEDANGELS oder KnowledgeCotton Apparel zeigen, dass die Professionalisierung tatsächlich machbar ist und auch grüne Mode breiten Erfolg im konventionellen Handel haben kann. Übrigens hat sich auch aufseiten der Händler einiges getan. Sie expandieren und ziehen in die Innenstädte. Nehmen Sie zum Beispiel GREENALITY in Stuttgart.“
Was war in dem Zusammenhang die NEONYT?
„Die Messe steht ja vor den gleichen Herausforderungen wie die Branche auch. Früher war es nicht so einfach. Die NEONYT und früher die Ethical Fashion Show Berlin sowie der Greenshowroomkonkurrierten gegen die konventionellen Messen um die Zeit der Einkäufer. Das war nicht immer von Erfolg gekrönt. Jetzt, mit dem neuen Auftritt im Flughafen und im Zusammenspiel mit der PANORAMA, wenn sie wieder richtig Tritt fasst, haben wir dieses Problem nicht mehr. Die Händler kommen von sich aus zu uns. Wie gesagt, der Endkunde verlangt es, das Thema Nachhaltigkeit nimmt generell immer mehr Raum ein und die Messe Frankfurt als Organisator sorgt dafür, dass der Auftritt passt. Andererseits muss die NEONYT aufpassen, dass sie nicht von konventionellen Marken zum Greenwashing missbraucht wird. Ein Spagat, aber machbar.“
Wie weit klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch auseinander?
„Ich sehe große Parallelen zum Food-Handel. Auch dort haben sich Discounter auf Bio-Ware eingeschossen und verkaufen wie selbstverständlich ,grüne‘ Produkte. Aber grün ist nicht gleich grün und es gibt immer noch deutliche Qualitätsunterschiede. So ist es auch in der Mode. Wenn Fashion-Discounter inzwischen Bio-Baumwolle verkaufen, hat das schon einen grünen Anstrich, aber nur in diesem Wortsinn. Es gibt schon noch einiges zu tun.“
Woran hakt es am meisten?
„Ich denke, für uns ist der Grundstein für nachhaltiges Wachstum das Geschäft mit dem konventionellen Handel. Wir müssen die Prozesse verstehen und gleichzeitig die Warenversorgung auf einem gleichbleibenden Qualitätsniveau sicherstellen. Und wir müssen die Kollektionen verkäuflich halten, also einen breiteren Geschmack treffen. Das sind die Kernpunkte, auf die wir unsere Kraft richten.“
Wie schafft es ein nachhaltiges Label, die Warenversorgung für größere Mengen zu sichern?
„Wir sind jetzt zehn Jahre am Markt und mussten uns in die Produktionsprozesse hineinfinden. Was uns damals geholfen hat und uns heute hilft, ist der Austausch mit Experten. Wir werden uns neben der Produktion auch mit Händlern an einen Tisch setzen und sie in die Planungen miteinbeziehen. Wir wollen Teile, die sich bereits zu Beginn der Saison als gut verkäuflich herausstellen, nachproduzieren. In der Regel Farb- und Printvarianten. Das ist für unsere Verhältnisse gar nicht so einfach, denn wir müssen Slots buchen und bei unseren Produzenten vorhalten. Vornehmlich lassen wir in Portugal produzieren. Ein Teil stammt auch aus der Türkei und Litauen. Zudem ist es denkbar, mit anderen grünen Labels zusammenzuarbeiten, um größere Mengen durchzusteuern.“
Wie bekommt man den klassischen Kunden dazu, grün zu kaufen?
„Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich gefragt werde, grüne Mode zu kaufen und einen höheren Preis dafür zahlen zu wollen, oder es tatsächlich auch mache. Ich denke, das Produkt muss überzeugen. Die Verbraucher wollen natürlich fair produzierte Mode, aber die meisten wollen nicht sehr viel mehr dafür zahlen. Um das zu erreichen, müssen wir entsprechende Mengenvorteile in der Produktion hinbekommen. Dazu kommt, dass die Produkte nicht nur verfügbar sein müssen, sondern vom Kunden erst mal gefunden werden können, wenn er in die Läden einkaufen geht. Und dazu muss die Ware auch im konventionellen Handel liegen. Haben wir ein gewisses Level erreicht, wird es für uns und für den Handel leichter, denn die Kunden werden es lernen. Wir müssen als Marke grüne Mode aufwerten und in Kooperation mit dem Handel unsere Endkunden informieren. Zudem ist natürlich auch die Politik gefordert, den gesellschaftlichen Veränderungsprozess proaktiv mitzugestalten und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die es uns ermöglichen, in einen fairen Wettbewerb gegen die konventionellen Marken zu treten.“
Was sind die Pläne von recolution auf dem internationalen Parkett?
„Zum Auftakt der Saison Herbst/Winter 2020 starten wir in Österreich mit der Agentur E-KO in Salzburg und in der Schweiz mit der Züricher Agentur HIFI BRAND. In den kommenden Saisons wollen wir unsere Distribution dann schrittweise in den weiteren europäischen Märkten ausbauen.“
Raus aus der Nische
Do it yourself, abseits von großen Hypes, ethisch. So beschreiben die beiden Schulfreunde Jan Thelen und Robert Diekmann ihr Label recolution, das sie 2010 gegründet haben. „Aus dem Vorsatz heraus, mit langlebigen Organic Basics, die wir über Jahre tragen können, sinnvollere, wertvollere Produkte zu machen“,so steht es auf der Homepage.
Das Kunstwort recolution setzt sich aus revolution und eco zusammen: eine grüne Revolution. Heute erzielt das Unternehmen einen Umsatz von 3,5 bis 4 Millionen Euro und beliefert 170 überwiegend Öko-Händler. Um die gesteckten Wachstumsziele zu erreichen, muss recolution in den konventionellen Handel, weswegen Thelen und Diekmann die Bemühungen der NEONYT, genau diesen Weg zu ebnen, durchaus goutieren.