Autor: Christoph Anders
Die trauen sich was … Weit davon entfernt, der Welt noch irgendetwas beweisen zu müssen, reduziert auf knapp 50 Prozent der Ur-Mannschaft, macht sich das kreative Zweigestirn auf, uns mit einem Song-Kraftwerk zu überfahren, dessen packende Hymnen perfekt in die Glanzzeit dieser ikonischen Rock-Kapelle gepasst hätten. Anstatt den Altersruhesitz nur noch für Alben voller Standards, Coverversionen oder recycelten Eigenmaterials zu verlassen, schenkt uns das immer noch kongenial agierende Paar Townshend und Daltrey einen lückenlos packenden Perlenreigen, gefüllt mit künftigen Klassikern, die alles bieten, was nicht nur wir Alt-Fans von einem The-Who-Song erwarten: mitreißende, vor Klarheit strahlende Gitarren-Riffs, hypnotisierende Keyboard-Texturen und eine unverändert kraftvolle Rock-Stimme, die bemerkenswert eingängige Melodien mit Kraft, Wucht und Volumen füllt. Daltrey hatte bereits bei seinem nahezu unerwartet gelungenen 2018er Solo-Ausflug nachhaltig die bleibende Strahlkraft seines Gesangs belegt, aber auch Meister Townshend zeigt sich nicht nur als genialer Songwriter und beeindruckender Akkordattacken-Artist, sondern auch als dezent näselnder Sänger auf der Höhe seiner Kunst. Mit der einen oder anderen Beigabe, von dezenten Vocoder-Einsätzen und anderen elektronischen Klangspielereien über iberophile Seitensprünge bis hin zu orchestralem Breitwand, zeigt uns das dynamische Duo, dass es weit davon entfernt ist, sich auf alten Lorbeeren auszuruhen, eine voll-satte Produktion sorgt für ein zeitgemäßes akustisches Auftreten, aber es sind die unnachahmlichen, prächtig in den Band-Kanon passenden, The-Who-typischen Rock-and-Riff-Hymnen, die dieses 2019er Saft- und Kraftwerk deutlich über den 13 Jahre zurückliegenden, merkwürdig erinnerungsarmen Studio-Album-Vorgänger hinausheben. Mit der Hilfe von grandios im gewohnten Gruppengeist spielenden Beiwerkern wie Pino Palladino, Gordon Giltrap, Benmont Tench, Gus Seyffert und gleich drei großartigen Schlagwerkern (Zak Starkey, Carla Azar und Joey Waronker) werden die wuchtigen Weisen ins perfekte Klanglicht gerückt und ein rundum erfreuliches, noch lange nachhallendes The-Who-Werk erschaffen, welches sich für einen der vorderen Plätze in den Band-internen Album-Charts prädestiniert. Eine grandiose Rückkehr, die selbst den Kenner staunend lächeln lässt. (cpa)
Josh Rouse – The Holiday Sounds of Josh Rouse
Es gehört normalerweise schon ein besonderer Musik-Gen-Defekt dazu, seine heimischen Tonträgerregale mit Weihnachtsplatten zu füllen (wo doch der Platz ohnehin schwer umkämpft ist, aber wem schreibe ich das), und mitunter fällt es auch nicht leicht, dem außenstehenden CD-Sammler die Faszination Feiertags-Compilation näherzubringen. Es sei denn, man hat ein derart ganzjährig wirksames Werk vor sich, wie es der begnadete Singer-Songwriter Rouse hier zum Fest auftischt. Über die Jahre verfasste der gefeierte Americana-Artist manche ganz persönliche Weihnachtssichtweise, um sie 2018 mit seiner eingespielten Band (die auch die akustische Basis für das grandiose 1972-Album bildete) in einem Vier-Tage-Rausch in Nashvilles Alex The Great Studio aufzunehmen. Die neun dabei entstandenen Songs strahlen alles aus: Reife und Gelassenheit, Liebe zur Harmonie und das angeborene Gefühl für eingängige Melodien, Wortgewandtheit und Witz – nur keinen althergebrachten angestaubten Weihnachtsweisen-Muff.
Gebettet in ein feinst ausgestaltetes, höchst lebendig dargereichtes Klangbett aus E-, A- und Pedal Steel Guitar, Kontrabass, mitunter sanft gebestem Schlagwerk und einem durchweg prägenden Brad Jones an Vibrafon, Orgel und Piano, gelingt es dem genialen Gestaltwandler und Sänger, gleichzeitig und nacheinander nach dem jungen Dylan und dem gesetzten Van Morrison, nach Joe Henry oder Lou Reed (oder nach Joe Henry, der nach Lou Reed klingt) zu klingen, dabei musikalisch auch durch auseinanderliegende Stil-Schubladen vom sanft perlenden Bar-Jazz der gelassenen Nina-Simone-Schule über fließenden Americana und leise Latin-Verweise bis hin zur urbanen New-York-Singer-Songwriter-Kunst bester Paul-Simon-Sorte zu streifen, ohne dabei seine eigene weich-warmherzige Linie zu verlieren, und uns neun großartige Songs zu schenken, die den Zauber der Weihnachtssaison ganzjährig wirken lassen. Und wem eine Spielzeit von 31 Minuten zu knapp erscheint, sollte sich beeilen, die Erstauflage des Albums zu erstehen, die auf einem Zweitonträger mehr als 16 Minuten Bonus-Beiwerk bietet, darunter zum Teil herzhaft differierende Demo-Fassungen von Albumtracks und zwei eigensinnig vereinnahmte Fremd-Weisen (Let It Snow und All I Want For Christmas). (cpa)
Kate Rusby – Holly Head
Der Künstler als solcher gilt ja schon gemeinhin als dezent jenseits der geläufigen Alltagsgrenzen stehend, aber eine im normalen Leben durchaus gesund agierende Folksängerin, die sich anschickt, ihr bereits fünftes Weihnachtsalbum zu veröffentlichen, darf man schon gern als eigensinnig bezeichnen. Sich selbst (und ihr fünftes Festtags-Compendium) nennt die betörende Folk-Elfe aus Yorkshire Holly Head und rückt die Weihnachtsweisen-Treue damit in die Nähe solcher tief gehender Fan-Bindungen, wie wir sie sonst nur von den Deadheads kennen.
Ihre tiefe Verehrung für dieses sonst eher nur saisonal geschätzte Liedgut aber ist schlicht bemerkenswert, füllt sie doch auch die 2019er Song-Sammlung eben nicht – wie es landläufig gang und gäbe ist – mit ausschließlich ausgewähltem Feiertagsfremdgut (wobei sich Kate die erlesenen geliehenen Weisen – darunter Lullay (Coventry Carol), Bleak Midwinter, Christmas Is Merry, Hippo For Christmas und While Shepherds Watched – ganz einzigartig zu eigen macht), sondern weiß auch ihre fünfte Christmas-Kollektion durch zahlreiche, unverwechselbar seelen- und gefühlvolle Rusby-Originale in eine nicht nur zum Heiligen Abend, sondern ganzjährig berührend-bewegende Festtags-Folk-Feier zu verwandeln. Begleitet von einem traumwandlerisch sicher eingespielten Vier-Mann-Ensemble (inklusive eines fünfköpfigen Blechbläsersatzes, der diesmal höchst dezent eingesetzt wird), führt die feengleiche Stimme quer durch verschiedene, über die Jahre verfeinerte Folk-Idiome, verbindet uralte Traditionen mit lebendigen Art-Pop-Elementen, beschwingende Carol-Kunststücke mit besinnlichen Balladen-Brillanten und lässt den unvergleichlichen Zauber ihres Gesangs zart und bestimmt die Macht über den betörten Lauscher gewinnen. Ausgesuchter Weich-, Warm- und Wohlklang zur ehrlich-herzlichen Weihnacht, mit Liebe, Gefühl und beeindruckender Musikalität zum ganzjährigen Dauerhören dargereicht.