Kein „Weiter so“

Wachstumsökonomie

Gerät konventionelle Mode irgendwann aufs Abstellgleis? ©pixabay
Autor: Andreas Grüter

Eco Fashion gilt als Heilsbringer, mit dem die Bekleidungsbranche ihr durch Umweltskandale angekratztes Image nachhaltig weißzuwaschen sucht. Dass zu einem echten Umschwung jedoch wesentlich mehr gehört als halbherzige Zusagen und ein wenig Biobaumwolle, erklärt Umweltforscher Roland Zieschank im Interview.

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Wahrscheinlich ist das so eine Art dialektischer Prozess.“ Roland Zieschank ©privat

FT: Hat Mode als kulturelles Gut eine Verantwortung in Fragen der Nachhaltigkeit?
Roland Zieschank: „Ja, definitiv. Themen wie der Pestizideinsatz unter anderem beim Baumwollanbau oder die Verschmutzung von Flüssen durch Farbstoffe in Indien sind natürlich sehr komplex. Dennoch kann der Konsument durch seine Kaufentscheidung beeinflussend eingreifen. Insofern hat man direkte Handlungsspielräume. Das Problem ist allerdings, dass viele Menschen überhaupt nicht wissen, wie schmutzig die Produktion von Bekleidung in weiten Teilen immer noch ist.“

Wo liegen denn die Hauptprobleme der Bekleidungsbranche in puncto Ökologie?
„Die Probleme ziehen sich eigentlich durch die ganze Kette. Der wasserintensive Anbau von Baumwolle in Ländern, die bereits unter Wasserknappheit leiden, hat massive Auswirkungen. Beispiele dafür sind Ägypten oder einige Staaten rund um den zentralasiatischen Aralsee. Schaut man sich hier Luftbilder an, kann man erkennen, wie drastisch die Seefläche in den vergangenen Jahren geschrumpft ist – eine der größten und zugleich unbekanntesten Umweltkatastrophen. Einer der Hauptgründe ist der massive Ausbau von Baumwollfeldern. Hinzu kommen dann noch die Probleme, die solche Monokulturen mit sich bringen, etwa die Gefährdung der Artenvielfalt und der hohe Einsatz von Pestiziden, die nicht nur die Umwelt, sondern auch die Arbeiter belasten. Addiert man dann noch die häufig fragwürdigen Arbeitsbedingungen, die schmutzigen Wasch- und Veredelungsverfahren, die langen Transportwege und die – anders gelagerte – Problematik von Mikroplastik, das bei jeder Wäsche ungefiltert ins Abwasser und dann in die Gewässer gelangt, wird das Bild ziemlich rund.“

Ist Eco Fashion Ihrer Meinung nach die richtige Antwort auf diese Probleme?
„Ich würde sagen, es ist zumindest ein Einstieg in die Problembewältigung, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Es gibt ja verschiedene Akteure in der Kette. Verantwortlich für die Misere sind die Produzenten und der Handel ebenso wie die Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen die Rohstoffe gewonnen werden. Wenn hier Organisationen wie OXFAM oder das Textilbündnis aufklären und ein neues Bewusstsein ‚pro Eco Fashion‘ schaffen, ist das positiv zu bewerten. Aber gerade am Beispiel des Textilbündnisses sieht man ja, dass bislang nur ein Teil der Hersteller und Händler willens ist, eindeutig in Richtung nachhaltige Mode umzuschwenken.“

Lassen Sie uns über Wachstum reden. Steht grüne Mode im Widerspruch zu Wachstum?
„Wachstum kann man ja relativ sehen und so verstehen, dass es in einem eigentlich gesättigten Markt Branchenteile gibt, die weiter wachsen. Im Lebensmittelbereich sind das Biolebensmittel und in der Mode könnte Eco Fashion durchaus diesen Platz einnehmen. Die Umsetzung von Fast Fashion unter grünen Gesichtspunkten stünde meiner Meinung nach allerdings im klaren Widerspruch zur ursprünglichen Idee. Zur Nachhaltigkeit gehört, dass die Produkte keine schnelle Wegwerfware sind, sondern länger genutzt werden. Das Segment nachhaltige Mode kann also durchaus wachsen und dennoch grün bleiben, sofern die ökologischen und sozialen Kriterien nicht aufgeweicht werden. Zu große Produktionsmengen im Kontext einer immer schnelllebigeren Mode führen jedoch zu hohen Importen und zu ressourcenintensiven Produktionen, was die Idee der Nachhaltigkeit konterkarieren würde.“

Wäre eine Handelskette für ausschließlich nachhaltige Kleidung machbar oder widerspräche dies dem Ideal?
Umsetzung von Fast Fashion unter grünen Gesichtspunkten stünde meiner Meinung nach allerdings im klaren Widerspruch zur ursprünglichen Idee.Ich könnte mir schon vorstellen, dass das funktioniert. Wahrscheinlich ist das so eine Art dialektischer Prozess. Denkbar sind Angebote, die erst einmal in großen Städten für eine bestimmte Klientel attraktiv sind und die dann auch zunehmend für andere Käuferschichten interessant werden. Ich denke, es muss und wird im bisherigen Textilhandel zu einem Strukturwandel kommen, wie ihn aktuell auch die Automobilindustrie durchläuft. Deren alte Produkte werden immer mehr Gegenstand von Regulierungen, die zukünftig zu massiven Absatzveränderungen führen werden. Bis es in der Mode allerdings so weit ist, muss noch einiges passieren. Das ist kein Prozess, der sich automatisch durchsetzt. Konsumenten werden sich hier an höhere Preise gewöhnen müssen, die aber im besten Fall auch zu einer höheren Wertschätzung der Ware führen. Zur Änderung des Status quo beitragen könnte hier beispielsweise die aktuelle Diskussion um das Lieferkettengesetz, in dessen Rahmen sich Labels verpflichten, in der gesamten Lieferkette bestimmte soziale und ökologische Regelungen einzuhalten und sich dabei auch durch ein Monitoringsystem kontrollieren zu lassen. Man sollte hier meiner Meinung nach übrigens nicht allein auf Freiwilligkeit setzen, sondern auf staatliche Kontrolle – in diesem Fall durch Initiativen des Arbeits- beziehungsweise Entwicklungsministeriums.“

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Weniger Konsum und höhere Produktqualitäten würden dabei ihr Übriges tun.
„Definitiv. Wichtig ist auch ein bewussterer Konsum. Bei hochwertiger Ware, die nicht nach der dritten Wäsche auseinanderfällt, bietet sich bei Beschädigungen dann ja auch eine Reparatur statt eines Neukaufs an. Das derzeitige Überangebot an Bekleidung sorgt für eine Verramschung und Entwertung von Bekleidung. Der Handel muss der Wegwerfgesellschaft hier entschlossen entgegentreten.“

Die Realitäten von Klimawandel und Ressourcenverschwendung haben bereits einige Branchen eingeholt. Wie lautet Ihre Prognose für die Bekleidungsindustrie?
„Ich erwarte gerade im Bereich der textilen Massenfertigung durchaus einen größeren Stellenabbau. Allerdings sehe ich diese Entwicklung eher als einen ganz normalen Prozess, der gar nicht unbedingt etwas mit Ökologie, sondern schlicht mit der herrschenden Überproduktion zu tun hat. Das zunehmende Konsumenteninteresse an Nachhaltigkeit befeuert den Wandel aber natürlich zusätzlich, wobei dieses Bewusstsein bei der Mode im Gegensatz zu den Bereichen Nahrungsmittel und Mobilität noch nicht sehr ausgeprägt ist. Ein spezielles Problem der Bekleidungsbranche sind die oft extrem niedrigen Produktionskosten, die vor allem auf den schlechten Löhnen der Arbeiterinnen und Arbeiter fußen. Hier wäre unter sozialen und auch ökologischen Gesichtspunkten dringend eine gewisse Umverteilung nötig, was ja auch ein zentrales Kriterium der Sustainable Development Goals darstellt, also der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es gibt in der Branche Unternehmen, die sich an einer nachhaltigen Perspektive orientieren, und solche, die es nicht tun. Letztere werden irgendwann ein ernstes Statusproblem haben und in der Folge nicht nur gesellschaftliches Ansehen und Kunden, sondern womöglich ihr gesamtes Geschäftsmodell verlieren. Ob es bei Unternehmen, die weder sozial noch ökologisch nachhaltig agieren, sinnvoll ist, allein auf den Arbeitsplatzerhalt zu schauen, wage ich zu bezweifeln.“

Sprechen wir über die Problemlösung. Inwieweit sind die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen? Oder muss lediglich die Politik klare Vorgaben machen?
„Die Veränderung muss von beiden Seiten kommen. Was ihre Lieferkettenpolitik und ihre Qualitätsansprüche angeht, müssen sich die Unternehmen meiner Meinung nach zukünftig völlig neu aufstellen, letztlich auch in eigenem Interesse. Teilweise geschieht das ja bereits. Leider sind viele Branchen in Bezug auf ein konkretes Lieferkettengesetz nach wie vor sehr gespalten. Gerade die großen Lobbyverbände versuchen, das Gesetz zu verhindern, weil es offenlegen würde, welche fragwürdigen Praktiken in den Produktionsländern Alltag sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und von sich aus umstellen, weil sie ein Interesse daran haben, als Erneuerer zu gelten. Da ist jetzt ein enormer Meinungswandel im Gang. Zugleich ist es natürlich auch wichtig, vonseiten der Politik klare Steuerungs- und Regulierungsmaßnahmen voranzutreiben, vor allem was die Punkte Ressourcen und Überkonsum angeht. Ein Beispiel wäre hier das Verbot der Zerstörung von zurückgeschickten Versandhandelsprodukten. Das ist das Unnachhaltigste, was man sich überhaupt vorstellen kann, und hier bedarf es dringend einer gesetzlichen Regelung, hin zu besseren Verwendungsmöglichkeiten (Spenden, Secondhand-Markt oder anderen guten Ideen).“

Was können Verbraucher zur Veränderung beitragen?
„Verbraucher könnten sich ab und an fragen, ob sie sich wirklich durch das Diktat der schnellen Mode fremdbestimmen lassen wollen oder mit dem Inhalt ihres Kleiderschranks eigentlich noch ganz zufrieden sind. Zwölf Kollektionen im Jahr, das macht Fashion absolut beliebig und widerspricht so ihrer identitätsstiftenden Funktion. Zudem wäre es bei Neuanschaffungen wichtig, nicht allein den Preis über den Kauf entscheiden zu lassen, sondern auf bestimmte Labels wie etwa Oeko-Tex zu achten.“

Wobei es bei diesen Labels ja durchaus viele schwarze Schafe gibt, die in den Marketingabteilungen der Unternehmen ersonnen wurden, inhaltlich letztendlich aber eine Mogelpackung sind.
„Das stimmt. Gegen diesen Wildwuchs müssten zentrale Akteure der Branche beziehungsweise tragende Verbände der Modeindustrie angehen und festlegen, welche Standards sie als wirklich seriös ansehen. Wenn das nicht passiert, wäre es meiner Meinung nach sinnvoll, seitens der Politik Vorgaben zu machen oder gute Beispiele zu unterstützen, ähnlich wie beim bekannten ,Blauen Engel‘. Ein schönes Beispiel ist die NEONYT, die weltgrößte Messe für nachhaltige Mode im Rahmen der Berlin Fashion Week, demnächst wieder Mitte Januar 2020. Eine Zusammenarbeit von Industrie und Politik halte ich bei der gesamten Thematik für sehr wichtig.“

Nach Arbeiten für beispielsweise das Umweltbundesamt und das Wissenschaftszentrum Berlin ist Roland Zieschank seit 1990 als Projektleiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin tätig. Neben nationalen und internationalen Forschungsprojekten zu alternativen Wachstums- und Wohlfahrtskonzepten, Green Economy und Umweltpolitik als Gesellschaftspolitik analysierte er nationale Nachhaltigkeits- und umweltpolitische Kommunikationsstrategien und verfasste unter anderem Studien für das ifo INSTITUT für Wirtschaftsforschung, die Universität Bern, den Sachverständigenrat für Umweltfragen sowie verschiedene Ministerien der deutschen Bundesländer. Seine Forschungsergebnisse wurden in vielen Fachpublikationen veröffentlicht.