In Berlin dreht sich das Rad der Veränderung. Und es dreht sich schnell. Aktuell erlebt die Messe am Gleisdreieck eine Stärkung der Menswear. Marken wie OLYMP oder Carl Gross haben sich für die kommende Winterausgabe der Fashion Week in Berlin für eine Präsenz am Gleisdreieck entschieden. Anita Tillmann, Chefin der PREMIUM GROUP, des Veranstalters der gleichnamigen Messe, sieht die Menswear generell gewinnen – und das weltweit. Neu ist die Kooperation mit der Wholesale-Plattform JOOR. Tillmann im FT-Interview über Männer, Mode und Messen.
FT: Konzept und Markenrelevanz schlagen Preis – inwiefern haben sich der Markt und damit die Anforderungen an die PREMIUM geändert?
Anita Tillmann: „Der Markt hat sich geändert und damit auch die Relevanz der Marken. Es gibt aus unserer Sicht eine neue Definition der Markenrelevanz, die auf vielen verschiedenen Faktoren basiert. Auf der einen Seite spielen Werte wie Verlässlichkeit, Ausdauer, Kompetenz und Qualität eine Rolle, aber erfolgreiche Marken zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie sich engagieren, überraschen und mit allen Beteiligten connecten. Sie begeistern, durchbrechen alte Strukturen und liefern Neues in Produkt und Konzept. Relevante Player tun alles, um Kundenloyalität zu pflegen und neu aufzubauen. Sie hinterfragen sich ständig, definieren sich innerhalb ihrer Möglichkeiten und ihrer Welt immer wieder neu.
Das Gleiche gilt für die SEEK und auch die PREMIUM. Wir stehen als B2B-Marken vor denselben Herausforderungen und haben entsprechend auch eine Verantwortung unseren Ausstellern und Besuchern gegenüber. Während wir noch bis vor fünf Jahren streng darauf geschaut haben, dass wir ausschließlich nach Preis- und Distributionspolitik sowie Trendrelevanz kategorisieren und selektieren, reicht das heute nicht mehr. E-Commerce und deren Player haben die herkömmliche Distributionspolitik und die Kennzahlen schon lange ausgehebelt. Schaut man sich die Trends und ‚Zielgruppen‘ beziehungsweise Generationen an und wer was wie umsetzt, gibt es eine neue Gemengelage, die sich ständig ändert. Die Konsumenten stellen den Einzelhandel vor grundlegend neue Aufgaben. Natürlich müssen wir genau das auf unseren Plattformen spiegeln und Lösungsansätze anbieten respektive ein Forum schaffen, damit sich die richtigen Entscheider treffen können, um dann konstruktiv und vor allem gemeinsam an Ergebnissen zu arbeiten. Wir haben vor eineinhalb Jahren eine aufwendige und europaweite Marktanalyse gestartet und darauf basierend unsere Konzepte entsprechend weiterentwickelt und die Selektionskategorien neu definiert. Wir haben Hallen umbenannt, neue Brandportfolios zusammengestellt, die Themen geschärft – erfolgreich. Messen sind wichtiger denn je. Je digitaler die Welt wird, umso entscheidender ist der Face-to-Face Touchpoint. Wir haben auch unser Contentprogramm und die Partner aus dem Ökosystem hinterfragt und angepasst. Unser Ziel ist es, dass jeder Aussteller und Besucher mit den richtigen Themen konfrontiert wird, dann aber auch relevante Kontakte macht, um sich weiterentwickeln zu können. Wir, mit unserem Netzwerk, haben jahrelang Kompetenz und Vertrauen aufgebaut und profitieren jetzt davon. Es braucht viel Energie, Zeit und Investments.“
Noch mal kurz und bündig: Wie sieht die Arbeitsteilung von PREMIUM und SEEK aus?
„PREMIUM ist elegant, kontrastreich, groß und imposant. Es präsentieren sich große Player neben Newcomern aus allen Segmenten. Für das Ökosystem der Mode ist die PREMIUM die wichtigste Business-Plattform in Europa für Damen und Herren. Hier werden langfristig Partnerschaften geschlossen und neue Impulse gesetzt.
„Je digitaler die Welt wird, umso entscheidender ist der Face-to-Face Touchpoint.“
SEEK ist kantig, klar und unpoliert. Es geht um cooles Statement Design, die neuen Klassiker, Denim und Sportswear. SEEK ist das Messe-Event für die Fashion Community, die weiß, wo es langgeht, die Umsatz anregt und die neue Generation von Entscheidern trifft. SEEK ist zu vergleichbaren Menswear-Messen vor allem unkonventionell und nicht langweilig.“
Die SEEK und die PREMIUM kümmern sich um Mode, die FASHIONTECH um Verbraucher- und Handelsthemen – richtig oder verkürzt in der Aussage?
„Wir haben einen Anspruch und einen anderen Ansatz als unsere Mitbewerber. Wir verkaufen nicht nur Fläche, obwohl genau das unser Businessmodell ist. Wir inspirieren, informieren, darüber hinaus setzen wir neue Markt- und Modetrends. Wir beschäftigen uns seit 2003 mit Content, Trendthemen und Communitys und haben viel Zeit und Geld investiert, um das mit und in der Branche zu platzieren. Die Kompetenz hat sich sonst niemand aufgebaut. Unser ganzes Team besteht aus Experten und arbeitet ganzjährig daran, das bestmögliche Ergebnis für alle Beteiligten zu liefern. Bei den anderen Messeveranstaltern fehlen meist die Kapazitäten und es schmälert zumindest kurzfristig das Gesamtergebnis. Langfristig baut es Vertrauen und Kompetenz auf und nachhaltiges Wachstum.“
Wie gehst du mit den Veränderungen im Markt um (informierte Verbraucher, neues Selbstbewusstsein der Konsumenten, Digitalisierung – immer alles und überall –, Marktbereinigung und Wandel der Handelslandschaft), welche Anpassungen in Konzept und Markenmix hat diese Entwicklung in den zurückliegenden Saisons für die PREMIUM gebracht?
„Wir beschäftigen uns mit unseren Brands und den Strukturen. Einige Firmen haben die Transformation als Chance genutzt, sich zu hinterfragen und alles auf den Kopf zu stellen, haben die Transformation als einen andauernden Ist-Zustand begriffen und nicht als vorübergehendes Phänomen. Das haben einige verstanden, andere sind auf der Strecke geblieben. Mein Lieblingsbeispiel ist DRYKORN. Die Marke entwickelt sich ständig weiter, indem sie das Produkt ins Zentrum stellt und trotzdem die Kundenloyalität nicht weniger wichtig nimmt. JOOP! macht einen hervorragenden Job und leistet einen guten Beitrag zum Erfolg der Menswear. Marken wie OLYMP SIGNATURE sind sehr erfolgreich auf der PREMIUM und zeigen im Januar auch die Hauptlinie. Auf der SEEK präsentieren sich Brands wie ALPHA INDUSTRIES, VEJA, Fred Perry, Champion und BEN SHERMAN. Es geht um einen Brandmix mit neuem Spannungsbogen. Eine schöne Kollektion reicht nicht mehr. Die Strukturen, die Brandstory und auch der Support seitens der Marke müssen im Paket stimmen. Danach entscheiden und selektieren wir. Es ist neu und anders.“
Die Meanswear hat zugelegt, eine ganze Reihe bekannter Marken hat sich entschieden, sich auf der PREMIUM zu präsentieren. Ist damit die Bedeutung der Menswear einfach aufgrund der Austellerpräsenz gestiegen?
„Grundsätzlich hat die Bedeutung der Menswear weltweit zugelegt. Männermode hat beim Endkonsumenten an Bedeutung gewonnen, was viel mit der Digitalisierung und einem neuen Modeverständnis bei Männern zu tun hat. Das spüren wir auf beiden Messen.
„Die Menswear wird insgesamt wieder wichtiger.“
Hier muss man allerdings unterscheiden, denn die Menswear ist vor allem auf der SEEK zu Hause, wir sprechen von circa 80 Prozent. Die PREMIUM hatte bisher etwa 25 bis 35 Prozent Menswear, wobei es seit drei Saisons einen Anstieg im Bereich Smart Casual/Formalwear gibt, sie wird insgesamt wieder wichtiger.“
Die PREMIUM war eh schon „voll“, wie hast du weitere Ausstellungsfläche geschaffen?
„Wir haben zusätzlich Fläche dazumieten können, und zwar in beiden Locations für beide Messen. Das brauchen wir auch, denn es ist viel Bewegung im Markt. Neben etlichen guten Gründen, an unseren Messen teilzunehmen, haben einige Firmen die Transformation nicht richtig ernst genommen und schlichtweg die Chance verpasst, den Wettbewerbsvorteil weiter auf- und auszubauen. Das bereinigt den Markt und schafft Platz. Auch gut.“
Worauf liegt der Fokus der nächsten Saison?
„Wir konzentrieren uns auf drei Hauptthemen auf beiden Messen – Sustainable/Responsible Future, Digitalisierung der Modeindustrie und Retailexperience. Zum ersten Thema präsentieren sich Kollektionen und die NEWS insbesondere in Halle 3. Auf der SEEK haben wir über 80 und auf der PREMIUM um die 40 Brands. Interessant ist, dass sich auch altbekannte Player neu positionieren. Neben ECOALF und ARMEDANGELS, NORTH SAILS, Boyish zeigt zum Beispiel GANT eine Sustainable Capsule. MEYER Hosen hat bis Ende des Jahres alles umgestellt und stellt das Ergebnis erstmalig auf der PREMIUM im Januar vor. Aber auch ETERNA zeigt seine Hemden und hat eine klare Haltung dazu. Sehr spannend. Das #FASHIONTECH BERLIN-Format zieht mit Stageprogramm und Masterclasses sowie der Ausstellungsfläche wieder in das direkte Umfeld der STATION Berlin. Und auch auf der SEEK wird es Talks geben, segment- und communityrelevant. Und zum Thema Retail Experience gibt es so viel spannende Business Opportunities wie lange nicht mehr. Der stationäre Handel wird die Player bei unseren Messen treffen, inspiriert werden und mit neuen Ideen nach Hause gehen.“
Wechsel ist im Sinne der Kuratierung Teil des Konzeptes der PREMIUM. Gab es auch Anzeichen für Abgänge, weil die Marken nicht mehr zur PREMIUM oder die PREMIUM nicht mehr zu den Marken passt?
„Bisher nicht. Alle diese Marken stehen auch auf der Pitti und da stört es auch niemanden, dass ROY ROBSON, TIGER OF SWEDEN und CANADA GOOSE zusammen auf einer Messe stehen. Es gibt zwar Fragen und auch teilweise Unsicherheiten, allerdings ist das ein Prozess, der seit mehreren Saisons läuft. Bisher profitieren alle voneinander. Es ist auch eine Frage, wen man wo und wie zusammenstellt. Bisher funktioniert das wie gesagt sehr gut und kommt dem Bedürfnis, alles an einem Ort zu zeigen, am nächsten. Was wir beobachten, ist ein Shift zur SEEK, insbesondere von den Segmenten Upper Sportswear und Streetwear Brands. Konkret geht es um Marken wie ALPHA INDUSTRIES, Blauer, CROSSLEY und so weiter. Wir sprechen aktuell auch mit LACOSTE, ob es nicht sinnvoller ist, auf die SEEK zu wechseln, sich in einem anderen Brandportfolio zu präsentieren und eine neue und gegebenenfalls jüngere Community anzusprechen. Bewegung ist wie gesagt immer gut, sofern sie nicht unberechenbar und nachvollziehbar ist.“
„Mit JOOR haben wir unseren digitalen Komplementär gefunden.“
Wenn du die Wahl hättest, alle Messen/Plattformen an einem Standort unterzubringen, du aber die Stadt wechseln müsstest, was würdest du tun?
„Aus unserer Sicht kommt es primär nicht auf den Standort oder die Location an. Wenn das Konzept nicht stimmt, das Vertrauen fehlt und es kein funktionierendes Netzwerk gibt, ist alles andere irrelevant. Die PREMIUM und die SEEK könnten auch an jedem anderen Standort oder auch in einer anderen Stadt stattfinden. Auch Berlin stand nicht für Mode zu dem Zeitpunkt, als wir mit 70 Kollektionen 2003 im U-Bahnhof am Potsdamer Platz anfingen.“
In der kommenden Saison kooperiert die PREMIUM GROUP ganz neu mit der Wholesale-Plattform JOOR. Was erhofft ihr euch für Vorteile davon?
„Mit JOOR haben wir unseren digitalen Komplementär gefunden. Wir sind glücklich, dass sie das Potenzial der PREMIUM GROUP und auch von veee.com erkannt haben und mit uns gemeinsam den Markt vorantreiben wollen. Face-to-Face ist nach wie vor unumgänglich, da nur auf der Fläche die Brand Identity vermittelt, verstanden und anschließend vom Handel entsprechend umgesetzt werden kann. Was nun mit JOOR jedoch dazukommt, ist, dass die Orderabläufe optimiert werden, was Kosten- und Zeitersparnisse mit sich bringt. Die Key Looks, die auf unseren Messen gezeigt werden, können in der Online-Plattform eins zu eins gespiegelt werden, sodass Brands mehr und mehr die Chance haben, ihren Vorstellungen entsprechend im Handel dargestellt zu werden.
Diese Partnerschaft ermöglicht außerdem Brands und Einkäufern aus unserem Netzwerk den vereinfachten Eintritt in den US-Markt. Alle großen internationalen Agenten nutzen die Plattform, womit unsere Aussteller die Möglichkeit haben, zusätzlich auch neue Märkte zu erschließen. Globale Netzwerke – online wie offline – waren nie wichtiger als in der heutigen Zeit gravierender Markttransformation.“