Über Kunst, Kommerz und Konsumenten

Hochschule

Spiel mit dem Unangepassten, Rauen, Wilden und seinen Gegensätzen. BURG Werkschau ©Klehm Mendez

Susanne Ostwald und Gunnar Mundt arbeiten an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Allerdings haben die zwei nicht die übliche akademische Laufbahn im universitären Lehrbetrieb durchlaufen. Sie kommen aus der Praxis. Wir haben mit den beiden über ihren Job gesprochen und wie sich der Beruf des Modedesigns über die Jahre hinweg verändert hat.

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FT: Herr Mundt, war Ihre Berufswahl mehr zufällig oder Teil eines Plans?
Gunnar Mundt:Nach langjähriger Tätigkeit als Design Director in einem globalen Unternehmen war der Wechsel in die Lehre eine bewusste und persönliche Entscheidung.“

„Digitalisierung erschafft Möglichkeiten, ,Unfassbares‘ erlebbar zu machen.“ Susanne Ostwald ©RichmondLam

Wenn Sie wählen könnten, würden Sie lieber heute in den Job einsteigen als damals?
Susanne Ostwald:Job-Fluktuation ist in der Mode recht üblich, sei es innerhalb einer Firma, von einem Unternehmen zum nächsten oder von der Selbstständigkeit zu einem beratenden Posten und so weiter. Zudem befindet sich die Branche gerade in einer Umbruchphase, die für alle Beteiligten zu neuen An- und Herausforderungen führt. Insofern steigt man wahrscheinlich immer wieder neu ein, egal wie lange man schon dabei ist.“

Mundt:Weder … noch. Jede Zeit beinhaltet ihre Herausforderungen. Allerdings hat, wie viele Bereiche, auch der Bereich Modedesign heute einen holistischeren Ansatz und umfasst weitgreifende Entscheidungen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Der Tätigkeitsbereich ist viel breiter gefächert.“

Wie hat sich der Job in den zurückliegenden Jahren verändert?
Mundt: „Der Kunde hat eine viel bedeutendere Rolle eingenommen und stellt auch höhere Anforderungen an die Produkte. Eine differenzierte Individualität muss berücksichtigt werden. Einzelne Arbeitsprozesse sind sehr unterschiedlich und variieren stark abhängig vom Unternehmen. Digitales Arbeiten beeinflusst nicht nur Präsentations- und Entwurfsprozesse, sondern auch den Kontakt und den aktiven Austausch mit dem Kunden.

Ostwald: „Durch Digitalisierung und Globalisierung haben sich unter anderem ungeahnte Chancen für Strategien der Transparenz, Nachhaltigkeit und Reichweite ergeben. Gerade junge Designerinnen und Designer können bei einer Existenzgründung von den vielfältigen digitalen Möglichkeiten profitieren, da diese meist kosten-, zeit-, aufwand- und materialsparend sind. So präsentieren diverse Labels 3-D-Renderings ihrer Designs online und produzieren die Kleidungsstücke erst nach Eingang der Bestellungen. Über intelligente Plattformen können Gestalter und Hersteller in Kontakt treten, deren Auftragsvolumen und Zeitmanagement übereinstimmen. Digitale Schnitte und technische Datenpakete sind in Sekunden weltweit versendbar. Soziale Netzwerke ermöglichen die Kommunikation mit potenziellen Zielgruppen jenseits bisheriger PR-Kanäle.“

Wenn Studierende Sie fragen, ob sie lieber mittelfristig eine Karriere in der Industrie angehen oder es doch mit einem eigenen Label versuchen sollten, was raten Sie?
Ostwald:Als Lehrkraft reagiert man natürlich auf die Bedürfnisse und Veranlagungen der Studierenden, und das variiert von Fall zu Fall. Wenn das Interesse allerdings bereits in diese Richtung geht und es vielleicht sogar die Aussicht auf ergänzende Partner- oder Teamarbeit gibt, finde ich Selbstständigkeit sehr spannend. Nicht nur darf man nach den eigenen Vorstellungen entwerfen, es bietet sich einem ein komplexes Betätigungsfeld, angefangen beim Erstellen von Businessplan und Marktstrategie, weiter über Buchhaltung, Administration, Teamleitung, PR, Marketing, Produktentwicklung, Produktion bis hin zu Kunden- und Eventmanagement, Merchandising und Verkauf. Und wenn man nach ein paar Jahren doch lieber für eine Firma arbeiten möchte, hat man auf jeden Fall einiges zu bieten.“

„Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs und des Neubeginns.“ Gunnar Mundt

Mundt:Das ist eine sehr persönliche Entscheidung und unterliegt dem jeweiligen Schwerpunkt des Studierenden; Interessen, Talent und Vision.“

Ist Modedesign näher am Kunsthandwerk oder an bildender Kunst?
Mundt: Modedesign ist eine Designausbildung. Einige Arbeiten von Modedesignerinnen und -designern haben sicherlich einen hohen künstlerischen Anspruch und es gibt Arbeiten, die sich in der Kunst bewegen.“

Ostwald:Eine allgemeine Kategorisierung halte ich für schwierig. Modedesign, also Entwurfsarbeit für kontemporäre Bekleidung und Accessoires, ist ein Feld für sich und wie jede kreative Arbeit ein Prozess, bei welchem spezifische ästhetische und gestalterische Mittel zum Einsatz kommen. Das Ergebnis kann dann je nach Anspruch und Bedarf ausfallen.“

Sind die Zeiten kultureller, künstlerischer und politischer Revolutionen durch? Zum Beispiel ist in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts doch eine Menge passiert, kam es doch zu vielen (politisch-)kulturellen Umstürzen, die das Ziel hatten, die Gesellschaft zu befreien und eine bessere Zukunft zu gestalten. Heute dagegen schauen die Menschen gerne zurück …
Mundt:Nach wie vor spiegelt Mode gesellschaftliche Tendenzen, der Blick zurück zeigt auch gesellschaftliche Sehnsüchte. Der Fokus im Zeitzusammenhang liegt und muss auch auf der Weiterentwicklung von nachhaltigen Lösungen liegen, da diese nicht nur für den Textilbereich, sondern für den gesamtgesellschaftlichen Kontext überlebenswichtig sind. Die meisten Studierenden befassen sich mit visionären Ideen innerhalb ihres Entwurfsprozesses und setzen sich gleichzeitig mit Sinn und Relevanz in Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit auseinander. Was eine viel größere Herausforderung für die Studierenden darstellt.“

Wie lassen sich Zeitgeist und kulturelle Strömungen in der Mode ablesen?
Ostwald:Wahrscheinlich ebenso wie in anderen kreativen Ausdrucksformen. Durch Beobachten, Vergleichen, Analysieren.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Kunst?
Ostwald: Digitalisierung erschafft Möglichkeiten, ,Unfassbares‘ erlebbar zu machen, damit steigert sie gleichzeitig das Bedürfnis nach dem Begreifbaren; dem in der realen Welt Existierenden, multisensoriell Erlebbaren.“

Auf der einen Seite haben wir über die sozialen Medien eine vermeintlich digitalisierte Individualisierung, auf der anderen Seite kommen die Influencer und damit auch ihre Follower (also Endkunden) ziemlich massenmarkttauglich um die Ecke. Die Frage ist aber doch, was zuerst da ist, Mainstream oder Trend, den Influencer in die Masse transportieren. Wie sehen Sie das?
Mundt:Die Frage sollte lauten: Wie lösen wir uns von einem Modediktat im herkömmlichen Sinne (führende Modehäuser, Konzerne) oder in seinem neuen Erscheinungsbild (Influencer/ Follower)? Viele der jungen Modesignerinnen und Modedesigner wie auch Studierenden hinterfragen diese Prozesse bereits und versuchen, neue Wege zu gehen. Eine kritische neue Designergeneration wird uns für die Zukunft eine spannende neue Form von Mode, dem Umgang mit Mode und dem Bekleidungsverhalten des Einzelnen/der Gesellschaft präsentieren. Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs und des Neubeginns.“

Gibt es überhaupt Individualität in der Mode?
Mundt: „Ist dies überhaupt noch von Relevanz?

Die Interviewpartner

Gunnar Mundt und Susanne Ostwald sind derzeit als Vertretungsprofessor beziehungsweise Vertretungsprofessorin für Modedesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle tätig. Gunnar Mundt war zuvor unter anderem als langjähriger Design Director bei der adidas Group tätig. Susanne Ostwald studierte selbst Modedesign an der BURG und gründete 2008 in London gemeinsam mit Ingvar Helgason das international agierende Label „Ostwald Helgason“.

 

„Steiniger Sprung vom Praktikant(inn)enstatus“

Im Juli 2019 präsentierten Studierende der BURG in einer Modenschau ihre Outfits und Kollektionen unter dem Titel „Der wilde Mann und … Gegensätze ziehen sich an“. Zum Auftakt der Jahresausstellung 2019 wurden die Semester- und Abschlusskollektionen vor großem Publikum im Volkspark Halle vorgestellt. Im Spiel mit dem Unangepassten, Rauen, Wilden und seinen Gegensätzen experimentierten die Studierenden dabei mit Materialien und Techniken. Mit dabei waren Lea Schweinfurth und Pascal Konradi.

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Beide haben ihren Master in der Tasche. Nach Studium und Scheinesammeln ist Jobsuche angesagt, oder? Stopp! Die beiden haben ihren Hochschulabschluss mit einer klaren Idee im Kopf durchgezogen.

Lea Schweinfurth ©privat

FT: Warum hast du Modedesign studiert?
Lea Schweinfurth: „Ich bin durch meine Großmutter auf den Gedanken gekommen, Modedesign zu studieren. Sie war selbst Schneiderin und hatte als junges Mädchen den Traum gehabt Modegestalterin zu werden. So habe ich als Kind ihre Zeichnungen abgemalt und meine Begeisterung entwickelt. Nach meinem Abitur habe ich mich eindringlicher mit dieser damals noch recht fixen Idee auseinandergesetzt und mich dann ganz bewusst für diesen Weg entschieden. Damals hat mich vor allem die kreative Arbeit an bewegten Körpern fasziniert. Im Laufe der Zeit hat sich dann mein Fokus vor allem auf Mode als kulturelles Phänomen gelegt.“

Pascal Konradi ©Sophie Valentin

Pascal Konradi:Ursprünglich komme ich aus dem Kommunikationsdesign und habe während meines Bachelorstudiums zwei Gastsemester in der Studienrichtung Modedesign gemacht. Danach habe ich für mich entschieden, dass ich meinen Master in der Mode machen möchte.

Das lag unter anderem daran, dass man in der Mode die Freiheit hat, sehr emotional zu arbeiten und die Möglichkeit ein Gefühl zu vermitteln. Mode ist eine Form von Ausdruck, eine Form von Haltung, ein Spektakel. Sie ist immer ein Abdruck von Zeitgeist und verhandelt das derzeitige Geschehen. Das war etwas, was mich schon immer fasziniert hat.“

War das Studium so, wie du es dir vorgestellt hattest?
Lea: „Ja und Nein. Die langen Nächte im Atelier, in denen ich und meine Kommilitonen*innen mit Hingabe an unseren Projekten gearbeitet haben, haben definitiv meiner Wunschvorstellung entsprochen. Es gab aber auch Dinge, die ich so nicht erwartet habe. Zum Beispiel die Diskrepanz zwischen Studium und Realität. Darüber hatte ich mir vorher allerdings auch keine Gedanken gemacht.“

Pascal: Auf jeden Fall. An der BURG habe ich für mich auch die besten Voraussetzungen gesehen. Es ist ein wirklich intensives, selbstbestimmtes Studium, weil man – angefangen beim Konzept, über Moodboard, Silhouetten und Schnitt, bis hin zum fertigen Kleidungsstück – alles selbst macht. Man hat die Möglichkeit sehr künstlerisch zu arbeiten, Grenzen auszuloten und sie vielleicht auch zu überschreiten. Das ist für mich ein Luxus, den ich im Studium genießen konnte.“

Wer ist dein großes Design-Vorbild?
Lea: „MARA HOFFMAN. PALOAMA WOOL. Y-PROJECT. COLLINA STRADA.“

Pascal:Es gibt natürlich viele Designer, die mich inspirieren und ein Vorbild sind, aber vor allem denke ich da zum Beispiel an Dries Van Noten oder Haider Ackermann, die für mein Empfinden einfach sehr sensibel mit Mode umgehen – sei es im Umgang mit Material, mit Silhouetten und auch im Schnitt.“

Mode Lea Schweinfurth – Projekt NOT A STUDIO ©Magali Fuhs-Balster

Was hast du dir bei der Abschlussarbeit gedacht?
Lea: „Mein Projekt NOT_A_STUDIO soll durch Mode zur Auseinandersetzung mit Mode als nachhaltige Praxis mit anregen. Zum einen besteht eine digitale Plattform, die sowohl informativ sein als auch Mode und Nachhaltigkeit offen und kreativ besprechen soll. Informationen werden hier durch Interviews mit Fachleuten aus der Modebranche in ihrer Vielschichtigkeit aufbereitet. Des Weiteren findet eine kreative Auseinandersetzung durch internationale Kooperationen mit Kunstschaffenden und Kreativen statt, da eine künstlerische, manchmal auch unterhaltende Auseinandersetzung einen positiven Zugang zum Thema schaffen kann. Weiterer Bestandteil ist eine Kollektion, die sich zeitgemäß mit nachhaltiger Mode befasst und sich auf das Accessoire, das modische Additiv im weitesten Sinne, einlässt. 

Die einzelnen Teile dieser additiven Kollektion werden immer zusätzlich zu dem bereits vorhandenen Outfit getragen. Der Raum des Accessoires eröffnet auch eine weitere Ebene, nämlich weitgehend befreit von Gender und Konfektionsgröße zu arbeiten. Die Items wurden aus Altkleidern gefertigt und tragen gut sichtbar einen QR-Code, der zur digitalen Plattform von NOT_A_STUDIO führt.

Bei meinem Abschlussprojekt waren zwei Aspekte leitend: Zum einen wollte ich durch die Betrachtung meiner Erkenntnisse und Erfahrungen sowie weiterführende Recherche meinen Standpunkt in der Debatte um Nachhaltigkeit in der Mode beziehen und herausfinden, was ich zum Diskurs beitragen kann. Des Weiteren war es mir sehr wichtig, den Grundstein für ein Projekt zu legen, das über meinen Master hinaus wachsen und weitergeführt werden kann, und ich somit die Möglichkeit habe, weiterhin an den mir wichtigen Themen in der Mode zu arbeiten. Also mehr ein Anfang als ein Abschluss.“

BURG Mode Pascal Konradi Hounds ©Sophie Valentin

Pascal:In meiner Abschlussarbeit beschäftige ich mich mit der Melancholie. Das ist ein Thema, das mir über viele Jahre immer wieder auf unterschiedliche Weise in meinen Arbeiten begegnet ist. Ich wollte einen alternativen Melancholiebegriff etablieren, das vermutlich überwiegend negative Image abschütteln und dem ästhetischen Moment Sichtbarkeit verleihen. Dabei geht es um Nostalgie und Erinnerung. Deshalb habe ich die Kollektion dem Melancholiker selbst gewidmet, der sich mit Erinnerungsstücken kleidet: dem Pullover der Großmutter, dem Mantel des Großvaters, der Hose des Vaters oder der Bluse der Mutter … In erster Linie soll ein Gefühl vermittelt werden, Sehnsucht, sensible Männlichkeit. Das ist sowohl über das Farbkonzept geschehen als auch über die Schnitte und die Stoffe selbst.“

Und was kommt jetzt?
Lea: „Struggle. Tatsächlich ist der Sprung vom Praktikant(inn)enstatus hinüber zur bezahlten Assistenz-/Junior-Design-Stelle oftmals recht steinig. Ich werde mich für Stellen bewerben und bin dabei auch offen für alles. Dabei wird mich allerdings immer die Fortführung meines Projektes begleiten.“

Pascal:Ich möchte auf jeden Fall Erfahrungen in der Branche sammeln und dafür gerne ins Ausland gehen. Wohin genau es geht, wird sich aber noch zeigen.“

Über Lea und Pascal

Lea studierte im Bachelorstudiengang Modedesign und anschließend im Masterstudiengang Conceptual Fashion Design an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. 2017 wurde sie mit dem zweiten Preis des European Fashion Awards FASH in der Kategorie Studierende ausgezeichnet. Praktika absolvierte sie bei Bernhard Willhelm in Los Angeles und bei EDUN in New York. Mehr über ihr Projekt NOT_A_STUDIO findet sich auf der Website  www.notastudio.de

Pascal studierte Kommunikationsdesign an der Burg Giebichenstein. Anschließend belegte er von 2017 bis 2019 den Masterstudiengang Conceptual Fashion Design. Pascal absolvierte ein sechsmonatiges Praktikum beim TUSH Magazine in den Bereichen Grafik und Styling.

BURG Werkschau ©Klehm Mendez: