#FUTURE – über Digitalisierung und Nachhaltigkeit

KATAG AG

Dr. Daniel Terberger / Vorstandsvorsitzender KATAG AG ©BrauerPhotos / Neugebauer für KATAG
Autor: Markus Oess

Prominent besetzt und auf die Zukunft gerichtet. #FUTURE lautete die Headline für die diesjährige KATAG-Cheftagung. Besetzt wurden die zwei Themen, die zurzeit die Welt bewegen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Nicht neu, aber mit vielen neuen Entwicklungen, die in ihrer Tragweite für die Branche doch eher unterschätzt wurden.

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KATAG-Chef Dr. Daniel Terberger beherrscht das gesprochene Wort. Und so bleiben ganz nebenbei die Metaphern hängen, die er in seiner Begrüßungsrede einfließen ließ. Dinge wie: der Welt ein neues Gesicht geben und dass der Mensch nach Wandel ruft, aber nur eine Dosis Zukunft verträgt, so wie die Erde nur eine Dosis Mensch verträgt. Und dass wir im „Wind of Change“ nicht Mauern bauen sollen, sondern Windmühlen. Willkommen zur Cheftagung der KATAG in Bielefeld, die in diesem Jahr unter #FUTURE lief und die Schwerpunktthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit behandelte. Und schnell wird klar, was es mit den Metaphern Terbergers auf sich hat, wenn er den Modehandel im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit, grüner Mode und Marktfähigkeit sieht und dem stationären Handel erst mit der Zeit die volle Tragweite der Digitalisierung entgegenwalzt und das in Zeiten, in denen die Welt in ihren Grundfesten wackelt, Altgewohntes und ‑bewährtes seine heimelige Sicherheit verliert.

Drei Fragen sind es, die aus Sicht des KATAG-Chefs jeder Händler für sich ganz individuell zu beantworten hat und dies auf strategischer Ebene: die nach der Digitalisierung, welches individuelle digitale Profil der Händler im Markt aufbauen und welchen Weg er auch im rückwärtigen Bereich gehen will, die nach der Nachhaltigkeit, wie viel der lokale Markt tatsächlich verlangt, um die Balance nach Verbraucherbedürfnis, Trend, Zukunftsfähigkeit und der eigenen Glaubwürdigkeit zu halten, und nach dem Marketing, welche Hard und Soft Facts einfließen und wie die Ansprache an die Kunden aussehen soll. Einen Zaubertrank oder besser gesagt ein Geheimrezept konnte Dr. Terberger auch nicht präsentieren, dafür aber den einen Rat: „Der eigene Traum wird meist von disziplinierten Arbeitern verwirklicht.“

Wie sich die Lücke zwischen der Politik und den jungen Menschen auftut, mag das Zusammentreffen der Schüler Simon und David von der Future-for-Friday-Bewegung und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die als Ehrengast geladen war, verdeutlichen. Zuvor hatte AKK in ihrem Vortrag eine Vielzahl von Themen angerissen, für konkrete Lösungsvorschläge indes blieb keine Zeit. Dafür wunderte sich Simon, wie es kommt, dass viele Politiker wie sie oder Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Markus Söder so schnell ihr Umweltbewusstsein entdeckt haben.

Keiner kommt daran vorbei!

Fünf Fragen an KATAG-Vorstand Angelika Schindler-Obenhaus zur Nachhaltigkeit

KATAG-Vorstand Angelika Schindler-Obenhaus (©KATAG)

FT: Frau Schindler-Obenhaus, Nachhaltigkeit ist gerade jungen Menschen wichtig. Aber wird Nachhaltigkeit auch in der Mitte der (Konsum-)Gesellschaft erwartet?
Angelika Schindler-Obenhaus: „Der ‚Druck‘ von unseren Partnern, nachhaltige Produkte anzubieten, ist noch gering und aktuell verlangt die Mitte der Konsum-Gesellschaft noch nicht aktiv nach nachhaltigen Textilien. Aber wir sehen uns als Produzent hier stärker in der Verantwortung. Wir müssen hier noch mehr in die Vorleistung gehen. Mittelfristig wird es keinen anderen Weg geben, als nachhaltige Produkte zu vertreiben. Dieses Thema wird mit großer ‚Wucht‘ auf uns zukommen. Zudem werden auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen folgen.“

Transparenz ist ein Kriterium für Nachhaltigkeit, aber wie viel „mehr“ darf ein Produkt kosten?
„Ich denke, dass Frauen dem Thema Nachhaltigkeit noch etwas offener gegenüberstehen als Männer. Transparenz in der textilen Kette zu schaffen, ist weiterhin eine Challenge und bleibt ein Kernthema. Die Digitalisierung wird hier helfen, die komplexen Abläufe transparent zu machen. Es geht nie um den einen Preis, sondern immer um die Preis-Leistung und nicht zuletzt auch um die Glaubwürdigkeit eines Produktes. Ich bin der Meinung, dass ein großer Teil der Gesellschaft weniger einkaufen wird, aber dafür nachhaltiger.“

Die KATAG wird sich des Themas auch für die eigenen Marken annehmen. Können Sie ganz kurz zusammenfassen, was kommen wird?
„Wir wollen den Einsatz von nachhaltigen Rohstoffen ausbauen. Ab 2021 planen wir, fast ausschließlich Organic Cotton einzusetzen. Gleiches gilt für Wolle. Zudem wollen wir GOTS-Artikel in unseren Kollektionen forcieren und wir werden weiter in die Systeme investieren, damit wir unsere Produktsicherheit im Produktionsprozess weiter verbessern.“

Wie schätzen Sie die Bereitschaft unter den Mitgliedshäusern ein, Ökomode zu listen und sie auch mit einem gewissen Durchhaltevermögen regional/lokal zu etablieren?
„Ich bin da ganz realistisch. Die Industrie wird hier gefordert sein, mehr Produktangebot zu schaffen. Der Klimaschutz ist jetzt in der breiten Gesellschaft angekommen und wird als Brennpunktthema weiter dominieren. Somit wird jeder unserer Partner an diesem Thema nicht vorbeikommen.“

Was raten Sie Händlern, wie sie das Thema angehen sollten?
„Mein Rat ist, sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen und gegebenenfalls auch personelle Ressourcen bereitzustellen. Nachhaltigkeit ist kein Marketingthema, sondern ein strategisches Schlüsselthema für die Zukunft, das eine konzentrierte Abarbeitung verlangt. Ich kann unseren Partnern nur empfehlen, den Punkt ‚Nachhaltigkeit‘ als ganzheitliches Thema aufzuarbeiten. Fragen wie Energieverbrauch, Plastiktüte, aber auch Problemstellungen wie zum Beispiel die Rücknahme von Altkleidern, also die Übernahme von Produktverantwortung, gehören ebenso dazu.

Den Aufbau von separaten ‚Öko-Abteilungen‘ in Modehäusern halte ich nicht für den Königsweg. Vielmehr sollte man die Möglichkeit von ‚Pop-up-Flächen‘ nutzen, um zum Beispiel ein nachhaltiges Thema zu propagieren. Oder auch eine Kooperation mit einem nachhaltigen lokalen Partner vor Ort könnte ein Tool sein, das Thema zu verstärken. Etwa nach dem Motto ‚Organic Food meets Textil‘?

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Was kann die KATAG tun? Wir können unseren Beitrag zum Ausbau von nachhaltigen Produkten über alle Bereiche und weitere Projekte rund um die Nachhaltigkeit leisten. Im letzten Jahr hatten wir zum Beispiel eine große Aktion mit PLANT FOR THE PLANET und jetzt zur Cheftagung mit BRACENET.“

 Triebfeder Neugierde

Bloß kein Schwarz-Weiß-Denken. Marc Ramelow ©RAMELOW

Marc Ramelow, Chef des Mode- und Markenhauses RAMELOW mit acht Standorten in Norddeutschland, geht auf die Bühne der KATAG-Cheftagung und äußert einen ungewöhnlichen Wunsch. Jeder der hier Anwesenden möge doch bitte die Rückreise mit drei neuen Kontakten antreten. Wie viele Besucher der KATAG-Cheftagung ihm diesen Wunsch erfüllen konnten, muss wohl unbeantwortet bleiben, aber Ramelow geht es um Innovation und wie diese im Kopf stattfinden und im Unternehmen umgesetzt werden sollte. Um überhaupt solche Projekte auf der höchsten Ebene angehen zu können, ging es erst einmal darum, sich Freiräume im Unternehmen zu schaffen, also Aufgaben zu delegieren. Dann erst sei neues Denken möglich, etwa zu den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Schwer genug, denn, so Ramelow, der Mensch denke linear und sei mit einer exponentiellen Entwicklung wie der Digitalisierung und dem Wachstum der neuen Weltmächte in dem Spiel eigentlich überfordert. Es gehe um Neugier (siehe Neukontakte), Themen zu überdenken wie auch die Tatsache, dass der chinesische Online-Gigant Alibaba an einem einzigen Tag mehr Umsatz einfahre als die Branche im ganzen Jahr, oder auch um das Thema Nachhaltigkeit. Er wünsche sich den unternehmerischen Mut zu Entscheidungen abseits der ausgetretenen Pfade, den Willen, sie dann auch umzusetzen, und vor allem, das Ergebnis vorurteilsfrei zu analysieren und die richtigen Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Nicht Schwarz-Weiß-Denken, sondern die Analyse, das herauszufiltern, was gut gelaufen ist.

Ramelow geht auch bei der Nachhaltigkeit andere Wege: Er hat seine 100 konventionellen Unternehmen befragt, wie weit diese bereits grün arbeiten. Und, so sagt er, es sei mehr passiert, als gemeinhin bekannt sei. Wenn alle Antworten vorliegen, geht das Unternehmen in die Analyse und leitet die Ergebnisse wiederum seinen Mitarbeitern und Kunden weiter, um umgekehrt auch einen Dialog vom Kunden zu Ramelow und zur Industrie anzustoßen. Marc Ramelow warb auch für den Besuch der grünen Messe NEONYT in Berlin, auf der er selbst öffentlich auftrat. Seine nächste Idee: einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zu den Produzenten selbst schicken und in einem Blog den Kunden live darüber berichten. Nächstes Jahr wäre er so weit.

Im Zuge seines eigenen Digitalisierungsprojektes kam es zur Ausgründung der Unternehmensberatung HUMINO, ein Kunstwort aus den Begriffen Human und Innovation, die nun wiederum anderen Mittelständlern bei der Umsetzung ihrer Projekte helfen soll. „Die Menschen sollen Spaß haben an der Digitalisierung“, sagt Ramelow. Es gehe letzten Endes nur um eine technologische Lösung, die sie unterstützen soll. Da ist was dran.

Viel mehr als nur E-Commerce

Fünf Fragen an den KATAG-Vorstandsvorsitzenden Dr. Daniel Terberger zur
Digitalisierung

Katag-Chef Dr. Daniel Terberger 
©BrauerPhotos / G.Nitschke

FT: Herr Dr. Terberger, die Digitalisierung im Handel, im Modehandel zumal, ist schon recht lange ein Thema. Warum drängt der Markt ausgerechnet jetzt zum Handeln?
Dr. Daniel Terberger: „Wir beschäftigen uns mit der Digitalisierung natürlich nicht erst seit gestern und sie stand auch nicht zum ersten Mal auf der Agenda einer Cheftagung. Im Gegenteil, wir haben uns bisher schon sehr intensiv damit beschäftigt und werden uns auch weiterhin eine ganze Weile damit beschäftigen. Allerdings ist die digitale Welt jetzt auf breiter Basis bei nahezu jedem Verbraucher angekommen. Und er erwartet, dass auch der Fachhandel mit digital gestützten Angeboten und Services auf ihn zukommt, ohne dies explizit auszusprechen. Wenn wir also am breiten Markt nicht vorbeiagieren wollen und ein Nischendasein fristen wollen, müssen wir handeln. Zudem, denke ich, haben viele im Handel in der Vergangenheit die Digitalisierung zu sehr auf das Geschäftsmodell E-Commerce reduziert. Dabei sprechen wir vom gesamten Unternehmen, also von Prozessen, von Kommunikation, von Social Media. E-Commerce ist nur ein Aspekt von vielen.“

Hat der stationäre, mittelständische Handel die Entwicklung etwa verschlafen?
„Verschlafen ist ein hartes Wort. Das ist kein Branchenproblem, sondern gilt wahrscheinlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Die Dramatik und die Größe der Digitalisierung wurden von vielen nicht in ihrer vollen Bandbreite erfasst. Zum Zweiten sind Investitionen in diesem Bereich mit hohen Beträgen verbunden. Hier schlägt dann die Grundschwäche unserer Branche hinsichtlich Margen und Rentabilität durch und hat vieles verhindert. Wir müssen in diesem Zusammenhang vielleicht auch investieren, ohne direkten Return erwarten zu können, um das eigene Unternehmen zukunftsfähig zu halten.“

Wo sehen Sie die größten Defizite im stationären Handel hinsichtlich der Digitalisierung, wo liegen die größten Chancen?
„Das größte Defizit ist sicher, dass viele zu lange Digitalisierung mit E-Commerce nahezu gleichgesetzt haben. Sicher eine etwas verkürzte Sicht. Hier sehe ich auch eine große Chance, wenn es gelingt, sich als mittelständischer Platzhirsch ein individuelles digitales Profil zu geben. Für den einen kann das die Forcierung von Social Media in Verbindung mit Click & Collect sein, für den anderen E-Commerce in einem bestimmten profilierten Sortimentsbereich wie Wäsche oder Trachten oder mit den Möglichkeiten der Regalverlängerung, Warenkompetenz zu schaffen, die unter anderen Umständen so noch nicht möglich war. Wichtig sind bei allem auch hier das individuelle, auf den Standort ausgerichtete Profil und die absolute Kundenorientierung. Ein Patentrezept gibt es nicht.“

Wo erwarten Sie bei der konkreten Umsetzung eines Strategieschwenks oder wenigstens bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen in Richtung Digitalisierung die größten Probleme und wie will die KATAG hier unterstützen?
„Einen Strategieschwenk einzuläuten und vor allem auch umzusetzen, ist generell eine Herausforderung. Wir müssen es hinbekommen, Investitionen zu finanzieren, die zumindest nicht im ersten Schritt und unmittelbar Zusatzrendite generieren. Uns muss es gelingen, über digitale Prozesse und passende Dienstleistungsangebote die Rentabilität zu steigern, um so die nötigen finanziellen Freiräume im Fachhandel zu schaffen.“

Was bedeutet die Digitalisierung für die KATAG selbst, welchen Weg wird die Verbundgruppe einschlagen und wie wird sie sich verändern?
„Für uns gilt im Unternehmen selbst natürlich das Gleiche. Als Verbundgruppe müssen wir unser Dienstleistungsportfolio um digitale Angebote erweitern, um unsere Partner im Handel auf diesem Weg gezielt zu unterstützen. Hier sehe ich drei Ansatzpunkte, wo wir das tun können: Im Frontend zum Endverbraucher hin haben wir mit Werkzeugen wie myVEO/modehaus.de auf die Bedürfnisse unserer Mitglieder zugeschnittene Lösungen, die finanziell überschaubar sind. Wir müssen aber auch im Backend Angebote schaffen, seien es nun Schnittstellenlösungen zu Plattformen, zur Markenindustrie oder einfach zu DATEV. Und wir müssen, drittens, im Dialog mit unseren Fachhändlern helfen, das richtige Digitalprofil für den jeweiligen Standort zu finden, das die Stärken des lokalen stationären Händlers entsprechend ausspielt. Dabei ist uns die Einbindung der Markenindustrie sehr wichtig. Denn Tatsache ist auch, dass abseits vom Umsatz ohne die Platzhirsche vor Ort eine starke Markenprofilierung – auf der Fläche und digital – kaum möglich ist.“