Zwei Welten sind es, in der die TOM TAILOR GROUP unterwegs ist. Da ist die Casual-Marke TOM TAILOR, die Gewinne abwirft, und da ist BONITA. Die Kette ist in den roten Zahlen und soll verkauft werden. Noch treten die Banken auf die Bremse, weil sie sich noch nicht mit dem neuen Eigentümer, der chinesischen FOSUN, über den Rekapitalisierungsbeitrag einig sind. Dr. Heiko Schäfer, Chef des Hamburger Modekonzerns, rechnet im FT-Interview damit, dass die Angelegenheit im dritten Quartal dieses Jahres geklärt sein dürfte. Ein neuer Verkaufsprozess für BONITA wird angeschoben. Unterdessen rüstet Dr. Schäfer TOM TAILOR für die Zukunft. Die Markenkommunikation wird zusehends digitalisiert.
FT: Herr Dr. Schäfer, die Übernahme durch FOSUN ist besiegelt, die Chinesen halten inzwischen mehr als 77 Prozent. Heißt das jetzt durchatmen oder gehen die Probleme erst richtig los?
Dr. Heiko Schäfer: „Wir begrüßen es sehr, dass der Übernahmeprozess abgeschlossen ist und sich ein starker Partner zur TOM TAILOR GROUP bekennt. Das sind gute Nachrichten, zumal FOSUN von Anfang an klargemacht hat, dass sie sich in die Strategie und in das Set-up des Unternehmens nicht einmischen werden. Wir werden unseren Kurs unverändert fortsetzen und der Vorstand führt weiterhin das operative Geschäft.“
TOM TAILOR hatte finanzielle und strukturelle Nöte, die mit der Übernahme ja nicht gelöst sind. Zwar gibt es eine Brückenfinanzierung, aber der BONITA-Verkauf an Victory & Dreams International Holding B.V. ist geplatzt. Sie haben einen Independent Business Review (IBR) in Auftrag gegeben, der Anlass zu Spekulationen gab, es sähe in Hamburg noch dramatischer als vermutet aus. Können Sie uns einen groben Überblick der augenblicklichen Situation geben?
„Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten: Die Marke TOM TAILOR ist eine starke Brand, gesund, hochprofitabel und steht für mehr als zwei Drittel des Unternehmens. Wir weisen einen operativen Cashflow von mehr als 50 Millionen Euro aus. Im vergangenen Jahr haben wir ein EBITDA von gut 70 Millionen Euro erwirtschaftet. Es gibt nicht viele Unternehmen in unserer Branche, die eine EBITDA-Marge von mehr als 11 Prozent ausweisen.
Und wir haben auf der anderen Seite BONITA mit einem Umsatzanteil von weniger als einem Drittel am Unternehmen. Dieser Unternehmensbereich ist in der Tat verlustreich. Auch konnten wir uns in den letzten Jahren dem Abwärtstrend des Marktsegmentes ,Best Ager‘ nicht entgegenstemmen. Seit 2018 schreibt BONITA Verluste und das wird sich auch in diesem Jahr trotz aller eingeleiteten Maßnahmen wohl nicht ändern. Wir haben uns entschieden, BONITA zu verkaufen und den Buchwert von 184 Millionen Euro weitestgehend abzuschreiben. Diese Entscheidung haben wir mit dem Einverständnis des Investors und der Banken getroffen. Allerdings verlangten die Banken, dass wir uns mit maßgeblicher Unterstützung FOSUNs rekapitalisieren. Die Gespräche über die langfristige Rekapitalisierung laufen nun. Den IBR haben wir als Grundlage für diese Gespräche in Auftrag gegeben. Wir werden den BONITA-Verkaufsprozess wieder aufnehmen und mit Interessenten, unter anderem auch aus der ersten Verkaufsrunde, sprechen. Sobald es Neuigkeiten zum Verkauf von BONITA und den Verhandlungen gibt, werden wir den Kapitalmarkt unverzüglich darüber informieren.“
Dann dürfte das ruhigere Fahrwasser noch etwas entfernt sein …
„Ich gehe davon aus, dass eine Einigung zwischen den Banken und FOSUN im dritten Quartal erfolgen wird. Unterdessen arbeiten wir bei TOM TAILOR operativ normal weiter und setzen bei BONITA konsequent die Restrukturierungsmaßnahmen um, die wir getroffen haben, bis ein Verkauf erfolgt sein wird.“
Wie viel Luft haben Sie, die strukturell notwendigen Veränderungen anzugehen? Beim E-Commerce besteht zum Beispiel Verbesserungspotenzial. Wie sehen die Wege von TOM TAILOR zum Verbraucher aus, was haben Sie hinsichtlich des Multichannellings und der neuen Verkaufsinstrumente wie Insta und Co vor?
„Es gibt wohl kein Unternehmen, das im Zuge der Digitalisierung und beim E-Commerce keinen andauernden Veränderungswunsch verspürt. Unser eigenes Online-Geschäft wächst augenblicklich zweistellig und im zweiten Quartal konnten wir die Umsätze um 25 Prozent merklich steigern. Nachdem wir Ende 2017 den Online-Shop ins Unternehmen geholt haben, geht die Kurve nun nach oben. Wir haben seit Februar 2018 in die Digitalisierung inzwischen einen zweistelligen Millionenbetrag investiert, beispielsweise für neues Personal und die Infrastruktur. Damit war es möglich, die eigenen Online-Shops unter anderem in dem wichtigen Thema der Personalisierung und User-Experience deutlich zu verbessern – inklusive Integration mit Instagram und kaufbarem Content. Wir konnten aber auch ,Order in Store‘ als elektronische Regalverlängerung unserer Retail Stores und einen B2B-Online-Shop für unsere Handelspartner launchen. Digitales Marketing entlang des Funnels ist selbstverständlich und skaliert weiter. Die qualifizierte Reichweite ist heute bereits im zweistelligen Millionenbereich. Wir suchen übrigens händeringend gute Leute mit Drive in vielen Fachbereichen, von CRM über Product & Tech bis Social Media Management. Diese Investitionen haben und werden wir weiterhin zielstrebig tätigen.“
Wie wollen Sie den Wholesale künftig einbinden?
„Wir pflegen enge Beziehungen zu unseren Kunden. Europaweit sprechen wir dabei über mehr als 10.000 Verkaufsflächen, etwa 5.000 davon befinden sich in Deutschland. Wir schneiden dabei über unser ‚Shop-Menü‘ die Sortimentsvorschläge flächenspezifisch zu. Bei ausgewählten Key Accounts betreiben wir die komplette Flächenbewirtschaftung.“
Sehen Sie sich im eigenen Retail wieder gut aufgestellt oder besteht auch hier noch Optimierungsbedarf?
„Wir überprüfen jeden Standort kontinuierlich auf Rentabilität. Wir sind in 35 europäischen Ländern präsent und betreiben aktuell mehr als 450 Filialen, davon rund 120 in Deutschland. Während es im Ausland gut läuft, ist der Heimatmarkt bekanntlich schwierig, unter anderem dadurch bedingt, dass die Mieten nicht den sinkenden Frequenzen gefolgt sind. Auch wenn wir 2019 bislang über alle deutschen Standorte like-for-like den Umsatz um 2 Prozent steigern konnten, besteht vielerorts Anpassungsbedarf. Da bilden wir in der Branche keine Ausnahme.“
Sie haben neue Linien auf den Markt gebracht, gibt es auch eine neue Marketingstrategie?
„Das stimmt, auf der PANORAMA in Berlin haben wir unsere neue Plus-Size-Linie MY TRUE ME gelauncht und erstmalig die Kollektion für unsere ganz neue Linie mine to five präsentiert, die unseren Kundinnen tolle Looks für den Berufsalltag bietet.
Was den Media-Split angeht, investieren wir schon heute mehr als 50 Prozent in digitale Kanäle und wir shiften zulasten der Offline-Kanäle um. Es geht dabei um Messbarkeit und den richtigen Mix für unser Marketing & Sales. Content, der emotional räsoniert, ist das Herzstück, Social ein perfekter Kontext hierfür. Änderungen wird man aber auch in unserer Bildsprache sehen, die stärker unsere Mode- und Produktkompetenz vermitteln wird. Das Marketing ist ganz bewusst Teil des Digital-Bereichs bei uns und wir sind mit guter Geschwindigkeit unterwegs. Ab 1. August 2019 mit zusätzlicher Unterstützung durch einen Global Marketing Director, der das Thema Marketing und Kommunikation über alle Märkte, Kanäle und Touchpoints hinweg weiter beschleunigen wird.
Lassen Sie uns kurz über Mode sprechen, was passiert hier?
„Wie angesprochen, haben wir gleich zwei neue Linien, MY TRUE ME und mine to five, gelauncht, die den Bedarf unserer Kundin im Kern treffen. Zu beiden haben wir auf der KATAG-Cheftagung und auf der PANORAMA BERLIN ein überaus positives Feedback erhalten. Wir sehen in diesen zwei Segmenten Wachstumsräume, die wir nutzen werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir beide Linien zum Erfolg führen werden. An der grundsätzlichen modischen Positionierung werden wir nichts verändern. Wir sind seit fast 70 Jahren Experten, wenn es um Casual Wear geht, und sind einfach richtig gut in dem, was wir machen.“
Mit den neuen Linien zielen Sie auf die DOB – wird auch bei der Menswear etwas Neues kommen?
„Wir werden in der Menswear keine neuen Linien launchen. Wir haben mit dem bestehenden Programm noch ausreichend Wachstumschancen. Möglicherweise werden wir den Bereich Unterteile stärken, also Hosen und Jeans.“
Nachhaltigkeit ist im Augenblick ein beliebtes Gesprächsthema. Es gibt kaum ein Unternehmen, das nicht in dem Bereich von sich reden machen will. Marc Ramelow etwa fragt seine konventionellen Lieferanten, was sie in dem Bereich machen. Was antworten Sie ihm?
„Ganz offensichtlich ist die Nachhaltigkeit auch branchenweit im Marketing angekommen. Ich werde ihm guten Gewissens sagen können, dass wir tatsächlich schon eine Menge machen – mehr als mancher Wettbewerber. Seit August 2016 ist die TOM TAILOR GROUP Mitglied der ‚Better Cotton Initiative‘. Unsere eigenen Baumwoll-Produkte werden 2019 schon einen Anteil von 50 Prozent Better Cotton haben. Wir haben 2015 eine Detox-Initiative gestartet und diverse Maßnahmen entwickelt, so sollen bei allen Lieferanten in 2019 ein Self-Assessment sowie eine Verifizierung abgeschlossen sein. Wir haben APEOs, NPEOs und PFCs verboten. Zudem verzichten wir auf den Einsatz von Mohair und ab Herbst/Winter 2020 auf den Einsatz von Kaschmir.“